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Sigismund Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter. Nach neuen Quellenforschungen (Berlin: Reimer 1909), 175-180

Adam Müllers Beziehungen zu Kleist. Die Berliner Abendblätter


Aber doch zeigt die geistige Entwicklung Müllers auch in der Folge manche Züge, die an die abgelaufene Psychose erinnern; dazu rechne ich seinen Hang zum Mystizismus, sein propagandistisches Streben für seine Kirche, seine Bemühungen für einen „echt katholischen Bund“, Züge, die um so eigenartiger wirken, als er in seiner ganzen Lebensweise den Typus eines eleganten Weltmannes darstellte, und als er, ganz im Gegensatz zu Kleist, an das äußere Leben große Forderungen stellte, vieler Lebensgenüsse und eitlen Glanzes bedürftig. Eine Bestätigung der neuropsychopathischen Veranlagung Müllers sehe ich endlich darin, daß unter anderen auch Pfuel ihn schildert als „eine weiche, sanfte, liebebedürftige Natur von melancholischem Grundzuge“.
Im Februar 1805 kam Müller aus Preußisch-Polen nach Wien. Gentz schreibt hierüber und über Müllers Übertritt zum Katholizismus in sein Tagebuch: „Inzwischen hatte ich mit Kurnatowski das Project entworfen, Adam Müller, der damals in Preußisch-Polen im Hause seiner nachmaligen Frau lebte, nach Wien zu citiren; und er kam wirklich am 9. II. (1805) hier an. In der ersten Zeit hatten wir einige Mühe, mit einander über wichtige Punkte einig zu werden. Später ward jedoch seine Gegenwart eine große Quelle an Erfrischung und Kräftigung meines Geistes. – – – Zu Ende des April führte Müller seinen längst genährten Entschluß aus, sich zur katholischen Religion zu bekennen. Ich selbst konnte einen gleichen Entschluß, so herzlich ich ihn auch billigte, aus mehreren Gründen nicht fassen. Meine Freundschaft mit Mülller wurde aber durch dieses Ereignis im höchsten Grade gestärkt. Ich machte mit ihm am 26., 27. und 28. April eine unvergeßliche kleine Reise nach Gutenstein. Am 30. verließ er Wien.“ <176:>
Schon kurze Zeit darauf mußte sich Müller in Dresden niedergelassen haben, also zwei Jahre früher als Kleist. Denn Gentz schreibt: „Am 4. Januar (1806) kam ich nach Dresden. Außer Baron Buol, dem österr. Geschäftsträger, fand ich dort auch Adam Müller, der mit der Familie Haza\1\ seit mehreren Monaten in Dresden lebte.“ In Dresden schloß Kleist mit Müller jenen seltsamen Bund, der trotz aller Verschiedenheit der Charaktere und der Lebensauffassung bis an das Ende Kleists andauern sollte; sein festes unverrückbares Fundament bildete sicherlich auf der einen Seite Kleists Ergebenheit und Dankbarkeit für einen Mann, bei dem er zum ersten Male volles Verständnis fand, und der ihm bei der Herausgabe des Amphitryo unschätzbare Dienste geleistet hatte, auf der anderen Seite die elastische Schmiegsamkeit und Hingebung Müllers, sobald er Kleists Bedeutung und seinen eigenen Vorteil erkannt hatte.
Die Stellung der beiden zueinander während der Phöbusepoche ist durch die lichtvolle Darstellung Wilbrandts, durch die Ergänzungen Steigs und neuerdings Kaykas so deutlich geworden, daß wir darüber hinweggehen können. Die beste Einsicht in das Verhältnis und in die volle und begeisterte Würdigung <177:> des Kleistschen Genius durch Müller bietet übrigens der Briefwechsel zwischen Müller und Gentz. Der Phöbus war eine kunstästhetische Zeitschrift, die führende Rolle hatte Kleist, wie seinen anderen Freunden gegenüber war er der Gebende und Lehrende, und der vielgewandte, elastische Müller wußte sich ihm anzupassen und unterzuordnen. Kleists Freunde nahmen Anstoß an diesem Verhältnis (s. o.), ihnen machte es den Eindruck, als ob Kleists Eitelkeit übermächtig geschmeichelt würde, sie mißtrauten dem Einflusse Müllers auf seine dichterische Entwicklung. Das wird uns verständlich, wenn wir in Betracht ziehen, daß Müller unter seinen Zeitgenossen sehr viele persönliche Gegner hatte, und daß er sich einer weitverbreiteten Unbeliebtheit erfreute.
Wir können das Urteil der Zeitgenossen nicht übersehen, wenn wir uns eine Ansicht bilden wollen über manche Handlungsweise Müllers. Die ehrenden Worte Pfuels über ihn haben wir oben angeführt (S. 43); um dieselbe Zeit, d. h. kurz nachdem Müller seinen Wohnsitz in Wien aufgeschlagen hatte, schreibt Gentz über ihn: „Mein Umgang mit Adam Müller, der den Winter in Wien zubrachte, war eine Quelle von Kraft und Belehrung für mich. Die religiösen Fragen wurden zwischen uns besonders oft und ernstlich erörtert. Und da ich in dieser Zeit den Entschluß, mich öffentlich zur katholischen Kirche zu bekennen, so groß auch meine geheime Neigung dazu sein mochte, nicht hatte fassen können, so war es wohl so gut wie erwiesen für mich, daß ich ihn nicht fassen werde.“ Den schmeichelhaften Worten dieser beiden stehen zahlreiche sehr absprechende Urteile gegenüber. Nicht bloß der oben (S. 39) angeführte Martens, sondern viele andere Zeitgenossen, die mit Adam Müller in Berührung kamen, haben sich sehr wenig anerkennend über ihn geäußert. Das schroffste und absprechendste Urteil über ihn fällt Ludwig Robert. In einem Nekrolog im Freimütigen über Robert äußert sich W. Haering: Robert gehört zu den außerordentlichen deutschen Dichtern, welche nicht jede Zeile, die sie schreiben, für den Druck bestimmen. Er dichtete für <178:> sich; viele Satiren, Xenien, ganze Parodieen lagen in seinem Pulte, die er nur vertrautesten Freunden dann und wann mitteilte. Es gehörte zu seiner inneren Genugtuung, sich gelegentlich so Luft zu machen; dann aber wurde es verschlossen, um niemand zu beleidigen.“
In der Tat findet sich im Nachlasse Roberts (Kgl. Bibliothek) ein umfangreiches Konvolut kleiner Gedichte in Form von Epigrammen, Akrostichons usw. auf bestimmte Personen; ein Teil davon ist in den Ergänzungen zu Varnhagens Denkwürdigkeiten verwertet, der Rest ist für eine Neuauflage von Roberts Gedichten (s. Vorwort) angekündigt, aber niemals veröffentlicht worden. Hier finden sich die folgenden 16 Epigramme auf Adam Müller, die Robert in der von Haering angedeuteten Absicht geschrieben haben mag, und die ich hier, wohl gegen die Absicht des Dichters, der Vergessenheit entreiße, weil sie doch untrüglich die Auffassung der Zeitgenossen über Adam Müller wiedergeben:

