Wilhelm
Kosch (Hrsg.), Joseph v. Eichendorff. Tagebücher
(Regensburg: Habbel 1908) [= Joseph v. Eichendorff. Historisch-kritische Ausgabe. In
Verbindung mit Philipp August Becker hrsg. von Wilhelm Kosch und August Sauer (1908ff.),
Bd. 11], 254f.
Berlin, 24. 12. 1809
24.
Brach meine Krankheit von neuem so plötzlich und so gewaltig von allen Seiten aus, daß
ich in den heftigen Fiebern 4 Tage lang in meiner Nebenkammer, aus welcher nun Wilhelm
mit seinem Bette auszog, das Bett hühten mußte. Darauf auf dem Canapée mit
Kißen u. Mantel zugedekt, ohne ein Wort lesen, rauchen etc: zu können, über 8
Tage in der verzweiflungsvollsten Lage hingedüstert. Und nun von Ende December
bis Ende Februar nichts Denkwürdiges, als: Ewige unerträgliche Störung durch
den Zaubertiegel anfangs zu beiden Seiten). Trotz diesem damals doch noch immerfort
Kleinigk: gedichtet, Briefe an L [uise], H. Caplan etc:
geschrieben. Eröffnung. Schrekliche Entzündung. Fürchterlichste Schmerzen, so daß ich
auf dem Canapé weder liegen noch sizen, und mich den ganzen Tag durchaus nicht
einen Schritt weit rühren konnte. Kaum wieder vergangen, wurde diese Entzündung recitiv
mit allen den Qualen. Inzwischen Hemde und Hosen am Leibe faulend, vor gänzlicher
Entkräftung, Tag (beim Eßen) u. Nacht fast zu Tode schwitzend, am Leibe verbrannt, mit
Wunden bedekt und zerfleischt, Bart und Nägel langgewachsen, früh und Abends Besuche vom
kleinen Famulus. So saß ich also die trüben, <255:> halblichten
Wintertage hindurch, ohne mich zu rühren, auf meinem Canapé, in das ich schon
tiefe Löcher gedrükt, rechts in der Eke die Pfeiffen, vor mir den großen Tisch, mit
Schlegel, Lacrimas, Bouterwecks Litteraturgeschichte, Bragur, die
berühmte Guntha, Phöbus von Kleist u. Müller etc: etc:
welches ich alles mit Heißhunger zum gänzlichen Ueberdruß hinunterfraß. Die
schreklichen, langen Abende, während Wilh: u. Loeben in der Commödie,
bei Müller, Sander etc:, eben so ganz allein beim bleichen Schein des Lichts wie
in einer Gruft zugebracht. Anfangs Thee (auch Kartoffeln) später Prezel mit
Butter u. Aepfel, Waßer mit Milch. Dazwischen schrekliche Perioden von
Leibschmerzen, Kopfweh etc:. So überwältigte mich endlich die öde, trost- und
hülflose Einsamkeit, so daß ich an Gesundheit und mir verzweifelte. Schwarzeste Melancholie.
Im Februar besuchte uns einmal der herrliche Brentano. Sein
Weltauslachen und sogenannte Grobheit bis zum göttlichen Wahnsinn. Er spielte Guitarre.
Sein Bettler, blau, blau, König v. Thule etc: himmlisch. Er schikte mir Bücher,
als: Cellini, 2 Theile des herrl: Simplicissimi einen chines:
Roman etc:. Besuche von Loeben und
Vorlesen . Angenehme Abende, wenn ich u. Wilh: allein bei Taback
u. Prezel allein zu Hause lesend etc:. Binde etc.
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