Karl Wilhelm Ferdinand
v. Funck, Robert Guiscard Herzog von Apulien und Calabrien,
in: Die Horen 9 (1797), 1. Stück, 1-58; 2. Stück, 1-33;
3. Stück, 1-14; darin: 1. Stück, 1-5
I.
Robert Guiscard
Herzog von Apulien und Calabrien.
In den stürmischen Perioden der Anarchie und der Gährung, welche nach der
Wiederherstellung des Abendländischen Throns auf den Verfall der ersten herrschenden
Kaiserfamilien folgten, konnte es einem kühnen Abentheurer nicht an Gelegenheit fehlen,
sich durch glänzende Thaten in der Geschichte zu verewigen. Aus den Trümmern der
Carolingischen Monarchie waren zwar nach und nach mehrere neue Reiche hervorgegangen, aber
noch hatte keins derselben eine feste Verfassung, und so lange noch keine bestimmte
bürgerliche Ordnung die Plätze im Staate vertheilte, blieb es jedem Einzelnen
überlassen, sich den seinigen nach dem Maaß seiner Fähigkeiten oder seiner Begierden zu
suchen. Unruhige Köpfe und grosse Genien begegneten einander auf derselben Laufbahn, und
bey einem unternehmenden Geiste fand selbst der Privatmann <2:> nicht selten
Mittel, sich zu dem Range mächtiger Fürsten empor zu heben. Aber der Schritt blieb immer
ein Riesenschritt, und selbst die Möglichkeit, den Preis zu erringen, erschwerte den
Sieg, weil jedes Beyspiel eines glücklichen Erfolgs die Menge der Kämpfer vermehrte. Es
gehörten schon mehr als gemeine Kräfte dazu, um unter den Zeitgenossen hervor zu ragen,
und Tapferkeit mußte sich mit einem gleich hohen Grade von Klugheit in dem Manne paaren,
der seine Mitstreiter beherrschen wollte.
Gern
verweilt man bey den Denkmalen persönlicher Grösse, welche die Jahrbücher jener Zeiten
uns aufbewahrt haben, gern verfolgt man die eigne Bahn, welche der kühne Muth sich brach,
sieht ihn im Kampf mit gehäuften Schwierigkeiten seine Anstrengungen verdoppeln, vom
Schicksal niedergeworfen mit verjüngter Kraft sich wieder erheben und keinem andern
Gesetz, als der Nothwendigkeit, weichen. Noch anziehender aber wird diese Betrachtung,
wenn das Werk des grossen Mannes nicht blos eine vorübergehende Erscheinung war, wenn er
nicht nur für die kurze Periode seines Lebens, sondern auch für die Nachwelt gebauet
hat. Selten findet man beides; oft überlebte das stolzaufgethürmte Gebäude kaum das
folgende Menschenalter, und was das Schwerdt verbunden hatte, wurde auch eben so schnell
durch das Schwerdt wieder getrennt. Nur der Staat der Normannen im untern Italien hängt
trotz den Revolutionen von sieben Jahrhunderten noch mit dem heutigen Zustande Europens
zusammen, und die Provinzen der Longobarden, Saracenen <3:> und Griechen,
welche Robert Guiscard unter seinem Szepter vereinigte, machen noch jetzt das
Königreich Neapel aus.
Roberts
Vorfahren hatten unter der Anführung Rollos ihr beeistes Vaterland in dem
äusersten Norden verlassen, und die französische Provinz erobern helfen, welche bis in
die spätesten Zeiten den Namen der Normannen geführt hat. Hier, in dem District von
Contances, lebte Tancred von Hauteville, ein Edler aus der Klasse der
Bannerherren, auf seinen Gütern, von welchen er auf den Ruf seines Lehnsherrn zehn
Reisige zu stellen verpflichtet war. Dies geringe Erbtheil konnte den Ehrgeiz seiner
zwölf Söhne, die er mit zwey Gemahlinnen erzeugt hatte, nicht befriedigen; von ihrem
Schwerdt erwarteten sie Ruhm und Glück. Nur zwey von ihnen blieben halb gezwungen
zurück, die väterlichen Güter anzubauen, die zehn übrigen zogen, so wie sie das
Jünglingsalter erreicht hatten, auf Abentheuer aus.
