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Fn. (= Franz Horn), Das Käthchen von Heilbronn, oder die Feuerprobe, in: Heidelbergische Jahrbücher der Litteratur 5 (1812), Nr. 26, 411-415

„Das Käthchen von Heilbronn“


Das Käthchen von Heilbronn, oder die Feuerprobe, ein großes historisches Ritterschauspiel von Heinrich von Kleist. Aufgeführt auf dem Theater an der Wien den 17. 18. und 19. März 1810. Berlin, in der Realschulbuchhandlung. 1810. 198 S. (1 Rthlr.)

In einer Zeit wie die unsrige, die wenigstens in Hinsicht der poetischen produktiven Kraft keinesweges reich zu nennen ist, wo sich das deutsche Gemüth in den Kopf allein oder vielmehr nur in einen Theil des Kopfes, oder gar lediglich in die Schreibfinger gezogen hat, wo man sich nur größtentheils mit poetischen Worten, aber nicht mit poetischen Werken schlägt, in einer solchen Zeit ist es gar sehr und doppelt erfreulich, einen Dichter zu finden, der da in der That und Wahrheit ein dichterisches Gemüth mitbrachte, und ein Werk lieferte, das in sich selbst beruht und fest steht. Damit wollen wir keinesweges dieses Werk für vollendet erklären; wohl aber angedeutet haben, daß das Vortreffliche in demselben das Verfehlte bey weitem überwiege. Zuvörderst hat der Dichter einen Stoff gewählt, den wir nicht anders als durchaus interessant und ächt dramatisch nennen können. Man gelangt zu der Gelegenheit, dieses Lob auszusprechen, jetzt so selten, das wir es schon um deshalb accentuiren möchten. Unsre vornehm thuenden Formpoeten kümmern freylich sich wenig um den Stoff, doch die dichterische Nemesis rächt eine solche Vernachläßigung, wie wir wissen, nur zu sehr, und – die „kalten ausgeblasenen Straußeneyer,“ von denen wir bereits in einer früheren Recension redeten, sind die Folgen davon. Ganz anders dachte hierüber der offene, edle Schiller, von dem uns einst der verstorbene Huber erzählte, er habe oft in den Jahren 1784 ff. voll hohen Eifers ausgerufen, er würde zuweilen gern sein letztes Hemd für einen guten, ächt tragischen Stoff hingeben.
Gehen wir jetzt zu den Charakteren über, so dürfen wir ohne Scheu behaupten, daß der des Heilbronner Käthchens durchaus neu, und in seiner Neuheit vollendet sey. Ferner, daß wir ihr Verhältnis zu dem Grafen von Strahl für ein rein poetisches, noch nie gezeichnetes halten. Hier ist es, wo wir den wahrhaften Dichter erkennen. Daß ein Buch gute, oder auch vortreffliche Stellen hat, ist wenig; denn eine jede Schrift, <412:> die dergleichen nicht hat, möchte man fast ungewöhnlich schlecht nennen, daß ein oder mehrere Charaktere kraftvoll begonnen und glücklich durchgeführt werden, und daß sie sich in gewählten Situationen abspiegeln, ist bey weitem mehr; dennoch haben wir Beyspiele, daß auch der reinen, trefflich gediegenen Prosa und der bloß tiefen Verständigkeit dergleichen gelingen möge. Doch ein durchgeführtes Verhältniß, wie z. B. das der Mignon zum Wilhelm Meister, des Prinzen Heinrich zum Falstaff, des Sancho zum Don Quixote, des Siebenkäs zum Leibgeber, gelingt nur dem poetischen Genie. Etwas ähnliches ist Hrn. v. K. in Käthchens Verhältniß zu dem Grafen Strahl geglückt. Hier war die Grenzscheide, wo der Verstand allein nicht ausreicht, und die Poesie allein den Weg zeigt: und sie hat ihn den rechten geleitet.
