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 Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart:
        Spemann 1901), 172-177 
         
                    2. Kleist und seine Freunde 
                    gegen Iffland.  
         
        Nach alledem war kaum zu erwarten, daß zwischen Heinrich von Kleist und Ifflands
        Theaterleitung ein für beide Theile fruchtbares Vertrauen aufkommen werde. Im Gegentheil,
        alle Keime zum Zwiste lagen dicht schon ausgestreut. Kleist war der adelige Gardeoffizier
        auch im Civilrock, und ein Verkehr mit den activen Offizieren der Garnison ergab sich von
        selbst für ihn als Standespflicht. Kleists eigne Dramen, namentlich die er
        ungedruckt nach Berlin mitbrachte, seine Hermannsschlacht, sein Käthchen, sein Prinz von
        Homburg, waren von denen Ifflands durch eine Weltenkluft geschieden. Und noch vor
        Jahresfrist hatten im Phöbus kritische Betrachtungen gestanden, die Iffland nicht
        angenehm berühren konnten. 
         In den Phöbus hatten Kleist und Müller sich so getheilt, daß
        Müller die gemeinsamen ästhetischen Anschauungen kritisch und theoretisch behandelte,
        Kleist aber in productiver Thätigkeit zeigte, wie ihre ästhetischen Forderungen in die
        Praxis der Poesie umzusetzen seien. Gewiß können nicht zwei Männer bis in alle
        Einzelheiten hinein Einer Meinung sein. <173:> Aber es ist ein auf traditioneller
        Verkennung Müllers beruhender Kniff, die beiden Herausgeber des Phöbus zu trennen,
        und wo es hapert, Kleist auf Kosten Müllers frei zu machen. Müller hielt in
        Dresden, zu gleicher Zeit mit Fichte in Berlin, Vorlesungen über allgemein ästhetische,
        poetische, dramatische Fragen, mit der Tendenz, das vaterländische Wesen zu stärken und
        es gegen das fremde mobil zu machen. Keins der damaligen Journale würde diese Vorlesungen
        publicirt haben. Der Phöbus ward mit dazu begründet, sie in sich aufzunehmen, bis sie
        dann, 1812, den zweiten Theil der Vermischten Schriften Müllers bildeten. Man warf
        Müller schon auf Grund der Phöbus-Aufsätze das Construirte, das Dunkle, das
        Zielverschleiernde seines Vortrages vor. Es lag dies vielleicht in seinem Wesen, wurde
        aber über Gebühr durch die politischen Verhältnisse gefördert, die ein gerades Wort,
        im Napoleon feindlichen Sinne, nicht aufkommen ließen. 
         So erklärt es sich, daß im Phöbus die Unzufriedenheit mit Iffland
        sich weniger in klare, scharfe Tadelsworte kleidet, als zwischen den Zeilen sich zur
        Geltung bringt. Gegen Kotzebue freilich ist die Sprache derber. Von der deutschen Bühne
        verlangten die Phöbus-Freunde, daß sie sich ihrer nationalen Bedeutung neu bewußt
        werde. Bühne und Publicum müßten im innerlich mitthätigen Bunde mit einander stehen.
        Beide Factoren gemeinsam müßten sich hineinreißen in das gewaltige, erhöhende Leben
        der Poesie. Tieck habe durch den Harlekin, der des Zuschauers Meinung bedeute, das
        Publicum auf die Bühne ziehen wollen. Das Princip der Ifflandschen Bühne aber sei
        das Guckkastenprincip. Der Zuschauer sehe dort kritisch nur in die Bühne und auf den
        Schauspieler: In Städten, wie Berlin, wo eine elende stehende Theaterkritik in den
        Zeitungen geduldet werde, sollte ein geistreicher Schauspieler es sich herausnehmen, nicht
        eine <174:> Antikritik, aber eine fortlaufende Publicumskritik zu schreiben.
        Man empfindet das Mißbehagen, das an Ifflands Theaterleitung hier sich kund giebt. 
         Den Dichter Iffland mißt Adam Müller an dem Dichter Goethe.
