XI. Italienisches
Theater, Masken, Extemporiren.
(Aus A. Müllers Vorlesungen über dramatische Kunst.)
Die Poesie und das
Drama hätten wir demnach in ihren Hauptformen historisch
betrachtet; indem wir mit Bewundrung und Ehrfurcht
bei den Griechen sowohl als bei den Häuptern des romantischen
Dramas verweilten, indem wir ferner nicht ohne Liebe,
die Eigenheiten der römischen und französischen Poesie
herausstellten, konnte nicht davon die Rede sein,
aus irgend einer dieser Formen ewige Regeln für die
Gestaltung des Dramas herzuleiten, noch weniger irgend
eine einzelne dieser Formen zum allgemeingültigen
Muster oder Ideale des Dramas zu erheben. Wenn wir
auch hier und dort einzelne Züge des poetischen Lebens
vermißten, so suchten wir durch die Erklärung des
Mangels, den wir vorfanden, durch historische Erörterung
der Einseitigkeit uns mit ihr wieder zu versöhnen.
– Wie entsteht unter gleichgestimmten harmonischen
Gemüthern dennoch so oft Groll und Verstimmung? Dadurch,
daß einer der beiden Freunde thut, was dem andern
unbegreiflich, unerklärlich, unzusammenhängend mit
seinem übrigen Character erscheint. Wie wird die gleichmäßige
Stimmung, die Harmonie der Freunde wieder hergestellt?
Dadurch, daß der Vorwurf, den der eine dem andern
macht, recht zur Sprache kommt, dadurch, daß der beschuldigte
Freund Raum bekommt, sein Betragen zu erklären, die
Geschichte seines Fehlers zu erzählen, und so der
andre einsieht, wie dieser Fehler denn doch mit allen
den übrigen, alten Liebenswürdigkeiten seines Freundes
in genauestem Zusammenhange stehe. Kein Freund wird
den andern in ewig gleicher, niegestörter Klarheit,
als Ideal des Freundes zur Seite stehen können: immer
wird eine verborgene Eigenheit oder Einseitigkeit
seines Gemüths zum Vorschein kommen, und ein erklärendes
Gespräch darüber beruhigen müssen. Eben so wird keine
Kunstform dem Menschen und Künstler ungestört vorleuchten
können, keine einzelne wird das Gemüth ihres Freundes
ganz durch sich, durch ihr bloßes ruhiges Dasein völlig
erfüllen können. Wenn demnach das romantische Drama
an Mängel und Einseitigkeiten des Griechischen erinnert,
wenn andrerseits der Reichthum und die Fülle eines
Calderon uns fühlen läßt, wie er denn doch den Rhythmus
und die Ruhe der Griechen entbehre, so <41:>
bleibt nichts übrig, als sich mit jeder einzelnen,
der Einseitigkeit beschuldigten Kunstform in freundschaftliches
Gespräch einzulassen, sie gewissermaßen zum Worte
kommen zu lassen, damit sie zeigen könne, wie aus
dem Zustande, den Sitten, der Religion ihres Volkes
sie, gerade sie, in aller ihrer Eigenthümlichkeit
und mit ihren Mängeln habe entspringen müssen. Ich
glaube, wir haben dies redlich und mit Frömmigkeit
gethan! die einzelnen Formen haben sich verantwortet,
und die Vortrefflichkeit einer jeden in ihrer Art
ist in gehöriges Licht gestellt worden! –
Wenn
ich ein Künstler wäre, oder wenn die Umstände meiner
Seele ihre volle Freiheit und den Genuß schöpferischen
Lebens gestattet hätten, so hätten Sie in diesen Vorlesungen
