Robert Keil (Hrsg.), Aus den Tagebüchern
Riemers, des vertrauten Freundes von Goethe, in:
Deutsche Revue über das gesamte nationale Leben der Gegenwart
11 (1886), Bd. 4 (Okt.-Dez.), 20-38; darin: 22f.
Der zerbrochne Krug in Weimar, 1808
4. Februar.
Mittags mit Goethe und ihr bei Hofrath Wieland zu Gaste,
wo auch Stichlings und Werner waren. Nach Tische mit Wieland
über Kleist, s. Penthesilea und den zerbrochenen Krug.
Las Werner einige Sonette vor.
16. Februar. Früh eine
zweite Sendung von Pandorens Wiederkunft abgeschrieben.
17. Februar. Bei Goethe.
Briefe, und Absendung des 2. Manuscripts zum Prometheus.\1\
18.
Februar. Besuch von Wolff,
die Costüme im zerbrochenen Krug besprochen.
26. Februar. Bei Goethe an der
Polemik. Dann Theater-Angelegenheiten. Mittags sprach Goethe
von der Deutlichkeit über andere Menschen, ihre Gesinnungen,
was sie thun wollen und können; alles beruhe darauf
und daraus entstehe die Furchtlosigkeit.
27. Februar.
Nach Tische Zeichnung zum zerbrochenen Krug.\2\
Abends zu Hause über Dem. Jagemann und andere Verhältnisse,
Frau v. Staël. <23:>
29. Februar. Bei Goethe an
der Botanik.
1. März.
Augusten geholfen an der Burg Jaxthausen. Mittags allein.
Über Asts Journal und seine Erhebung Friedrich
Schlegels zum Dichter, über Tieck, Kleist und ähnliches.
Nach Tische an Augusts Zeichnung.
2. März.
Abends der Gefangene und der zerbrochene Krug,
der anfangs gefiel, nachher langweilte und zuletzt von einigen
wenigen ausgetrommelt wurde, während andere zum Schlusse
klatschten. Um 9 Uhr aus.\1\
4. März. Bei Goethe.
Konzipierte er einen Brief an Jacobi. Mittags war davon
die Rede und über Platonismus und Spinozismus. Über
den logoV oder das Wort als erstgewesenes.
8. März.
Mittags allein. Ermunterung an Goethe, etwas in der Tieckischen
Liedermanier zu machen aus einer höheren Naturanschauung.
Über Falk; hat nur die mittleren Maximen durch sich
selbst, die höheren bloß aneignungsweise. Abends
Wolffs und Elsermann zum Thee. Maskierten wir uns aus dem
zerbrochenen Krug. Ich machte den Dorfrichter.
\1\ Das (leider unvollendet
gebliebene) Festspiel Pandora war für die Wiener
Zeitschrift Prometheus, herausgegeben von Leo von Seckendorf
und Stoll, bestimmt. Im Herbst 1807 waren sie in Weimar
und baten Goethen um einen Beitrag, er sandte den Anfang
des Festspiels an die genannte Zeitschrift, die ihn in die
beiden ersten Stücke aufnahm.
\2\ Am 28. August 1807
hatte Goethe über v. Kleists Lustspiel sich dahin geäußert:
Der zerbrochene Krug hat außerordentliche Verdienste,
und die ganze Darstellung dringt sich mit gewaltiger Gegenwart
auf. Nur Schade, daß das Stück auch wieder dem
unsichtbaren Theater angehört. Könnte der
Verfasser mit eben dem Naturell und Geschick eine wirkliche
dramatische Aufgabe lösen und eine Handlung vor unseren
Augen und Sinnen sich entfalten lassen, wie er hier eine
vergangene sich nach und nach enthüllen läßt,
so würde es für das deutsche Theater ein großes
Geschenk sein. Das Manuskript will ich mit nach Weimar nehmen,
und sehen, ob etwa ein Versuch der Vorstellung zu machen
sei. Zum Richter Adam haben wir einen vollkommen passenden
Schauspieler und auf die Rolle kommt es vorzüglich
an. Jetzt sollte der Versuch gemacht werden, die Rolle
des Dorfrichters Adam war dem Schauspieler Becker zugeteilt,
während Oels den Gerichtsrat, Walter Unzelmann den
Schreiber Licht, Frau Wolff die Frau Martha Rull, Frl. Elsermann
die Tochter Eve, Wolff den Ruprecht spielen sollte.
\1\ Die Aufführung
des vorzüglichen Kleistschen Lustspiels scheiterte
vor allem daran, daß Goethe dasselbe, statt es mit
einiger Kürzung als Einakter zu geben, vielmehr ungekürzt
in drei Aufzügen darstellen ließ. Hierzu kam
das mangelhafte Spiel Beckers in der Hauptrolle, der, wie
Genast berichtet, schon bei den Proben trotz aller Rügen
Goethes nicht aus seinem breitspurigen Redegange herauszubringen
und bei der Aufführung in seinem Vortrag so breit und
langweilig war, daß selbst seine Mitspieler die Geduld
dabei verloren. Schon deshalb mußte das Stück
fallen. Obgleich auf dem Theaterzettel der Name des Verfassers
nicht genannt war, war er doch allgemein bekannt, und Henriette
von Knebel schrieb an ihren Bruder über diese Aufführung:
Ein fürchterliches Lustspiel, was wir am vorigen
Mittwoch haben aufführen sehen und was einen unverlöschbaren,
unangenehmen Eindruck auf mich gemacht hat und auf uns alle,
ist der zerbrochene Krug von Herrn v. Kleist
in Dresden; wirklich hätte ich nicht geglaubt, daß
es möglich wäre, so was Langweiliges und Abgeschmacktes
hinzuschreiben. Die lärmenden Vorgänge bei
der Vorstellung sind vielfach bezeugt; interessant ist die
weitere Erzählung davon, welche Ed. Genast gegeben
hat: Bei der Aufführung ereignete sich ein Vorfall,
der in dem kleinen weimarischen Hoftheater noch nie dagewesen
und als etwas Unerhörtes bezeichnet werden kann: ein
herzoglicher Beamter hatte die Frechheit, das Stück
auszupfeifen. Karl August, der seinen Platz zwischen zwei
Säulen dicht am Proscenium, auf dem s. g. bürgerlichen
Balkon hatte, bog sich über die Brüstung heraus
und rief: Wer ist der freche Mensch, der sich untersteht,
in Gegenwart meiner Gemahlin zu pfeifen? Husaren, nehmt
den Kerl fest! Dies geschah, als der Missethäter
eben durch die Thür entwischen wollte, und er wurde
drei Tage auf die Hauptwache gesetzt. Wie erbittert
Kleist in Folge dieses Fiasko seines Stückes gegen
Goethe wurde, ist bekannt; vgl. Siegen der zerbrochene
Krug &c S. XIII. flg., Heinrich von Kleist und der zerbrochene
Krug. S. 19 flg.
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