Steine aus einer Ehrenpforte für zwei triumphierende
Müller: Adam der Vorhersager und Adam der Nachsager.

Der Staat eine Famille.
Was der Famille das Weib, das ist der Erbadel der Staatskunst,
Denn ein häuslicher Kreis ist, nur ein größrer, der Staat.
Adam sagt es und richtet sein Haus zum Muster des Staats ein
Liebt und lebt mit des Freunds eh’lichem, redlichem Weib.

Der Konsul.
Republikenvernichter! Verläumder der heiligen Freiheit!
Wenn Du Dich Konsul nennst, fürchte den Caesar im Grab!
Konsul bin ich der Krämer und habe das Amt mir verdienet,
Das mir der Zensor gab, der mir die Bücher diktirt.

Darf ich so frey sein?
Rechte nur gäb’ es, kein Recht? nur Freiheiten einzig, nicht Freiheit?
Rechte, die man erzwang? Freiheiten, die man sich nahm?
Nun, so bin ich so frei und nehme das Recht mir und mache,
Frecher Aristokrat! mache zum Zankülott Dich! – <179:>

Der Desertör.
Adam, wo bist Du? Das hätt er gar gern von Preußen gehöret,
Als er dem Vaterland drohend, der Sünder! entrann.
Aber das Pulver nicht werth entkam er glücklich, man wagte
An den entlaufenen Wicht, nicht den gewöhnlichen Schuß.

