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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Sigismund Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter. Nach neuen Quellenforschungen (Berlin: Reimer 1909), 15-20

Ernst von Pfuel und andere Freunde Kleists aus der Potsdamer Militärzeit


In seiner verzweifelten Gemütsverfassung soll Kleist während der Reise seinem Freunde angetragen haben, mit ihm zu sterben, und wie von einer fixen Idee gepackt soll er immer wieder auf den gemeinsamen Tod zurückgekommen sein. Wilbrandt berichtet hierüber als erster (1863) und führt Pfuel selbst als Zeugen an. Pfuel im vorgerückten Alter ist kein einwandfreier Zeuge; die übrigen Angaben Wilbrandts, für die er Pfuel als Gewährsmann anführt, sind zum größten Teil nachweisbar unrichtig, und ich kann nicht, wie Erich Schmidt diese Mitteilung Pfuels „durchaus glaubwürdig“ finden. Wie ich des öfteren hervorgehoben und noch zu beweisen Gelegenheit haben werde, sind die Angaben des alternden Pfuel nur mit großer Reserve aufzunehmen. In den zahlreichen direkten und indirekten Äußerungen Pfuels unmittelbar nach dem Tode Kleists, die ich beibringe, findet sich diese fixe Idee, die zu erwähnen gewiß hier die passendste Gelegenheit war, mit keinem Worte angedeutet, und ebensowenig bietet das übrige Pfuelmaterial irgendwelche Anhaltspunkte. Die ganze Behauptung steht auf viel zu schwachem Boden, als daß es gerecht- <16:> fertigt wäre, von ihr Schlüsse zu ziehen auf eine Monomanie, die sich durch das ganze Leben Kleists hindurchzieht.
Pfuel war von der Reise noch vor Kleist in die Heimat zurückgekehrt; auf Drängen seines väterlichen Freundes Otto v. Kleist hatte er seinen Pariser Aufenthalt kurz abgebrochen; die Erhebung einer kleinen Erbschaft machte seine Anwesenheit in der Heimat erforderlich. Daß er nach seinem Regiment in Potsdam zurückkehrte, wie Wilbrandt und nach ihm andere berichten, ist unrichtig.
Wie sich die Beziehungen der beiden Freunde in der Heimat wieder anbahnten, und wie sie sich im einzelnen während der ersten Hälfte des Jahres 1805 gestalteten, darüber sind wir heut genau unterrichtet durch drei lange und inhaltsreiche Briefe Kleists an seinen Freund aus dieser Zeit, die dem Pfuel-Archiv entnommen sind. Die drei hier angeführten Briefe Kleists an Pfuel sind nicht bloß bemerkenswert dadurch, daß sie ein Licht werfen auf eine bisher in Dunkel gehüllte Lebensepoche der beiden, sondern besonders weil sie das Verhältnis Kleists zu seinen Freunden beleuchten. Kleists Vorliebe zu belehren und zu unterrichten kommt deutlich zum Ausdruck, er scheut nicht ein schroffes Wort, wo er Oberflächlichkeit und Unkenntnis vermutet, sein Ton wird streng, wo er den Ernst des Wollens vermißt; auf der anderen Seite ist er auf das liebevollste besorgt um das Ergehen und die Fortentwicklung seiner Freunde, dankbar ist er für einen Aufsatz Rühles, in dem sich dessen „ganze schöne Natur“ ausspricht, und mit Enthusiasmus begrüßt er seine ersten dichterischen Versuche, genau so wie er für jedes Gedicht und Drama Fouqués und seiner Frau wenige Jahre später liebevollste Anerkennung und hohes Interesse äußert. Der erste Brief an Pfuel vom 7. Januar 1805, in dem er nach einem Zerwürfnis die neuen Beziehungen anknüpft, sticht hiervon eigentümlich ab; er erinnert unwillkürlich an den Brief, welchen Kleist drei Jahre vorher an den Maler Lohse richtete und erscheint mit besonders charakteristisch für den Verkehr Kleists mit seinen Freunden. So liebevoll, aufopfernd <17:> und hilfsbereit sich Kleist seinen Freunden gegenüber zeigt, so waren doch Reibungen, Zerwürfnisse und Katastrophen zwischen ihm und den Freunden unvermeidlich. Sein „gespanntes Gemüt“, wie er es selbst nannte, trug zum Teil die Schuld daran, zum anderen offenbar die Verständnislosigkeit der Freunde gegenüber seinem Wesen, das mangelhafte