Sigismund
Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter. Nach
neuen Quellenforschungen (Berlin: Reimer 1909), 288-294
Ergänzungen und Berichtigungen zu den Kommentaren von Kleists Werken. Das
Käthchen von Heilbronn
Über die Dresdener Aufführung berichtet Böttiger in einer mit
vollem Namen gezeichneten sehr eingehenden Besprechung, die das Werk selbst und die
Leistungen der Schauspieler würdigt, in der Abend-Zeitung von Mittwoch, den
15. Dezember 1819, S. 300 u. 301. Die Auffassung über das Stück erscheint
mir, wie oben hervorgehoben, um so bemerkenswerter, als der Autor manche richtige offenbar
auf der persönlichen Bekanntschaft mit Kleist fußende Angabe macht.
Den 4. und 5. December. Zum ersten und zweiten Male: Das Käthchen von Heilbronn,
romantisches Ritterschauspiel in 5 Akten, mit einem Vorspiel: Das Vehmgericht,
nach Heinrich v. Kleist frei bearbeitet von Holbein.
Hier ist der Sitz von dem
eben so zarten als unzarten Käthchen von Heilbronn, ruft Klingemann in Kunst und
Natur, als er bei den Ruinen der Ritterfeste, der Stralenburg, vorbeikommt. Wir können in
Dresden sagen: hier bei uns ist der Geburtsort des bei allen seinen Verirrungen und
Unfügsamkeiten doch wahrhaft genialen dramatischen Gedichts, welches zuerst im März 1810
am Theater an der Wien in der Kaiserstadt in seiner ursprünglichen wilden Regellosigkeit
aufgeführt wurde, dann aber noch in demselben Jahre in Berlin unter dem doppelten Titel
als Käthchen und als Feuerprobe (Berlin, Realschulhandlung, 196 S. in
gr. 8) im Druck erschienen ist. Heinrich v. Kleist, durch
seine Schicksale und gewaltsamen Tod in sich selbst eine Tragödie darstellend, vollendete
das Käthchen von Heilbronn während seines Aufenthaltes in Dresden im Jahre 1808, las
hier seine Dichtung im vertrauten Kreise mehrmals vor und ließ in einem von ihm und
A. Müller in demselben Jahre hier herausgegebenen, seinem innern Vollgehalte nach
viel zu wenig bekannt gewordenen Journal für die Kunst, Phöbus,
(im <289:> 4.-9. Stücke des ersten, aber nie zum zweiten
fortgeschrittenen Jahrgangs) die ersten 3 Akte ganz so, wie sie später im Ganzen
erschienen, als Probe abdrucken. Seine vertrauten Freunde sprachen fast alle dem
regellosen, nach Goethes Götz gebildeten Erzeugnis die Bühnenfähigkeit ab.
Mehrere Versuche, die damit auf namhaften Theatern gemacht wurden, verunglückten. Da
legte Hr. Holbein (seit Kurzem Regisseur des ständigen Theaters in Prag,
damals in Hannover) endlich Hand an, machte aus dem ersten Akte ein einleitendes Vorspiel
und rückte und schob, hier wegschneidend, dort eine eigene Fabrik einfügend, in den
letzten Akten so viel in und auseinander, daß es nun Bühnengerecht und auf mehreren
Theatern mit glänzendem Erfolge aufgeführt wurde. Viel Herrliches ging allerdings
verloren, besonders im Zweikampf des Waffenschmidts Theobald mit dem Grafen von Strahl vor
dem Kaiser und in der romantischen Verpflechtung mit der bösen Kunigunde. Allein ohne
Verkürzung müßte das Stück zwei Abende spielen. Und dieser Bedingung ist auch
Göthes Götz stets erlegen. Nach Holbeins Bearbeitung findet der Kaiser und
Waffenschmidt sich in der Herberge an der Landstraße und dadurch wird die Entdeckung,
daß Käthchen wirklich die natürliche Tochter des Kaisers sei, ungezwungen
herbeigeführt. So sehr wir dies loben, so wenig können wir den pöbelhaften Späßen des
Wirths Pech, die ganz auf Rechnung des neuen Bearbeiters kommen, unsern Beifall geben,
weil sie nach der neuesten Posse schmecken. Auch zürnen Kleists Manen mit Recht
über die Verwässerung der teilweise sehr schönen Jamben in prosaischem Aufguß.
