Franz Horn,
Umrisse zur Geschichte und Kritik der schönen Literatur
Deutschlands während der Jahre 1790 bis 1818 (Berlin:
Enslin 1819), 153-162
Über Kleists Drama und Prosa
- §. 8.
- In einer spätern
Zeit setzte ich noch Folgendes hinzu: <157:> Erstens:
Auch sehr wackere Menschen haben geklagt, daß es ihnen
kaum möglich sei, die Mishandlungen mit anzusehen, denen
das liebe Käthchen ausgesetzt werde. Ich erwiedre darauf,
daß wohl niemand das herrliche Mädchen inniger lieben
könne als ich; daß aber meine Anschauung durch jene Mishandlungen
in Beziehung auf das Mädchen selbst, gar nicht getrübt
werde. Ihre Tugend wird nur immer reiner, je mehr sich
die andern an ihr versündigen; und all der Sturm und Staub
und Regen, der sie umrauscht, vermag gar nicht, ihre schneeweißen
Flügelchen zu verletzen oder zu beflecken, denn es ist
als bewegten sie sich in einem ganz eigenen Elemente,
das seine aparte Sonne hat.
Nur die Mishandler und Mishandlerinnen haßt und
verachtet man desto gründlicher, indem ja bekanntlich
jeder Mann sich entadelt, der einem lieben tugendhaften
Mädchen unwürdig zu begegnen vermag. Dieser Haß ist aber
gleichfalls in diesem Stücke nicht störend, da wir uns
zu diesem Gefühle kaum rechte Zeit nehmen, indem wir stets
wieder mit unsern Gedanken zu Käthchen zurückkehren.
- §. 9.
- Zweitens fühlte
der mit sich selbst sehr strenge Dichter gar wohl das
Ungenügende in dem letzten Drittheil des Stückes, und
hatte den Plan gefaßt, es umzuarbeiten. Dann sollte auch
noch zur gänzlichen Beruhigung gewissermaßen ein zweiter
Theil folgen. Hier sollte endlich der Graf, durch irgend
ein vielleicht nur leises Wort,
Käthchen dergestalt verletzen, daß sie nun ihn
fliehen müßte. Kaum aber flieht sie ihn, so fühlt
er mit unendlicher Gewalt, wie sehr er an ihr gesündigt
und was er an ihr verloren habe. Ihre Schmerzen,
obwohl die tiefsten, waren doch immer harmonisch und graziös;
wir zwei- <158:> feln, daß die seinigen sich
würdensogestaltet haben können. Dennoch
geneset er in jenen Schmerzen zu höherer sittlicher Reinheit
und Würde, sie darf ihm am Schlusse vergeben: und
das tiefe Glück der geläutertsten innigsten Liebe schließt
das Ganze harmonisch.
Das
wollte der muthig ringende, edle Dichter; doch die dunkle
Stunde endete unsere Hoffnung.
Um
so mehr aber ist es Pflicht, liebend genau zu betrachten,
was er in diesem kurzen Leben geleistet, und noch außer
jenem berühmtesten Drama.
- §. 10.
- Schon im Jahre
1803 hatte sich dieser Dichter durch sein Schauspiel:
die Familie Schroffenstein, angekündigt als
einen Jüngling, der in der That etwas zu geben hat, und
der hier sogar wagte, an Romeo zu erinnern, ohne daß dadurch
sein Werk, obwohl freilich tief unter jenem, zu befürchten
braucht untergehen zu müssen. Ich kann mich nicht enthalten,
hiebei an ein stilles Wort in diesem Schauspiel zu erinnern,
über das vielleicht mancher leicht hinüber gelesen, und
das mir, wie ich mich noch recht wohl entsinne, gleich
bei der Erscheinung jenes Werkes wunderbar in die Seele
fiel:
Freilich muß
Auch
mancher fallen weil er stark ist
und wohl durfte es schwer lasten, denn es fehlte hier
die Versöhnung mit der Stärke.
