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Heinrich Zschokke, Der zerbrochene Krug, in: Heinrich Zschokke u. a. (Hrsg.), Erheiterungen. Eine Monatschrift für gebildete Leser. Dritter Jahrgang, 1. Bd. (Aarau: Sauerländer 1813), 137-175; darin: 148-155

Heinrich Zschokke: „Der zerbrochene Krug“

Der Überbringer.

Eh er dahin kam, begegnete ihm sein Herr, der Richter Hautmartin, und sprach: Jacques, was trägst du?
„Eine Schachtel für Frau Manon. Aber, Herr, ich darf nicht sagen, von wem?“
„Warum nicht?“
„Weil mirs Herr Colin ewig zürnen würde.“
„Es ist gut, daß du schweigen kannst. Doch ists schon spät. Gieb mir die Schachtel; ich gehe morgen ohnehin zur Frau Manon. Ich will ihr die Schachtel überreichen, und nicht verrathen, daß sie vom Colin kömmt. Es spart dir einen Weg, und macht mir gutes Geschäft.“ <149:>
Jacques gab die Schachtel seinem Herrn, dem er ohne Widerspruch in Allem zu gehorchen gewohnt war. Der Richter trug sie in sein Zimmer, und betrachtete sie beim Licht mit großer Neugier. Auf dem Deckel stand mit rother Kreide zierlich geschrieben: Der liebenswürdigen und geliebten Mariette. Herr Hautmartin wußte aber wohl, daß dies nur Schalkheit vom Colin sei, und daß eine arge Tücke dahinter laure. Darum öffnete er die Schachtel vorsichtig, ob nicht eine Maus oder Ratze darin verborgen sei? Als er aber des wunderschönen Kruges ansichtig ward, den er selbst zu Vence gesehen, erschrack er von Herzen. Denn Herr Hautmartin war in den Rechten ein eben so wohlerfahrner Mann, als im Unrechten, und wußte, das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens sei böse von Jugend auf. Er sah sogleich ein, Colin wolle Marietten mit dem Kruge in Unglück bringen; ihn, wenn er in ihren Händen wäre, vielleicht für Geschenk eines beglückten Liebhabers aus der Stadt oder für so etwas ausgeben, daß alle rechtliche Leute sich von Marietten hätten entfernen müssen. Darum beschloß Herr Hautmartin, der Richter, um allen bösen Argwohn niederzuschla- <150:> gen, sich selber als Geber dazu zu bekennen. Ohnedem hatte er Marietten lieb, und hätte gern gesehen, wenn Mariette den Spruch des Pfarrer Jerome besser gegen ihn befolgt haben würde: Kindlein, liebet euch unter einander! Freilich, Herr Hautmartin war ein Kindlein von fünfzig Jahren, und Mariette meinte, der Spruch passe nicht mehr auf ihn. Hingegen Mutter Manon fand, der Richter sei ein verständiges Kindlein, habe Geld und Ansehen im ganzen Napoule, von einem Ende des Fleckens bis zum andern. Und wenn der Richter von Hochzeit sprach, und Mariette davon lief, blieb Mutter Manon sitzen, und fürchtete sich gar nicht vor dem langen, hagern, ehrbaren Herrn. Auch mußte man gestehen, an seinem ganzen Leibe war kein Fehler. Und obwohl Colin der schönste Mann im Flecken sein mogte, hatte doch der Herr Richter in zwei Dingen viel vor ihm voraus, nämlich die großen Jahre, und eine große, allmächtige Nase. Ja, diese Nase, die dem Richter immer wie ein Trabant voraus ging, seine Ankunft zu verkünden, war ein rechter Elephant unter den menschlichen Nasen.
Mit dieser Nase, seiner guten Absicht und dem <151:> Kruge ging der Richter folgenden Morgen in das Haus zwischen den Ölbäumen und afrikanischen Akazien.
„Für die schöne Mariette“, sprach er, „ist mir nichts zu kostbar. Ihr habet gestern den Krug zu Vence bewundert. Erlaubt, holde Mariette, daß ich ihn und mein liebendes Herz zu euern Füßen lege.“
Manon und Mariette waren entzückt und erstaunt, als sie den Krug sahen. Manons Augen funkelten selig; aber Mariette wandte sich und sprach: „Ich darf weder euer Herz noch euern Krug nehmen.“ Da ward Mutter Manon zornig, und rief:
„Aber ich nehme Herz und Krug an. O du Thörin, wie lange willst du dein Glück verschmähn? Auf wen wartest du? Soll ein Graf von Provence dich zur Braut machen, daß du den Richter von La Napoule verachtest? – Ich weiß besser für dich zu sorgen. Herr Hautmartin, ich rechne mir’s zur Ehre, euch meinen Schwiegersohn zu heißen.“ Da ging Mariette hinaus und weinte bitterlich, und haßte den schönen Krug von ganzem Herzen.
Aber der Richter strich sich mit der flachen Hand über die Nase, und sprach weislich: <152:>
„Mutter Manon, übereilet nichts. Das Täubchen wird sich endlich bequemen, wenn es mich besser kennen lernt. Ich bin nicht ungestüm. Ich versteh mich auf die Weiberchen, und ehe ein Vierteljahr vergeht, schleich ich mich in Mariettens Herz.“
„Dazu ist seine Nase zu groß!“ flüsterte Mariette, die draussen vor der Thür horchte und heimlich lachte. In der That, es verging ein Vierteljahr, und Herr Hautmartin war noch nicht einmal mit der Nasenspitze ins Herz eingedrungen.

