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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Christian Wilhelm Spieker, Familiengeschichten für Kinder. 2 Bde. (Leipzig: Voß’sche Buchhandlung 21818 [EA: Dessau, Leipzig: Georg Voß 1808; Bd. 3, T. 1]), Bd. 2: Die glücklichen Kinder. Ein Geschenk für gute Söhne und Töchter, 113-145; darin: 122-130

„Die Familie Schroffenstein“ als moralische Erzählung

Achtzehntes Kapitel.

Fortsetzung. Sylvesters edler Entschluß. Seine Unterredung mit Jeronimus. Ein schöner Plan zur Wiederversöhnung. Des Herolds Auftrag. Ottokar. Die Entdeckung im Walde. Schreckliche That.

Sylvester
ging gedankenvoll umher, und vermochte keinen Entschluß zu fassen, denn er <123:> konnte das Unbegreifliche nicht glauben. Endlich befahl er, seine Waffenrüstung zu bringen und sein Pferd zu satteln. Er wollte selbst hinüber nach Rossitz, wollte aus Rupert’s eigenem Munde die schreckliche Geschichte hören. „O! dachte er, wenn ich frei und offen vor ihn trete, wenn der Mann mit dem Manne ernste Worte redet, vielleicht löset sich das Räthsel, und wir gehn als Freunde auseinander. Ist es ein Wunder, daß Haß und Zwietracht die Gemüther entflammt? Wir haben uns ja noch nie gesprochen, noch nie einander ins Auge gesehn, noch nie lag seine deutsche Ritterhand in der meinigen. Verläumdung und Mistrauen waren die Postenträger zwischen uns, und diese haben das Unglück und Elend herbeigeführt. O wenn man sich einander nur immer gleich verständigte, und sich unverholen seine Gedanken eröffnete, es würde viel Böses unterbleiben. – Auf also nach Rossitz!“
So dachte er, und bestieg, aller Bitten seiner treuen Gemahlin ungeachtet, das Roß. Siehe da kam Jeronimus von Schroffenstein im Schloßhofe angesprengt, und bat um einige Augenblicke Gehör. Sylvester <124:> stieg wieder ab vom Pferde, und ging mit ihm in den Schloßgarten.
„Du willst nach Rossitz, Sylvester? sagte Jeronimus. Um Gottes Willen bleib hier. Es ist alles gegen dich von Wuth entbrannt. Du wärst des Todes, wenn du dich nur erblicken ließest!“
Sylvester. Dennoch will ich hinüber. Frei fühle ich mich von jeder Schuld, frei auch von dem schrecklichen Verbrechen, das man mir zur Last legt. Ich will es beweisen.
Jeronimus. Also hast du wirklich keinen Theil an Johann’s Ermordung?
Sylvester. Auch du, Jeronimus, hast den schändlichen Verdacht in dir aufkommen lassen? – O das ist hart!
Jeronimus. Nein! eine innere Stimme sagte mir sogleich: Sylvester ist unschuldig; und seitdem ich dir wieder ins Auge blicke, und die ehemalige Ruhe und Entschlossenheit darin sehe, bin ich von deiner Unschuld fest überzeugt. – Aber, sage mir, ahnest du denn nichts, gar nichts von dem Zusammenhang der schrecklichen Begebenheit? <125:>
Sylvester. Auch nicht ein Fünkchen bringt mir Licht in diese schwarze Nacht.
Jeronimus. Rupert ist wild und rachsüchtig. Schon längst lauerte er auf eine günstige Gelegenheit, mit dir zu brechen. Wie, wenn sein Sohn, der gemordet seyn soll, bloß gestorben wäre, und wenn der Graf diesen Umstand benutzt hätte, um den Erbvertrag zu seinem Glück zu lenken? Wenn er sich der Unschuld deiner Leute, die vielleicht eben im Gebirge waren, so zu bedienen gewußt hätte, daß du der Welt als Schuldiger erscheinst? – So erhielt er einigen Schein des Rechts, dir den Frieden aufzukündigen, den Stamm von Warwand auszurotten und dann das Erbvermächtniß sich zu nehmen.
Sylvester. Das ist ein böser Verdacht, Jeronimus. Einer solchen That halte ich den Grafen nicht fähig. Nichts mehr davon. – Ich hatte die Diener nach Oettingen geschickt, dem Grafen zum Ritterschlag seines Sohnes Glück zu wünschen. Sie sind nicht wieder zurückgekehrt. Was dazwischen liegt, weiß ich nicht. <126:>
Jeronimus. Der Leichnam des Sohnes trug keine Spuren der Ermordung an sich, nur daß die beiden kleinen Finger abgeschnitten waren. Wegen des Getümmels auf dem Markte, beim Foltern deines Knechts, hat auch keiner aus seinem Munde ein anderes Wort gehört, als deinen Namen.