Wir nennen ferner unter seinen dramatischen Werken
den Amphitryon, zwar in einzelnen Situationen zu breit,
und den sonst angenehmen Witz müde jagend, dennoch weit
erhaben über Molieres Werk, in welchem ein gänzliches
Misverstehen der ohnehin schon fast überheidnischen Fabel,
und ein bloßer lustiger Frevel, doch auch deshalb <160:>
kaum für einen halben Augenblick lustig, zu schauen ist.
Den zerbrochenen Krug, ein herrlich
niederländisches Gemälde, voll der klarsten Ansicht des
rein Komischen; leider aber mitunter die Linie des Schönen,
das sich selbst in der Parodie des Schönen offenbaren
soll, überspringend. Penthesilea, ein Trauerspiel,
in welchem die zum zerreißenden Wahnsinn werdende, bald
halb bekämpfte, bald wild auflodernde Liebe der Amazonenkönigin,
trotz alles Kraftaufwandes von Seiten des Dichters, kein
erfreuliches Gemälde geben kann, wobei vielleicht sogar
mitunter uns ein Lächeln anwandeln mag, das der Dichter
gewiß nicht bezweckte.
- §. 11.
- Geben wir es
doch überhaupt endlich einmal auf, die Griechen als
Griechen zum Gegenstande unsrer Tragödie zu machen, da
sie für uns lediglich nur historisch vorhanden sind.\1\
Ihre Zeit soll nicht mehr in unsre Gegenwart gestellt
werden, und wir wollen auch sehr gern einräumen, daß wir
es nicht vermögen. Diese Welt ist rein untergegangen,
und kein Gott vermag sie wieder hervorzurufen, eben weil
Gott selbst sie untergehen ließ.
Goethes Iphigenie kann hier nicht angeführt
werden als Widerlegung; denn, abgerechnet daß nach der
ganz alltäglichen, doch nicht übeln Rede, Eine Schwalbe
keinen Sommer macht, so möchte doch auch wohl selbst diese
Iphigenie ihren edlen deutschen Ursprung nicht ver- <160:>
läugnen und nur als eine Deutsche in Griechischer Form
erscheinen können und wollen. Bedauern wir überhaupt auch
nicht zu sehr, daß wir keine Griechinnen mehr haben und
bilden können. Ihre kühle Tugend, die Deutlichkeit ihres
Verstandes, ihr strenger Gehorsam gegen das Gesetz, ihre
Einheit mit dem Vaterland, das alles bleibe uns stets
höchst werth; aber vergessen wir nicht, daß dennoch nur
durch unsere heilige Religion die wahrhaftige Weiblichkeit
in Licht und Liebe, Farbe und Wärme erst möglich geworden
ist, und daß sämtliche griechische Iphigenien und Alcesten,
so theuer sie uns auch sind, nicht reichen an Shakspears
Imogen, Goethes Prinzessin und Klärchen, und Jean
Pauls Liane, welcher letztern Tod allein uns mehr zusagt
als ein ganzes griechisches Leben.
- §. 12.
- So löblich nun
aber auch Kleist als Schauspieldichter
waltete, so glauben wir ihm doch einen noch höhern Preis
als Novellendichter zuerkennen zu müssen; denn wohl ist
bewundrungswürdig, mit wie geringen Mitteln und in wie
kleinem Raum er durch plastische Kraft, Gewalt der Darstellung,
Ruhe und Energie der Sprache, und besonnen verwebte Beschreibung,
er die beabsichtete tiefe Wirkung erreicht.
Wir nennen hier insonderheit seinen Kohlhaas
ein Gemälde der deutschen Vorzeit, das an Richtigkeit,
Genauigkeit und strenger Keuschheit der Darstellung fast
alles übertrifft, was wir in dieser Gattung besitzen,
so wie das Bettelweib von Locarno, in welchem
das Wunderbare, ganz gegen das Costüm der meisten Romandichter,
auf die einfachste und eben deshalb ergreifendste Weise
in das Leben zerstörend eintritt. Man hat gefragt, ob
hier nicht ein kleiner Fehler zu sehr gerächt werde; aber
mit <161:> Unrecht, denn Unmenschlichkeit und Ungastlichkeit
ist kein kleiner Fehler, sondern ein vollendetes Verbrechen,
und möge uns jenes Bettelweib noch so widrig und abscheulich
erscheinen; immer bleibt sie ein Mensch, eine Christin
und eine Sterbende, und hat als solche heilige Rechte,
deren Verletzung nur streng, nicht überstreng geahndet
wird.
