Erich
Schmidt, Arnim an Iffland, in: Allgemeine Zeitung
(München), 17. 1. 1907, Nr. 14, Beilage, 99f.
Achim v. Arnim an August Wilhelm Iffland, Berlin, 6. 12. 1810
Ew Hochwohlgeboren
übersende ich einliegenden dramatischen
Versuch, er ist ursprünglich für ein Puppentheater geschrieben und taugt seiner innern
Einrichtung nach schwerlich für irgend eine andere Bühne, nach dieser Voraussagung
werden Sie mich von jeder heimlichen Absicht frey sprechen, ihn durch bescheidne Bitte zur
Aufführung einschwärzen zu wollen, er ist durchaus nur der Lesewelt
übergeben, und Ihnen als dramatischen Dichter, der unsre Zeit in mancher
Richtung dargestellt hat, nicht als Schauspieldirecktor empfohlen. Ich kann bey dieser
Gelegenheit einige schmerzliche Gefühle nicht unterdrücken, die mir durch
Zusammenstellung manches Zuges Ihres früheren Lebens, das ich theils aus der Einleitung
zu Ihren Werken theils aus dem mir einst gefällig zugesendeten Manuscripte kennen gelernt
habe, woraus so viel reiner Drang für den Fortschritt der Kunst hervorgeht, wenn ich
diese Züge verbunden mit mancher Aeusserung in Ihrem Almanache über die Schwierigkeiten
Ihrer Amtsführung, insbesondre mit einigen Aeusserungen in einem Briefe an meinen Freund
Müller, mit denen Klagen zusammenhalte, die ich entweder selbst gegen Sie schon heimlich
geführt habe, oder öffentlich von andern habe hören müssen. Ich verkenne so wenig Ihr
Talent, wie Ihren Wunsch zu nützen und die rastlose Thätigkeit mit der Sie in Ihrem
Geschäfte fortwirken ist mir ehrenwerth, um so deutlicher werden mir aber als parteilosen
Zuschauer einige Mißverständnisse und einzelne Umstände, die zu Differenzen, die
endlich die ganze Stadt in Bewegung setzen, die Veranlassung geworden sind; es war sogar
meine Absicht vor einem halben Jahre, aus Eifer für die Sache, Ihnen einige derselben
mündlich auseinanderzusetzen, aber ich hatte nie das Vergnügen Sie zuhause zu treffen. Diese
Schwierigkeit Ihnen einzelne wohlgemeinte Bemerkungen über das Theater zur Prüfung mitzutheilen
worüber gar viele klagen die sich für das Theater interessiren, ist ein Hauptgrund
dieser Mißverständnisse, unmöglich wäre es Ihnen freilich eine Unzahl überflüssiger
Bemerkungen mit nützlich anzuwendender Zeit zu erkaufen, aber liesse sich nicht ein
Mittelweg erfinden, etwa die Herausgabe eines Wochenblats für das Theater mit dem
beygefügten Repertoir für die Woche, worin die schriftlich eingesendeten Bemerkungen,
die einigen Werth hätten, theils ganz, theils im Auszuge mitgetheilt und berichtigt
würden. Noch ein näherer Grund bestimmt mich, Sie auf diesen
Vorschlag aufmerksam zu machen, es ist der gänzliche Censurdruck unter welchem in
Hinsicht des Theaters jezt die öffentlichen Blätter schmachten, der endlich nothwendig
in öffentliches Lermen ausartet. Vielleicht wissen Sie Selbst nicht, wie weit dieser
Druck geht, der alles übertrifft, was in irgend einem Lande an Zwang dieser Art getroffen
wird und wovon, freilich mit Unrecht, von den meisten das Gehässige auf Sie geworfen
wird; um so edler würden Sie als Herausgeber eines Blattes auftreten, das jede
anständige Freyheit des Tadels, jeden guten Scherz, der selbst das eigne Werk trifft,
ruhig mittheilt um dem Schönen einen vorurtheilsfreyen Eingang zu gewinnen. Die Policey
ist bis zum Wahnsinn, (der alles auf eine fixe Idee bezieht) ängstlich geworden in allem
was das Theater betrifft, so wurde ein ganz unschuldiger, aber an sich nicht unnützer
kleiner Aufsatz von mir für die Abendblätter, worin ich nach und nach eine Reihe guter
Stücke nennen wollte, die den Bedingungen entsprächen die Sie Selbst für die
Aufführbarkeit aufgestellt haben, verworfen; ich glaubte einer Zeit, wo der
Andrang des Neuen so mannigfaltig und doch häufig so unzweckmässig ist, mit dieser
Auswahl einen wesentlichen Dienst zu thun. Ich fing mit Contessas neuesten Stücke
Der Fündling an, eine so ganz für das hiesige Theater gedachte Arbeit, daß in Paris und
London die Theaterdirecktoren von einem Schriftsteller, der sich so gewandt dem
Bedürfnisse wie der Poesie anzuschmiegen weiß, täglich etwas Neues erschmeicheln
