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<Adam Müller>, VII. Noch etwas über den Unterschied des antiken und modernen Theaters, 45-47

VII. Noch etwas über den Unterschied des antiken und modernen Theaters.

Um den ganzen höchst wesentlichen Unterschied der alten und neuen Kunst mit völliger Bestimmtheit aufzufassen, muß ich einladen, sich zwei gleich große Räume zu denken: in den Mittelpunct des einen Raums denke man sich eine antike Statue; auf den andern Raum hin versetze man eines von jenen runden Gebäuden ganz neuer Erfindung, in deren Mittelpunct sich der Zuschauer hinbegiebt, und nun durch die Malerei der Wände und den Lichteffect gerade den Eindruck erhält, als befände er sich im Mittelpunct einer reichen und schönen Gegend; ein Panorama meine ich. – Vergleichen wir nun die beiden Räume mit einander, so finden wir folgenden höchst characteristischen Unterschied: im ersten Raume steht das Kunstwerk, die Statue im Mittelpunct, und der Beschauer bewegt sich darum her; er muß es von allen Seiten umhergehend betrachten, wenn er es verstehen will; mit andern Worten, das Kunstwerk ist die Sonne, der Zuschauer hingegen, der Planet. Im Panorama andrerseits kehrt sich das ganze Verhältniß des Betrachters und des Kunstwerks um: hier steht der Zuschauer im Mittelpunct, und das Kunstwerk läuft um ihn herum; der Betrachter ist hier die Sonne und das Kunstwerk ist der Planet. – Wie die Blicke der Betrachter jener Statue nun alle sich im Mittelpuncte, eben beim Kunstwerke begegnen und kreuzen, so war das ganze Streben der alten Welt immer auf die Erzeugung eines Mittelpunctes der Kunst hingerichtet, und dies sowohl in jeder einzelnen Kunst, als im Leben überhaupt, sichtbar. Erst Athen, dann Alexandrien, dann Rom, sind solche plastische Mittelpuncte, solche große zusammen gedrängte Werke, die zwar nicht der Wille der einzelnen Alten, aber doch das Streben des ganzen Alterthums erzeugen mußte. Mit innerer Kraft, mit menschlicher Kunst die Sonne zu erschaffen, um die sich das ganze unruhige Leben bewegen, an der es sich halten könne, darauf hin wirkten fast alle große Thaten des Alterthums. Jedes einzelne Gebiet der alten Welt hatte Nationalkunstwerke der Art, im höchsten Sinne des Worts; Tempel, Altäre, Statuen der Götter. Rom ruhte nicht eher, als bis es alle diese einzelnen Nationalgötter, diese einzelnen plastischen Mittelpuncte, in einen einzigen, allermittelsten Tempel versammlet, mit andern Worten, es ruhte nicht eher, als bis es einen einzigen plastischen Mittelpunct, ein einziges Pantheon zu Stande gebracht. – Werfen wir nun dagegen einen raschen Blick auf die neue Welt, nicht auf die beiden letzt verflossenen Jahrhunderte, in denen sich ganz neue Zustände bereiteten; aber auf die Zeit von Carl den Großen, bis auf die Reformation. Von einer Hauptstadt der Welt, von einem Streben eine solche zu erzeugen, ist kaum mehr die Rede, der Glaube an menschliche Werke ist verschwunden; Rom ist dahin, und größeres schien die bloße menschliche Kraft nicht zu vermögen. Wie die Alten das Göttlichste, ein Werk der Kunst, in den Mittelpunct stellten, und das ganze Universum ihres Lebens <46:> sich darum her bewegte, so wird von den Neueren die ganze Natur vergöttert; nach allen Seiten sieht der Mensch in die Unendlichkeit: das Ferne, Große, Weite, Reiche, erzeugt nun die göttlichen Empfindungen in ihm, die in der antiken Brust, durch das Nahe, Bestimmte, Gedrängte, Endliche erweckt wurden; und so ist die Malerei seinem Gefühle, seiner ganzen Natur