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Sigismund Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter. Nach neuen Quellenforschungen (Berlin: Reimer 1909), 131-135

Friedrich de la Motte Fouqués und Otto Heinrich Loebens Beziehungen zu Kleist


Varnhagen erwähnt auf einem Zettel neben Fouqué gelegentlich Wilhelm Schütz, dessen äußerer Lebensgang in der Tat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Fouqués aufweist. Wir besitzen kein Dokument, welches auf eine persönliche Beziehung des Lacrimus-Schütz zu Kleist hinweist. Indessen spricht sehr vieles für eine solche. Der Ritterschaftsrat W. v. Schütz, welcher, bürgerlich geboren, geadelt wurde, um die Gräfin von Frankenstein heiraten zu können, verkehrte viel in dem Kreise, dem auch Kleist nahestand: Bernhardi, Chamisso, Neumann, Fouqué, Varnhagen; er war der Schwager der Henriette Hendel-Schütz, der vertrauten Freundin Kleists; er suchte nach Kleists Tode pietätvoll möglichst viel aus dem Briefwechsel Kleists mit seiner Schwägerin zu retten. Varnhagen sagt von ihm, er sei ein schöner, blondlockiger junger Mann gewesen, von Anmut, Freiheit und Ruhe. Seine letzte Erscheinung war ganz das Gegenteil der früheren. Verkümmert, mit eingefallener Nase, mutlos, erfüllt mit Vorurteilen und Aberglauben, war er das Zerrbild seiner selbst geworden. „Wie den auch ganz versunkenen Fouqué mußte ich ihn tief bedauern und konnte nichts mehr mit ihm haben.“
Wir bewegen uns auf einem unbekannten Gebiete, auf dem fast alles noch Hypothese und Vermutung ist. Aber so viel glaube ich doch behaupten zu können, daß Kleist den meisten seiner Freunde viel zu früh gestorben ist. <132:>
Fouqué führte in den Jahren, um die es sich hier handelt, fast ein gemeinsames Leben mit dem Grafen Loeben, der den größten Teil des Jahres auf Fouqués Gute weilte. Die gleichen Anschauungen in literarischen, religiösen und anderen Fragen, dieselben freundschaftlichen Beziehungen hielten beide zusammen. Deshalb sei hier im Anschluß an Fouqué die Stellung Loebens zu Kleist besprochen.
Der Graf Otto Heinrich von Loeben hat während einer Reihe von Jahren mit Heinrich von Kleist in einem regen persönlichen und literarischen Verkehr gestanden. Seine Mitarbeit am Phöbus, sein allerdings nur vereinzelter Beitrag in den Abendblättern stellen dies außer Zweifel, und ebenso seine intimen Beziehungen zu den Kreisen und Persönlichkeiten, die Kleist namentlich in seiner letzten Periode nahestanden. Steig hat an verschiedenen Stellen (Berl. Kämpfe und Neue Kunde) ausführlich das Verhältnis der beiden zueinander behandelt. Aus seinen Angaben geht hervor, daß Loeben und Kleist sich in Berlin im Jahre 1810 persönlich nahetraten, und daß die „furchtbare Einladung“, welche am 22. März 1811 in den Abendblättern erschien, zwar mit „O. H. Graf von Loeben“ gezeichnet, nach Inhalt und Stil aber Kleist angehört.
Ich bin in der Lage, die Angaben Steigs über das Verhältnis Loebens zu Kleist zu ergänzen, und zwar nach Äußerungen Loebens selbst über Kleist. Sie beweisen uns, was wir bisher nur vermuten konnten, daß die beiden sich schon früher, und zwar während Kleists Dresdener Aufenthalt persönlich nahetraten, und daß Loeben nach Kleists Tode als einer der ersten öffentlich für den Dichterruhm Kleists eintrat.
Eine Erwähnung Kleists finde ich in einem ziemlich umfangreichen Briefwechsel des Grafen mit Hermine von Chézy, der in Loebens romantischer und mystisch verschwommener Schreibweise eine sehr intime Beziehung zwischen Briefschreiber und -empfängerin vermuten läßt. Hier heißt es in einem Briefe Loebens aus Radmeriz (bei Görlitz) vom 6. Oktober 1814: <133:>
„Meine Vaterstadt, die im Jahre 1806 wirklich etwas von Florenz hatte und damals durch Ad. Müller, die liebliche Abendzeitung, die vielen vereinigten Maler, Heinrich v. Kleist, Schubert, mehrere andere ausgezeichnete Köpfe (z. B. Pfuhl, Rühl, von Bose) sehr schön emporblühte – Böttiger nicht zu vergessen – ist freilich jetzt in keinem erfreulichen Zustande.“
Offenbar ist die Jahresangabe 1806 nicht richtig; Kleist kam erst ein Jahr später nach Dresden. Sonst finden wir in dieser flüchtigen Notiz die Namen aller der Personen angeführt, die in Dresden zum nächsten Verkehr Kleists gehörten (s. o.). Seiner persönlichen Bekanntschaft mit Kleist und Ad. Müller wird es Loeben verdankt haben, wenn seine drei Gedichte im XII. Stück des Phöbus Aufnahme fanden.
