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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Sigismund Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter. Nach neuen Quellenforschungen (Berlin: Reimer 1909), 294-301

Ergänzungen und Berichtigungen zu den Kommentaren von Kleists Werken. Das Käthchen von Heilbronn


Über die ersten Aufführungen des Stückes in Berlin werden wir unterrichtet durch die folgenden Anzeigen in den B. N.:
No. 93. Dienstag, den 20. April 1824. Mittwoch den 21. April. Im Schauspielhause. Zum Erstenmale: Das Käthchen von Heilbronn, großes Ritter-Schauspiel in 5 Abtheil., nebst einem Vorspiel in 1 Aufzug, genannt: Das heimliche Gericht, von Heinrich v. Kleist, für die Bühne bearbeitet von Hollbein.
No. 94 wiederholt dieselbe Anzeige.
No. 97. Sonnabend, den 24sten. – – – Zum Erstenmale wiederholt.
No. 100. Mittwoch. Donnerstag, den 29. Käthchen – – Die Ouvertüre ist vom Königl. Concertmeister Herrn Bohren.
No. 101. Sonnabend, den 1. Mai. Im Schauspielhause. Auf Begehren: Das Käthchen von Heilbronn. <295:>
No. 102. von Donnerstag d. 29. April. Wiederholung. No. 103 von Sonnabend d. 1. Mai: Wiederholung.
Das Stück hat sich auf dem Repertoire erhalten. In kurzen Zwischenräumen erscheint immer wieder die Anzeige.
No. 107. Donnerstag d. 6. Mai: Im Schauspielhause: das Käthchen etc.
No. 112. Donnerstag d. 13. Mai: Montag d. 17. dieselbe Aufführung.
No. 115. Dieselbe Anzeige etc. etc.
Eine ausführliche Besprechung des Stückes und der Aufführung brachte die Nr. 103 der B. N. am Sonnabend den 1. Mai.
Für ein liebend Herz ist die gemeine
Natur zu eng, und tiefere Bedeutung
Liegt in dem Mährchen meiner Kinderjahre
Als in der Wahrheit die das Leben lehrt –
Die heit’re Welt der Wunder ist’s allein
Die dem entzückten Herzen Antwort giebt –
Die Fabel ist der Liebe Heimath Welt –
Gern glaubt sie an Götter, weil sie göttlich ist.
Mit diesen goldenen Worten läßt unser unsterblicher Schiller den liebenden Max Piccolomini sein Herz gegen die Gräfin Terzky eröffnen und diese erwidert ihm:
es ist ein holder freundlicher Gedanke
daß über uns, in unermeßnen Höh’n
der Liebe Kranz aus funkelnden Gestirnen
da wir erst wurden, schon geflochten ward.
Besseres glaube ich in der kurzen Anzeige (leider nöthigt mich der beschränkte Raum zur Kürze) über das endlich auf unserer Bühne erschiene Drama „Das Käthchen von Heilbronn“ von Heinr. v. Kleist, nicht voranschicken zu können; was Max ausspricht und was die Terzky erwidert, spricht auch wesentlich den Hauptgedanken des herrlichen Dramas aus; sein Geheimniß der Liebe, die dunkle Tiefe ihres Werdens, und ihre geheime wunderbare Macht, ist dem Zauber der Dichtung erschlossen. Aber nicht im formlosen Reich karakterloser Luftgestalten, willkührlicher Spiele einer müßigen Einbildung oder boden- und herzloser Schwindeleien einer verödeten After- <296:> mystik führt und foppt uns der Dichter herum; sein Werk ruht auf historischem Grund und Boden, in der Heimath des Menschen, die mit allen ihren zufälligen Zeit- und Raum-Wechseln immer dieselbe bleibt, ja es ruht auf dem Vaterlande des Deutschen, und zwar des Deutschen der Vorzeit, aber nur unsern gegenwärtigen Sitten und Bräuchen, nicht der Ewigkeit unserer Gefühle ist es fremd; doch ist es darum ein romantisches, kein sogenanntes bürgerliches Drama; es hat die freie Ferne, nicht die hemmende und meist peinliche Nähe; denn das eigentliche Romantische liegt unsern gegenwärtigen Sitten und Bräuchen nicht näher als die Griechische und Römische.
