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Heinrich Zschokke, Der zerbrochene Krug, in: Heinrich Zschokke u. a. (Hrsg.), Erheiterungen. Eine Monatschrift für gebildete Leser. Dritter Jahrgang, 1. Bd. (Aarau: Sauerländer 1813), 137-175; darin: 142-148

Heinrich Zschokke: „Der zerbrochene Krug“

Vom bösen Colin.

Doch nicht alle Menschen haben die Gabe des süßen Mitleids, sondern sind verstockten Herzens, wie der Pharao. Dies kömmt ohne Zweifel von dem natürlichen Verderben des Menschen seit dem Sündenfall; oder weil bei der Taufhandlung der Böse nicht in gehöriger Ordnung abgefertigt worden.
Ein denkwürdiges Beispiel solcher Hartherzigkeit gab der junge Colin, der reichste Pächter und Gutbesitzer in La Napoule, der seine Wein- und Ölgärten, Zitronen- und Pomeranzenwälder kaum in einem Tage durchlaufen konnte. Schon dies beweiset das natürliche Verderben seines Gemüthes, daß er beinahe sieben und zwanzig Jahre alt war, ohne gefragt zu haben, wozu ein Mädchen erschaffen sei?
Zwar alle Leute, besonders die weiblichen in einem gewissen Alter, darin sie gern Sünden vergeben, hielten den Colin für den beßten Jungen unter der Sonne. Seine Gestalt, sein frisches unbefangenes Wesen, sein lieblicher Blick, sein zärtliches Lächeln hatte besonders das Glück besagten Leuten zu gefallen, die ihm wohl <143:> auch zur Noth für eine der Sünden, die im Himmel schrein, Ablaß gegeben hätten. Allein dem Urtheile solcher Richter ist wohl zu trauen.
Inzwischen alt und jung zu Napoule sich mit der unschuldigen Mariette versöhnt hatte, und sich mitleidig an sie schloß, war Colin der Einzige, welcher für das liebe Kind ohne Erbarmen blieb. Brachte man das Gespräch auf Marietten, ward er stumm wie ein Fisch. Begegnete er ihr auf der Straße, ward er vor Zorn roth und blaß, und warf recht mörderische Blicke nach ihr.
Wenn sich Abends die jungen Leute am Ufer des Meers bei den alten Schloßtrümmern zu fröhlichen Spielen sammelten, oder zu ländlichem Tanz oder einen Wechselgesang zu beginnen, dann fehlte auch Colin nicht. Sobald aber Mariette kam, ward der tückische Colin still, und er sang um alles Gold der Welt nicht mehr. Schade für seine liebliche Stimme! Jeder hörte sie gern, und unerschöpflich war er in Liedern.
Alle Mädchen sahen den bösen Colin gern, und er war mit allen freundlich. Er hatte, wie gesagt, einen schelmischen Blick, den die Jungfrauen fürchten und lieben; und wenn er lächelte, hätte man ihn malen sollen. Aber natürlich, die <144:> oft beleidigte Mariette sah ihn nur gar nicht an. Und da hatte sie vollkommen recht. Ob er lächelte oder nicht, das galt ihr gleich. Von seinem schelmischen Blick mogte sie nur nicht reden hören; und da hatte sie abermals recht. Wenn er erzählte, und er wußte immer viel, und dann alle horchten, neckte sie ihre Nachbarinnen, und warf bald den Pierre, bald den Paul mit abgerupften Kräutern, und lachte und plauderte, und hörte den Colin nicht. Das verdroß dann den stolzen Herrn; er brach oft mitten in der Erzählung und ging düster davon.
Rache ist süß. Die schöne Tochter der Frau Manon hätte dann wohl triumphiren können. Aber Mariette war doch ein gar zu gutes Kind und ihr Herz zu weich. Wenn er schwieg, thats ihr leid. Ward er traurig, verging ihr das Lachen. Entfernte er sich, mogte sie nicht lange bleiben; und war sie zu Hause, weinte sie schönere Thränen der Reue, als Magdalene, und hatte doch nicht halb so viel gesündigt.

Der Krug.