Dennoch werde nicht verhehlt, daß der erschütternde,
nicht selten finster-tragische Stoff fast aller Kleistischen
Novellen gar oft die Sehnsucht nach etwas rein heiterem,
freundlichem wecken könne; nur mache uns dieser an sich
sehr wohl zu rechtfertigende Wunsch nicht ungerecht gegen
das, was hier in jener Gattung geleistet worden ist.
- §. 13.
- Der Dichter
soll stets die freie Wahl behalten, jeden in sich selbst
wahren und ästhetischen Stoff zu behandeln, wie es ihn
sein Genius lehrt, und keine einengende Geschmacksmäkelei
wolle hier vorlaut zwischen-reden. Wenn deshalb Kleists
Novellen im tiefsten Sinne doch nicht genügen, so liegt
der Grund nicht in der Wahl des Stoffes, nicht im Styl,
denn dies ist meistens zu loben, sondern er liegt in dem
Mangel an zarter Milde und Versöhnung. Wir hören hier
nicht selten das herrlichste und erhabenste Gewitter;
aber es erscheint kein sanfter Bogen des Friedens. Wir
wandeln durch die einfach erhabenste Gegend, aber wir
bleiben oft an einem Abgrunde stehen. Wir erfreuen uns
der Entwickelung reicher Menschen-Natur; aber wir vernehmen
nicht die Worte des Trostes am Grabe, das hier nicht selten
wie in Eis und Schnee vergraben liegt.
Gewisse Kritiker, die, wenn sie einmal loben wollen,
das ganze Füllhorn lobender Beiwörter ausschütten, haben
freilich auch zarte Milde und Weichheit unserm trefflichen
<162:> Heinrich zuerkannt; doch sind wir gewiß,
daß er, wenn er noch unter uns wandelte, selbst keinen
Anspruch machen würde auf ein solches Lob, er,
der sonst gar manches andere verdient.
Bei seinem Tode vergaßen leider Einige das alte
Wort: Feiert in heiliger Stille, ja es fand
sich Einer, der mit gränzenlos widerlicher Geistes-Rohheit
und nie erhörter Frechheit ein Hohngelächter über dem
Grabe des theuren Dichters öffentlich anstimmte. Es giebt
tausend Verkehrtheiten und Unarten in unsrer Literatur,
die, wenn das Tageblatt den Lesekreis durchlaufen, vergessen
werden können und sollen; diese aber soll nicht
vergessen werden, damit dem Urheber bleibe, was
ihm gebührt.
Ich selbst wage über Kleists Tod nichts weiter
zu sagen, als daß er, wenn ich mich so ausdrücken darf,
amLeben gestorben
sei, woraus wir die Lehre ziehen, daß wir mit allen Kräften
nach dem Vermögen streben sollen, am Leben und
im Leben stets neues Leben uns zu bereiten, so
wie das Warten und Dulden stets von neuem zu lernen.
\1\ Selbst eine
durchgängige Ironie
und Parodie der Griechenwelt kann dem ächten Genie der
Modernen nie verboten werden, ein Weg, den Shakspear in
seinem Troilus und Cressida eingeschlagen
hat. Satire oder gar Persifflage wäre hier, wie sich von
selbst versteht, völlig unstatthaft; nur von anmuthiger
Ironie und kindlicher Ironie ist hier die Rede.
§§ 5-7 enthalten einen geringfügig gekürzten Wiederabdruck
von Horns >> Rezension des
Käthchen von Heilbronn in den Heidelberger
Jahrbüchern 1812
Emendationen
Schauspieldichter]
Schaulspieldichter D
durchgängige] dnrchgängige
D
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