Ludwig Tieck (Hrsg.), Heinrich von Kleists hinterlassene Schriften (Berlin: Reimer
1821), Vorrede, XI-XXII
Briefe Kleists aus Frankreich, Dresden, Berlin
Folgende Bruchstücke aus einer Korrespondenz mit einer geistreichen Verwandtinn
sind dem Herausgeber erlaubt, mitzutheilen: diese, so wenig bedeutend sie an sich selbst
seyn mögen, veranlassen vielleicht andere Freunde, merkwürdige Briefe oder Aufsätze,
welche sie noch in Händen haben mögen, in Zukunft bekannt zu machen, so wie auch die
obige kurze und ungenügende Nachricht von seinem Leben nur ein Aufruf an seine Freunde
sein kann, dem zu früh Abgeschiedenen ein würdigeres Denkmal zu setzen, da es mir nicht
hat gelingen wollen, genügendere Nachrichten über ihn zu erhalten.
Aus seiner Gefangenschaft in Frankreich schrieb
Kleist: <XII:>
Was soll jetzt aus meiner Sache werden, da, wie ich höre, auch *
Berlin verlassen wird, nachdem A
es längst verlassen hat? Sie sehen, daß alle ihre
Bemühungen für mich gänzlich überflüssig gewesen sind. Von Tage zu Tage habe ich
immer noch, dem Versprechen gemäß, das Ihnen der General Clarke gegeben hat, auf eine
Ordre zu meiner Befreiung gewartet. Doch statt dessen sind ganz andre Verfügungen wegen
unsrer angekommen, die mir vielleicht alle Hofnung dazu benehmen. Welch ein
unbegreifliches Mißverständniß muß in dieser Sache obwalten. Wenn sich Niemand für
mich interessirte, weder Sie, noch *, noch A
, so bliebe mir noch ein Ausweg übrig.
Doch so werde ich mich wohl mit dem Gedanken bekannt machen müssen, bis ans Ende des
Krieges in dieser Gefangenschaft aushalten zu müssen. Und wie lange kann dieser Krieg
noch dauern, dieser unglückliche Krieg, den vielleicht gar nicht einmal ein Friede
beendigen wird? Was sind dies für Zeiten. Sie haben mich immer in der Zurückgezogenheit
meiner Lebensart für isolirt von der Welt gehalten, und doch ist vielleicht niemand
inniger damit verbunden, als ich. Wie trostlos ist die Aussicht, die sich uns eröffnet.
<XIII:> Zerstreuung, und nicht mehr Bewußtsein, ist der Zustand, der mir wohl thut.
Wo ist der Platz, den man jetzt in der Welt einzunehmen sich bestreben könnte, im
Augenblicke, wo alles seinen Platz in verwirrten Bewegungen verwechselt? Kann man auch nur
den Gedanken wagen, glücklich zu sein, wenn alles in Elend darniederliegt? Ich arbeite,
wie sie wohl denken können, doch ohne Lust und Liebe zur Sache. Wenn ich die Zeitungen
gelesen habe und jetzt mit einem Herzen voll Kummer die Feder wieder ergreife, so frage
ich mich, wie Hamlet den Schauspieler, was mir Hekuba sei? Ernst, schreiben sie mir, ist
nach K
zurück gegangen. Es freut mich, weil es das einzige war, was ihm in dieser
Lage übrig blieb. Doch unersetzlich ist es, daß wir uns nicht, er und B
in Dresden
haben sprechen können. Der Augenblick war so gemacht, uns in der schönsten Begeisterung
zu umarmen: wenn wir noch zwei Menschenalter lebten, kömmt es nicht so wieder. Hier in
Chalons lebe ich wieder so einsam, wie in K
Kaum merke ich, daß ich in einem
fremden Lande bin, und oft ist es wie ein Traum, 100 Meilen gereiset zu sein, ohne
meine Lage verändert zu haben. Es ist hier niemand, <XIV:> dem ich mich
anschließen möchte: unter den Franzosen nicht, weil mich ein natürlicher Widerwille
schon von ihnen entfernt, der noch durch die Behandlung, die wir jetzt erfahren, vermehrt
wird; und unter den Deutschen auch nicht. Und doch sehnt sich mein Herz so nach
Mittheilung. Letzthin saß ich auf einer Bank, einer öffentlichen, aber wenig besuchten
Promenade, und es fing schon an finster zu werden, als mich jemand den ich nicht kannte,
mit einer Stimme anredete, als ob sie P
aus der Brust genommen gewesen wäre. Ich
kann ihnen die Wehmuth nicht beschreiben, die mich in diesem Augenblick ergriff. Und sein
Gespräch war auch ganz so tief und innig, wie ich es nur einzig auf der Welt an ihm
kennen gelernt habe. Es war mir, als ob er bei mir säße, wie in jenem Sommer vor drei
Jahren, wo wir in jeder Unterredung immer wieder auf den Tod, als den ewigen Refrain des
Lebens zurück kamen. Ach, es ist ein ermüdender Zustand, dieses Leben, recht, wie Sie
sagten, eine Fatigue. Erfahrungen rings, daß man eine Ewigkeit brauchte, um sie zu
würdigen, und, kaum wahrgenommen, schon wieder von andern verdrängt die eben so
unbegriffen verschwinden. In einer der hiesigen <XV:> Kirchen ist ein Gemälde,
schlecht gezeichnet zwar, doch von der schönsten Erfindung, die man sich denken kann; und
Erfindung ist es überall, was ein Werk der Kunst ausmacht. Denn nicht das, was dem Sinn
dargestellt ist, sondern das, was das Gemüth durch diese Wahrnehmung erregt, ist das
Kunstwerk. Es sind ein Paar geflügelte Engel, die aus den Wohnungen himmlischer Freude
niederschweben, um eine Seele zu empfangen. Sie liegt mit Blässe des Todes übergossen
auf den Knieen, der Leib sterbend in den Armen der Engel zurückgesunken. Wie zart sie das
Zarte berühren. Mit den äußersten Spitzen der rosenrothen Finger nur das liebliche
Wesen, das der Hand des Schicksals jetzt entflohen ist. Und einen Blick aus sterbenden
Augen wirft sie auf sie, als ob sie in Gefilde unendlicher Seligkeit hinaus sähe. Ich
habe nie etwas Rührenderes und Erhebenderes gesehen.
