BKA-Brandenburger Kleist-Ausgabe Start Übersicht Suchen Kontakt Andere interessante Websites Institut für Textkritik e. V.

[ PHÖBUS(7) ]

[ ]

 

Friedrich Gottlob Wetzel, III. Kleobis und Biton, 19f.

III. Kleobis und Biton.

Hoch und herrlich auf des Berges Höhen
Steht der Tempel festlich aufgeschmückt,
Von den Säulen bunte Kränze wehen,
Purpurdecken, schön mit Gold gestickt.
Sieh das Opfer wartet in der Halle,
Und es strömt das Volk zum Tempel hin,
Flöten tönen schon mit weichem Schalle,
Aber, sagt, wo bleibt die Priesterin?

2. Sie, die in des Tempels treuer Pflege
Fast ein halb Jahrhundert schon gezählt,
Ja sogar bis auf Minutenschläge
Hat sie nie dem frommen Dienst gefehlt.
Wie? hat Here schnell dich abgerufen,
Deine Göttin, aus dem Heiligthum?
Rief sie dich zu höhern Tempel-Stufen,
In ihr himmlisch Priesterthum?

3. Nein! Doch Alter lähmt die heil’gen Füsse;
Ginge sie zu Fuß den Berg hinan,
Ach der schwache Lebensfaden risse
Unterwegs vielleicht auf rauher Bahn;
Und die Regel will: ein Paar von Kühen,
Weiß wie Schnee, die noch kein Joch erkannt,
Müssen sie hinauf zum Tempel ziehen,
Keine solche hegt das nahe Land.

4. Und sie sieht den Tempel ferne blinken
In des Festes voller Herrlichkeit,
Sieht im Geist die strenge Göttin winken,
Deren Zorn der ganze Himmel scheut,
Da ergießt die Fromme sich in Klagen,
Daß sie heut den Dienst versäumen muß,
Und sie rafft sich auf, sie will es wagen,
Will hinan den steilen Berg zu Fuß.

5. Droben mit im festlichen Gedränge
War der Priest’rin edles Söhnepaar,
Und sie stehen, gleich der andern Menge,
Harrend um den heiligen Altar,
Ungeduldig, wo die Mutter weile,
Sehn sich beide oft befremdet an,
Endlich kömmt ein Bot’ in großer Eile,
Und er sagt des Zögerns Ursach an.

6. Dieß vernommen, eilen beide Brüder
Augenblicklich aus dem Tempel fort,
Fliegen wie der Wind vom Berge nieder,
Und sie kommen zu der Mutter dort,
Hin zum Wagen wird sie gleich getragen,
Und sie heben eilends sie hinauf,
Beide spannen drauf sich vor den Wagen,
Ziehn die Mutter nach dem Tempel auf.

7. Froher, als mit lautem Siegsgepränge
Je ein Feldherr durch Roms Thore zog,
Zieht die Mutter durch die Menschenmenge,
Auf dem heilgen Wagen hehr und hoch.
Solche Söhne hat mein Schooß getragen,
Hat der sel’gen Mutter Brust gesäugt!
Also scheint ihr trunkner Blick zu sagen,
Doch das Herz nur spricht, die Lippe schweigt.

8. Und sie kommen vor des Tempels Pforte,
Und vom Wagen steigt die Priesterin,
Bringt das Opfer am geweihten Orte,
Drauf vor Heres Bilde sinkt sie hin:
Himmelskönigin im Sternenschleier,
Du die hoch im goldnen Äther thront,
Aber auch im sanften Liebesfeuer
Jede unbefleckte Brust bewohnt.

9. Hör’, o höre einer Mutter Flehen!
Auch Du bist ja Mutter, göttlich Weib!
Des Gebährens namenlose Wehen
Fühlt’ auch Dein unsterblich hoher Leib;
Auch die Lust der seligen Sekunden,
Wenn der Kampf nun ausgerungen ist –
Alles hat Dein großes Herz empfunden,
Ob Du gleich das Weib des Donn’rers bist!

10. Laß mein Herz, laß michs zu Dir erheben,
Ach ein Herz, das Dir voll Freude schlägt!
Welche Kinder hast Du mir gegeben,
Wie kein andres Paar die Erde trägt!
Solche Lieb’ und Demuth in den Blicken!
Ach und heut wie mancher saure Schritt!
Ja zu Thränen würde mich’s entzücken,
Lebt’ ich auch in Deinem Himmel mit! <20:>

11. Lohne Du die seltne Lieb’ und Treue!
Streu’, o hehre Götterkönigin,
Streu aus vollen Mutterhänden, streue
Auf ihr Haupt den besten Segen hin!
Was nur je ein Menschenohr vernommen,
Gieb das höchste Glück den Kindern heut,
Die in eines Menschen Herz gekommen,
Ach die höchste Erdenseligkeit!

12. So die Priesterin. Da geht ein Schimmer
Von dem Bild der hohen Göttin aus,
Füllt wie sanftes mondliches Geflimmer
Ahndungsvoll das ganze heil’ge Haus,
Durch die überirdische Verklärung
Ziehn ambrosisch süße Düfte hin,
Und es schwebt das Lächeln der Gewährung
Um das Aug’ der Himmelskönigin.

13. Und, im Aug’ des Dankes fromme Thräne,
Steht die Mutter auf in sel’ger Lust,
Aufzusuchen die geliebten Söhne,
Sie zu drücken an die treue Brust.
Und sie wandelt durch die stillen Hallen,
Nicht im Tempel sind die Kinder mehr,
Ihre Namen läßt sie laut erschallen –
Keine Antwort – alles stumm und leer!

14. Draußen um des Tempels Säulengänge
War ein alter heil’ger Lorbeerhayn,
Ahndungsvoll tritt, um das Herz so enge,
Sie in die geweihten Schatten ein;
Dort, aus Einer Wurzel einst entsprungen
Stehn zwei Lorbeerbäume hoch und frei,
Mit den Ästen brüderlich verschlungen,
Und ein Here-Bild steht dicht dabei.

15. Ach und hier mit tausendfacher Freude,
Vor der Göttin heil’gem Angesicht,
Sieht die Mutter ihre Kinder beide,
Und sie ruhn im süßen Dämmerlicht.
Ach nach einem seligen Gebete
Für das Heil der Mutter waren sie
Eingeschlafen an der heil’gen Stäte,
Müde von des Weges heißer Müh’.

16. Und im Schlaf die Kinder liebzukosen
Will die Mutter leise näher gehn,
Ach da liegen, zwei verblühte Rosen,
Beide blaß und still, doch himmlischschön!
Ihnen war das Höchste wiederfahren,
Auf der Mutter Flehn das schönste Glück!
Sie entschliefen – und gestorben waren
Beid’ in Einem Augenblick!

 

[ PHÖBUS(7) ]

[ ]

Copyright © 2000 by Institut für Textkritik e. V., Heidelberg
Letzte Aktualisierung 29-Mär-2003
[ Webdesign: RR 2000 ]