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Heinrich Zschokke, Der zerbrochene Krug, in: Heinrich Zschokke u. a. (Hrsg.), Erheiterungen. Eine Monatschrift für gebildete Leser. Dritter Jahrgang, 1. Bd. (Aarau: Sauerländer 1813), 137-175; 162-168

Heinrich Zschokke: „Der zerbrochene Krug“

Der zerbrochene Krug.

In der Frühe trat Mariette mit dem Krug zum Brunnen. Noch lagen keine Blumen auf dem Felsstück. Es war auch wohl zu früh; kaum stieg die Sonne aus dem Meere.
Da rauschten Tritte. Da kam Colin; in seiner Hand die Blumen. Mariette ward blutroth im Gesichte. Colin stammelte: „Guten Morgen, Mariette!“ – Aber es ging ihm nicht von Herzen mit dem Gruß; er konnte ihn kaum über die Lippen bringen.
„Warum trägst du so öffentlich mein Band, Colin?“ sagte Mariette, und stellte den Krug auf das Felsstück. „Ich gab’s dir nicht.“
„Du gabst’s mir nicht, liebe Mariette?“ fragte er, und ward blaß von innerer Wuth. <163:>
Mariette schämte sich ihrer Lüge, senkte die Augenlieder und sagte nach einer Weile: „Wohl, ich hab’ es dir gegeben; doch du sollst es nicht zur Schau tragen. Gieb mir’s zurück.“
Da knüpfte er’s langsam los; sein Ärger war so groß, daß er die Thränen im Auge nicht, und nicht die Seufzer seiner Brust verbergen konnte.
„Liebe Mariette, laß mir dein Band!“ sagte er leise.
„Nein!“ antwortete sie.
Da ging sein versteckter Grimm in Verzweifelung über. Er blickte mit einem Seufzer gen Himmel, dann düster auf Marietten, die still und fromm am Brunnen stand mit niedergeschlagnen Augen und herabhangenden Armen.
Er wand das veilchenblaue Band um den Strauß der Blumen; rief: „So nimm denn alles hin!“ und schleuderte die Blumen so tückisch zum prächtigen Krug auf dem Felsstück, daß dieser herab zu Boden stürzte und zerbrach. Schadenfroh floh er davon.
Mutter Manon hatte alles, hinter dem Fenster lauschend, gehört und gesehen. Als aber der Krug brach, verging ihr Hören und Sehen. Sie war kaum der Sprache mächtig vor Entsetzen. <164:> Und als sie sich mit Gewalt zum engen Fenster hinausdrängte, dem flüchtigen Verbrecher nachzuschrein, riß sie das Fenster aus den morschen Steinen, daß es mit grausenhaftem Getöse zur Erde stürzte und zerbrach.
So viel Unglück hätte jede andre Frau ausser Fassung gebracht. Aber Manon erholte sich bald. „Ein Glück, daß ich Zeugin seines Frevels war!“ rief sie; „er muß vor den Richter! Er soll Krug und Fenster mit seinem Golde mir aufwiegen. Das giebt dir reiche Aussteuer, Mariette!“ Als aber Mariette die Scherben des durchlöcherten Kruges brachte – als Manon das Paradies verloren sah, den guten Adam ohne Kopf, und von der Eva nur noch die Beine feststehend; die Schlange unverletzt triumphirend, den Tiger unbeschädigt, aber das Lämmlein bis auf den Schwanz verschwunden, als hätte es der Tiger hintergeschluckt, – da brach Mutter Manon heulend in Verwünschungen des Colin aus, und sagte: „Man siehts wohl, der Wurf kam aus Teufels Hand.“ <165:>

Das Gericht.

