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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Christian Wilhelm Spieker, Familiengeschichten für Kinder. 2 Bde. (Leipzig: Voß’sche Buchhandlung 21818 [EA: Dessau, Leipzig: Georg Voß 1808; Bd. 3, T. 1]), Bd. 2: Die glücklichen Kinder. Ein Geschenk für gute Söhne und Töchter, 113-145; darin: 113-122

„Die Familie Schroffenstein“ als moralische Erzählung

Siebzehntes Kapitel.

Die frohe Gesellschaft am Bagow’schen See. Geronio erzählt. – Das Grafenhaus Schroffenstein in Schwaben. Mistrauen ist der Same der Zwietracht. Rupert und Sylvester, Grafen von Schroffenstein.

Die Gesellschaft hatte ihr Lager vor dem Walde, am grünen Ufer des Bagow’schen Sees, unter einem wilden Apfelbaum aufgeschlagen; so daß sie jenseits des ruhigen Sees das friedliche Bagow mit seinem Schlosse und <114:> dem Mühlberge vor sich, das glückliche Pevesin aber mit seinen reizenden Umgebungen zur Seite hatte. Die Sonne mochte etwa noch einen zweistündigen Lauf zu machen haben, ehe sie ihr Tagewerk vollendet hatte. Der heitere Himmel, die erwärmende Luft und die allgemeine Ruhe in der Natur versprachen den schönsten Abend. „Hier wollen wir bleiben, sagte der Amtmann, bis wir nach Roskow zurückfahren. Hans, geh’ doch ins Dorf, und sage meinem Andres, daß er nach zwei Stunden mit dem Wagen hierher kommen und uns abholen soll. Sorge aber dafür, daß alles gehörig eingepackt werde.“ – „Und dann,“ fügte der treffliche Redlich hinzu, „komm mit dem Kahn hier ans Ufer. Wir wollen den schönen Nachmittag mit einer Wasserfahrt beschließen.“