Dem Dichter hat sich bei der
Hervorbringung dieses oft mit flachem Kopfschütteln abgefertigten Stückes alle Tiefe
der Gemütswelt aufgeschlossen. Aber er vermochte den Stoff nicht zu bewältigen. Er
unterlag in dieser Dichtung wie im Leben der Sinnenwelt. Auch hier verwickelte er sich im
letzten Akt ohne Rettung im Szenengewirr, so wie auch sein früheres, noch in Zürich
gedichtetes Trauerspiel: Die Familie Schroffenstein, bloß durch den letzten Akt
unaufführbar wird (warum macht sich kein Berufener an die Änderung des Schlusses in
diesem Trauerspiele von seltener Kraft und Schönheit im Einzelnen?) Bei seinen
militärischen Streifzügen durch Schwaben fand Kleist die ganze Legende vom Käthchen als
einer Volkssage. Er bewahrte selbst das gedruckte Flugblatt noch auf, das er auf einem
Jahrmarkt gekauft hatte. In der Befangenheit und im frommen Wunderglauben des
13. Jahrhunderts wurzelt dieses ächtromantische Blümchen Wunderhold. Käthchen,
recht aufgefaßt und gespielt, mußte durchweg in ihrer Einfalt und Demuth einer Figur
von Albrecht Dürers herzigsten Frauenbildern gleichen. Nichts kann im gemeinen
Leben unzarter gedacht werden, als ein mannstolles Mädchen, die mit Zurücksetzung aller
Zucht, ihrem sie herrisch zurückstoßenden Geliebten, ein zweiter Schatten, auf Tritt und
Schritt nachfolgt und dem Vater entlaufen, im Stall <290:> übernachtet und unter
dem Holunderbusche an der Burg des Ritters ihre Ruhestätte findet. Aber die Legende
schürzt hier durch Wunder und Engelerscheinungen den Knoten. Die Magie der
Wahlverwandtschaft und des Magnetismus, sie waltet schon in dieser alten Volkssage. Da
hieran selbst verständige Beurteiler ein Ärgernis nahmen, so möge zur Rechtfertigung
eines Stückes, dessen innerer Zauber in ganz anderen Dingen als im Glanze der Diktion und
Rhetorik liegt, noch Folgendes hier stehen. Vielleicht findet es dadurch auch noch auf
dieser und jener Bühne Gnade, wo es bis jetzt als abgeschmackt zurückgewiesen wurde.
Alles beruht darauf, wie
Käthchen verstanden und gespielt wird. Sie ist der Stern in dieser Legende. Sie allein
umschwebt der Seraph. Die demütigste Hingebung und willigste Aufopferung, Verleugnen
aller äußeren Zucht mit der innigsten Jungfräulichkeit, muß sie mit eigenem Zauber
stets zu verschmelzen wissen, um den Zuschauern alles, was sie tut und erfährt, als ein
fortdauerndes Wunder erscheinen zu lassen. Mit kindlicher Naivität, worauf es so
manches andere Käthchen anlegte und wohl auch Beifall erntete, ist es gar nicht getan. In
der Meinung des Mittelalters ist das Oberhaupt des heiligen römischen Reichs, der
Deutsche Kaiser, mit seiner eigenen Glorie umstrahlt. Er teilt ja mit dem Papst die
Herrschaft über die Christenheit. Seine im Verborgenen lebende Tochter ists also
wert, daß selbst ein Engel ihr einen ebenbürtigen Bräutigam zuführe. Daher die
Doppelerscheinung am Sylvesterabend, die nur dadurch kindisch wird, daß sie mit dem
Bleigießen der albernen Marianne zusammenhängt.
