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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Josef Körner, Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegelkreis. 3 Bde. (Bde. 1 u. 2: Brünn, Wien, Leipzig: Rohrer 1936/37; Bd. 3: Bern: Francke 1958), Bd. 1, 602-605

Friedrich Wilhelm Joseph v. Schelling an August Wilhelm Schlegel, München, 26. 8. 1808

München 26. Aug. [18]08.

Ihren erfreulichen Brief, theuerster Freund, erhielt ich am Vorabend einer Reise in die Baierischen Alpen und einen Theil des Tyrols: welches denn die Ursache meiner etwas verspäteten Antwort ist. –
Zu gutem Glück sorgen jetzt unsre Deutschen Zeitungen dafür, daß man einen ausgezeichneten Reisenden niemals aus den Augen verliert, und die gelehrten Passanten-Zettel von den Thoren aller Städte und Städtchen erhält: so habe ich Sie von Wien bis an das andre Ende von Deutschland und von da nach Copet zurück, letztlich aber zum Alpenhirtenfest begleiten und immer genau wissen können, wo Sie sich befinden. Aber das größte Interesse erregte mir Ihr Aufenthalt in Wien und die Erscheinung, den Mann, über welchen der Norden von Deutschland Ach! und Weh! gerufen hatte, in der östreichischen <603:> öffentlich lehren und reden zu sehen. Ich hoffe, daß es keine voreilige Nachricht war, welche den Druck Ihrer Vorlesungen ankündigte. Was Sie im Prometheus zum Besten gegeben, habe ich bis jetzt alles gelesen. Ich finde, daß dieser Prometheus von allen neuen Zeitschriften die leidlichste und bescheidenste ist. Der pretiöse Ton der Ankündigung des HE. Adam Müller in Dresden, (dessen Phoebus in extenso ich übrigens hier noch nicht zu lesen bekommen konnte) reizte mich schon vor Neujahr, eine Recension der verschiednen Ankündigungen zu schreiben, die aber in keinem unsrer Journale eine Aufnahme gefunden hat. Dieser Adam Müller scheint mir den sächsisch-französischen Ton auf die neuen Ideen appliciren, und Sie, Friedrich u. s. w. in die Sprache des galanten Sachsens übersetzen zu wollen. Es ist erstaunlich und von Friedrich in einer Recension dieses HE. M.[üller] wohlbemerkt, wie vornehm die jungen Leute werden, die nun ohne den Fuß sich naß zu machen, über alle die schönen Wege einherziehen, welche mit Anstrengung und Mühe geebnet werden mußten. So ist auch, was Sie bei Gelegenheit Troxlers schreiben, nur zu gegründet. –
Was ich Ihnen von hieländischen Neuigkeiten schicken kann, soll alles in einem großen Paket folgen. Bis jetzt habe ich mich vergebens bemüht, durch einen unsrer hiesigen Buchhändler ein Paket nach der Schweiz zu spedieren. Es sind Krämer, die mit Nachdrücken handeln; ich will mich jetzt an einen Kaufmann wenden, bitte Sie aber, mir wo möglich zuvor einen bestimmten Kommissionär nahmhaft zu machen, auf den Sie sich verlassen und an den das Paket addressirt werden kann. Mit demselben hoffe ich Ihnen auch die Constitution unsrer Akademie der Wissenschaften schicken zu können, aus der Sie abnehmen werden, daß von Seiten derselben keine weiteren Foderungen an Sie gemacht werden, als daß Sie Ihren Namen ruhig unter einer Menge andrer, deren ¾ nichts taugen, stehen lassen. Herzlich aber freut mich Ihre Ansicht der Sache, daß wir uns insoweit wieder einmal als Collegen betrachten dürfen. Hier anwesende Mitglieder dieser Klasse sind unter andern Franz Baader, Babo (V[er]f.[asser] des Otto v. Wittelsbach, der aber seitdem alle poëtische Schuhe ausgetreten), Aretin, Jakobs (aus Gotha), neuerdings auch Niethammer. Sie heißt die philosophisch-literarisch-philologische Klasse. Sie haben also nun die Wahl, zu welchem Fach Sie sich zählen wollten. Möchten Sie aber dieser Klasse irgend einmal eine Mittheilung zukommen lassen: so erbiete ich mich um so eher zum Spediteur, als der Trockniß und Dürre derselben abzuhelfen ein wahres Werk der Menschenliebe wäre.
Wenn unser guter Präsident für Gelehrsamkeit, für das, was man Untersuchung nennt und gründliche Wissenschaft Sinn hätte: so wüßte ich schon zu sagen, was Sie der Academie unter den Fuß geben <604:> sollten. Aber das selbstgemachte Experiment läßt mich keinen rechten Erfolg hoffen. Friedrichs Buch über Indien hat ihn persönlich sehr angerührt, und er kann nicht aufhören, darüber nachzudenken, wie er ehemals auch auf diesem Wege gewesen und wieder umgekehrt ist. Es interessirt ihn unsäglich, daß Friedrich auf den Glauben als das Lezte gekommen ist, daß er den Pantheismus für das einzige Vernunftsystem und zugleich für die äußerste Verirrung des menschlichen Geistes erklärt; denn das alles hat er auch gesagt und gemeint. Wär’ es ein andrer und käme dabei nicht auch der wackre Stollberg zu Ehren, so weiß ich nicht, wie groß der Antheil wäre. – Für die objektivere Seite aber, daß diese Forschungen der einzige Weg sind, die Quellen der Geschichte zu finden, die Zeiten der Vergangenheit, das Buch mit sieben Sigeln, zu eröffnen, scheint er nicht empfänglich. Ich habe ihm zu wiederholten Malen vorgestellt – auch Baader – daß eine Akademie der Wissenschaften sich in diesem Augenblick nicht mehr auszeichnen könnte, als durch Einleitung dieser Untersuchungen im Großen und durch Unterstützung einer Gesellschaft gelehrter Männer, die sich ausschließlich damit beschäftigte; ja daß eine ganze orientalische Akademie jetzt nicht zuviel wäre. Stünde es in meiner Gewalt, so müßte irgend eine Regierung eine förmliche Mission nach dem Morgenland, nach London und Paris zu dem Zweck dieser Nachforschungen veranstalten, deren Haupt unser ehrwürdige Bramine Friedrich seyn sollte.
Ich befinde mich in dem umgekehrten Falle; das historische der Sache hat mich mehr, als das philosophische, so weit ich es bis jetzt einsehe ergriffen. Das Gemälde der drei orientalischen Systeme ist sinnvoll, zart und anmuthig; Fr. Baader vergleicht diese Art der Zusammenstellung mit der des Farbenklaviers; indeß läßt sich, was Pantheismus, Dualismus, Idealismus sey, nicht auf wenigen Blättern ausmachen, und der Gebrauch dieser Namen selbst setzt die tiefsten Untersuchungen zum voraus; sie sollten nie angewandt werden, um brevi manu abzuurtheilen. Sonst meine ich, was Friedrich Glaube und vorzüglich Gefühl nennen kann, wohl zu verstehen; aber auch, daß diese Ausdrücke nicht hinreichend es bezeichnen. Er sollte von der Physik nur vor der Hand noch größere Stücke halten; für das, was er Offenbarung, Aufgehen des inneren Gefühls nennt, kann vielleicht nur diese den rechten Ausdruck geben. Was mag er jetzt von Jacob Böhme denken, der in dem Indischen Werk ganz bei Seite liegen bleibt? –
Franz Baader’n habe ich Ihren Gruß noch ausgerichtet; auch er hat vielfach bedauert, Ihre Bekanntschaft versäumt zu haben, und wünscht daß wenn die in der Ferne gezeigte Hoffnung, Sie mit Frau von Stael wieder hier zu sehen, in Erfüllung geht, Ihre Gegenwart entweder <605:> länger   dauern, oder erst in den November fallen wird, bis wohin er wieder zurückkommt.
Meine Anstellung bei der Academie der Künste war in vielem Betracht erwünscht, theils weil sie meine Lage verbessert, theils weil sie mir von der Academie der Wissenschaften eine gewisse Unabhängigkeit gegeben hat. Ohne mir zuviele Geschäfte aufzuladen, giebt sie mir manche schöne Gelegenheit, besseres als dort zu wirken. Langer empfielt sich Ihnen bestens. Wird der Brief nicht zu dicke, so lege ich Ihnen einen Abdruck unserer akademischen Konstitution bei. Mit der Bildhauerei sieht es noch schlecht bei uns aus; ein Mann wie Fr. Tieck wäre sehr erwünscht, wenn er nur nicht, wie Sie selbst wissen und worinn alle übereinstimmen, ein gar so arger Hetzer und Klätscher wäre, wofür wir uns alle nicht wenig scheuen.
Kommen Sie ja auf den Herbst wieder zu uns; und bringen Sie einige Bände des Shakespeare und Calderon fertig mit. Sie glauben nicht, wie wir mit vielen andern darnach schmachten. Herzliche Grüße von Caroline. Der Frau von Staël bitte ich, meine besten Empfelungen zu Füßen zu legen, Sie aber, mich nicht zu vergessen und mich bald wieder Ihre Hand auf einem Briefe erblicken zu lassen. Leben Sie recht wohl.