Er ward nicht Adam getauft.
Du, dem ererbete Schollen, ererbete Wappen und Nahmen
Mehr sind als Kopf und Herz, Wahrheit und Recht und Vernunft,
Änderst den Nahmen und nennest Dich Adam? – Zum ersten der Menschen
Machet die Inconsequenz, letzter der Menschen! Dich nicht.

Der alte und der neue Adam.
Wann er die Pfaffen vertheidigt, Herr Adam, so thut er’s für Ablaß,
Weil er verführt in Berlin, weil er aus Dresden entführt.
Selbst für künftige Sünden begehrt er begehrlich Vergebung:
Adam der Alte läßt Adam den Neuen nicht los.

Der Staatskünstler.
Würden die Staaten der Welt gestaltet nach Adams Staatskunst,
Sicherlich wünschten sie dann praeadamitisch zu seyn.

Caput.
Köpfe, – sie sollen nicht zählen bei Repräsentirung der Stände?
Adam! ist es wohl recht, so egoistisch zu seyn.

Die Welt ein Jammerthal.
Wenn ich auch sonst nicht wüßte, daß hier die irdischen Reiche
Paradiese nicht sind, wüßt ich es, Adam, durch Dich.
Wären Sie Gärten des Friedens, Gefilde der rechtlichen Freiheit,
Triebe der Engel gewiß, sündiger Adam! Dich aus.

Schach.
Adam Müller der Bauer und Adam Müller der Ritter
Bieten vergeblich Schach beide der Menschenvernunft.

Die Mühle.
Eine Mühle zu bauen, vermag er es, laß ich mich rädern
Und es erbauet der Lump Staaten aus Lumpenpapier.
Dennoch vergleicht sich der Staat des Meisters Müllers mit Mühlen:
Wasser treibet und Wind klapperndes hölzernes Werk;
Dies nun dreht zwei Steine: den Feudalismus, das Pabstthum
Und dazwischen gequetscht reiben sich König und Volk. <180:>

Friedrich u. Müller.
Klag ihn nur an den Geist des gewaltigen Königs, Du Müller!
Diesen Process Hans A… nimmt die Behörde nicht an.

Grundbesitzer! keine Köpfe!
Einzig dem Grundbesitz entsprudelt die Quelle der Weisheit!
Seht doch wie weis’ er ist, weiß wo die Weisheit entspringt,
Aber wo weiß er es her der vagabundirende Müller,
Nimmer entsprang sie ihm ja, ihm, der sie nimmer besaß.

Grund und Besitz.
Einzig dem Grundbesitz entsprudelt die Quelle der Weisheit?
Sagt er uns auch des Axioms triftig beweisenden Grund?
Ei was Grund?! Auf den Grund geht des Praktischen Spekulation nicht,
Nein nur auf den Besitz, den er erschreiben sich muß.

Lehngut.
Lehngut knüpft an den Staat, Geld tödtet den Patriotismus,
Müller beweist was er sagt, schimpfet auf Preußen für Geld.

\1\ Der Verkehr Müllers in der Familie v. Haza datiert aus seiner Lebenszeit in Polen. Über Müllers Beziehung zu seiner späteren Frau, einer geb. von Taylor, wissen wir nichts genaues. Einen kleinen Beitrag zu diesem Verhältnis sehe ich im folgenden: In dem Briefe Kleists an Frau v. Haza (30. Oktober 1807) findet sich am Schluß ein Gruß an eine Person, deren Name nachträglich sehr sorgfältig ausgestrichen ist. Wie der Herausgeber der Briefe im Kommentar angibt, ist das W des Namens deutlich zu erkennen und die Lesart Zollings „Bernhard“ falsch, er substituiert dafür „Wippel“, den Namen eines Professors am Kadetten-Korps in Berlin. Ich glaube annehmen zu dürfen, daß der Name „Wiesel“ heißt. In einem Briefe vom 31. März 1826 meldet nämlich Müller der Rahel den Tod Wiesels, der die Stellung eines langjährigen Sekretärs bei ihm eingenommen zu haben scheint, und dessen Charaktereigenschaften er ausführlich und liebevoll schildert. Da der Name auf den Verkehr mit Müller hinweist, dürfte Frau v. Haza es für notwendig gefunden haben, ihn aus dem Briefe sorgfältig zu entfernen.


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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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