Sylvester. Darum will ich hinüber, und mir Licht verschaffen. Diese Dunkelheit quält mich.
Jeronimus. Jetzt noch nicht; es ist immer ein gewagter Schritt. Du hättest den Grafen sehen sollen am Sarge seines Sohnes. Es schien kein menschliches, kein göttliches Gesetz ihm heilig, das dich schützen könnte.
Sylvester. Dennoch, Jeronimus, will ich es versuchen. Der Mensch wagt wohl bisweilen einen abscheulichen Gedanken, aber vor der That entsetzt er sich.
Jeronimus. Schicke wenigstens zuvor einen Ritter hinüber und laß ihm deine Ankunft melden, damit er das wüthende Volk beruhige.
Sylvester. Damit der arme Ritter eben so falle, wie Aldöbern? – <127:>
Jeronimus. Nun so sende einen Herold. Er ist eine heilige, vom Volke hochgeachtete Person, ihn wird man nicht anzugreifen wagen. Ich gewinne unterdeß noch Ottokarn, Ruperts Sohn. Er ist ein edler, rechtlicher Jüngling, und billigt des Vaters Handlungen nicht.
Sylvester. Ich habe viel Rühmliches von diesem jungen Ritter gehört. O wenn der Vater den Sinn des Sohnes hätte, ich glaube, es würde Frieden werden zwischen uns!
Jeronimus. Und Ottokar kann jetzt schon ein Friedensstifter werden zwischen dir und Rupert; er kann die nie versiegende Quelle des Streits zwischen den beiden feindlichen Häusern Schroffenstein für immer verstopfen.
Sylvester. Wie meinst du das?
Jeronimus. Sylvester, du hast eine Tochter, die ihrem künftigen Gatten alle deine Besitzthümer als Erbe zuführt. Wenn Ottokar dein Schwiegersohn würde, so wären mit einemmale beide Häuser für immer vereinigt, und alle Fehde hörte auf. Du sähest deine geliebte Agnes durch einen edlen tapfern Rit- <128:> ter beglückt, würdest mit dem Grafen Rupert in Friede und Eintracht leben und mit Freudigkeit in die Zukunft blicken.
Sylvester. O den Gedanken hat dir ein Engel eingegeben. Wenn ich dem mistrauischen Rupert diesen Antrag machen lasse, so muß er die Reinheit meiner Absicht einsehen, meine Unschuld erkennen und die zur brüderlichen Versöhnung dargereichte Hand freudig annehmen. Ja ich fühle es, ich werde durch ein heiteres glückliches Alter für diese Tage der Trübsal belohnt werden. – Ich sende sogleich den Herold mit diesem Auftrage nach Rossitz.
Der Herold wurde abgeschickt; aber die böse Wirklichkeit vereitelte den schönen Traum. Graf Rupert hatte die Gemüther seiner Vasallen und Knechte aufs höchste erbittert. Die Ermordung des geliebten Johann und die an dem Ritter Aldöbern verübte Gewaltthätigkeiten hatten den alten Groll zur Wuth angefacht. Sobald sich also der Ritter Theistener (Sylvesters Vasall) als Herold in Rossitz erblicken ließ, fielen jene, trotz seiner heiligen Würde, über ihn her, und übten das Vergeltungsrecht aus. Auf keinen machte diese <129:> Verletzung des Völkerrechts einen stärkeren Eindruck, als auf Ottokar. „Gott, rief er aus, ist es so weit gekommen, daß die Wuth des Pöbels mit dem Edelsinn der Ritter spielen und alle göttliche und menschliche Rechte mit Füßen treten darf? O mein Vater, du hast die Flamme angefacht, auf dein schuldiges Haupt fällt all’ das Böse der verderblichen Fehde.“

In dieser Stimmung fand ihn sein Vetter Jeronimus. Dieser betheuerte ihm, daß Graf Sylvester unschuldig sey an der Ermordung seines Bruders. Er erzählte ihm die ganze Unterredung, die er mit ihm gehabt hatte, und eröffnete ihm auch den sehnlichen Wunsch des Grafen, durch eine Vermählung seiner Tochter mit ihm den alten Groll zwischen beiden Häusern auf immer zu ertödten. Ottokar war gerührt von Sylvesters Antrag. Seine Tochter Agnes hatte er wegen ihrer stillen häuslichen Tugenden und wegen ihres sanften friedlichen Sinns schon lang lieb gewonnen, und er wünschte nichts so sehr, als durch eine Verbindung mit ihr die beiden Väter zu <130:> versöhnen, und den alten Frieden in der  Schroffensteinschen Familie wieder herzustellen.

Emendation
Schroffensteinschen] Schroffensteinscheu D

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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