Loeben fand bald nach Kleists Tode eine Gelegenheit, öffentlich für seinen Freund Partei zu ergreifen. In ihren „lettres de l’Allemagne“ hatte Frau von Staël, die in Dresden Kleist und seine Freunde durch Gentz persönlich kennen gelernt hatte, Kleist als Dramatiker und Novellisten völlig unerwähnt gelassen. In einer umfangreichen Gegenschrift, die noch in demselben Jahre in Buchform erschien, trat Loeben für den Freund ein. Die Äußerung Loebens über Kleist ist bisher unerwähnt geblieben; sie ist für uns schon deshalb interessant, weil sie eine Charakteristik des Dramatikers Kleist von dem einseitigen und kurzsichtigen Standpunkt Loebens aus enthält. Das Buch Loebens ist betitelt:
Deutsche Worte über die Ansichten der Frau von Staël und unserer poetischen Literatur in ihrem Werk über Deutschland von Isidorus (Otto Heinrich Graf von Loeben), Heidelberg 1814. Hier heißt es auf Seite 150:
Fouqué ist aber nicht der einzige Dichter von Bedeutung, den Fr. v. St. hier übergangen hat. Eine Natur von großem praktischen Talent für das gegenwärtige Theater, war der zu früh und zu unglücklich untergegangene Heinrich von Kleist. Der sinnlichen Naturkraft und dem gestalteten Irdischen mehr als dem inneren Leben zugewendet, erfreuten <134:> sich seine Dramen einer großen historischen Wahrheit, einer kecken Bemächtigung des Lebens und einer freien Darstellung, die ihn, bei einem tieferen Studium, mehr, als irgend einen der deutschen Dramatiker, zu einem Nachfolger Shakspeare’s geeignet haben würde. Seine Stärke war mehr das Gewordene als das Werdende, mehr die Erscheinung, als die Bedeutung; mehr keck und fleißig zugleich war er in Umrissen und Zeichnung, bedeutend im Gruppiren, als seelenvoll im Ausdrucke; entwickelnd und groß, aber nicht weiblich wie die Natur; mehr schien er dem antiken als dem romantischen Style verwandt, fast zu los von beiden ergriff er wohl oft das Moderne. Er war ein Kenner und Freund der franzöischen Litteratur, und hätte schon als Verfasser des Amphitryon nach Molière die Aufmerksamkeit der Fr. v. St. auf sich ziehen müssen. Die aesthetischen Gründe ihres Stillschweigens sind um so räthselhafter, da sie an dem von ihm und Ad. Müller gemeinsam herausgegebenen Phoebus Theil nahm, und schon von daher diesen ausgezeichneten Dichter kennen mußte, wie sie ihn ja auch, so viel wir wissen, persönlich gekannt. Es ist liebevoller, seinen Tod als sein Leben zu verschweigen! Im folgenden Kapitel, das von den Comödien handelt, ist ebenso wenig von einem seiner Stücke die Rede. Der zerbrochene Krug, das Käthchen von Heilbronn, das Fragment von Robert Guiscard, u. s. w. gehören doch zu dem Besten, was wir haben.
(Es folgt als dritter „herrlicher Dichter“, der bei der Staël unerwähnt gebliebene Wilh. v. Schütz.)
Weiter auf Seite 196: Analyse aller Romane wurde nicht verlangt, wohl aber wäre die Verfasserin eine vollständigere Erwähnung des Vorzüglichsten, ihrem Gegenstand und der Wahrheit schuldig gewesen. Da Heinrich von Kleist, de la Motte Fouqué, L. A. v. Arnim, Clemens Brentano unter den Dramatikern nicht genannt worden, so war es doch wohl der poetischen Gerechtigkeit gemäß, sie hier als Verfasser ausgezeichneter Romane und Novellen zu nennen. <135:>
Ein Hinweis auf diese Ehrenrettung Kleists findet sich in der Korrespondenz Loebens mit Frau v. Chézy. In einem Brief aus Radmeriz vom 30. Juli 1814 heißt es, nachdem er der Reihe nach „die freundlichen Anfragen und Winke über sein Werk kontra Fr. v. Staël und pro Deutschlands Ehre“ beantwortet hat: „Sie erinnern sich einer Stelle des Werkes, wo ich über Heinrich von Kleist gesprochen habe. Ich hoffe, daß ich das Wort und faltenwerfend (wie die Natur) ausstrich; vielleicht hab’ ich es auch vergessen; dann thun sie es noch.“
Die bisher übersehene Kritik Loebens ist von besonderer Wichtigkeit deswegen, weil sie die Stellung Kleists zu den Romantikern klarer stellt, als alles, was bisher darüber geschrieben ist. Loeben kennzeichnet ganz scharf die Grenze, welche Kleist von den Romantikern trennt. In der Tat trotz alles Romantischen im Käthchen, im Homburg usw., in den Erzählungen, trotz der Todes-Litanei, ist Kleists Berührung mit der Romantik und ihren Vertretern nur eine äußerliche, die den Kern seines Wesens weder als Dichter noch als Mensch trifft. Es ist interessant genug, daß die intimsten Freunde Kleists sich dieses durchgreifenden Unterschiedes klar bewußt waren, und es ehrt Loeben, wenn er unbefangen trotzdem Kleist den größten Dramatiker seiner Zeit nennt und ihn mit Shakespeare in einem Atem erwähnt. – Hinter dem absichtlichen Stillschweigen der Staël werden wir eine persönliche Differenz mit Kleist vermuten müssen.


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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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