Ihr
Schelling

N. S. Ich rechne darauf, daß Sie mir meine Äußerungen wegen Friedrich nicht übel deuten und mir besonders bei ihm keinen bösen Handel machen. Er scheint mir über die Sache keinen Scherz zu verstehen: bei Ihnen habe ich schon mehr Muth, dem doch immer ein Rest dichterischer Unheiligkeit anhängen bleiben wird. Von den spekulativen Untersuchungen, für die Sie, nach Ihrem bescheidnen Ausdruck geringe Fähigkeit – richtiger gesagt aber geringen Geschmack haben – frey geblieben, werden sie von heftigen religiösen Tendenzen sich noch reiner erhalten.
Befindet sich Hr. Werner noch bei Ihnen, so bitte ich Sie, ihn zu grüßen und außerdem zu fragen: ob er durch die Sanderische Buchhandlung zu Berlin meinen Brief erhalten, worinn ich ihm einen Einschluß – ich glaube vom Industrie-Comtoir in Amsterdam – zugeschickt habe?
Ihren Brief an unsern Kronprinzen habe ich noch nicht abgeben können; ohne allen Zweifel haben Sie ihn auf dem Alpenhirtenfest selbst gesprochen und wissen daher die Ursache.
Nochmals leben Sie recht wohl, und bleiben Sie mir gewogen.

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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