noch etwas ganz andres empfangen müssen. Ich hätte
alle die einzelnen Formen der dramatischen Poeise
nicht in Abhandlungen, nicht in gutgesinnten, von
der Frömmigkeit oder der Billigkeit ihres Verfassers
allein Ihnen zugeeigneten Reden, darstellen müssen;
– sondern es hätte vor Ihren Augen selbst wieder ein
großes Drama entstehen müssen, dessen einzelne
Personen, alle jene von mir kalt dargestellte Repräsentanten
der dramatischen Kunstformen gewesen wären; ein Drama,
worinn Shakespear und Aristophanes und Plautus und
Calderon und Racine, jeder auf seine eigenthümlich
schöne Weise handelnd dargestellt worden wären, wo
jeder von diesen das schöne Geheimniß seines künstlerischen
Lebens, mit Fülle und Lebenskraft vor Ihnen ausgebreitet
hätte, und durch aller dieser Künstler Eigenheit die
Fülle der Kunst selbst verklärt worden wäre; ein Drama,
dessen Held vielleicht Shakespear gewesen sein würde,
der endlich, nach würdiger Vorbereitung auf wahrhaft
tragische Weise hätte fallen; hätte, wie groß und
fast allmächtig seine Kunst und die Gewalt seiner
Seele gezeigt worden wäre, dennoch zuletzt geopfert
werden müssen, dem ewigen Ideal, der allgemeinen unendlichen
Schönheit, die, so lange dieses irdische Geschäft
des Bildens und Wirkens besteht, immer herrlicher
an den Tag kommen soll. – Solches herrliche, der Kunst,
die ich zu verkündigen unternommen hatte, wahrhaft
würdige Geschäft hat nicht zu Stande kommen können!
– möge die Beschreibung des Ideals, die Mangelhaftigkeit
meiner Ausführung einigermaßen ersetzen; möge der
im Herzen still verborgene Wille dem ausgesprochnen
Werke einige Vollständigkeit geben, die wenigstens,
welche es haben muß, damit sie in der nächsten Stunde
mich mit Wohlwollen entlassen können. –
Wenn
die Kritik der Dichter denn nicht selbst wieder ein
Gedicht sein kann, so muß sie es wenigstens fühlen
lassen, daß sie ein Gedicht hat sein wollen. Nichts
ist verwerflicher als jenes kalte Zergliedern, jenes
chemische Zerlegen, wo der Kritiker anstatt die Lebenserscheinung
seines Gegenstandes zu geben, endlich von etwas ganz
anderm als von der Kunst in dem Werke gesprochen hat,
nemlich von allem, was der Handwerker oder der gemeine
Rechner auch hätte mit Fleiß und Genauigkeit zu Stande
bringen können. – Geht also, frägt es sich, aus diesen
Vorlesungen mit einiger Deutlichkeit hervor, wie ein
dramatisches Gedicht beschaffen sein müsse, und sind
wenigstens Spuren dramatischen Geistes darin? Ist
nicht etwa blos jeder einzelnen <42:> Kunstform,
die eine Person des großen Dramas abgeben soll, gehuldigt
worden, so etwa, daß von Griechen und Spaniern, Römern
und Franzosen, mit umschreibenden Worten nichts anders
gesagt worden wäre, als daß jede von ihnen in ihrer
Art gut sei, oder ist etwa mit monologischer Partheilichkeit
für den Helden, den Shakespear endlich das Resultat
gewesen, daß alle übrigen Personen dieses Dramas,
dieser Kunstwelt gegen ihn gehalten, nichts bedeuteten?
– In beiden Fällen wäre das Unternehmen verwerflich!
