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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Rudolf Köpke, Ludwig Tieck. Erinnerungen aus dem Leben des Dichters nach dessen mündlichen und schriftlichen Mittheilungen, 2 Bde. (Leipzig: Brockhaus 1855), Bd. 1, 337-339

Tiecks Bekanntschaft mit Kleist


Wenige Wochen in Dresden reichten hin, den Kreis bedeutender Männer, die er kennen gelernt hatte, um einen <338:> merkwürdigen Charakter zu erweitern. Dieser war Heinrich von Kleist. Noch war der geniale Dichter dem größern Publicum kaum bekannt. Im Jahre 1803 war seine Tragödie, „Die Familie Schroffenstein“, erschienen, in der sich echt Tragisches und Großes mit Plattem, ja Rohem mischte, und soeben hatte für ihn sein Freund, Adam Müller, das Lustspiel „Amphitryon“ herausgegeben. Aber man wußte, wie anerkennend sich die ersten Dichter über Kleist’s großes dramatisches Talent ausgesprochen hatten. Auch hatte man allerlei von seinen Reisen und Sonderbarkeiten gehört. Kürzlich erst war er aus französischer Gefangenschaft zurückgekehrt.
Als ihn Tieck kennen lernte, stand er in vertrautem Umgange mit Adam Müller, einem seiner eigenen frühesten Schulgefährten. Diese Entdeckung hätte ihn von der neuen Bekanntschaft fast abgeschreckt. Adam Müller war F. Schlegel’s mystisch-kritischer Richtung gefolgt und übertrug sie auf das Gebiet der Politik. Auf Tieck machte er stets einen abstoßenden Eindruck. Er war rechthaberisch, hochfahrend, und vornehm geheimnißvoll.
Trotz seines sonderbaren Wesens war Kleist liebenswürdig. Wenn auch scheu und schroff, war er doch bieder, wahr und aufrichtig, aber wechselnden und zweifelvollen Stimmungen unterworfen. In guten Stunden nahm er unbefangen und lebhaft an der Unterhaltung Theil. Dann fiel ein unbedeutendes Wort, auf welches Niemand Werth legte, aber ihn berührte es in unbegreiflicher Weise, und sogleich ward er stumm, finster und zog sich mistrauisch Tage lang in sich selbst zurück. In solchen Augenblicken des Schweigens schien er geistig abwesend. In seiner Bildung hatte er die verschiedenartigsten Gegensätze durchgemacht, ohne sie zu überwinden. Kantische Philosophie und Militärdisciplinen, Poesie und Naturwissenschaften, Skepsis und gläubige <339:> Mystik hatten ihn angezogen und erfüllt. Namentlich glaubte er Kant’s Philosophie trefflich zu kennen. Von allen Seiten her suchte er die Räthsel des Lebens aufzufassen, und angstvoll arbeitete er sich an ihrer Lösung ab, ohne weiter zu kommen. Seine äußere Stellung war eine unsichere; die Hoffnungslosigkeit Deutschlands drückte ihn vollends nieder. Der Sturz Preußens erschütterte ihn heftig. Ein tiefer sittlicher Unwille, ein bitterer Ingrimm erfaßte ihn, der sich sarkastisch und schlagend äußerte. Und oft warf sich dieser Haß auf einzelne Personen.
Bisweilen war er fixen Ideen unterworfen. So glaubte er einmal Adam Müller’s Frau leidenschaftlich zu lieben, und sagte offen, daß er diesem das Leben nehmen müsse. Wirklich machte er einmal den Versuch, seinen Freund von der Elbbrücke in den Fluß zu stürzen. In dieser Zeit war er bereits mit seinem Hauptwerke „Käthchen von Heilbronn“ beschäftigt. Er gewann Zutrauen genug, es Tieck mitzutheilen. Auch dieser erkannte das bedeutende dramatische Talent, aber zugleich auch, wie der Dichter im Kampfe mit den Zweifeln und Versuchungen zu unterliegen drohe, deren Gewalt er an sich selbst erfahren hatte.


<Anm. zu S. 339 (Bd. 2, 279):>

S. 339. Tieck hat über sein persönliches Verhältniß zu H. von Kleist einige allgemeine Andeutungen gegeben in der Einleitung zu den gesammelten Schriften desselben. Vgl. „Kritische Schriften“, II, 26, und einige Nachträge dazu in „H. von Kleist’s Leben und Briefe“, von E. von Bülow, S. 54 fg.

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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