Die Blumen.

Aber während dieses Vierteljahrs hatte Mariette wohl noch andre Geschäfte. Der Krug machte ihr viel Verdruß und Mühe; und ausserdem wohl sonst noch etwas.
Vierzehn Tage lang sprach man in La Napoule von nichts anderm, als dem Krug. Und jederman sagte: es sei ein Geschenk des Richters, und die Hochzeit schon verabredet. Als aber Mariette feierlich allen ihren Gespielinnen erklärt hatte, sie wolle ihren Leib lieber dem Abgrunde des <153:> Meeres, als dem Richter vermählen, fuhren die Mädchen nur ärger fort, sie zu necken; sprechend: Ach, wie selig muß es sich ruhen im Schatten seiner Nase! – Dies war der erste Verdruß.
Dann hatte Mutter Manon den grausamen Grundsatz, daß sie Marietten zwang, den Krug alle Morgen beim Brunnen am Felsen zu schwenken und mit frischen Blumen zu füllen. Dadurch hoffte sie Marietten an den Krug und an das Herz der Gebers zu gewöhnen. Aber sie fuhr fort, Gabe und Geber zu hassen. Und die Arbeit am Brunnen ward eine wahre Strafe für sie. Zweiter Verdruß.
Dann, wenn sie Morgens zum Brunnen kam, lagen zweimal in der Woche auf dem Felsstück daneben immerdar einige der schönsten Blumen, schön geordnet, recht für die Pracht des Kruges geschaffen. Und um die Blumenstängel war immer ein Papierstreif geschlungen, und darauf geschrieben: Liebe Mariette. – Nun mußte man der kleinen Mariette doch nicht weiß machen wollen, als wenn es in der Welt noch Zauberer und Feen gäbe. Folglich kamen die Blumen und die süße Anrede derselben von Herrn Hautmartin. Mariette mogte nur nicht daran riechen, bloß <154:> weil der lebendige Athem aus des Richters Nase sie umsäuselt hatte. Inzwischen nahm sie die Blumen, weil sie besser waren, als Feldblumen, und zerriß die Papierstreifen in tausend Stücke, und streute sie auf die Stelle, wo die Blumen zu liegen pflegten. Aber das ärgerte den Richter Hautmartin gar nicht, dessen Liebe unvergleichlich groß war in ihrer Art, wie seine Nase in ihrer Art. Dritter Verdruß.
Endlich aber entdeckte es sich im Gespräch mit Herrn Hautmartin, daß er gar nicht der Geber der Blumen wäre. Wer sollte es nun sein? – Mariette war über die unverhoffte Entdeckung sehr erstaunt. Sie nahm von der Zeit an zwar die Blumen lieber vom Felsen, roch auch daran, aber – wer legte sie dahin? Mariette war, was die Mädchen sonst gar nicht zu sein pflegen, sehr neugierig. Sie rieth auf diesen und jenen Jüngling von La Napoule. Doch errathen ließ sich das nicht. Sie lauschte und lauerte spät hinein in die Nacht; sie stand früher auf. Aber sie erlauschte und erlauerte nichts. Und doch zweimal in der Woche des Morgens lagen immer die Wunderblumen auf dem Felsen, und auf dem darum gewundenen Papierstreif las sie immer den <155:> stillen Seufzer an sich: Liebe Mariette! – So etwas muß doch auch den Gleichgültigsten neugierig machen. Aber Neugier macht zuletzt brennende Pein. Vierter Verdruß.

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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