Von dem Augenblicke an, wo
dem Käthchen durch Strahls wirklichen Eintritt in des Pflegevaters Haus das Gesicht
in Erfüllung geht, ist sie an diesen, ihr von Gott bestimmten Bräutigam mit dem
unauflöslichsten Zauberbande gekettet. Sie muß ihn, wie ein sichtbarer Schutzgeist
umschweben, das heißt im bürgerlichen Abstande gegen die Ahnenreihe des Grafen, seine dienstbare
Magd werden. Hier aber tritt zugleich ein zweiter Begriff des alten deutschen Sinnes-
und Madonnenglaubens ein. Die weibliche Tugend ist Liebe. Diese aber muß durch die
härtesten Prüfungen und Demütigungen gehen, ehe sie gekrönet wird. So steht Käthchens
inneres Treiben und Wesen nun ganz im Klaren. Sie erblickt in ihrem Geliebten immer den
hohen, verehrten Herrn, dem sie ihre unaussprechliche Liebe nur als dienende Magd beweisen
kann. Nichts zuckt noch regt sich in ihrer Seele, wenn sie die härtesten Mißhandlungen
erfährt. Fortstoßen mit dem Fuße, drohen mit der Peitsche, Vergleichung mit dem Hunde,
nichts macht sie irre. In ihrem Innersten flüstert eine Stimme: Es wird noch alles gut
werden. Daher anfangs die Erstarrung, dann der Ausbruch des namenlosen Schmerzes, als sie
mit dem Vater zum Kloster geht. Käthchens demütige Dienstbarkeit und wie sie bloß an
den Blicken ihres hohen Herren hängt, wird uns sogleich im Vehmgericht offenbar. Es kann
keine genügendere Exposition eines Stückes geben, als dieser <291:> erste Akt, der
ganz willkürlich zum Vorspiel gemacht wurde. Aber ihr Innerstes muß uns nun auch, wie
ein offenes Buch aufgeschlagen werden. Das tut die Traumrednerin. Man hat einige
Ausdrücke von verliebten Käfern usw. sehr unschicklich gefunden, ohne sich zu erinnern,
daß sich doch wirklich so etwas in der Brust des keuschesten Mädchens, die so
liebt, regen kann. Darum ist aber auch dies Aufreizen und Hervorlocken durch das, was wir
jetzt magnetischen Schlaf nennen, ein gar sündhaftes Beginnen. Der Dichter läßt den
Strahl, bevor er die Träumende ausfragt, Gott um Verzeihung bitten. Das sollten alle
Magnetiseurs kniefällig tun. Wohl ihnen, wenn sie, wie Strahl, ausrufen können:
Mein Herz ist rein von Falschheit und von Lüsten! Die ganze Traumszene ist
übrigens so einzig, und neu, daß, recht gespielt, sie allein schon dem Stücke stets
Gelingen zusichert. Aber daß hier alles in der Legende, in einer Welt voll Wunder
vorgehe, muß dem Zuschauer stets gegenwärtig bleiben. Daher kann die Erscheinung des
Engels nach der Feuerprobe, bei der Rettung aus der in Flammen zusammenstürzenden
Burg im eigenen Lichtglanz nicht deutlich genug veranschaulicht werden.
Weiß nun die Schauspielerin,
die Käthchen darstellt, sich ganz in diese Lage zu versetzen bloße Phantasie
tuts nicht, sie muß die reinste Scham in dies Phantasiegebilde verweben
so ist alles nur Einrahmung des Hauptbildes; selbst der Held des Stückes ist nur
Werkzeug, er mag sich sträuben wie er will; die verhärtete Giftmischerin Kunigunde ist
nur zur Prüfung und Verherrlichung der erst Erniedrigten, dann Erhöhten da; Theobald
muß auf Zauberei klagen, sich aber bald dem Willen des Mädchens, in Wehmut zerschmolzen,
fügen; der Kaiser selbst muß erscheinen und Brautwerber, Brautvater werden; der Seraph
mit der Palme überschwebt die bis zum letzten Augenblick demütig gebliebene.
Wir sprechen nur das
einstimmige Gefühl aller Zuschauer aus, wenn wir sagen, daß Mad. Schirmer durch das
tiefe Eindringen in diese Rolle und ihre selbsterschaffene Gestaltung derselben sich als
eine hohe Meisterin in Darstellungen dieser Art aufs neue erprobt, ja uns erst
deutlich gezeigt hat, was der Dichter mit diesem Käthchen wollte. Scheint doch die Rolle
von Wallensteins hoher Tochter dieser ganz entgegengesetzt. Aber in beiden ist die
jungfräulichste Aufopferung, der sicherste Takt in der reinsten Brust der Grundton. Nur
sind es die zwei Endpunkte derselben Linie. Beide erfaßt unsere Künstlerin mit gleich
fester Hand. Alles, bis auf die kleinste Bewegung, war auch heute in ihrem Spiele wahrhaft
