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<Friedrich Gottlob Wetzel>, XII. Geisternähe, 48

XII. Geisternähe.
(Fragment.)

Nicht stumm, wie sie dem blöden Sinn sich zeigen,
Sind Felsen, Bäume, Quellen, um dich her,
Drum scheue du des Orts geheimen Zeugen,
Denn keine Stätte ist von Geistern leer,
Es wird noch nach Jahrhunderten nicht schweigen,
Verborgne Gräuel rügen streng und schwer.
Und in unheimlich schreckenden Gesichten,
Urenkeln noch die Missethat berichten.

Denn gleichwie Lettern dem Gedanken Leben
Noch bei den spätesten Geschlechten leihn,
So prägt den Dingen, die ihn still umgeben,
Der Mensch bedeutungsvoll sein Bildniß ein,
Und will ein Sturm sich wider ihn erheben,
Oft stellen sich geheime Boten ein.
Der todte Hausrath selbst muß sich beleben,
Und seltne Töne ahndend von sich geben.

Nur Eine Hemisphär’ ist uns geblieben.
Die Andre ist uns unbekanntes Land,
Doch oft umleuchtet uns ein Blitz von drüben,
Ergreift uns eine räthselhafte Hand,
Da ist ein andrer Haß – und ander Lieben,
Und andrer Zungen seltsamer Verstand.
Hier bindet nicht des Raumes träge Schranke,
Und was du Zeit nennst, ist hier Ein Gedanke.

In ew’gem Wandel weben dort Gestalten,
Die ewig fern und unaussprechlich nah,
Entfliehn willst du und fühlst dich fest gehalten,
Und was dein Auge sonst verhüllt nur sah,
Es bricht der Wundergeist aus seinen Falten,
Du selber stehst vor deinen Augen da,
Doch eh’ du dich vom ersten Schreck besonnen,
Entflohn ist die Erscheinung und zerronnen.

 

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Letzte Aktualisierung 30-Mär-2003
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