willkommener. Die Beziehungen der Dinge auf einander, das Bedeutende in ihrer Zusammenstellung, ist dem neuen Menschen viel wichtiger, als die abgesonderte, einzelne Tüchtigkeit und Trefflichkeit der Dinge. Deutungen, Symbole, Allegorien, sieht der Mensch nun in allen Verknüpfungen und Verbindungen, und so liebt er mehr den ruhigen festen Standpunkt; von dem aus ungestört, durch eigne Bewegung, die magischen Figuren, welche die Natur in ewigem Wechsel erzeugt, mit Sicherheit wie ein großes und unendliches Panorama betrachtet werden können. – In den redenden Künsten der Alten war menschliches Maaß der Bewegung und des Tons die Hauptsache; den Neueren ist das Gespräch der Natur wichtiger, den Alten das Gespräch des Menschen; daher werden die Naturklänge dem neueren Menschen so bedeutend, Reim und Assonanz bemeistern sich der ganzen Poesie; die Klänge endlich reißen sich unter der Gestalt der Musik eigenthümlich los, und begleiten als reinstes Mittel der Begeisterung allen Dienst der Kunst. – Wenden wir jetzt diese Betrachtung näher auf das Theater an. Das alte Theater zeigt uns das plastische in der Bewegung; in den kleinsten Raum wird die größte Handlung zusammen gedrängt; das neue Theater ist durchaus malerischer Natur, ein unendliches Panorama in der Bewegung; der Zuschauer in Ruhe, die Bühne im zauberhaften Wechsel des reichsten, bewegtesten Lebens; da hingegen im antiken Publicum, sich das ganze wirkliche Leben in seiner üppigsten Fülle, um die einfache ruhige Handlung auf der Bühne zu bewegen scheint. Einheit und Zusammenhang der Handlung sind in beiden das Erforderniß aller Kunst, aber auf dem antiken Theater, um das Ganze noch mehr zu concentriren, auch Einheit des Orts und der Zeit; in derselben Tragödie durchaus keine Veränderung der Decoration, keine poetische Zeit auf der Bühne, welche rascher verflöge als die wirkliche Zeit; in der neuen Welt und bei Shakespear beständige Verwandlung des Orts, die Ereignisse langer Jahre in eine Stunde zusammen gehäuft; die entferntesten Dinge durch die Zaubereien der Bühne magisch an einander gereiht, um tiefe Allegorien des Lebens und der Natur durch die wunderbare Zusammenstellung bezeichnen zu können. – Naturklänge, späterhin die Musik, offenbarten sich unsichtbar durch alle theatralische Darstellungen der Neuern um die grellen Farbencontraste, die hingeschrieben werden mußten, damit das Ganze seine tiefe, symbolische Wirkung machen konnte, um diese zu mildern, zu verflößen, ohne jedoch die heiligen Zeichen selbst in ihrer Deutlichkeit zu stören. – Unser gegenwärtiges Theater in so tiefem Verfall es sich befindet, trägt in seiner ganzen Form noch die Spuren jener modernen romantischen Bühne. Das Orchester, die Scheide von Musik, die das idealische Leben der Bühne noch bei uns vor dem wirklichen Leben des Parterres trennt, ist der Ersatz für die Abwesenheit des Gottes, der bei den Alten grade an derselben Stelle stand; die Musik ist das <47:> einzige Band unsrer Bühne mit der Religion, mit den allgemeinen religiösen Gefühlen unsers Herzens, sie löst die unfreundlichen Contraste sogar jenes fabricirten nachgemachten ifflandischen Familienlebens, mit dem wirklichen Leben, – die beide grade deshalb, weil sie auf ein Haar einander ähnlich sehn, in desto engherzigere Collisionen in der Seele des Zuschauers gerathen, – diese sogar löst sie in eine Art von Beruhigung auf, und ist deshalb bei allen unsern Vorstellungen durchaus unentbehrlich. –

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