Das
untere Italien war damals der Schauplatz, wo sich die Tapferkeit der normännischen Jugend
übte. Seit Jahrhunderten stritten die mächtigsten Nationen der Erde um den Besitz dieses
Landes, aber keiner von ihnen war es gelungen, ausschliessend ihre Herrschaft daselbst zu
gründen. Die Fürstenthümer von Salerno, Capua und Benevent hatten das Andenken der
longobardischen Namens aufbewahrt, und an der Seeküste lebte unter dem griechischen
Szepter der schwache Überrest des Exarchats fort, welcher den Städten Neapel und Amalfi
das Vor- <4:> recht eigner Gesetze und einer republikanischen Verfassung ließ.
Die deutschen Kaiser konnten nur an der Spitze eines Heers in diesen entlegnen Gegenden
ihre Rechte geltend machen, in ihrer Abwesenheit behaupteten die Fürsten der Longobarden
ihre Unabhängigkeit, und der byzantinische Statthalter oder Katapan zu Bari maßte sich
die Herrschaft über ganz Apulien und Calabrien an. Durch die vereinten Kräfte beider
christlichen Kaiser waren zwar die Saracenen von dem festen Lande vertrieben worden, aber
sie blieben Meister von Sicilien und vermehrten noch durch wiederholte verheerende
Streifzüge das Elend eines durch die Uneinigkeit seiner verschiednen Beherrscher
fürchterlich gedrückten Volkes.
Im
Jahre 1016 hatten die ersten Normannen diese Gegenden betreten. Andacht oder Zufall
führte sie auf dem Rückwege von Jerusalem nach Salerno, sie leisteten dieser Stadt,
welche von den Saracenen belagert wurde, wichtige Dienste, mehrere Abentheurer aus ihrem
Vaterlande gesellten sich zu ihnen, und die unaufhörlichen Kriege der Longobarden,
Griechen und Mahomedaner, an denen sie Antheil nahmen, gaben ihnen Beschäftigung und
Unterhalt. Die Stadt Aversa war ihre erste Niederlassung in Italien, und nach
sieben und zwanzig Jahren errichteten sie einen eignen Staat in dem innländischen
Apulien, welches sie dem Szepter der constantinopolitanischen Kaiser entrissen. Zwölf
Anführer, die den Grafentitel annahmen, theilten die eroberten Städte unter sich, und Wilhelm
mit dem eisernen Arm, der älteste der Söhne <5:> Tancreds von Hauteville,
genoß der Ehre, durch die einmüthige Stimme der Nation zum Oberhaupt der Krieger und zum
Vorsteher ihrer Versammlungen zu Melfi erwählt zu werden.
Er
lebte nicht mehr, und sein Bruder Drogo war ihm in der höchsten Würde gefolgt, als Robert,
der sechste Sohn Tancreds, in einem Alter von zwey und zwanzig Jahren das väterliche Haus
verließ. Fünf Reisige machten die ganze Begleitung des Jünglings aus, und
wahrscheinlich würde auch diese Aussteuer die Kräfte seines Vaters überstiegen haben,
wenn nicht der Ruf von dem Glück des Hauses Hauteville eine Menge unbegüterter Ritter um
die Söhne des alten Tancreds versammlet hätte. Robert gieng im Jahre 1047 über die
Alpen, und machte die Reise im Pilgerkleide, um den Nachstellungen der Römer und Tuscier
zu entgehen, die das Glück der nordischen Fremdlinge mit eifersüchtigen Augen
betrachteten; aber er konnte doch nicht ganz verborgen bleiben, und unterweges gesellten
sich noch dreißig Fußgänger zu ihm. Mit diesem Gefolge trat er vor seinen Bruder.
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