(Nachdem der Kritiker kurz den Unterschied zwischen romantischem und antikem Drama berührt, den Inhalt des Stückes im Wesentlichen wiedergegeben, die Holbeinsche Bearbeitung getadelt hat, „die blos eine Verstümmelung, ein Präparat zu Musik und Tanz ist“, fährt er im letzten Absatz wörtlich fort:)
Der Dichter Heinrich von Kleist freilich möchte kein Wort aus seinen Werken missen, ihm, der es aus tiefer Begeisterung in Einem Guß hervorgebracht, mußte allerdings jegliche Abkürzung und Veränderung eine Verletzung scheinen: aber darum konnte auch sein Wunsch, noch bei seinen Lebzeiten sein geliebtes Käthchen auf unserer Bühne zu schauen, nicht erfüllt werden. Mit lebhafter Bewegung erinnere ich mich der darüber mit ihm gepflogenen Gespräche, sowie seiner Äußerungen, wie er insbesondere die Darstellung des Käthchens selbst, sich dachte. Und so glaube ich, nicht blos meine Ansicht auszusprechen, sondern auch der Dolmetscher des verewigten Dichter zu sein, wenn ich der Frau v. Holtei dafür danke, daß sie das Käthchen so jungfräulich zart, so kindlich in ihrer ganzen Erscheinung, einfach im Ausdruck des Worts und der Geberden, wie es der Dichter wollte, und der Geist des Dichters es allerdings fordert, dargestellt hat. Die Scene vor dem heimlichen Gericht, die wo sie den Brief bringt und die, wo sie im Schlafe spricht: alle gelungen, und alle, wie die Dichtung aus Einem Guß. (Es folgt die kurze Erwähnung anderer Leistungen: Rebenstein als Graf Strahl.)

Bemerkenswert an der Kritik ist die Reminiscenz des Kritikers – F. Schulz schrieb die Theaterbesprechungen in den B. N. – und sein Hinweis auf die persönliche Bekanntschaft mit dem Dichter. Die hier erwähnte erste Darstellerin des Käthchen in Berlin, Frau v. Holtei (Luise v. Holtei, geb. Rogée, geboren in Wien den 1. Dezember 1800; seit dem 8. Lebensjahre in Berlin, 1821 vermählt mit Holtei, gest. Januar 1825) scheint in der Tat die beste Vertreterin der <297:> Rolle gewesen zu sein. Bei Wurzbach heißt es von ihr: „– – als Marianne in Göthes Geschwistern und Käthchen von Heilbronn in dem gleichnamigen Stücke von Kleist war sie unübertroffen“ und bei H. Doering\1\: „den schönsten Kranz wand sie sich indeß unstreitig als Käthchen von Heilbronn in dem bekannten Schauspiel des unglücklichen Dichters H. v. Kleist. Sie betrat seitdem die Bühne nicht wieder.“
Erich Schmidt spricht in den Anmerkungen zum Prinzen von Homburg die Vermutung aus, daß das in einem Briefe Heines an Boccage am 7. Mai 1834 erwähnte „Manuscript de la tragédie de Kleist“, deren Aufführungen nach Verhandlungen mit Dumas im théâtre de la Porte-St.-Martin von Heine betrieben wurde, eine Übersetzung des Homburg gewesen sei. Diese Annahme, an sich schon sehr unwahrscheinlich, trifft nicht zu. Wir wissen aus einer sorgfältigen Untersuchung von Karpeles\2\, daß es sich bei dieser Übersetzung um das Käthchen handelte. Im „Telegraph für Deutschland“ (1838 Nr. 159) läßt A. Weill in „ein Besuch bei Alexander Dumas in Frankfurt a. M.“ diesen erzählen: „Heine kam vor drei Jahren zu mir und brachte mir eine Übersetzung von Kleists „Käthchen von Heilbronn“. Ich las sie durch, bewunderte das deutsche, einfach-poetische Märchen, sagte ihm aber, daß das Stück durchaus nicht geeignet sei für eine französische Bühne. Wenn Käthchen von einem Tritt, den man ihr gegeben, spricht, lacht das ganze Publikum. Ebenso wenn Ferdinand sagen würde: „La Limonade est fade comme ton âme.“ Als ich abreiste, besuchte ich Heine, um ihm Lebewohl zu sagen und fragte ihn, ob ich noch sein Käthchen aufführen lassen sollte. Aber Heine kennt jetzt Frankreich, und er lachte darob.“ Wo das Manuskript hingekommen ist, läßt sich nicht sagen. Eine französische Übersetzung des Käthchen existiert nicht (s. Bonafous), auch die Übersetzung, von der hier die Rede ist, wird bestimmt nicht, wie Franzos in scharf- <298:> sinniger Weise nachzuweisen sich bemüht, von Heine selbst herrühren. Dazu beherrschte Heine nicht genügend die französische Sprache, und wir wissen, wie große Schwierigkeiten ihm die Übersetzung seiner eigenen Schriften bereitete. Karpeles spricht die Vermutung aus, daß August Lewald der Übersetzer war, oder daß Heine einen seiner eigenen Übersetzer, Gérard de Nerval, zu dieser Übertragung angeregt habe.