durchdacht und mit sich selbst im reinen Einklang. Vom ersten fest auf Strahl gerichteten
Aufschlagen des Auges am gesenkten Haupt sie lebt, wie die Sonnenblume in der
Metamorphose, nur in der Hinneigung zu seinem Blicke , von dem ersten
demuthvollen Anklange des hoher Herr bis zur verschämten
Entschuldigung ihres Weinens, da sie bräutlich geschmückt, als Kaisertochter dasteht:
es ist ins Aug mir was gekommen! (eine Naivität, die, wenn sie
nicht aus dem Ganzen, wie ein Tau- <292:> tropfen aus dem Regenbogen,
hervorgeht, sicher lächerlich werden muß) und bis zum Hinneigen zum versöhnten
Pflegevater in der letzten, alles vollendenden Glanzgruppe, kann jede Geberde und Miene
als ein Pinselstrich zum ganzen Bilde angesehen werden. Der Hauptcharakter ist stille,
fast wehmütige Freundlichkeit mit innigster Resignation und Andacht einer, durch ein
Wunder geweihten Jungfrau. Durchweg höchst einfache Geberdung. Gesenkte Arme, das
Haupt auf der Brust eingesunken. Da, wo sie dem hohen Herrn gegenüber steht, frommes
Aufblicken und Anpressen der Hände auf die Brust, gehorsames Niederknieen, wie vor einer
Heiligen. Der Ton der Stimme, fast ohne alle muntere Hebung und Senkung, hatte oft etwas
Fremdartiges, wie es aus dieser Lage, die man eine fortdauernde Vision nennen möchte,
hervorgeht, und doch war er ansprechend, und entbehrte nicht des süßen Wohllautes. Desto
ergreifender ihre Geschäftigkeit und fliegende Hast, wie sie, vom rücksichtslosen
Diensteifer beflügelt, den Brief bringt, die Kundschaft ausspricht, die Waffen ergreift
und bringt, in die Flammen sich stürzt. Wir sagen lieber nichts von der kunstreichen
Natürlichkeit, womit sie unter dem Hollunderbusche traumredet, das Köpfchen auf die
theure Scherpe geschmiegt, die gefalteten Hände auf die linke Brust gelegt (denn sie ist
ja betend entschlummert) und wie sie das bitte, bitte! ausspricht, als Strahl
das Maal sehen will, und dann die Hände sinken läßt. Dies und wie sie nun erwachend
aufspringt und in unaussprechlicher Angst den Richterspruch des hohen Herren anfleht, und
endlich, nachdem sie mit ausgebreiteten Armen im Jubelgeschrei mein!
ausgerufen, plötzlich von vernichtender Demuth zurückgedrängt einwurzelt, muß gesehen werden.
Wenn bei der zweiten Vorstellung der Ton des Schlafredens vielleicht etwas zu hell und
fließend war, so wurde dagegen der innere Kampf, als am Schlusse des Vehmgerichts Strahl
ihr Rückkehr zum Vater gebietet, durch ein, fast eine Minute dauerndes, stummes Spiel mit
dem Zucken der Hände bis zum Fallenlassen des Strohhutes vor dem Niedersinken auf die
Kniee, bei der zweiten Vorstellung noch erschütternder gegeben. Solche Momente lassen
sich nicht in Stereotypen setzen. Es sind Bewegungen der Sinnpflanze, die von der leisern
oder stärkern Berührung von außen abhängig, nur zu oft von den Mitspielenden erhöht
oder niedergedrückt werden.
Käthchens Costüm im
bürgerlichen Sonntagsstaat war wie aus einem Bilde von Holbein gestohlen. Der lauteste
Beifall der Zuschauer bewies, wie zufrieden alles war. Doch der schönste Lohn war die
sympathetische Thräne, die in manchem sonst trockenen Auge erglänzte; war die allgemeine
Rührung, die sich am Ende durch ein stürmisches Hervorrufen der mit Recht gefeierten
Künstlerin Luft machte. Käthchen ist ohne Widerrede eine der eigenthümlichsten und
gelungensten Leistungen unserer Künstlerin. <293:>
Aber sie wurde auch sehr brav
von Hrn. Helwig als Grafen Strahl und von Herrn Werdy als Waffenschmidt
Theobald unterstützt. Trotz aller hier verdreifachten Regisseursorgen bewährte sich
Hr. Hellwig für die Rolle des Strahls mit aller Unbefangenheit und Ruhe des
gemüthlichen Zuspiels und lösete mit großer Zufriedenheit der Zuschauer die Aufgabe,
schroff zu scheinen und weich zu sein. Vorzüglich gelang ihm der Ausdruck des Unwillens,
als Käthchen ihm den Brief aufdrängt. Hinter der Donnerwolke muß die Liebesgluth
hervorblitzen. Ja er kann die Peitsche krampfhaft ergreifen und braucht sie nicht nach