Nach einem Jahre ohngefähr schrieb er von Dresden aus:
Unbeschreiblich rührend ist mir alles, was Sie mir über die
Penthesilea sagen. Es ist wahr, mein innerstes Wesen liegt darin, und Sie haben
<XVI:> es wie eine Seherin aufgefaßt: der ganze Schmerz zugleich und Glanz meiner
Seele. Jetzt bin ich nur neugierig, was Sie zu dem Käthchen von Heilbronn sagen werden,
denn das ist die Kehrseite der Penthesilea, ihr andrer Pol, ein Wesen, das eben so
mächtig ist durch gänzliche Hingebung, als jene durch Handeln.
Ob es (Penthesilea) bei den Forderungen, die das Publikum
an die Bühne macht, gegeben werden wird, ist eine Frage, die die Zeit entscheiden muß.
Ich glaube es nicht, und wünsche es auch nicht, so lange die Kräfte unserer Schauspieler
auf nichts geübt werden als Naturen, wie die Kotzebueschen und Iflandischen sind,
nachzuahmen. Wenn man es recht untersucht, so sind zuletzt die Frauen an dem ganzen
Verfall unsrer Bühne Schuld, und sie sollten entweder gar nicht ins Schauspiel gehen,
oder es müßten eigne Bühnen für sie, abgesondert von den Männern, errichtet werden.
Ihre Anfoderungen an die Sittlichkeit und Moral vernichten das ganze Wesen des Drama, und
niemals hätte sich das Wesen der griechischen Bühne entwickelt, wenn sie nicht ganz
davon ausgeschlossen gewesen wären. <XVII:>
Aus der Zeit seines letzten Aufenthalts in Berlin sind folgende Aeußerungen:
Das Leben, das ich führe, ist seit Ihrer und A. Müllers
Abreise gar zu öde und traurig. Auch bin ich mit den zwei oder drei Häusern, die ich
hier besuchte, seit der letzten Zeit ein wenig außer Verbindung gekommen, und fast
täglich zu Hause, vom Morgen bis auf den Abend ohne auch nur einen Menschen zu sehen, der
mir sagte, wie es in der Welt steht. Sie helfen sich mit Ihrer Einbildung und rufen sich
aus allen vier Weltgegenden, was Ihnen lieb und werth ist, in Ihr Zimmer herbei. Aber
diesen Trost, wissen Sie, muß ich unbegreiflich unseliger Mensch entbehren. Wirklich, in
einem so besondern Falle ist noch vielleicht kein Dichter gewesen. So geschäftig dem
weißen Papier gegenüber meine Einbildung ist, und so bestimmt in Umriß und Farbe die
Gestalten sind, die sie alsdann hervorbringt, so schwer, ja ordentlich schmerzhaft ist es
mir, mir das, was wirklich ist, vorzustellen. Es ist, als ob diese, in allen Bedingungen
angeordnete Bestimmtheit, meiner Phantasie im Augenblick der Thätigkeit selbst, Fesseln
anlegte. Ich kann, von zu vielen Formen verwirrt, zu keiner Klarheit der innerlichen An-
<XVIII:> schauung kommen; der Gegenstand, fühle ich unaufhörlich, ist kein
Gegenstand der Einbildung: mit meinen Sinnen in der wahrhaftigen lebendigen Gegenwart
mögte ich ihn durchdringen und begreifen. Jemand, der anders hierüber denkt, kömmt mir
ganz unverständlich vor; er muß Erfahrungen angestellt haben, ganz abweichend von denen,
die ich darüber gemacht habe. Das Leben, mit seinen zudringlichen immer wiederkehrenden
Ansprüchen, reißt zwei Gemüther schon in dem Augenblick der Berührung so vielfach aus
einander, um wie viel mehr, wenn sie getrennt sind. An ein Näherrücken ist gar nicht zu
denken; und alles, was man gewinnen kann, ist, daß man auf dem Punkt bleibt, wo man
steht. Und dann der Trost in verstimmten und trübseligen Augenblicken, deren es heut zu
Tage so viel giebt, fällt ganz und gar weg. Kurz, Müller, seitdem er weg ist, kömmt mir
wie todt vor, und ich empfinde auch ganz denselben Gram um ihn, und, wenn ich nicht
wüßte, daß Sie wieder kommen werden, würde mir es mit Ihnen eben so ergehn.