Das Verhältnis Heines zu Kleist ist bisher in der Kleistforschung völlig unberücksichtigt geblieben. Und doch gibt es kaum einen Dichter oder Kritiker, der von früher Jugend bis an sein Ende Kleist so viel Verehrung und ein so tiefes Verständnis entgegenbrachte. So oft er auf diesen „bis zum Todtschießen verkannten Dichter“ zu sprechen kommt, geschieht es in Ausdrücken unbedingter Verehrung ohne die geringste satyrische Anspielung, wie es sonst bei Heine kaum vorkommt. Über das Interesse, mit welchem er die Aufführung des Prinzen von Homburg verfolgte, vgl. S. 315. Eine große Bewunderung empfindet Heine auch für die Erzählungen. Am 14. Dezember 1825 schreibt er aus Hamburg an Moser: „Vor kurzem habe ich auch den Kohlhaas von Heinrich von Kleist gelesen; bin voller Bewunderung für den Verfasser, kann nicht genug bedauern, daß er sich todt geschossen, kann aber sehr gut begreifen, warum er es gethan.“ Seinen Freund Merckel ermahnt er in einem Briefe aus Norderney vom 25. Juli 1826: „daß er ja Heinrich von Kleists Erzählungen lesen möge“ und schreibt ihm drei Wochen später: „Daß Du Kleist jetzt zu lesen beginnst, freut mich. Er hat in höherem Grade, was Dir bei mir gefällt. Er ist ganz Romantiker, will nur das Romantische geben und giebt dieses durch lauter plastische Gestalten, so daß er wieder äußerlich ganz Plastiker ist.“ In der Vorrede zur „Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“ beklagt Heine, daß er in seinem Buche nur die Geschichte der sogenannten romantischen Schule geben konnte und die deutschen Dichter ersten Ranges, wie z. B. Kleist, den er einen Riesen nennt, mit Stillschweigen übergehen mußte; er zählt ihn zu den „aus- <299:> gezeichnetsten Poeten Deutschlands während der Göthe-Periode“, zu denen, die seither noch nicht begriffen worden seien. Er erkennt auch in seinem Freunde Friedrich Hebbel an derselben Stelle einen Geistesverwandten Kleists, dessen Tragödien er sehr hoch bewertet, wenn er auch überzeugt ist, daß deren Wert mehr in der Poesie „als in der Handlung und Passion“ bestehe. – Bis in seine letzten Jahre hat sich Heine mit der Absicht getragen, eine Charakteristik Kleists zu schreiben, das beweist seine Lektüre und verschiedene Notizen in seinen Briefen, besonders an seinen Verleger; auch in den erst nach seinem Tode erschienenen „Gedanken und Einfällen“ äußert er sich über Kleist.