Und sie nahm den Krug in der einen, Marietten an der andern Hand, und ging um die neunte Stunde zu Herrn Hautmartin, wo er zu Gericht zu sitzen pflegte. Da brachte sie mit lautem Geschrei ihre Klage vor, und zeigte den zerbrochenen Krug und das verlorne Paradies. Mariette weinte bitterlich.
Der Richter, als er den Krug zerbrochen und die schöne Braut in Thränen sah, gerieth in so gerechten Zorn gegen den Colin, daß seine Nase veilchenblau ward, wie Mariettens berühmtes Hutband. Er ließ durch seine Schergen alsbald den Frevler herbeiholen.
Colin kam, tiefbetrübt. Mutter Manon wiederholte nun ihre Klage mit vieler Beredsamkeit vor Richter, Schergen und Schreibern. Aber Colin hörte nichts. Er trat zu Marietten, und flüsterte ihr zu: „Vergieb mir, liebe Mariette, wie ich dir vergebe. Ich zerbrach dir aus Versehen nur den Krug; du aber, du hast mir das Herz gebrochen!“
„Was soll das Geflüster da?“ rief mit richterlicher Hoheit Herr Hautmartin. „Höret auf eure Anklage und vertheidigt euch. <166:>
„Ich vertheidige mich nicht. Ich habe den Krug zerbrochen wider meinen Willen.“ Sagte Colin.
„Das glaub ich fast selbst!“ sagte schluchzend Mariette. „Ich bin so schuldig wie er; denn ich hatte ihn beleidigt und in Zorn gebracht. Da warf er mir das Band und die Blumen unvorsichtig zu. Er kann nicht dafür.“
„Ei seht mir doch!“ schrie Mutter Manon; „will das Mädchen noch seine Schutzrednerin sein? Herr Richter, sprechet! Er hat den Krug zerbrochen, das leugnet er nicht; und ich seinetwillen das Fenster, – will er leugnen, kann er’s sehen.“
„Da Ihr nicht leugnen könnet, Herr Colin“, sprach der Richter, „so zahlet Ihr für den Krug dreihundert Livres, denn so viel ist er werth; und dann für“ – – –
„Nein“, rief Colin, „so viel ist er nicht werth. Ich kaufte ihn zu Vence auf dem Markt für Marietten um hundert Livres.“
„Ihr ihn gekauft, Herr Unverschämter?“ schrie der Richter, und ward im ganzen Gesichte wie Mariettens Hutband. Doch mehr konnte er und <167:> wollte er nicht mehr sagen, denn er fürchtete wiederliche Erörterungen in der Sache.
Aber Colin ward zornig wegen des Vorwurfs, und sprach: „Ich schickte diesen Krug am Abend des Markttags durch euern eignen Knecht an Marietten. Dort steht ja Jacques an der Thür. Er ist Zeuge. Jacques rede; gab ich dir nicht die Schachtel, du solltest sie zur Frau Manon tragen?“
Herr Hautmartin wollte dazwischen donnern. Aber der einfältige Jacques sagte: „Besinnt Euch nur, Herr Richter, Ihr nahmt mir Colins Schachtel ab, und trugt, was darin gewesen, zur Frau Manon. Die Schachtel liegt ja dort noch unter den Papieren.“
Da mußten die Schergen den einfältigen Jacques hinauswerfen; und auch Herr Colin ward hinausgewiesen, bis man ihn wieder rufen werde.
„Ganz wohl, Herr Richter!“ entgegnete Colin; „aber dies Stückchen soll Euer letztes in Napoule sein. Ich weiß wohl mehr, als dieß, daß Ihr Euch mit meinem Eigenthum bei Frau Manon und Marietten in Gunst setzen wolltet. Wenn Ihr mich sucht, so werdet Ihr wohl thun <168:> nach Grasse zum Herrn Landvogt zu reiten.“ Damit ging Colin.
Herr Hautmartin war über den Handel sehr verwirrt, und wußte in der Bestürzung nicht was er that. Frau Manon schüttelte den Kopf. Die Sache war ihr gar dunkel und verdächtig worden. Wer wird mir nun den zerbrochenen Krug zahlen?“ fragte sie.
Mir“, sagte Mariette mit glühendem, verklärtem Angesichte, „mir ist er schon bezahlt.“

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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