        Er legt am Egmont dar, wie die poetische Gerechtigkeit gleichsam an einen höheren
        himmlischen Gerichtshof verwiesen werden müsse, was allein das wahre dramatische
        Interesse erfordere: Von den derben, irdischen Gerichtshöfen in Iffland's und
        Kontzebues fünften Acten, wo das Laster mit Verachtung und die Tugend mit Pensionen
        und Avancement belohnt wird  keine Spur. Dem durch Iffland in der
        Gewöhnlichkeit eigenen Empfindens bestärkten Zuschauer werde unbehaglich beim fünften
        Acte von Goethes Egmont. Er achte, im Ifflandschen Sinne, nur auf den
        Bösewicht Alba. Er kenne den Schauspieler, der gestern erst den Amtmann in den Jägern
        spielte, dessen Fach die Präsidenten und vornehmen Verbrecher seien. Er erwarte, daß im
        fünften Acte Goethes der König Philipp unvermuthet ankomme, Egmonts Unschuld
        erkenne, den Bösewicht Alba entlarve und stürze, und daß sich dann die Sache zwischen
        Klärchen und Egmont auf eine annehmliche Weise arrangire, und dergestalt Jedem sein Recht
        widerfahre. In der ganzen Darlegung Müllers kein scharfes Wort gegen Iffland, und
        doch ist schwerlich je ein grausameres Urtheil gegen ihn als Dramatiker gefällt worden.
        Zur Beförderung der perußischen Nationalsache schienen Ifflands Stücke gänzlich
        ungeeignet. Was hilft uns, sagt Müller, die ganze Dienstpflicht, die
        Iffland predigt, wenn der Feind das Land überschwemmt und alle die schönen
        Dienstverhältnisse aufhören: wenn die Noth anhebt, die Contributionen drängen und die
        Gehälter zurückbleiben. Damit war das ausgesprochen, was jeder Anhänger der
        Kriegsparthei dachte und für sich empfand. 
         Auch als Schauspieler wird Iffland im Phöbus nicht
        <175:> an die erste Stelle gesetzt. Müller construirt sich zwei Epochen für den
        Gesammtverlauf der poetischen Entwickelung. Die Erste, die in Griechenlied erblühte, fand
        ihr Vergehen, ihr Grab in der Universalherrschaft der Römer. Die Zweite, die mit Carl dem
        Großen anhob und mit Dante, den Troubadours und Minnesängern, mit Cervantes, Calderon
        und Shakespeare aufstieg, fand ihr Grab in der Universalherrschaft der Franzosen. So
        stellt Müller das Griechisch-Romantische dem Römisch-Französischen entgegen. Die
        Poesien der Römer und der Franzosen haben in seinen Augen einen repräsentativen
        abgeleiteten Werth; die Poesien der griechischen und der romantischen Zeit einen
        persönlichen Werth. Iffland erklärt er für den Schauspieler der französischen Schule,
        der mit großem, ungewöhnlichen Fleiße auch das ihm Fremde sich anzueignen
        bemüht sei. Er bedauert, daß der Wetteifer zwischen ihm und Fleck nicht habe fortdauern
        können, da Fleck mit Genie und romantischer Fülle in hohem Maße von der Natur begabt
        gewesen sei. Denselben Gegensatz bilden für ihn Friederike Bethmann-Unzelmann in Berlin
        und Betty Koch, verehelichte Roose, in Wien: jene durch ihr großes, den göttlichen
        Poesien der romantischen Zeit gewachsenes Genie, diese durch ihre kluge, sinnvolle
        Anwendung der französischen Bühnenmittel. Iffland erhält zwar einen in einen allgemein
        bedeutenden Zusammenhang hinein construirten Platz. Aber er erscheint nur als
        schauspielerisches Talent, nicht als Genie. Indem sich Müller aber für das
        Griechisch-Romantische gegen das Römisch-Französische erklärt, läßt er deutlich genug
        durchfühlen, daß er Iffland nur als einen Schauspieler minder hohen Ranges anerkennen
        könne. 
         So hatte der Phöbus Spannung zwischen der Kleistischen Gruppe und
        Iffland hervorgebracht, ohne eine Besserung der beanstandeten Verhältnisse zu erzielen.
