Carl Schüddekopf, Briefe
Herders und Wielands, in: Archiv für Litteraturgeschichte 15 (1887),
254-264; darin: 263f.
Christoph Martin Wieland an Georg Joachim Göschen, Weimar,
24. 2. 1803
Wieland an Göschen\1\.
Weimar. Den 24ten\2\ Febr. 1803.
Theurester Freund,
Der Ueberbringer dieses Blats, ein Herr von Kleist, aus der Familie des
berühmten und unsterblichen Dichters dieses Nahmens, wünscht durch Vermittlung eines
gemeinschaftlichen Freundes, Ihre Bekanntschaft zu machen. Er gedenkt sich einige Zeit in
Leipzig aufzuhalten und bedarf zu diesem Ende eines dasigen Freundes, der ihm wegen einer
Wohnung und der übrigen Bedürfnisse dieser Art mit gutem Rath diene, und hat mich daher,
da er ohne alle Bekanntschaft in Leipzig ist, um ein Paar Zeilen an Sie gebeten.
Hr. v. Kleist ist mit meinem ältesten Sohn in der Schweitz bekannt geworden; in
verwichnem Herbst war mein Sohn auf der Rückreise sein Gefährte bis Jena. Nach einem
kurzen Aufenthalt daselbst kam Hr. v. Kleist nach Weimar; ich lernte ihn näher
kennen, fand an ihm einen jungen Mann von seltnem Genie, von Kenntnissen und von
schätzbarem Karakter, gewann ihn lieb und liess mich daher leicht bewegen, ihm, da er mir
einige Zeit näher zu seyn wünschte, ein Zimmer in meinem Hause zu O.[smannstädt]
einzuräumen. So ist er dann seit der 2ten Woche
dieses Jahrs sechs Wochen lang mein Hausgenosse und Commensal gewesen, und ich habe mich
nicht anders als ungern und mit Schmerz wieder von ihm getrennt. Ich |
kann ihn also Ihrem Wohlwollen um so getroster empfehlen, da ich versichert bin dass er
Ihnen in keinerley Rücksicht lästig fallen wird. Ich zweifle keinen Augenblick, Er wird
Sie und Sie werden Ihn eben sobald lieb gewinnen als dies der Fall zwischen Ihm und mir
war. Den besondern Zweck, wesswegen er einige Zeit in Leipzig zu leben wünscht, wird er
Ihnen vermuthlich selbst eröfnen\3\. <264:>
In acht Wochen, lieber G. bin
ich wieder ein Weimaraner\1\,
und als solchen werden Sie, hoffe ich, nicht weniger lieben als bisher
Ihren ergebensten und verbundensten
Freund
Wieland\2\.
[Ein Quartblatt. Ms. Egert. 2407. Fol. 51.]
\1\ Eine jüngere
Hand hat zwischen Anrede und Eingang geschrieben: Betrift den Hn v Kleist,
dessen Werke Tieck neulich herausgegeben hat.
\2\ Später zwischen
geschrieben.
\3\ Vgl. den
Brief Kleists an Ulrike, Leipzig 13. März 1803: Ich habe Osmanstädt
wieder verlassen. Ich brachte die ersten folgenden Tage in einem
Wirthshause zu Weimar zu und wusste gar nicht, wohin ich mich wenden sollte.
Endlich entschloss ich mich, nach Leipzig zu gehen. Ich weiss wahrhaftig kaum
anzugeben, warum? Dagegen weiter: Ich nehme hier Unterricht in der
Declamation bei einem gewissen Kerndörffer. Ich lerne meine eigne Tragödie
[Guiscard] bei ihm declamiren. u. s. w. (Koberstein S. 82.)
\1\ Wieland verkaufte
und verliess Osmannstädt zum 1. Mai 1803.
\2\ Auf der
Rückseite von Göschens Hand: Weimar d. 24 Febr. 1803.
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Wieland. | empf. d. 26. Febr.
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