Aber so ist es nicht! Unter allen diesen auf und abtretenden
Kunstformen, die weder durch ihre bloße Mannichfaltigkeit
das Auge allein ergötzten, noch durch ihre bloße mechanische
Subordination unter einer einzelnen Kunstform dem
kalten Verstande sich gefällig bezeigten, hat sich,
zwar unvollkommen, aber gerecht und zuverläßig,
die Idee des Dramas entwickelt, die da sein mußte,
um zu zeigen, wie eine höhere, allgemeinere und reinere
Kunstform zu erwarten ist, und wie besonders die Bestrebungen
der Deutschen, so wenig bis auf diesen Augenblick
auch noch wirklich erreicht sein mag, dahin zielen,
sie ans Licht zu stellen. Nur auf deutschem Boden
können die Bühnen und Dichter früherer Zeit, die hier
beschrieben worden sind, versammelt werden; nur uns
gab Gott die Ruhe, die Umsichtigkeit, den Fleiß, das
alte Mißtrauen in die eignen Kräfte und den Glauben
an die Vortrefflichkeit andrer Nationen, und, ich
möchte hinzusetzen, das edle Mißtrauen in die eigne
Bewundrung, in die eigne natürliche Vorliebe, die
wir für die Griechen und für die Spanier hegen möchten;
das Mißtrauen, das uns auf die unserm Nationalcharacter
am meisten widersprechenden Formen der Römer und der
Franzosen sogar wieder zurückführt. Der Gott wird
uns dereinst auch wieder die Witterung des Glücks
schenken, die nothwendig ist, wenn der vaterländische
Boden und der darauf ausgestreuete Saamen sich innig
verbinden und neues, ganz neues und schöneres Leben
zu erzeugen sollen. –
Nicht
blos durch alte Formen der politischen Welt, sondern
durch die Vorherbestimmung der Natur ist Italien an
Deutschland gebunden, die südliche Spitze der deutschen
Welt, da man wohl sagen kann, daß, was uns an Naturvorzügen
versagt worden, dieses alles Italien in reichem Maaße
besitze und so umgekehrt. Durch das ganze Mittelalter
hindurch die Gleichheit der politischen Schicksale;
auf beiden Seiten die Zerstückelung des Bodens in
kleine republikanische und monarchische Staatsformen;
auf beiden Seiten mächtige Wirkungen vom Einfluße
der Nachbarn; ähnliche Trennung des nördlichen vom
südlichen Italien, wie das nördliche vom südlichen
Deutschlande, gleicher Mangel eines Mittelpunctes,
einer Hauptstadt. So ist denn auch das italienische
Theater nie durchgedrungen zu der Einheit, zu der
Ganzheit der französischen und der spanischen Bühne.
Es hat so wenig als das deutsche Theater ein eignes
s. g. goldnes Jahrhundert, wie das Jahrhundert
Ludwig XIV. oder Philipp III. und Philipp IV.
in Spanien erlebte. Hier und da in Venedig, in Florenz,
in Neapel, ebenso wie in Deutschland, in Hamburg,
in Wien, in Berlin, in Weimar hat sich eine vorübergehende,
glänzende Blüthe des Dramas gezeigt; wie in Deutschland
<43:> sind Griechen, Römer, Spanier und Franzosen
wechselweise die Muster und die Quellen des italienischen
Theaters gewesen, aber nie hat eben so wenig als in
Deutschland eine eigentliche Nationalbühne errichtet
werden können. Wenn man die Erzeugnisse des italienischen
und des deutschen Theaters im ganzen überschlägt,
so läßt sich nicht leugnen, daß die italienische Bühne
mehr herüber hängt nach der Komödie, die deutsche
hingegen mehr nach der Tragödie. Der Boden und der
Himmel begünstigen in Italien mehr die Poesie, in
Deutschland mehr das Raisonnement und die Philosophie
und dieser Unterschied wird besonders merklich, wenn
man die gleichzeitigen Werke eines Lessing und Gozzi
betrachtet. Beide waren Reformatoren der Bühne, beide
aus Gründen, die man immer ähnlicher findet, je länger
und aufmerksamer man sie miteinander vergleicht, aber
in der Ausführung, welcher kritische Calcul in Lessing,
und welches Übergewicht der poetischen Haltung in
Gozzi. Wie idealisch, wie sinnig und wie tactvoll
war der Gang den Gozzi einschlug, um den ausländischen
Einfluß zu verdrängen, um die falsche Leidenschaftlichkeit
und das schwerfällige Komische, die auf eine höchst
unitalienische Weise in Goldonis Arbeiten zusammengeschoben
waren, und durch Mode und Gewohnheit allein unterstützt
wurden, um diese höchst unpoetische Manier sanft zu
beseitigen, und seine Tragicomödien an ihre Stelle
zu setzen.
