Karl
Theodor v. Küstner, Vierunddreißig Jahre meiner Theaterleitung in Leipzig, Darmstadt,
München und Berlin. Zur Geschichte und Statistik des Theaters (Leipzig: Brockhaus
1853), 270f.
Ludwig Tieck an Karl Theodor v. Küstner, 1848
Immermann hat nur sehr wenig geändert. Den blinden Greis Sylvius hat er mit Recht als
eine ganz überflüssige Person ausgelassen und hier und da nur Nebensachen weggestrichen.
Einen <271:> Katzenkenner, wie mich, der vertraut mit den
Thierchen war, geht es hart an, daß eine Katze eingemachte Ananas naschen soll. Diese
Unmöglichkeit müßte auch wol noch entfernt werden; aber wie? In Wien sah ich 1808 eine
Bearbeitung von Holbein aufführen; aber ziemlich gut gespielt, machte das Stück doch nur
wenige Wirkung. Das Werk ist, wie Alles von Kleist, wie ein Proceß gearbeitet, und Alles,
was dahin geht, ist vortrefflich, nur an einigen Stellen zu dialektisch oder
advocatenmäßig durchgeführt. Als Jugendarbeit, wenn auch Vieles unwahrscheinlich, hat
es große Verdienste.
Ob die Bauernhütte, der
kochende Kessel, der kleine Finger u. s. w., glücklich durchgehen werden, ist
die Frage. Diese Entwickelung kommt zu plötzlich, unerwartet, und hat dabei etwas
Kleinliches und auch zu Abenteuerliches; diese Katastrophe, oder vielmehr Aufklärung,
liegt außerhalb des Schauspiels, und wäre mehr zu einer Erzählung geeignet. Die Scene,
in welcher Ottokar die Agnes umkleidet, hat große Schönheit; aber ob dieser Schluß
nicht auch zu plötzlich, zu grausam dem Zuschauer erscheinen wird, ist zu bedenken. Der
Mord des Jerome, der Charakter des Sylvester, ist vortrefflich, völlig genügend. Der
Erfolg ist jedenfalls ungewiß, indessen fällt Vieles in der Welt anders aus, als man
vermuthet, und wer kann die wandelbaren Launen eines Publicums, Stimmung, Zufälle
berechnen? Vor Jahren wollte ich einmal das merkwürdige Gedicht umarbeiten. Es sollte in
dieser Umänderung glücklich endigen. Nach derselben hatte ein Raubritter, ein gewaltiger
Mensch, um sich an Rupert zu rächen, der ihn aus der Gegend vertrieben, den jungen Sohn
gestohlen; der Verdacht fällt auf Sylvester; im Kampf gegen Diesen dient der Riese gegen
Rupert; das Kind, allein gelassen, macht sich frei, und so versöhnen sich die Feinde und
die Liebenden werden glücklich. Der Herold, Jerome, Johannes müssen natürlich als Opfer
fallen. Ich versprach mir damals Glück von diesem Versuch, wenn ich so die kräftigen
herrlichen Scenen in ein anderes Licht stellte. Freilich
würde auch hier der Proceß etwas zu vorherrschend bleiben.
Tiecks Brief ist eine Stellungnahme zu Immermanns Bearbeitung der Familie
Schroffenstein für das Düsseldorfer Theater; Küstner hatte Tieck den Text der
Bearbeitung zugesandt.
Emendation
Freilich] Frei-ich D
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