würden. Bey dieser Gelegenheit wird es nothwendig zu erinnern, daß zwischen dem Andrange
der Dichter einiger Unterschied gemacht werden müste; ein Dichter, dessen näheres
Vaterland unser Staat, oder gar unsre Stadt ist hat ein näheres Recht mit seinen Werken
zugelassen zu werden, als ein fremder Dichter, der an einem Andern Orte sein Leben und
seine Verhältnisse begründen kann, sein Werk ist auch ein Theil des Volkes, dem das
ganze Schauspielhauß erbauet ist. Wenn aber nun gar so ein Dichter schon einiges mit
Beyfall der Bühne übergeben hat wie Contessa, Robert (beyde kenne ich nur von Ansehen)
u. a., wie muß es ihn kränken <100:> gegen ganz talentlose Arbeiten, wie
einige der Mad: Weissenturn, die weder die gemeinste Neugierde, noch irgend eine höhere
Anforderung befriedigen, [sich] zurückgesetzt zu sehen. Warum soll es unsre Nationalität
nicht kränken, daß Tiecks ungemeine Anlage für das Dramatische so gar nicht benutzt
worden ist, wie sollen wir es erklären, daß ein Stück wie Blaubart, das mit geringen
Veränderungen in jedem Privattheater gefällt, durchaus nicht gegeben wird; auf dieses
Stück, auf die Art der Veränderung, die es fordert, wollte ich in der Fortsetzung meines
Aufsatzes besonders aufmerksam machen; selbst Tiecks Berneck, blos als ein
Ritterschauspiel im gemeinsten Sinne betrachtet, ist doch viel mannigfaltiger,
schauerlicher und unterhaltender als irgend ein Werk der Dame Weissenthurn, Klingemann.
Ferner hatte ich vor von Footes lustigen kleinen Stücken zu reden, von denen einige
unsrer Zeit und Bühne noch vortreflich anpassen und die sehr brav übersetzt sind. Ferner
hatte ich vor Hrn. Pauli, dessen Aufsatz im Almanach übrigens viel Gutgesagtes enthält,
eigentlich zu zeigen, was das Publikum mit der Forderung alte Masken zu sehen, sagen will,
nämlich nicht wie er meint, jezt statt der belebten Gesichter todte Masken getragen zu
sehen, sondern durch den geringen Aufwand für einige alte Masken, sich eins der besten
alten Lustspiele und Trauerspiele vergegenwärtigt zu sehen, was blos als Neuigkeit eine
grosse Masse von Menschen an die Kasse locken müste. Sie sehen aus dem Wenigen, (die
Reihe von braven vergessenen Stücken ist aber sehr groß) daß ich nichts für mich, aber
manches für das allgemeine Beste mit dem Aufsatze wollte, es schien mir Pflicht jedes
weniger Beschäftigten, öffentliche Behörden, deren Zeit beynahe ängstlich vom
täglichen Andrange weggezehrt wird, auf manches, was ihrer Aufmerksamkeit entgeht
aufmerksam zu machen, das alles wird aber allmälig in dem Preßzwange unmöglich und
diese einzelne Erfahrung ist mir nur ein Zeichen der allgemeinen Unglücksfälle, vor
denen Theater und Critick, Dichter und Schauspieler als Abkömmlinge einer besseren Zeit
verschwinden; leider ist jezt die Zeit, wo die leichtsinnigen Zerstörer der Einrichtungen
von Jahrhunderten vor einen Paar gedruckten freyen Worten erbeben, so ist Napoleon, so
sind alle die ihm nachgefolgt, ich aber rufe mir zum Troste mit jenem Holländer: Was von
Gott angefangen, das wird mit Gott endigen, was aber vom Teufel ausgegangen, das wird mit
dem Teufel untergehen: Sie verzeihen mir, daß ich von dem heitern Kreise der
Bühne auf einmal in die gewaltsame Staatswirthschaft unsrer Tage übergegangen bin, aber
so gänzlich übergegangen bin, daß ich mit meinen Gedanken nicht wieder dahin
zurückfinden kann. Schließlich, indem ich Ihnen meine Unpartheilichkeit gegen
M. Herbst dadurch versichere, daß ich weder bey der ersten noch zweyten Vorstellung
der Schweizerfamilie gegenwärtig gewesen bin, kann ich Ihnen meine Verwunderung nicht
verbergen, daß solch eine Aeusserungen [aus Aeusserung] des Mißfallens, wie sie selbst
in dem tirannisch regierten Paris so häufig sind, von Ihnen so bedeutend geachtet werden
können, um Sich einem Volke entziehen zu wollen, das Ihnen so viele Zeichen von Achtung
und Dankbarkeit für den mannigfaltigen Genuß gegeben hat, den Sie ihm durch Ihre Kunst
gewährten, empfangen Sie einen geringen Beweis davon in der Versicherung meiner
Hochachtung.
Berlin d 6 Dec 1810.
Lud: Achim von Arnim.
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