Der Pfarrer von La Napoule, nämlich Pater Jerome, ein Greis von siebenzig Jahren, hatte <145:> alle Tugenden eines Heiligen, und den einzigen Fehler, daß er wegen hohen Alters sehr harthörig war. Aber dafür predigte er den Ohren seiner Tauf- und Beichtkinder desto erbaulicher, und hörte ihn jeder gern. Zwar predigte er beständig nur über zwei Sätze, als wenn seine ganze Religion darin wohnte. Entweder: „Kindlein, liebet euch unter einander“; oder: Kindlein, die Fügungen des Himmels sind wunderbar!“ Doch wahrlich, darin lag auch so viel Glauben, Liebe und Hoffnung, daß man damit wohl zur Noth recht selig werden konnte. Die Kindlein liebten sich ganz gehorsam unter einander, und hofften auf des Himmels Fügungen. – Nur Colin mit dem kieselharten Herzen wollte nichts davon wissen. Selbst wenn er freundlich zu sein schien, hatte er schlimme Absichten.
Die Napoulesen gehen gern zum Jahrmarkt der Stadt Vence. Es ist da frohes Leben, und wenn auch wenig Geld, doch vielerlei Waare. Nun war Mariette mit Mutter Manon auch zum Jahrmarkt; und Colin war auch da. Er kaufte mancherlei Näschereien und Kleinigkeiten für seine Freundinnen – aber für Marietten um keinen <146:> Sous. Und doch war er ihr allenthalben auf den Fersen. Aber er redete sie nicht an, und sie ihn nicht. Man sah wohl, er brütete über etwas Böses.
Da stand Mutter Manon vor einem Gewölbe still, und sagte: „O Mariette, sieh den schönen Krug! eine Königin dürfte sich nicht schämen, ihn mit ihren Lippen zu berühren. Sieh nur, der Rand ist strahlendes Gold, und die Blumen daran blühen nicht schöner im Garten, und sind doch nur gemalt. Und in der Mitte das Paradies! sieh doch nur, Mariette, wie die Äpfel vom Baume lachen; es gelüstet einem fast. Und Adam kann nicht widerstehen, wie ihm die hübsche Eva einen zum Kosten darbietet. Und sieh doch, wie allerliebst das Lämmchen spielend um den alten Tiger hüpft, und die schneeweise Taube mit dem goldgrünen Halse vor dem Geier dasteht, als wollte es ihn schnäbeln!“
Mariette konnte sich nicht satt sehen. „Hätte ich solch einen Krug, Mutter“, sprach sie; „er ist viel zu schön, daraus zu trinken: ich würde meine Blumen darin setzen und beständig ins Paradies hinein blicken. Wir sind auf dem Markt von Vence, aber seh’ ich das Bild, so ist mir, als wären wir im Paradies.“ <147:>
So sprach Mariette, und alle ihre Freundinnen rief sie herbei, den Krug zu bewundern; und bald standen bei den Freundinnen auch die Freunde, und endlich beinahe die halbe Einwohnerschaft von La Napoule vor dem wunderschönen Krug. Aber wunderschön war er auch, vom allerköstlichsten, durchscheinenden Porzellan, mit vergoldeten Handhaben und brennenden Farben. Schüchtern fragte man wohl den Kaufmann: Herr, wie theuer? Und er antwortete: Hundert Livres ist er unter Brüdern werth. Dann schwiegen sie alle, und gingen.
Als keiner mehr von La Napoule vor dem Gewölbe stand, kam Colin geschlichen, warf dem Kaufmann hundert Livres auf den Tisch, ließ den Krug in eine Schachtel legen, mit Baumwolle gefüllt, und trug ihn davon. Seine boshaften Pläne kannte kein Mensch.
Nahe vor La Napoule, auf seinem Heimwege, es war schon dunkel, begegnete er dem alten Jacques, des Richters Knecht, der vom Felde kam. Jacques war ein ganz guter Mensch, aber herzlich dumm.
„Ich will dir ein Trinkgeld geben, Jacques“, sagte Colin, „wenn du diese Schachtel in Manons <148:> Haus trägst und sie da liegen lässest. Und wenn man dich bemerken und fragen sollte: von wem kommt die Schachtel? so sprich: es hat sie mir ein Fremdling gegeben. Aber meinen Namen verrathe nie, sonst zürn’ ichs dir ewig.“
Das versprach Jacques, nahm das Trinkgeld und die Schachtel, und ging damit dem kleinen Hause entgegen, zwischen den Ölbäumen und afrikanischen Akazien.

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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