An
ein fortgehendes großes Zeitalter des blühenden Dramas,
wo der Schüler den Meister, und jenen wieder ein größerer
und fruchtbarerer Nachfolger verdrängt, ist, wie schon
bemerkt, in Italien so wenig zu denken als in Deutschland,
dazu fehlt es an nationaler Begünstigung des Talents,
an einem Mittelpunct der Kunst und politischen Einheit;
aber dennoch läßt sich in einzelnen Bruchstücken,
an einzelnen vorübergehenden Meistern das eigenthümliche
Wesen der italienischen wie der deutschen Komödie
erkennen. Zu den hervorstechendsten Eigenschaften
des italienischen Theaters gehören nun die Masken
und das Extemporiren, die beide von Gozzi in
Schutz genommen wurden.
Es
ist schon früher bemerkt worden, daß die Comödie nicht
verständlich ist, ohne die Bekanntschaft mit dem dazu
gehörigen Publicum, daß in der Comödie ein beständiges
genaues Verkehr zwischen Publicum und Theater statt
finden müsse; daß die Comödie beständig sich richten
müsse nach der augenblicklichen Stimmung des Publicums,
nach seinen politischen und häuslichen Bedürfnissen;
daß ferner das augenblickliche Betragen des Publicums,
die Äusserungen seines Beifalls, seines Tadels, seines
Kunstgeschmacks unmittelbar hineingezogen werden müssen
in den Gang der Comödie. Der tragische Dichter kann
sein Werk für die Ewigkeit hinstellen, die ewig bleibenden
Gefühle des Herzens, die unwandelbar heiligen Angelegenheiten
der Menschheit sind sein Stoff; die Verknüpfungen
seines Werks sind nothwendig; so unveränderlich wie
die Vergangenheit selbst, die sein Gegenstand ist,
bleiben und reden seine Gestalten. – Sehen Sie dagegen
nun wie bald ein Lustspiel, das auf dem tragischen
Leisten zugeschnitten ist, veraltet; für den Antiquitätensammler
kann es <44:> lange noch merkwürdig bleiben,
aber in das frische Leben des Publicums greifen diese
tauben Apotheker und lateinischen Doctoren des Goldoni,
diese Pourceaugnacs des Moliere, diese Lessingsche
Juste, und Paul Werner nach einem halben Jahrhundert
schon nicht recht ein. Der wesentliche Gedanke der
Poesie und des Lebens ist in der Comödie so gut zu
Hause als in der Tragödie; aber in der Tragödie geht
er hervor aus den Wesenheiten des Herzens, aus dem
ruhigen und nothwendigen Zwiespalt von zwei feindseligen
Naturen in der Brust des Menschen, die sich und ihren
Kampf in jeder neuen Zeit immer wiederfinden werden;
die Formen der Tragödie sind ernst und allgemeingültig,
heroisch, das heißt, durch Geschichte und eigenthümlichen
Glanz geadelt, und werden, wie fremdartig auch ihr
Kostüm sei, schon durch ihren Bund mit der unveränderlichen
Geschichte, immer vom Publicum respectirt werden.
Das Lustspiel hingegen genießt der unbedingtesten
Freiheit; sein Leben besteht in einem reizenden, grazieusen
Spiel, mit den vorübergehenden Formen des Menschlichen,
mit den jeweiligen Sitten, mit der Verfassung der
Familien und des Staats; es kann demnach mit seiner
Wirkung und mit seinen Mitteln nicht nahe genug in
die Gegenwart hineinfallen. – Nun kann freilich der
komische Dichter sehr gut auch noch in unsern Tagen
alte verfallene komische Charactere, z. B. einen
Lessingschen Wachtmeister oder einen verschmitzten
Gastwirth der Minna von Barnhelm auf die Bühne bringen,
nur muß er nicht verlangen, daß diese Personen noch
heut auf die alte Weise an sich selbst für komisch
gelten sollen. Setzen wir dagegen den Fall, der neuere
komische Dichter stellte eine komische Personage jener
alten Schule, und eine von den bis jetzt noch komisch
geltenden des Kotzebue nebeneinander, in der Absicht,
eine dritte viel komischere, die gegenwärtige Zeit
näher ansprechende Person dadurch geltend zu machen,
so hätte er nun offenbar im Geiste des wahren Lustspiels
gehandelt. Setze er nur das gegenwärtige, augenblickliche
Interesse des Publicums in die feurigste Bewegung,
und lasse durch alle bunten Contraste seines Werks
nur deutlich genug den Gedanken aller Kunst und alles
Lebens hindurch schimmern; lasse er nur unter allem
Lachen, welches die sprühende Flamme seines Witzes
erzeugt, tief fühlen den ernsten Zweck – so kann ihm
der Ruhm eines großen Comöden nicht versagt werden. –
Deshalb
nun ist das ächte Improvisiren oder Extemporiren in
der Comödie an seinem wahren Ort, es ist zweckmäßig,
daß der Dichter, der bei der Aufführung nicht gegenwärtig
oder wenigstens nicht allgegenwärtig sein kann, dem
Schauspieler Raum lasse, sein Werk dem Augenblick
und der Stimmung des Augenblicks noch mehr anzupassen.