Urteil gegenüber seinen Plänen, Entwürfen und Absichten. Kleist war oft nachgiebig, viel zu nachgiebig gegen seine Freunde. Als er in der Schweiz dem Freundestrio die Schroffensteiner verliest, veranlaßte ihn ihr unverständiges Lachen an der entscheidenden Stelle zu einer Verstümmelung seines Werkes. Oft aber war der Konflikt unvermeidlich, und dann verliert Kleist in seinem Bemühen, das alte Verhältnis wiederherzustellen, völlig die Fassung. Er hängt an seinen Freunden, und ihr Verlust bringt ihn leicht aus dem seelischen Gleichgewicht. Nirgends zeigt er sich so exaltiert, so hypernervös und verstiegen als in den beiden erwähnten Briefen. Da wird seine Güte überzärtlich, seine Empfindlichkeit bekommt einen weibischen Zug, der ihm sonst ganz fremd ist, sein Gefühlsleben balanciert gewissermaßen auf der Nadelspitze, um ganz unvermittelt in Bitterkeit und Verdrossenheit umzuschlagen. Die Freundschaft im allgemeinen war für Kleists zärtliche Psyche etwas unentbehrliches, und bei ihrem drohenden Verluste wird er so stark erschüttert wie durch nichts anderes.
Etwa dem gleichen Zeitraum wie die drei Kleistbriefe entstammen einige Briefe von Karoline Briest späteren Frau Fouqué an Pfuel, die ich in dem Pfuel-Archiv einzusehen Gelegenheit hatte. Ich entnehme diesen Briefen einige Stellen, die für uns von Interesse sind, weil sie einesteils auf die freundschaftlichen Beziehungen zu Maria v. Kleist und ihrem Hause, andernteils auf gewisse Geschehnisse und den Charakter einiger uns bisher völlig fremden Persönlichkeiten ein Licht werfen. Karoline schreibt aus Nennhausen am 29. November 1804: <18:>
„Die Kleisten hat mir nicht geschrieben, und so weiß ich nur, daß Loulou krank war und noch kränklich ist. Mich ängstigt das sehr, denn bei der unbeschreiblichen Zärtlichkeit der Kleisten und bei ihrem Mißtrauen gegen die Kunst der Arznei leidet sie doppelt bei Krankheiten ihrer Kinder, und dann noch die unglückliche Erfahrung, die sie gemacht hat. Sagen Sie ihr viel Herzliches von uns, und wenn Sie mich mit einem Briefe erfreuen, so vergessen Sie nicht, mir recht viel von ihr zu schreiben.“
Die kurze Briefstelle zeigt uns die intimen Beziehungen zwischen Pfuel und seinen Verwandten in Nennhausen und dem Hause Christian und Maria v. Kleists in Potsdam. „Die Kleisten“ bedeutet wie in den Briefen Kleists die Kusine Maria v. Kleist. Die hier erwähnte Loulou war die dritte, am 18. November 1800 geborene Tochter Marias. Ein Bild von ihr aus späterer Zeit, eine Federzeichnung von der Hand der Nichte Cl. Brentanos, findet sich im Nachlaß Brentanos; ich bin durch das freundliche Entgegenkommen der Nachlaßinhaber in der Lage, das Bild hier wiederzugeben. <Bildbeigabe nach S. 18> Die im Briefe erwähnte unglückliche Erfahrung der Kleisten bezieht sich darauf, daß fast zwei Jahre vor der Geburt dieser Tochter die beiden älteren Töchter an einem Tage gestorben waren. Außer der erwähnten Tochter entstammte der Ehe noch ein Sohn, der spätere Präsident Adolf v. Kleist.
Im April des nächsten Jahres weilte Karoline zu Besuch in Potsdam im Hause Christian v. Kleists; aus der Zeit ihres Aufenthaltes daselbst stammen die folgenden Briefstellen. Zum Verständnis sei erwähnt, daß Pfuel nach seiner Rückkehr in die Heimat auf Betreiben seiner Freunde und Angehörigen sich um eine neue Einstellung in der Armee bemühte. Der König, welcher ihm wohl seinen Unwillen über das plötzliche Gesuch seines Abschiedes aus dem preußischen Dienste kund geben wollte, genehmigte zwar seine Bitte, schickte ihn aber trotz seiner Bildung und erweiterten Kenntnisse in ein fernes Bataillon nach Johannisburg in Ostpreußen. Am <19:> 11. April 1805, zu der Zeit also, in welcher sich Kleist in Königsberg befand, war Pfuel wieder angestellt beim Füsilierbataillon Nr. 23 (v. Schachtmeyer) in Johannisburg, wo er nur kurze Zeit verbleiben sollte.