Der Versuch, das Käthchen auf der französischen Bühne einzubürgern, scheiterte. Merkwürdig und bisher noch nicht erwähnt ist die Tatsache, daß das Käthchen in Kopenhagen schon im Jahre 1818 auf die Bretter kam, also früher als auf den meisten deutschen Bühnen und früher auch als in Berlin. Ich entnehme diese Tatsache einem Bericht aus Kopenhagen unter „Korrespondenz-Nachrichten“ November 1818 im Morgenblatt (Nr. 89) vom 14. April 1819. Die Stelle lautet: „Bey der Veranlassung der Geburtstags-Feyer der Königin und der Kronprinzessin (28. Okt.) ward auf dem Königlichen Theater gegeben: Das Mädchen von Heilbronn, Drama, bearbeitet nach Kleist von Rosenkilde. Schon der Titel trägt Spuren der „Bearbeitung“, denn das „Käthchen“ ist in „Mädchen“ umgearbeitet worden. Die Bearbeitung im Ganzen machte aber kein Glück, und jetzt hat man es, nach einigen ziemlich stürmischen Auftritten im Parterre, die hauptsächlich dadurch verursacht seyn sollen, daß mehrere, welche das Stück im Original kannten, sich dessen annahmen, und es gegen die pfeifenden Zuschauer vertheidigten, wahrscheinlich für immer hingelegt.“
Im Wiedener Theater zu Wien erlebte das Stück bekanntlich die Uraufführung am 17. März 1810. Seitdem hat es sich in Wien fast ständig auf dem Repertoire verschiedener Bühnen <300:> behauptet. Schreyvogel in seinen Tagebüchern (1. c.) berichtet von einer Aufführung im Karltheater: „10. Maerz 1817. Nachts. Ich war im Käthchen von Heilbronn, das Carl wieder mit viel Beifall auf die Bühne brachte.“ Dazu in einer Anmerkung: „Kleists Käthchen von Heilbronn wurde in der Bearbeitung von Carl mit einem Vorspiel zum ersten Male im Theater an der Wien am 3. Maerz 1817 aufgeführt. Im Burgtheater erschien es in einer Bearbeitung Schreyvogels als „Historisches Ritterschauspiel“ am 22. November 1821. Im Theater an der Wien gab Carl den Strahl, seine Frau das Käthchen.“
Im Burgtheater ist das Stück in der Bearbeitung von Schreyvogel bis zum 13. Dezember 1835 34 mal aufgeführt worden (Käthchen: Frau Anschütz, Walter: Herr Anschütz). Als romantisches Ritterschauspiel in 5 Akten, eingerichtet von Holbein, wurde es in der Zeit vom 9. Oktober 1843 bis 12. Sept. 1847 14 mal gegeben (Käthchen: Frau Anschütz-Koberwein, Walter: Herr Loewe). Wieder als historisches Ritterschauspiel in 5 Akten, eingerichtet von Laube, vom 11. Dezember 1851 bis 14. November 1875 60 mal (Käthchen: Schönhoff; Walter: Jos. Wagner). In Dingelstedts Einrichtung vom 10. Oktober 1876 bis zum 25. November 1887 21 mal, und im neuen Hause vom 25. November 1890 bis 23. Februar 1902 21 mal (Käthchen: Hohenfels; Walter: Krastel).
Die Zahl der Bearbeitungen des Stückes ist sehr groß. Außer den im Text bereits angeführten erwähne ich im folgenden: Die Bearbeitung von Ed. Devrient (als großes histor. Ritterschauspiel im Druck erschienen in Dresden ohne Jahreszahl); F. Wehl, die offizielle Meininger Inszenierung; Prof. Siegen (drüber eine bemerkenswerte Kritik „Das Käthchen und die Wasserfrau“ von Walter Bormann in Deutsche Bühnen-Rundschau I 15. 1891); Demetr. Schautz, Prof. Seidl (Bühnen-Einrichtung des Dessauer Hoftheaters vgl. Dramat. Blätter I 1/2 1905).
Die gewaltsamste und flachste Bearbeitung des Stückes von Holbein hat sofort energischen Widerspruch hervorgerufen. <301:> Eine ausführliche kritische Besprechung brachte G. Seufert im Gesellschafter (1835 Blatt 43, 44, 45, 46, 47). Seine Kritik leitet er mit folgenden zutreffenden Worten ein: Wenn ich im folgenden einige der Vergehungen gegen den Geist dieses eigentümlichen Werkes spezifiziere, so habe ich dabei vorzüglich den praktischen Zweck einer Reinigung; und da mit Gewißheit vorauszusehen ist, daß die deutschen Theater, wenn nicht ein Wunder geschieht, in den nächsten dreißig Jahren nicht von der alten süßen Gewohnheit der Holbeinschen Bearbeitung lassen werden, so beschränke ich mich auf solche Fehler, welche, die schönsten Züge des Originals verwischend, doch auf die leichteste Art, ohne neue Umarbeitung durch bloße einfache Wiedereinschaltung des ursprünglichen Textes, resp. Streichung des neuen, geheilt werden können.

\1\ Ersch u. Gruber allg. Encyklopaedie etc. II. 10 S. 104.
\2\ Heine und Kleist, Berliner Börsen-Courier Nr. 301 vom 30. Juni 1901.


Emendation
Strahl] Stahl D

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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