Mit welcher Dankbarkeit wird schon auf unserer viel
ernsteren, phlegmatischeren Bühne und unter unserm
viel kältern Himmel, jedes gute, klug eingefügte Impromptü
des Schauspielers in der Comödie aufgenommen; wie
nun gar auf einem Theater, wo Dichter und Schauspieler
unter einander, und dann wieder beide mit dem Publicum
so innig einverstanden sind, wie sie es sein sollten.
Um wie viel leiser und tiefer wird der Genuß des Publicums,
wie gelehrig und aufmerksam wird dieses, <45:>
wie gut vor allem lernt es die Kunst zu hören,
die nicht so leicht ist, als es scheint, und die wenigstens
kein Publicum in Deutschland gründlich versteht. Fragen
wir uns nur aufs Gewissen: man kann uns von großen
und ernsten Dingen sprechen, in schönen Formen sprechen,
wir hören, wir merken auf; aber welch ein ganz andres
Hören ist es doch noch, wenn in dem Gesagten eine
unmittelbare, persönliche Beziehung auf uns selbst
liegt, wie schlägt dann das leiseste Wort sogleich
durch unser ganzes Wesen hindurch, zu welchem andern
viel thätigeren Antheil fordert es uns auf? – Welche
Lust also gewährt es, wenn mit der Schonung des heiligsten
Kerns unserer Persönlichkeit, die der komische Dichter
nicht verletzen wird, weil er sie nicht verletzen
kann, alle Äusserlichkeiten unsrer Form nicht verspottet,
aber mit Grazie und gutmüthiger Ironie dem reinsten
Vergnügen der ganzen Versammlung Preis gegeben werden;
und nun das innerlich schönste und beste unsrer Natur,
um so dreister und stolzer nackt heraustritt, jemehr
es wirklich schön und gut ist, wenn der Dichter oder
der extemporirende Schauspieler durch die geschickte
Art, mit der er einzelne Seiten unsers Wesens dem
Scherz zu gefallen heraus hebt, sich das Recht erkauft,
unsern ganzen Werth recht kräftig geltend zu machen. –
Die
Vereinigung zwischen Dichter, Schauspieler und Publicum,
die eine solche Comödie bildet, und in der allein
sie recht vollständig gedeihen kann, gab es zu den
Zeiten des Gozzi, um die Mitte des vorigen Jahrhunderts,
in Venedig. Dazu gehört, werden Sie mir sagen, die
Leichtigkeit des italienischen Bluts; aber was hindert
uns denn, die wir den Sinn für solche Lust keineswegs
entbehren, wenigstens unsern kleinen häuslichen Festen
jene sinnreiche, und den wahren, beweglichen Geist
der Kunst erweckende Form zu geben, und das recht
durchgreifende Ergötzen vorläufig in unsre Häuser,
wenn es die Nation im Ganzen noch nicht ertragen will
oder kann, einzuführen. – Wie manches große jetzt
verborgene Talent käme dadurch zum Wort, und wie würde
dem Geiste der Kunst dadurch gedient, wenn die unmittelbarsten
Verhältnisse des Lebens häufig diese Feuerprobe oder
diese Feuerläuterung des Witzes und der Phantasie
aushalten müßten. Die bloße Gewohnheit des Zusammenlebens
verhärtet und verschließt oft die sinnvollsten Gemüther
gegen einander, der Umgang, seine Formen, gewisse
Respectverhältnisse setzen sich allmählich fest, und
da es dem freien Geiste der Poesie nicht gestattet
wird, mitunter auf eine leichte und geschickte Weise
das Unterste zu oberst zu kehren, da sich nie wie
an den römischen Saturnalien die Diener an den Tisch