        Iffland blieb, der er <176:> war. Andre Freunde Kleists spannen die Anklage
        des Phöbus gegen Iffland weiter. Ich nenne hier Achim von Arnim, in den Heidelberger
        Jahrbüchern 1810. Arnim wünschte auch dem Spiel der Bühne einen tieferen,
        Nationalcharakter bildenden Inhalt zu geben. Die gäng und gäbe Nachahmung flacher
        französischer Lustspiele wollte er ersetzen durch ältere deutsche und englische Stücke,
        die zeitgemäß zu erneuen wären. 
         Ich besitze ein undatirtes Billet Arnims an Reimer. Er bittet
        sich von Reimer aus: Werners Attila, Seumes Miltiades, Kleists
        Penthesilea, Fouqués Sigurd und Collins Bianka della Portia, lauter
        Litteratur des Jahres 1808: Ich soll das recensiren und hab noch nichts als das
        erste mit Augen gesehen. Es waren das Recensionsaufträge für die Heidelberger
        Jahrbücher, in denen wirklich (1810, V 1, 6) Arnims Anzeige von Werners
        Attila  aber weiter keine  erschien. Wie schade, daß die über
        Kleists Penthesilea nicht geschrieben oder nicht veröffentlicht worden ist. Die
        Attila-Rezension ist nach Arnims Art reich an Hindeutungen auf die damalige
        Gegenwart. Er spricht von der Scham der edlen deutschen Stämme, so unwürdigen
        Völkerschaften, wie den Hunnen (man verstehe: den Franzosen) unterworfen zu sein, woraus
        der entsetzliche Kampf hervorging, der ein großes Reich zerspaltete und seine Söhne
        fortraffte. Er findet Werners Stück lehrreich gegen die gemeine Ansicht
        der Zeit, die nicht anerkennen wolle, daß wahre Politik und
        unerschütterliche Religion unveränderlich mit einander verbunden seien. Dies waren
        Grundsätze, die bald auch in den Abendblättern verfochten werden sollten, und auf denen
        Adam Müllers Elemente der Staatskunst ruhten. Die Erscheinung, daß die Bühnen
        Deutschlands den Attila nicht aufführten, die doch (wie die Berliner) den Luther mit
        Beifall gegeben hätten, erklärt sich Arnim aus der Trägheit der Schauspieler und
        <177:> Directoren: Die meisten kleinen Bühnen geben gar nichts, was nicht auf
        einer der größeren entschiedenes Glück gemacht, da sie sich gerade dadurch ein höheres
        Interesse aneignen könnten, wenn sie muthig alles versuchten, wozu jenen der Muth fehlt,
        weil sie ihren sichern Ruf nicht in Gefahr bringen mögen. Aber jeder Director hat gewisse
        Begünstigte unter den Autoren und, ist er selbst Schauspieler, meist die Schlechtesten,
        weil die ihm völlige Willkürlichkeit des Spiels überlassen. Ihre gewöhnliche
        Entschuldigung ist, daß gute Sachen das Haus nicht füllen, die schlechten thun es eben
        so wenig, wie die Erfahrung jetzt an vielen Orten bewähren kann; alles Neue thut es aber
        gewiß. Nun verträgt freilich nicht jedes neue Stück, es ein Dutzendmal hinter einander
        zu geben, um es dann auf immer zu vergessen, in gehörigen Perioden immer nur einmal
        gegeben, würden sich viele Stücke halten, für welche jetzt das hochgeehrte Publicum von
        den Directoren für allzu schlecht gehalten wird. Jammervoll ärmlich sind jetzt die
        Repertorien der meisten großen Theater, meist Stücke, bei denen sich ein Schauspieler
        nur verderben kann; daher und daß aus der freiesten Lebensweise ein wohlunterhaltenes
        Invalidenhaus für alle (alte?) Schauspieler, und ein Waisenhaus für Schauspielerkinder
        geworden, ist so wenig Geschick in den jungen Schauspielern. Es ist dies eine fast
        zu genaue Abschilderung der Berliner Zustände, wie sie Arnim sah; und vergnüglichst
        schrieb er damals an Grimms nach Cassel, daß er am Schlusse seiner Attila-Recension
        Iffland einige Stiche gegeben habe. 
           
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