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                     Wilhelm Dorow, 
                      Reminiscencen. Goethes Mutter nebst Briefen 
                      und Aufzeichnungen zur Charakteristik anderer merkwürdiger 
                      Männer und Frauen (Leipzig: Hinrichs 1842), 101-103 
                       
                      Achim v. Arnim an Wilhelm Dorow, Berlin, 30. 1. 1810 
                      
                       
                         - Berlin den 
                          30. Januar 1810.
 
                      
                      - Lieber Dorow! 
                        Sie erhalten beiliegendes dramatisches Werk zum neuen 
                        Jahre mit dem Wunsche, daß Sie meiner auch künftig gedenken. 
                        Dringen die hiesigen Abendblätter 
                        wohl bis zu Ihnen? Ich vermuthe, da Scheffner etwas hineingeliefert 
                        hat. Haben Sie es gelesen? Ich kann es nicht loben, denn 
                        mir ist es durchaus verhaßt, einen im Augenblicke jetziger 
                        Staatsverhältnisse so durchaus ernsten Gegenstand wie 
                        das leichtsinnige Umwälzen der ältesten inneren Staatsverhältnisse 
                        einer Theorie zu Gefallen, blos mit Persönlichkeiten gegen 
                        Adam Müller, der sie in keiner Art verdient, beantwortet 
                        zu sehen. Schon jetzt sehen die Schüler von Smith-Krause, 
                        daß dieses Staatsverbessern, wenn es so aus der Willkühr 
                        einiger Einzelnen ausgeht, sehr bald in den Händen Anderer 
                        zu einem Druck, zu einem Zwange wird, der wohl schwerlich 
                        in ihrer Absicht war. Diesen Druck, der insbesondere alles 
                        Schreiben über Landesangelegenheiten unterdrückt, hat 
                        Kleist bei seinen Abendblättern sehr lästig gefühlt; über 
                        die Hälfte der Aufsätze wurden von der Censur der Polizei 
                        unterdrückt, häufig mußte er sich mit Lückenbüßern behelfen. 
                        Ueber das Theater ward gar keine freie Aeußerung erlaubt; 
                        Iffland und Hardenberg hängen wie Rad und Wagenschmiere 
                        zusammen. Ein gewöhnliches Lachen über eine schlechte 
                        Sängerin, M. Herbst, die eine Hauptrolle bekommen 
                        hatte, auf die drei Andere nähere Ansprüche machten, hat 
                        die Verbannung von fünf jungen Leuten nach sich <102:> 
                        gezogen; nun soll mir doch Niemand von englischer Verfassung 
                        und Freiheit reden, der zu gleicher Zeit alle äußere Freiheit 
                        in ihren bedeutenden und unbedeutenden Aeußerungen aufhebt. 
                        Doch genug von unserer jetzigen Staatsverwaltung, die 
                        sich schon jetzt mit unüberlegten Gesetzen so verfahren 
                        hat, daß sie endlich doch schon nöthig finden soll, an 
                        eine Art Konstitution zu denken.
 
                         Von unsern Reisenden\1\ in Frankreich habe ich zweimal 
                        Nachricht erhalten, alle sind wohl und entzückt über die 
                        Schönheit der Länder; ich habe ihnen geschrieben, was 
                        wir hier haben, sie werden sich wohl nicht sobald zurücksehnen. 
                        Schwink\2\ habe 
                        ich hier wenig gesehen, er lebte in einem zahlreichen 
                        Kreise neuer und alter Bekannten; ich lebe eingezogen 
                        meinen Büchern und wenigen Bekannten, wir erwarten ihn 
                        dieser Tage aus Hamburg zurück. Es ist eine der kuriosesten 
                        Handelsconjunkturen jetzt, unsre Stadt ist voll fremder 
                        Kaufleute aus allen Gegenden der Welt, die auf Neuigkeiten 
                        lauern. 
                         Ich wünsche, daß Sie die Weihnachtszeit fröhlich 
                        verlebt haben; mir war sie sehr heiter, über zwanzig verschiedenartige 
                        Ausstellungen ergötzten die Stadt, die beste war der Brenner, 
                        die Landschaft von Pr. Lütke gemalt, über sechshundert 
                        Tyroler und Bayern als Puppen mit einander im Gefecht, 
                        um einen Paß zu gewinnen.  Reichardt ist wohl, <103:> 
                        aber durch die Nachlässigkeit von Iffland rückt es mit 
                        der Aufführung seiner Oper nicht vor. 
                        Meine Empfehlung den Ihren; mit vieler Achtung Ihr 
                     
                    Achim 
                      Arnim. 
                       
                     
                      - \1\ 
                        Die Familien des Kaufmanns Schwink und Präsident v. Wißmann 
                        in Königsberg in Pr.
 
                        \2\ 
                        Der Kaufmann und Commerzienrath Schwink aus Königsberg 
                        in Pr., Schwager des Geheimen Staatsraths v. Stägemann. 
                          
                         
                         
                     
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