III. Kleobis
und Biton.
Hoch und herrlich auf des Berges
Höhen
Steht
der Tempel festlich aufgeschmückt,
Von den Säulen bunte Kränze wehen,
Purpurdecken,
schön mit Gold gestickt.
Sieh das Opfer wartet in der Halle,
Und
es strömt das Volk zum Tempel hin,
Flöten tönen schon mit weichem Schalle,
Aber,
sagt, wo bleibt die Priesterin?
2. Sie, die in des Tempels treuer
Pflege
Fast
ein halb Jahrhundert schon gezählt,
Ja sogar bis auf Minutenschläge
Hat
sie nie dem frommen Dienst gefehlt.
Wie? hat Here schnell dich abgerufen,
Deine
Göttin, aus dem Heiligthum?
Rief sie dich zu höhern Tempel-Stufen,
In
ihr himmlisch Priesterthum?
3. Nein! Doch Alter lähmt die heil’gen
Füsse;
Ginge
sie zu Fuß den Berg hinan,
Ach der schwache Lebensfaden risse
Unterwegs
vielleicht auf rauher Bahn;
Und die Regel will: ein Paar von Kühen,
Weiß
wie Schnee, die noch kein Joch erkannt,
Müssen sie hinauf zum Tempel ziehen,
Keine
solche hegt das nahe Land.
4. Und sie sieht den Tempel ferne
blinken
In
des Festes voller Herrlichkeit,
Sieht im Geist die strenge Göttin winken,
Deren
Zorn der ganze Himmel scheut,
Da ergießt die Fromme sich in Klagen,
Daß
sie heut den Dienst versäumen muß,
Und sie rafft sich auf, sie will es wagen,
Will
hinan den steilen Berg zu Fuß.
5. Droben mit im festlichen Gedränge
War
der Priest’rin edles Söhnepaar,
Und sie stehen, gleich der andern Menge,
Harrend
um den heiligen Altar,
Ungeduldig, wo die Mutter weile,
Sehn
sich beide oft befremdet an,
Endlich kömmt ein Bot’ in großer Eile,
Und
er sagt des Zögerns Ursach an.
6. Dieß vernommen, eilen beide
Brüder
Augenblicklich
aus dem Tempel fort,
Fliegen wie der Wind vom Berge nieder,
Und
sie kommen zu der Mutter dort,
Hin zum Wagen wird sie gleich getragen,
Und
sie heben eilends sie hinauf,
Beide spannen drauf sich vor den Wagen,
Ziehn
die Mutter nach dem Tempel auf.
7. Froher, als mit lautem Siegsgepränge
Je
ein Feldherr durch Roms Thore zog,
Zieht die Mutter durch die Menschenmenge,
Auf
dem heilgen Wagen hehr und hoch.
Solche Söhne hat mein Schooß getragen,
Hat
der sel’gen Mutter Brust gesäugt!
Also scheint ihr trunkner Blick zu sagen,
Doch
das Herz nur spricht, die Lippe schweigt.
8. Und sie kommen vor des Tempels
Pforte,
Und
vom Wagen steigt die Priesterin,
Bringt das Opfer am geweihten Orte,
Drauf
vor Heres Bilde sinkt sie hin:
Himmelskönigin im Sternenschleier,
Du
die hoch im goldnen Äther thront,
Aber auch im sanften Liebesfeuer
Jede
unbefleckte Brust bewohnt.
9. Hör’, o höre einer Mutter Flehen!
Auch
Du bist ja Mutter, göttlich Weib!
Des Gebährens namenlose Wehen
Fühlt’
auch Dein unsterblich hoher Leib;
Auch die Lust der seligen Sekunden,
Wenn
der Kampf nun ausgerungen ist –
Alles hat Dein großes Herz empfunden,
Ob
Du gleich das Weib des Donn’rers bist!
10. Laß mein Herz, laß michs zu
Dir erheben,
Ach
ein Herz, das Dir voll Freude schlägt!
Welche Kinder hast Du mir gegeben,
Wie
kein andres Paar die Erde trägt!
Solche Lieb’ und Demuth in den Blicken!
Ach
und heut wie mancher saure Schritt!
Ja zu Thränen würde mich’s entzücken,
Lebt’
ich auch in Deinem Himmel mit! <20:>
11. Lohne Du die seltne Lieb’ und
Treue!
Streu’,
o hehre Götterkönigin,
Streu aus vollen Mutterhänden, streue
Auf
ihr Haupt den besten Segen hin!
Was nur je ein Menschenohr vernommen,
Gieb
das höchste Glück den Kindern heut,
Die in eines Menschen Herz gekommen,
Ach
die höchste Erdenseligkeit!
12. So die Priesterin. Da geht
ein Schimmer
Von
dem Bild der hohen Göttin aus,
Füllt wie sanftes mondliches Geflimmer
Ahndungsvoll
das ganze heil’ge Haus,
Durch die überirdische Verklärung
Ziehn
ambrosisch süße Düfte hin,
Und es schwebt das Lächeln der Gewährung
Um
das Aug’ der Himmelskönigin.
13. Und, im Aug’ des Dankes fromme
Thräne,
Steht
die Mutter auf in sel’ger Lust,
Aufzusuchen die geliebten Söhne,
Sie
zu drücken an die treue Brust.
Und sie wandelt durch die stillen Hallen,
Nicht
im Tempel sind die Kinder mehr,
Ihre Namen läßt sie laut erschallen –
Keine
Antwort – alles stumm und leer!
14. Draußen um des Tempels Säulengänge
War
ein alter heil’ger Lorbeerhayn,
Ahndungsvoll tritt, um das Herz so enge,
Sie
in die geweihten Schatten ein;
Dort, aus Einer Wurzel einst entsprungen
Stehn
zwei Lorbeerbäume hoch und frei,
Mit den Ästen brüderlich verschlungen,
Und
ein Here-Bild steht dicht dabei.
15. Ach und hier mit tausendfacher
Freude,
Vor
der Göttin heil’gem Angesicht,
Sieht die Mutter ihre Kinder beide,
Und
sie ruhn im süßen Dämmerlicht.
Ach nach einem seligen Gebete
Für
das Heil der Mutter waren sie
Eingeschlafen an der heil’gen Stäte,
Müde
von des Weges heißer Müh’.
16. Und im Schlaf die Kinder liebzukosen
Will
die Mutter leise näher gehn,
Ach da liegen, zwei verblühte Rosen,
Beide
blaß und still, doch himmlischschön!
Ihnen war das Höchste wiederfahren,
Auf
der Mutter Flehn das schönste Glück!
Sie entschliefen – und gestorben waren
Beid’
in Einem Augenblick!