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Sigismund Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter. Nach neuen Quellenforschungen (Berlin: Reimer 1909), 162-166

Kleist in Österreich


VII. Kapitel

Kleist in Österreich.

Das Hauptinteresse der Kleistforschung gravitiert nach Österreich hin. Wer sich mit dem Lebensschicksal Kleists beschäftigt, dem muß sich die Überzeugung aufdrängen, daß aus Österreich noch die wichtigsten Aufschlüsse über das Leben Kleists und darüber hinaus noch erhebliche Ergänzungen seines Lebenswerkes zu erwarten sind. Kleists Aufenthalt in Österreich bedeutet eine der wichtigsten und produktivsten Perioden seines Wirkens. Hier hat er sich in den Zentren des nationalen Lebens, im Verkehr mit den einflußreichsten Persönlichkeiten selbsttätig an dem Gang der Ereignisse beteiligt, hier hat er sich mit dem Gedanken einer periodischen Zeitschrift getragen, der sich allerdings nicht verwirklichte, hier hat er patriotische Gedichte geschaffen in einer Reichhaltigkeit, daß sie einen ganzen Band füllen sollten, Gedichte, die leider nur spärlich auf uns gekommen sind, und hier hat er offenbar mit bestimmten Aufträgen die Ereignisse auf den Schlachtfeldern verfolgt und darüber, wie er selbst erzählt, eingehenden Bericht erstattet. Kleists Schaffen aus dieser Periode ist nur sehr lückenhaft auf uns gekommen, und meine Bemühungen, insbesondere Kleists Gedichte, die er an der Kaiser und den Erzherzog gerichtet und ihnen gewidmet hat, aus den betreffenden Archiven zu ergänzen, sind leider erfolglos geblieben (siehe II. 4a). Es ist eine auffallende Erscheinung, daß in Österreich das Interesse für die Persönlichkeit Kleists und ebenso für seine Werke viel früher erwachte, und daß dieses Interesse in den Zeitschriften und der periodischen Presse einen viel <163:> lebhafteren Widerhall gefunden hat als in Norddeutschland, daß aber auf der anderen Seite die Wissenschaft sich nur wenig an der Kleistforschung beteiligte, und daß namentlich die zahlreichen Archive sowohl die öffentlichen als noch mehr die privaten bisher völlig unbenutzt geblieben sind.
Schon von Dresden aus hatte Kleist mit leitenden Persönlichkeiten in Österreich angeknüpft, vor allem mit Gentz und mit Jos. Collin. Mehrere Briefe an Collin beweisen, daß er den großen Einfluß, den dieser bei der Direktion des Hoftheaters hatte, für seine Zwecke benutzte, wie auch Beethoven Collin in der gleichen Absicht häufig anging. Collin seinerseits mag sich an Kleist gewendet haben, als er im Auftrag des geist- und gemütvollen Erzherzogs Maximilian an die Aufgabe heranging, in patriotischen Gedichten, die er als Landwehrlieder zusammenfaßte, die patriotische Begeisterung zu steigern. Das mag die Veranlassung gewesen sein, aus welcher Kleist ihm einzelne seiner Gedichte zusandte, die er mit einer Stimme von Erz vom Harz herab den Deutschen absingen wollte. Auffallend genug ist es, daß wir Äußerungen Collins an oder über Kleist bisher nicht besitzen, und daß selbst seine ausführlich angelegte von seinem Bruder verfaßte Biographie kein Wort über seine nahe Beziehung zu Kleist enthält. In dem Nachlasse Collins hat sich nur eine Äußerung des Dichters über Kleist gefunden in einem nicht datierten Briefe an den Buchhändler H. Unger in Berlin. Seine anerkennende und treffende Bemerkung über Kleist findet sich hier in dem folgenden Zusammenhange:
„ … Ifflands Brief erwarte ich noch immer. Ich hoffe mit Ende Januar, längstens Anfang Februar, das Exemplar zum Druck an Sie abzusenden. Es wird Abänderungen erhalten; doch lang nicht so viel als Regulus. Ich freue mich auf die Auflage von dem Kleist. Er gehört noch zu den Alten, die nicht italienisch und spanisch schreiben zu müssen glaubten, um sich den Griechen zu nähern. Ich werbe ruhig um Pränumeranten. Was ich erhalte, sende ich Ihnen durch einen Wechsel …“ <164:>