Wenn wir bey dieser Gelegenheit noch bemerkt haben, daß fast jedes entschiedene Lob, das man einem Dichter zollt, fast immer wie ein Machtspruch klingen muß, vor welchem Vorwurfe wir uns indessen durch das einfache Hinzeigen auf das Buch selber verwahren wollen, so können wir jetzt zugleich zu dem Tadel übergehen, den manche, ja viele Partieen dieses Buchs verdienen. Wenn wir zu jenen beyden, bereits genannten, gelungenen Charakteren noch Käthchens Vater hinzurechnen (ob er gleich S. 21 und 22 aus dem Costum zu gehen scheint) so finden wir auch nicht einen mehr, den wir als vollständig anerkennen könnten. So haben sich Helena und Eleonore, Maximilian von Freiburg, der Rheingraf von Stein, vor allem aber Gottfried Friedeborn, Käthchens ehemaliger Bräutigam, gar kümmerlich behelfen müssen mit ein paar Strichen, die der Verf. gleichsam im Fluge an ihre Charakteristik gewandt hat. Kunigundens Charakter, mit dem es dem Verf. ein hoher Ernst gewesen zu seyn scheint, ist dagegen so stark und grell ausgezeichnet worden, daß man ihn dafür fast lieber verwischt und verwaschen wünschen möchte; denn in der That, so wie er jetzt dasteht, ist er widrig und hart, und es könnte dabey gar leicht jene Empfindung erregt werden, die leider nicht vermieden werden kann, wenn die Phantasie mit der Magenhaut collidirt. Wir müssen ferner bemerken, daß fast jede Scene, in welcher Käthchen nicht erscheint, ohne den gehörigen Fleiß, ja sogar ohne Fülle von Liebe, behandelt worden ist, was um so bemerkbarer wird, da jede andere, in der das herrliche Mädchen wieder auftritt, in vollem Licht und reiner Wärme prangt. Hie und da geht auch das Stück in die Breite, und es kann uns dabey zu Muthe werden, als hörten wir einem zwar sehr interessanten, doch zu weitläufig behandelten Prozesse zu, dem man eben weil er uns <413:> so sehr anzieht, um so mehr Concentration wünschen möchte. Endlich müssen wir noch bemerken, daß der fünfte Akt sich nicht eng genug an den Schluß des vierten zu schließen scheint, und daß der fünfte die hoch gespannten Erwartungen nicht völlig befriedigt. Dürften wir uns eines recht gewöhnlichen Ausdrucks bedienen, so würden wir sagen, der Dichter habe, seines Sieges gewiß, in dem genannten Akte es gar zu sacht angehen lassen.
Nach diesen Bemerkungen wird man nun noch erwarten, daß von diesem sehr bedeutenden Drama hier einige Auszüge gegeben werden, und allerdings wünschten wir dies zu thun, um dem Stücke selbst noch mehrere Freunde zu verschaffen. So möchten wir z. B. sämmtliche Scenen zwischen dem Grafen und Käthchen abschreiben lassen, doch würden wir dann mehr als ein Drittel des ganzen Werkes mittheilen, welches die Leser dieser Zeitung billigerweise nicht erwarten werden. So möchten wir auch gern Theobalds Erzählung von der sogenannten Verführung seiner Tochter (S. 10 bis 16) mittheilen; doch ist sie zu lang für diese Blätter, und würde auch nur ein Beyspiel von dem durchaus Gelungenen in diesem Werke seyn. Deshalb begnügen wir uns hier einen Monolog mitzutheilen, der sowohl von dem Talent, als von den einzelnen poetischen Irrungen des Verf. Zeugniß geben wird.