setzen und die Herren ihnen dienen, so stocken und
verfaulen dieselben Verhältnisse, die, gehörig angefrischt
und von dem Odem des Lebens zusammengerüttelt und
aufgerührt, einen unvergänglichen, immer höheren Reiz
für alle Theilnehmer behaupten können. –
Eben
so wirkt auf die größere Familie, den Staat, und offenbart
dem Staat das ächte Lustspiel, so daß man getrost
die Folgerung ziehen kann, wo kein Lustspiel zu finden
ist, da ist auch kein wahrer politischer Verein, da
stockt ebenfalls das Blut der bürgerlichen Gesellschaft,
da sind die Stände unter einander und gegen einander
ver- <46:> härtet, da drückt einer den andern,
und fühlt nichts vom andern als diesen Druck. Vom
Geiste des Lustspiels und seiner Wesenheit ist hier
die Rede; von der conventionellen Form einer wirklichen
Bühne, die zur bestimmten Stunde spielt, und von bestimmten
Autoren versorgt wird, wird ganz abgesehn; ob es gleich
sehr wahr ist, daß man auch die Geschichte dieses
wirklichen nationellen Lustspiels nur nachzuschlagen
braucht, um alle Stellen in der Universalgeschichte
zu finden, wo sich wirklich politisches Leben geregt
hat. –
Wenn
auf diese Weise das Publicum durch das Lustspiel in
die unendliche Bewegung der Kunst hineingerissen wird,
und ihm dann die schöne, ebenmäßig eingreifende Tragödie
wieder das Bleibende unter den Formen der Menschheit
und des Lebens in immer glänzenderer Bekleidung darreicht,
so wird der nach neuen Erscheinungen strebende Nationalgeist,
und das nach größerer Befestigung und Treue des Gemeinguts
strebende Nationalherz, eines wie das andre
seine volle Rechnung finden. –
Daß
ich die dramatische Poesie gern auf den Staat beziehe,
wird niemanden befremden; denn wozu das Zusammenströmen
des ganzen Volkes in den Theatern; hoffentlich doch
wohl nicht deshalb, wei die Anstalt zu viel Kosten
macht, als das Einzelne dieselbe bestreiten könnten;
hoffentlich doch wohl auch nicht aus dem andern Grunde,
um in diesem Leben, wo es sich freilich selten genug
ereignet, doch einmal an irgend einer Stelle mit mehreren,
mit vielen zugleich zu lachen oder zu weinen – sondern
um das höchste Gemeingut der Nation, ihre Selbstheit,
ihre Eigenthümlichkeit, ihr gemeinsames Leben (was
doch etwas mehr sagen will, als die Individualität,
die Sitten, und das noch so elegante Privatleben der
einzelnen, ab- und zulaufenden Menschen,) um dieses
gemeinschaftliche Leben gemeinschaftlich mit der Nation
zu schauen und zu genießen. Den Deutschen ist die
Idee des Staates, ungeachtet alles vielfältigen Geschwätzes
darüber, ja sogar die Idee irgend eines Gemeingutes
so fremd, so zu einer Art von Fabel geworden, daß
man wirkliche Präcautionen nehmen und sich vielfältig
verantworten muß, wenn man einmal Beziehungen auf
irgend etwas gemeinsames, den Staat oder die Religion,
mitunter laufen läßt. Daß die besseren Deutschen diese
großen Ideen, eben wegen ihrer überschwenglichen Hoheit
und Größe, in einer so ungünstigen von Mißverständnissen
und Unverständnissen wimmelnden Zeit, wie die gegenwärtige,
lieber gar nicht erwähnen hören wollen, ist eine andre
Sache, und verdient, wegen des so edlen Motifs, Ehrfurcht
und Rücksicht.