Holbeins Vorgang mit einem Jagdgeräth zu vertauschen. Wenn nur das krampfhafte
Zucken beim Anpacken der Peitsche eben so gut gegen sich selbst wie das im
Zorn der Fall ist als gegen die Zudringliche gerichtet zu sein scheint. Große
Decenz und Feinheit bei der Traumscene. Viele Innigkeit im kurzen Selbstgespräch, das die
Scene einleitet, erschütternd der Ausruf, nachdem er alles erfahren hat: nun steh
mir bei, mein Gott! denn ich bin doppelt! Nur im alles enthüllenden Monolog zu
Anfang des ersten Aktes möchten die Worte gleich Anfangs: Nun will ich wie ein
Schäfer klagen! nach einer kurzen Umschau noch viel inniger zu sprechen, die Vision
aber: Ihr Geister meiner Ahnen u. s w., wieder nach einer Pause, in
einem ganz anderen Tone, als das vorhergehende vorzutragen sein. Sein Costüm war
besonders im letzten Akte angemessen und prächtig. Hr. Werdy nahm
die Rolle des Waffenschmidts aus Heilbronn, mit einer bürgerlichen Vornehmheit, die auch
mit seiner wohlgewählten Tracht ganz im Einklange stand. Mit großer Wahrheit steigerte
er seinen Schmerz in der Erzählung vor den Vehmrichtern und hörte die Rechtfertigung des
Gegners nur mit wachsendem Entsetzen, nicht mit Grimassen des Zorns, an, wie dies wohl
andere spielten. Unbeschreibliches Hinschmelzen in Güte und Wehmut in der Scene am
Heiligenbild vor dem Kloster. Dadurch erst wird auch Käthchens Spiel vollkommen motivirt.
Einen solchen Vater muß sie so liebkosen. Den Rheingrafen von Stein gab Hr. Julius
mit aller hier nöthigen Derbheit. Sein Spiel gegen Kunigunden im letzten Akt war höchst
ergötzlich. Doch fragt sichs, ob der Spott bis zu diesem Hohn auf der Bühne gehen
kann. Der poetischen Gerechtigkeit eingedenk, sagen wir unbedenklich ja! Aber um so
peinlicher und schwieriger ist die Rolle der bösen Kunigunde. Dem. Schubart
hätte laute Anerkennung verdient, daß sie diese undankbare Rolle so kräftig und so ganz
gegen ihr Inneres durchführte. Der Triumph über den geretteten Schenkungsbrief, das
schadenfrohe Lächeln, als sie nach gegebenem Gift ausruft: Käthchen, laß
Dirs schmecken! die Miene, womit sie das verächtliche
Bürgerdirne! aussprach, waren gewissen Megären in den höhern Ständen
wirklich aus dem Spiegel gestohlen.
Das Scenische des Stücks,
die Gefechte, die Procession am Ende, die neuen Costüme, alles erhob diese Vorstellung zu
einer der erfreulichsten, <294:> die wir seit einiger Zeit gesehen haben. Alles
ging rund und pünktlich. Die Dekoration des Schloßbrandes machte solche Wirkung, daß
ihr besonderer Beifall ertönte. Ihre Angabe machte dem Hoftheatermaler, die Darstellung
dem Maschinenmeister Ehre. Aber durchaus können wir nicht mit dem Knalleffekt zufrieden
sein, womit die brennende Brücke zusammen stürzt. Zum Signal lassen sich prasselndere
Maschinerieen brauchen. Und das Pulver im dreizehnten Jahrhundert gehört ganz zu den
Kartoffeln, wovon Hr. Holbein den Wirth Pech einmal sprechen läßt. Wenn aber nur durch
diesen Anachronismus noch etwas Tüchtiges erzielt würde. So aber verhüllt Pulverdampf
das sich aus den Trümmern aufrichtende Käthchen und den über ihr schwebenden Engel.
Dessen sind in beiden Vorstellungen nicht hundert Zuschauer recht gewahr geworden. Und
doch kommt alles in der Fabel des Stücks darauf an, daß hier ein unmittelbares Wunder
sichtbar werden. Als in Hannover das Stück zum ersten Male gegeben wurde, blieb da
auch Alles dunkel. Die Kritik sprach und erlebte die Freude, (Hannöversche Nachrichten
vom Jahr 1817. No. 11 u. No. 40) daß bei einer folgenden Vorstellung die
Erscheinung des Cherubs vom höchsten Lichtglanz (das bengalische Feuer gehört hier eben
so gut, als am Schluß des Ganzen) umstrahlt und eine Minute still aushaltend eine
wundervolle Wirkung hervorbrachte. Möge unserm Publikum, das eine so gelungene
Darstellung noch oft zu sehen Verlangen trägt, dieselbe Freude recht bald zu Theil
werden!
Böttiger.
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