Ich fühle, daß mancherlei Verstimmungen in meinem Gemüth sein mögen, die sich in
dem <XIX:> Drang der widerwärtigen Verhältnisse, in denen ich lebe, immer noch
mehr verstimmen, und die ein recht heiterer Genuß des Lebens, wenn er mir einmal zu Theil
würde, vielleicht ganz leicht harmonisch auflösen würde. In diesem Falle würde ich die
Kunst vielleicht auf ein Jahr oder länger ganz ruhen lassen, und mich, außer einigen
Wissenschaften, in denen ich noch nachzuholen habe, mit nichts als der Musik
beschäftigen. Denn ich betrachte diese Kunst als die Wurzel, oder vielmehr, um mich
schulgerecht auszudrücken, als die algebraische Formel aller übrigen, und so wie wir
schon einen Dichter haben mit dem ich mich übrigens auf keine Weise zu
vergleichen wage der alle seine Gedanken über die Kunst die er übt auf
Farben bezogen hat, so habe ich von meiner frühesten Jugend an alles Allgemeine, was ich
über die Dichtkunst gedacht habe, auf Töne bezogen. Ich glaube, daß im Generalbaß die
wichtigsten Aufschlüsse über die Dichtkunst enthalten sind.
Unsre Verhältnisse sind hier, wie Sie vielleicht schon wissen werden, peinlicher
als jemals: man erwartet den Kaiser N. zum Besuch, und wenn dies geschehn sollte, so
werden vielleicht ein Paar <XX:> Worte ganz leicht und geschickt alles lösen,
worüber sich hier unsere Politiker die Köpfe zerbrechen. Wie diese Aussicht auf mich
wirkt, können Sie sich leicht denken: es ist mir ganz stumpf und dumpf vor der Seele, und
es ist auch nicht ein einziger Lichtpunkt in der Zukunft, auf den ich mit einiger
Freudigkeit und Hofnung hinaussähe. Vor einigen Tagen war ich noch bei G*** und
überreichte ihm ein Paar Aufsätze, die ich ausgearbeitet hatte: aber dies alles scheint
nur, wie der Franzose sagt, moutarde après diner. Wirklich ist es sonderbar, wie
mir in dieser Zeit alles, was ich unternehme, zu Grunde geht, wie sich mir immer, wenn ich
mich einmal entschließen kann einen festen Schritt zu thun, der Boden unter meinen
Füßen wegzieht. G*** ist ein herrlicher Mann: ich fand ihn Abends, da er sich zu einer
Abreise anschickte, und war in einer ganz freien Entfaltung des Gesprächs nach allen
Richtungen hin wohl bis um zehn Uhr bei ihm. Ich bin gewiß, daß, wenn er den Platz
fände, für den er sich geschaffen und bestimmt fühlt, ich irgendwo in seiner Umringung
den meinigen gefunden haben würde. Wie glücklich würde mich dies in der Stimmung, in
der ich jetzt bin, gemacht haben: es ist eine Lust, <XXI:> bei einem tüchtigen
Manne zu sein. Kräfte, die in der Welt nirgend mehr an ihrem Ort sind, wachen in solcher
Nähe, und unter solchem Schutze, wieder zu einem neuen freudigen Leben auf. Doch daran
ist nach allem, was man hier hört, kaum mehr zu denken.
Sobald ich mit dieser Angelegenheit fertig bin, will ich einmal wieder etwas recht
Phantastisches vornehmen. Es weht mich zuweilen bei einer Lektüre oder im Theater wie ein
Luftzug aus meiner allerfrühesten Jugend an. Das Leben, das vor mir ganz öde liegt,
gewinnt mit einem Male eine wunderbare herrliche Aussicht, und es regen sich Kräfte in
mir, die ich ganz erstorben glaubte. Alsdann will ich meinem Herzen ganz und gar, wo es
mich hinführt, folgen, und schlechterdings auf nichts Rücksicht nehmen, als auf meine
eigene innerliche Befriedigung. Das Urtheil der Menschen hat mich bisher viel zu sehr
beherrscht; besonders das Käthchen von Heilbronn ist voll Spuren davon. Es war von Anfang
herein eine ganz treffliche Erfindung, und nur die Absicht, es für die Bühne passend zu
machen, hat mich zu Mißgriffen verführt, die ich jetzt beweinen mögte. <XXII:>
Kurz, ich will mich von dem Gedanken ganz durchdringen, daß, wenn ein Werk nur recht frei
aus dem Schooß des menschlichen Gemüths hervorgeht, dasselbe auch nothwendig darum der
ganzen Menschheit angehören müsse.
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