Die
Masken sind eine andre Eigenthümlichkeit der italienischen
Bühne in ihrem Wesen wie in ihrer Form, aus dem römischen
Theater entsprungen. Bei Gozzi, d. h. in ihrem
nationalsten Ausdrucke, bilden sie gleichsam die Stammhalter,
die allen den wunderbaren bald aus dem Orient und
China hergenommenen, bald mährchenhaften, bald romantischen
Stoff, aus dem die einzelnen Comödien des Gozzi gebildet
<47:> sind, zusammen halten, indem sie in allen
diesen Werken immer in ihrer alten Persönlichkeit,
mit ihren alten Naturfehlern und moralischen Gebrechen
wiederkehren, und als Minister, als Ärzte, als Erzieher,
immer unmittelbar für die alten vom Publicum wieder
erkannt werden. Ihres Zeichens sind die vier von Gozzi
besonders begünstigten Masken, Pantalon, Brigella,
Tartaglia und Truffaldino, komische, auf den Märkten
von Venedig ursprünglich wirklich existirende Charactere,
die durch ihr langes komisches Leben auf der Bühne
unter den wunderbarsten und verschiedenartigsten Situationen,
eine Art von Sanction durch die Volksgunst erhalten
haben, und die nun ausser dem komischen Genuß, den
sie in dem gegenwärtigen Lustspiele darbieten, auch
noch durch die Erinnerung an frühere Lust, die sie
an den vorhergehenden Abenden in derselbigen Maske
gewährt haben, doppelt und dreifach belustigen, indem
die frühere bestimmte und höchst nüancirte Ergötzung
in dem Augenblick ihrer Erscheinung wieder erwacht,
und die Lust jedes einzelnen theatralischen Abends
dadurch auf alle übrigen Abende zugleich mit ausgegossen
wird. Das Lustspiel eben, in seiner unendlichen Freiheit,
bedarf solcher Stützungspuncte; das entfernteste und
entlegenste, das im phantastischen Wechsel durcheinander
schweift, bedarf solcher Mittelgestalten, die es leicht
und rasch in die innigste Gegenwart herüber tragen.
Glücklich, wer wie Gozzi, durch das bloße Gleichgewicht,
in die er solche unerschöpflich komische Wesen zu
bringen weiß, allein schon ein schönes inneres Ebenmaaß,
das erste Erforderniß aller Kunst in sein Werk zu
bringen weiß.
Ich
habe in frühern Stunden gezeigt, daß an der Stelle,
wo auf der alten Bühne die Bildsäule des Gottes stand,
auf der neuern Bühne die Musik ihren Sitz aufgeschlagen
hat, die im neuern Theater eben so unentbehrlich ist,
als jene im antiken. In den italienischen theatralischen
Belustigungen hat dieser Repräsentant des Gottes allenthalben
den Vorrang, einen Dichter, der im Dienste dieses
Gottes gewesen wäre, wie Metastasio, der für das musikalische
Ohr organisirt gewesen wäre, wie dieser, kann keine
neuere Nation aufzeigen. Dagegen wir, sollten wir
es auch in frühern Zeiten nicht an musikalischer und
poetischer Haltung mit den Italienern haben aufnehmen
können, so bleibt uns dagegen das Wort, die Deutlichkeit
und Kraft des Gedankens, und der tiefsinnige Bau.
Möge von unsern Schicksalsgenossen, jenseits der Alpen,
eine freundliche und milde Luft fortdauernd herwehen,
erwärmen und beleben die Werke, die uns zwar zweckmäßiger
und kräftiger gelingen, aber an denen die Kälte unsers
Himmels zu deutlich noch empfunden wird. Daß ich auch
hier nicht der spanischen oder italienischen Krankheit
jener schwächlichen Seelen, die einen immerwährenden
Sommer verlangen, und in Dichter-Gärten, unter Blumen
und Karfunkel einen ewigen poetischen Sonntag leben,
das Wort rede, versteht sich von selbst.