Das hörten die Kinder mit inniger Freude, blickten mit freundlichem Gesicht auf Geronio, drängten sich an ihn, und liebkoseten ihm. Er sah dies mit lächelnder Miene, und fragte: „was wollt ihr denn von mir, ihr kleinen Schmeichler?“ <115:>
„O bitte, bitte, sagte die gute Johanna, eine Geschichte, lieber Vater.“
Als Geronio sahe, daß alle Kinder und auch seine älteren Freunde in diese Bitte mit einstimmten, weigerte er sich nicht lange, sondern hub an: „In meiner letzten Geschichte führte ich euch mehrere Jahrhunderte zurück in die Zeiten der Vergangenheit, und ich bemerkte, daß ihr mit großem Vergnügen darauf hörtet. Ich will euch also heute ein anderes Gemälde aus jener Zeit aufstellen; freilich etwas gräßlich, aber um so anziehender und doch auch lehrreich. Aber ihr müßt recht Acht geben, damit euch die vielen Namen, welche vorkommen, nicht verwirren.“
Die Kinder rückten dichter zusammen, um dem lieben Erzähler näher zu sitzen, spannten ihre Aufmerksamkeit, und hefteten ihre Blicke auf Geronio, der folgendermaßen fortfuhr:
Vor vier Jahrhunderten blühete in Schwaben ein Ritterstamm, der durch Redlichkeit, Mannheit und Tapferkeit hochberühmt war, der Stamm der Grafen von Schroffenstein. Diese Familie zerfiel wieder in drei Häuser, in das Haus Rossitz, Warwand <116:> und Wyk. Schon seit alten Zeiten verband die beiden Grafenhäuser von Rossitz und Warwand ein Erbvertrag, kraft dessen nach dem Aussterben des einen Stammes der gänzliche Besitzthum desselben an den andern fallen sollte. Dieser Erbvertrag ward die Quelle unsäglichen Elends, denn beide Häuser blickten nun immer mit Neid und Eifersucht auf einander, und daraus entspann sich ein bitterer Haß, der vom Vater auf den Sohn forterbte. So wie sich das Haus der Rossitzer erweiterte, wuchs auch die Furcht und Eifersucht der Warwander, und jeder unvermuthete Todesfall in der einen Familie brachte Freude in der andern hervor.
Daraus erzeugte sich das schwarze Mistrauen, das Alles, auch das Schuldlose und Reine, in das gehässige Licht der Bosheit stellte. Das Nichtsbedeutende und Unschuldige wurde durch spitzfindiges Drehen und Deuten zu einer bösen Absicht umgewandelt. Lange glimmte der Funke in der Asche, bis er endlich verderblich hervorbrach, und zur zerstörenden Flamme ward. Jetzt herrschte in Rossitz der Graf Rupert und in Warwand der Graf <117:> Sylvester. Der erstere war ein harter unbändiger Mann, von rauhen Sitten und wilder Gemüthsart, der sehr oft bereuen mußte, was sein heftig aufbrausender Zorn verschuldet hatte. Nicht so der Graf Sylvester. Der war ein edler deutscher Ritter im besten Sinne des Worts. Gerecht und brav, war er über die kleinlichen Leidenschaften des Zorns und des Neides, der Misgunst und Eifersucht erhaben. Er hatte schon oft versucht, den alten Groll, der zwischen den beiden Schroffensteinschen Häusern obwaltete, beizulegen, und war dem Grafen Rupert voll Vertrauen entgegen gekommen. Dieser aber hielt sein Betragen für Verstellung, wohinter irgend eine versteckte hinterlistige Absicht liege, und wies ihn deshalb mit Kälte und Bitterkeit zurück.
Darauf that Sylvester den Vorschlag, den unseligen Erbvertrag aufzuheben, aber auch davon wollte Rupert nichts wissen. Zufälligerweise ward der Graf auf Rossitz plötzlich krank und kam dem Tode sehr nahe. Der Graf auf Warwand ließ sich aus wirklicher Theilnahme oft nach Ruperts Befinden erkundigen. „Ach, dachte dieser, er kann meinen Tod <118:> nicht erwarten, um nur recht bald von meinen Gütern Besitz nehmen zu können! Und wer weiß, wer mir das Gift der Krankheit gegeben hat, das in meinen Adern wüthet?“ – So zieht das böse Mistrauen aus der unschuldigsten Handlung Gift zu seiner Nahrung. – Der Graf Rupert ward wieder gesund, und erhielt in der Folge zwei Söhne, Ottokar und Johann, die zu hoffnungsvollen Jünglingen heranwuchsen.