Karoline schreibt an Pfuel am 9. April 1805. Der Brief beschäftigt sich hauptsächlich mit einem Selbstmordversuch Schlotheims vom Tage zuvor. Die Nachricht traf bei Christian v. Kleist ganz unverhofft des Abends ein, „Kleist ging sofort zu ihm, und nun denken Sie sich unsere Angst, bis er zurückkam.“. – – – „Die Kleisten ist krank vor Schreck und Gram, aber doch nicht bettlägerig und grüßt Sie herzlich.“
Drei Tage später, am 12. April, also einen Tag nach Pfuels Wiedereinstellung, schreibt Karoline wörtlich:
„Mit schwerem Herzen gratuliere ich Ihnen, mein bester Ernst, zu Ihrer Placierung. Wir sind sehr betrübt über die weite Entfernung und gerade nach dem Land, was Ihnen am fatalsten ist; aber ich freue mich, daß Sie Füsilier werden … Wir hoffen, Sie in einigen Tagen hier zu sehen, indessen meint Kleist (unser Hauptmann nämlich), Sie täten besser, nicht mündlich, sondern schriftlich sich beim König zu bedanken, weil Sie schriftlich könnten mit einfließen lassen, Sie sehen aus der Art der Placierung, daß der König noch immer ungnädig auf Sie wäre, Sie würden aber alles mögliche anwenden, in dem neuen Posten des Königs Gnade zu verdienen oder so etwas Ähnliches. Sie, die Kleisten, findet diesen Rat vortrefflich, und auf Ihre Ordre schreibe ich es Ihnen, weil sie sagt, diese Äußerung bahne Ihnen den Weg, nach einiger Zeit die Versetzung nachzusuchen, wenn Sie gleich jetzt in aller Demut gestehen, daß Sie die entsetzlich weite Entfernung als Beweis von Ungnade ansehen. Mich machts traurig und mißmutig, wenn ich so oft sehe, wie die vielvermögenden Herren ihr Wort brechen, ohne rot zu werden. Ich hoffe, Sie noch zu sehen, denn künftige Woche bleibe ich noch ganz hier. Mit Schlotheim geht es sehr gut, er wird fast gar nicht entstellt, ist auch nicht mehr bettlägerig und vollkommen ruhig und <20:> heiter. Ich sage Ihnen nichts von den Beweggründen dieser Handlung, denn Sie werden nur zu viel darüber hören. Man ist ganz ärgerlich, daß eine schwache Gesundheit, ein geängstigtes Gemüt zu solchen Entschlüssen treiben können und würde sich freuen, wenn man eine drückende Schuldenlast, ein großes Verbrechen entdeckte, denn nur dann würde man diesen Schritt motiviert finden.
Seit gestern und heut geht es auch mit der Gesundheit der Kleisten etwas besser, für die ich seit einigen Tagen noch mehr besorgt war, als für Schlotheims Schicksal. Nach und nach beruhigen sich ihre Nerven wieder, die von dem heftigen Schreck sehr erschüttert waren. Heinrich Kleist ist gleich Mittwoch herübergekommen, als er die traurige Nachricht erfuhr und bis gestern Nachmittag Tag und Nacht bei Schlotheim geblieben. Diese Gesellschaft hat dem armen Leidenden sehr wohl getan, ihm hat er sich ganz geöffnet, der mit ihm gleich empfindet, seine Tat notwendig fand, sie zu billigen schien, wodurch er freilich die Menschen sehr skandalisierte und die arme Kleisten sehr beunruhigte, die durch die traurige Erfahrung erschreckt, für alle ihre Freunde fürchtet. Ich beruhige sie aber mit der Versicherung, daß ihre Freunde zu lebhaft den Wert ihrer Freundschaft empfinden, um ihr zum Lohn für diese Anhänglichkeit ohnegleichen so schreckliche Qualen ja selbst den Tod zu bereiten.
Noch meint die Kleisten, die Art an den König zu schreiben wäre darum sehr gut, um ihm den Wahn zu nehmen, er habe Ihnen mit dieser Placierung große Gnade erwiesen.“


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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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