Zweyter Akt, erster Auftritt.

Der Graf von Strahl (tritt auf, mit verbundenen Augen, geführt von zwey Häschern, die ihm die Augen aufbinden, und alsdann in die Höhle zurückkehren. – Er wirft sich auf den Boden nieder und weint.)
Nun will ich hier wie ein Schäfer liegen und klagen. Die Sonne scheint noch röthlich durch die Stämme, auf welchen die Wipfel des Waldes ruhn; und wenn ich nach einer kurzen Viertelstunde, so bald sie hinter den Hügel gesunken ist, aufsitze, und mich im Blachfelde, wo der Weg eben ist, ein wenig daran halte, so komme ich noch nach Schloß Wetterstrahl, ehe die Lichter darin erloschen sind. Ich will mir einbilden, meine Pferde dort unten, wo die Quelle rieselt, wären Schaafe und Ziegen, die an dem Felsen kletterten und an Gräsern und bittern Gesträuchen rissen; ein leichtes weißes linnenes Zeug bedeckte mich, mit rothen Bändern zusammengebunden, und um mich her flatterte eine Schaar muntrer Winde, um die Seufzer, die meiner von Gram sehr gepreßten Brust entquillen, gradaus zu der guten Götter Ohr empor zu tragen. Wirklich und wahrhaftig! Ich will meine Muttersprache durchblättern, und das ganze, reiche Kapitel, das <414:> diese Ueberschrift führt: „Empfindung“ dergestalt plündern, daß kein Reimschmidt mehr auf eine neue Art soll sagen können: ich bin betrübt. Alles, was die Wehmut Rührendes hat, will ich aufbieten, Lust und in den Tod gehende Betrübniß sollen sich abwechseln, und meine Stimme wie einen schönen Tänzer, durch alle Beugungen hindurch führen, die die Seele bezaubern; und wenn die Bäume nicht in der That bewegt werden, und ihren milden Thau, als ob es geregnet hätte, herabträufeln lassen, so sind sie von Holz, und alles, was uns die Dichter von ihnen sagen, ein bloßes liebliches Mährchen. O du – – – wie nenn ich dich? Käthchen! Warum kann ich dich nicht mein nennen? Käthchen, Mädchen , Käthchen! Warum kann ich dich nicht mein nennen? Warum kann ich dich nicht aufheben, und in das duftende Himmelbett tragen, das mir die Mutter daheim im Prunkgemach aufgerichtet hat? Käthchen, Käthchen, Käthchen! Du, deren junge Seele, als sie heut nackt vor mir stand, von wollüstiger Schönheit gänzlich triefte, wie die mit Oelen gesalbte Braut eines Perserkönigs, wenn sie, auf alle Teppiche niederregnend, in sein Gemach geführt wird. Käthchen, Mädchen Käthchen! Warum kann ich es nicht? Du Schönere als ich singen kann, ich will eine eigene Kunst erfinden und dich weinen. Alle Fiolen der Empfindung, himmlische und irdische, will ich eröffnen, und eine solche Mischung von Thränen, einen Erguß so eigenthümlicher Art, so heilig zugleich und üppig, zusammen schütten, daß jeder Mensch gleich, an dessen Hals ich sie weine, sagen soll: sie fließen dem Käthchen von Heilbronn! – – – Ihr grauen bärtigen Alten, was wollt ihr? Warum verlaßt ihr eure goldnen Rahmen, ihr Bilder meiner geharnischten Väter, die meinen Rüstsaal bevölkern, und tretet in unruhiger Versammlung hier um mich herum, eure ehrwürdigen Locken schüttelnd? Nein Nein Nein! Zum Weibe, wenn ich sie gleich liebe, begehr ich sie nicht; eurem stolzen Reigen will ich mich anschließen: das war beschlossene Sache, noch ehe ihr kamt. Dich aber, Winfried, der ihn führt, du erster meines Namens, Göttlicher mit der Scheitel des Zeus, dich frag’ ich, ob die Mutter meines Geschlechts war, wie diese: von jeder frommen Jugend strahlender, makelloser an Leib und Seele, mit jedem Liebreiz geschmückter, als sie? O Winfried! Grauer Alter! Ich küsse dir die Hand und danke dir, daß ich bin; doch hättest du sie an die stählerne Brust gedrückt, du hättest ein Geschlecht von Königen erzeugt, und „Wetter vom Strahl“ hieße jedes Gebot auf Erden! Ich weiß, daß ich mich fassen und diese Wunde vernarben werde: denn welche Wunde vernarbte nicht der Mensch? <415:> Doch wenn ich jemals ein Weib finde, Käthchen, dir gleich: so will ich die Länder durchreisen und die Sprachen der Welt lernen, und Gott preisen in jeder Zunge, die geredet wird.“ –
Fassen wir unser Urtheil über dieses Werk mit wenigen Worten zusammen, so möchte es etwa so lauten: Das Gute in demselben gab der Genius der Poesie, der, wie verlauten will, einigen hundert andern neuen Poeten, selbst auf die magischsten Beschwörungen, nicht erscheinen will; das Verfehlte kann die Feder mit leichten raschen Zügen tilgen, und wohl jedem Dichter, der nur solche Fehler sich zu Schulden kommen läßt, die man ausstreichen kann, ohne dem Werke selbst an das eigentliche Leben zu greifen.

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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