Sylvester hatte einen Sohn, Anton, und eine Tochter, Agnes, die beide sein ganzes Glück ausmachten. Anton verband mit dem edlen festen Sinn des Vaters die Sanftheit und Herzensgüte der Mutter. Mit stiller Freude sah Sylvester oft auf den herrlichen Jüngling – und ach! er mußte fallen in seiner schönsten Blüte. Gestern stand er noch da im fröhlichen Muthe und in reicher Fülle des Lebens und heute umhüllte ihn schon die Finsterniß des Grabes. – Man mußte ihn bald zur Erde bestatten, denn der ganze Körper überzog sich mit blauen Flecken, und am zweiten Tage fing er schon an zu verwesen. Das waren unverkennbare Zeichen der Vergiftung, und die <119:> tiefgebeugte Mutter und alle Einwohner in Warwand hegten den starken Verdacht, das Gift sey aus Rossitz gekommen. Kaum aber vernahm der edle Sylvester etwas von diesem Gerüchte, so verbot er ernstlich und nachdrücklich, je wieder ein Wort davon fallen zu lassen. Dies erfuhr Rupert, aber sein harter störriger Sinn wurde dadurch noch nicht erweicht, und er trauete dem Grafen von Warwand immer noch nicht.
So vergingen mehrere Jahre, und der finstere Rupert lauerte nur auf eine Gelegenheit, seinen lang verhaltenen Groll laut werden zu lassen. Diese Gelegenheit ereignete sich leider früh genug, und zog den Sturz und das Verderben beider Häuser nach sich. – Rupert ritt nämlich einst in Gedanken vertieft, von einem seiner Diener begleitet, durch den Forst, als ihn plötzlich ein gräßlicher Anblick überraschte. Er sah seinen jüngsten Sohn, Johann, sein theures, geliebtes Kind erschlagen, neben ihm zwei Männer mit blutigen Messern. Von Wuth entbrannt, zog er sein Schwerdt, hieb den einen nieder und entwaffnete den andern. <120:>
Rupert fand, was er gleich beim ersten Anblick geahnet hatte, daß es Männer aus Warwand waren, die seinen Johann gemordet hatten. Der gefangene Knecht wurde auf die Folter gespannt, und auf öffentlichem Markte, unter dem wilden Getümmel des Volks, gestand er, daß er von Sylvester zum Morde gedungen sey. Da loderte die Wuth des Grafen hoch auf, und er schwur am Altar dem Hause Sylvester’s eine fürchterliche Rache. – Der Graf Jeronimus von Schroffenstein, aus dem Hause Wyk, war gerade zu Rossitz, als diese schreckliche Begebenheit vorfiel. Er, ein Freund Sylvesters, hatte ihn immer als einen rechtlichen braven Mann handeln sehn; die Aussage des Knechts aber machte ihn wankend, und beinahe hätte er sich verleiten lassen, sich mit dem Hause Rossitz gegen Warwand zu verbinden. Doch bei ruhigerm Blute beschloß er, selbst nach Warwand zu reiten, und sich über die schreckliche That Licht zu verschaffen.
In Rossitz war alles über die Frevelthat Sylvesters erbittert. Rupert sammelte seine Vasallen um sich, rüstete sich zum bluti- <121:> gen Kampf, und schickte den Ritter Aldöbern nach Warwand, dem Grafen Sylvester die Fehde anzukündigen. – Dieser, der von der Ermordung Johann’s noch nichts gehört hatte, empfing den Gesandten mit frohem Herzen, denn er hielt ihn für einen Friedensboten, und glaubte, Graf Rupert habe endlich seinen wilden Sinn geändert. Er bat den Ritter, sich zu ihm zu setzen, um sich mit ihm bei einem Becher Wein und bei einem traulichen Gespräch über des Grafen Familie zu unterhalten. Aber wie erschrak er, als Aldöbern auf seine freundliche Einladungen folgendes erwiederte: „Meine Rede ist kurz, in einer Minute geendet. Mich schickt mein Herr, Graf Rupert von Schroffenstein, dir wegen des, an seinem Sohn, Johann, verübten Meuchelmords den Frieden aufzukündigen. Er ist gesonnen, dich mit Krieg und Mord zu verfolgen, deine Burg zu verwüsten und an deren Stelle ein Hochgericht zu bauen. Es durstet ihn nach deinem und deines Kindes Blut.“
Gertrude, Sylvesters Gemahlin, war bei dieser Unterredung zugegen; kaum aber <122:> hörte sie die schrecklichen Worte, so stürzte sie hinaus, erzählte des Ritters Bothschaft, und erfüllte die ganze Burg mit ihren Wehklagen. Die harte Beschuldigung und Gertrudens Jammern brachte das Volk zur größten Wuth. Es sammelte sich bewaffnet am Thorhofe, und harrte mit Ungeduld auf den Gesandten, der ihre ganze Rache fühlen sollte. Er kam endlich, und alle warfen sich wüthend auf ihn, rissen ihn nieder, und ermordeten ihn.
Diese rasche That des Volks kränkte Sylvestern im Innersten der Seele und er strafte sie hart; Rupert aber und seine Kriegsleute wurden dadurch nur noch mehr erbittert. Ihre Wuth kannte keine Schranken.

Emendation
fand] faad D

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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