Rudolf Krauß, Kleists
Kätchen von Heilbronn und das Stuttgarter Hoftheater, in: Neues Tagblatt
(Stuttgart), 29. 9. 1906
Hofrat Lehr an Friedrich I. von Württemberg, Stuttgart,
22. 11. 1810
Eure Königliche Majestät!
Das mir allergnädigst zu
alleruntertänigster Berichterstattung an Allerhöchstdieselben übergebene historische
Ritterschauspiel Das Kätchen von Heilbronn oder Die Feuerprobe
betitelt, von Heinrich v. Kleist, möchte wenn man dasselbe nach den strengen und
bisher üblichen Begriffen eines Dramas beurteilen wollte, nicht eben die Feuerprobe
aushalten. Es hat zwar dramatisches Verdienst, aber weniger als eigentliches Schauspiel
als vielmehr als dramatisierter Roman oder Märchen; doch nicht so, als ob es überall
mehr Reflexionen und weniger Handlung enthielte: denn die letzte ist stetig, nur ist ihr
Zusammenhang öfters zu locker gehalten. Einzelne Situationen sind sehr gelungen und echt
theatralisch, auch einer und der andere Charakter gut gezeichnet und durchgeführt. Aber
gerade der Hauptcharakter, das Kätchen, angeblich Tochter des Waffenschmieds Theobald
Friedeborn aus Heilbronn, die aber, als natürliche Tochter des Kaisers, am Ende zur
Prinzessin Katharina von Schwaben wird, hat zu wenig rein historisches Interesse, weil
einige Wundererscheinungen mit im Spiele sind. Die Komposition ist ganz im Geist der
altdeutschen Poesie und Sprache verfaßt und in mancher Hinsicht originell.
Stuttgart, den
22. November 1810. Lehr.
- H: Geheimes Haus- und Staatsarchiv Stuttgart (1906); mit
Bleistiftnotiz des Königs: Danken, und ist das Schauspiel der Theaterdirektion zu
übergeben.
Lehr] Vorstand der kgl. Privatbibliothek,
Mitglied des Oberzensurkollegiums und gelegentlich Dramaturg für das Hoftheater
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