Rudolf
Köpke, Ludwig Tieck. Erinnerungen aus dem Leben des
Dichters nach dessen mündlichen und schriftlichen Mittheilungen, 2 Bde. (Leipzig:
Brockhaus 1855), Bd. 2, 201f.
Ludwig Tieck über Kleist
11. Heinrich von
Kleist
- ist den echtesten deutschen Dichtern beizuzählen. Welche Töne
hat er nicht in seinem Käthchen und besonders im Prinzen
von Homburg angeschlagen! Dies ist eins der trefflichsten und zugleich
nationalsten Dramen, was wir besitzen. Liegt uns auch die mystische Seite ferner, so hat
sie doch hier nichts Störendes, und tritt auch weniger hervor als im
Käthchen. Wie menschlich wahr und anschaulich sind nicht alle Charaktere; so
der Prinz selbst, der <202:> alte Kottwitz; ganz individuell und doch groß ist der
Kurfürst. Der kurze Monolog im fünften Acte: Wenn ich der Dei von Tunis
wäre, gehört zu dem Ausgezeichnetsten, was unsere dramatische Poesie aufzuweisen
hat. Den heiligen Zorn eines verletzten Nationalgefühls hat er in der Hermannsschlacht
wahrhaft großartig ausgedrückt. Das allgemeine Unglück des Landes gehörte mit zu
seinem persönlichen Schmerze. Schon seine erste Tragödie Die Schroffensteiner
enthält viel Schönes, und bewies seinen Beruf zum Drama; freilich ist Anderes darin
platt, roh, ja kindisch, wie die Geschichte mit dem Finger. Hätte er den Robert
Guiscard vollendet, so würde dies ohne Zweifel die größte seiner Dichtungen
geworden sein. Ein wahrhaftes Meisterwerk in der Komik ist sein Zerbrochner Krug.
Man hat dem Lustspiel unrecht gethan, wenn man es in drei Acte theilte, weil man es etwas
zu lang fand. Vortrefflich sind auch seine Erzählungen, und mit Recht hat man immer den
Kohlhas anerkannt. Vielleicht ist die Geschichte der Marquise
von O. noch vollendeter und abgeschlossener. Erscheinungen dieser Art beachtete
man kaum, während die mittelmäßigsten Sachen den reichsten Beifall fanden! Ich darf
mich wol rühmen zu ihrer Erhaltung und endlichen Anerkennung wesentlich beigetragen zu
haben. In einem eigentlich freundschaftlichen Verhältnisse habe ich
zu Kleist nicht gestanden, aber ich habe sein hohes Talent stets geliebt und geehrt, und
sein tragisches Schicksal hat mich tief erschüttert.
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