Die innigste Freundschaft verband in jenen Tagen patriotischer Erhebung Collin mit Joseph Hormayr. Beide arbeiteten vereint in dem gleichen Sinne. Während Collin seine Landwehrlieder schrieb, die durch Weigels ausdrucksvolle Musik gesteigert und im Theater abgesungen, die ganze Versammlung hochgradig begeisterten, gab Hormayr die ersten 17 Bändchen seines Österreichischen Plutarchs heraus auf Wunsch des Grafen Stadion. Er führte im entscheidenden Momente an seiner Landsleute Augen und Herzen die Gestalten der Fürsten von Habsburg vorüber, überall sein Glaubensbekenntnis einstreuend über die größten und wichtigsten Probleme der Menschheit, der Lebensphilosophie, der Regierungskunst, des Krieges. Der Name Hormayr findet sich in Kleists Briefen aus jener Zeit niemals erwähnt, doch haben wir direkte und indirekte Beweise, daß sie einander nahestanden und Hand in Hand miteinander arbeiteten. Eine Reminiszenz an Kleist findet sich in einem Briefe des späteren Freiherrn Jos. v. Hormayr an Tieck aus München d. 3. Juli 1845: „Ich erlaube mir, Hochwohlgeborener Herr Geheimrat und seit so lange hochverehrter Freund, zwei geringe Andenken zu überreichen, an unsern seit vierzig Jahren, seit der großen antibonapartischen Richtung 1808 in Wien, in so edlem Beisein, wie der Frau v. Staël-Necker, der Nyß, der Frau v. Knorring, der beiden Brüder Schlegel, so vieler jenseits der Alpen, der Apennine und der Pyrenäen des Fremdlingsjoches Ungeduldigen, so vieler edeln, rachedürstigen Preußen wie Rühle, Grollmann, Pfuel, Marwitz, Kleist, Arnim, Valentin und v. A. geschlossenen Freundschaftsbund.“
Abgesehen von diesem kurzen Hinweis auf Kleist besitzen wir andere indirekte Beweise, welche die Freundschaft Hormayrs mit Kleist und dem Kreise um Kleist und seine Teilnahme für seine Person auch nach dem Tode zweifellos erscheinen lassen. Hormayr hat in den Jahren 1810-14 das Archiv für Geographie, Historie, Staats- und Kriegskunst herausgegeben. Im Todesjahre Kleists finden wir im seltenen Verein die intimsten Freunde Kleists mit einem oder mehreren umfangreichen Bei- <165:> trägen vertreten, so Adam Müller, Rühle, und selbst der sonst nicht schreibselige Pfuel lieferte drei große Aufsätze aus verschiedenen Gebieten. Auf die freundschaftlichen Beziehungen Hormayrs zu Kleist ist es ferner zurückzuführen, daß das Organ der einflußreichen Hormayrschen Partei der Altösterreicher, die „österr. Annalen der Literatur und Kunst des In- und Auslandes“, das zunächst in Wien aufgeführte Käthchen, später auch andere Aufführungen Kleistscher Stücke unter allen österreichischen Journalen am wohlwollendsten aufnahm und die günstigsten Kritiken lieferte. Das Käthchen „behauptet unter allen in diesem Jahre erschienenen neuen Darstellungen (die der Hoftheater ungerechnet) den ersten Rang“ – so günstig hat sich keine andere Kritik über das Stück ausgesprochen. Ein letzter Beweis für Hormayrs treue und andauernde Freundschaft und Teilnahme für Kleist und sein Schaffen sehe ich darin, daß der Reihe nach in dem oben angeführten Archiv Hormayrs die Quellenschriften gerade der bedeutendsten Werke Kleists: Guiskard, Homburg, Kohlhaase, abgedruckt sind (meist in zahlreichen Fortsetzungen), so daß auch heut noch für die Quellenforschung das Archiv ein bequemes Nachschlagebuch bildet.
Die Freundschaft Hormayrs mußte für Kleist von großer Bedeutung sein. Nicht bloß, daß Kleists patriotische Tendenzen, die auf die Gründung einer Zeitschrift hinausgingen in derselben Richtung sich bewegten, wie die Hormayrs oder Collins, so stand Hormayr den einflußreichsten Kreisen sehr nahe, so besonders dem Minister des Auswärtigen, dem Grafen Stadion. Es kann ferner keinem Zweifel unterliegen, daß Kleist, nachdem sich seine literarischen Absichten zerschlagen hatten, sich aktiv an dem Gange der Ereignisse beteiligt hat. Keine Biographie gibt bisher genügende Auskunft darüber, was eigentlich Kleist seit Juli 1809 ein halbes Jahr noch in Prag getrieben, und nach welcher Richtung er sich betätigt hat. Man begnügt sich mit dem Hinweis darauf, daß er monatelang in Prag krank gelegen hat. Kleists Krankheit beruht aber auf einem unkontrolierbaren Gerücht, das in Berlin verbreitet war. Ich werde in der Folge zeigen, <166:> daß dieses Gerede jeder Unterlage entbehrt, und ebenso falsch ist wie das damals umlaufende Gerücht von seinem Tode. Es bleibt also immer die Frage offen, was Kleist in Österreich ein halbes Jahr lang noch zurückgehalten hat. Irgendwelche sicheren Anhaltspunkte besitzen wir nicht, aber wir werden als das nächstliegende an die Ereignisse in Tirol denken müssen, und wir werden uns dabei berufen können einmal auf das Interesse, welches Kleist andauernd an den Ereignissen in Tirol genommen hat, und dann auf seine nahe Beziehung zu Hormayr, welcher von Österreich aus tatkräftig sich an den Tiroler Ereignisse beteiligte und dabei in offiziellem Auftrage handelte.

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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