I. Vom Character
der spanischen Poesie.
Aus Adam Müllers Vorlesungen über dramatische Poesie.
Zwei Unarten sind es,
welche der näheren und wahren Vereinigung des deutschen
und spanischen Geistes, so sehr beide für einander von
der Natur bestimmt zu sein scheinen, besonders im Wege
stehn; zuerst die Tadelsucht, die Intoleranz, der
Unglaube, die ihr aufgeklärtes Ohr vor allen poetischen
Spielen einer Nation in ihrer kräftigen und frischen Jugend,
ferner vor allen jugendlichen Ausdrücken der Begeistrung
für die Religion, der Durchdrungenheit von einer heiligen
alles umfassenden Liebe, verschließen; die alle diese
Dinge höchstens für schöne Irrthümer eines jugendlich
überfließenden Herzens halten, die ferner sich zu entehren
glauben, wenn sie zurückkehren sollen und eben in diesen
Spielen werden, wie die Kinder; sodann aber zweitens
und noch mehr habe ich mich beklagt über eine widerwärtige,
und noch viel verwerflichere Modeschwärmerei für diese
schönen Spiele der Kindheit, die den ganzen Ernst des
Lebens, alle Rechte der Gegenwart, alle Ansprüche, die
wir auf unser Zeitalter machen, und die unser Zeitalter
auf uns zu machen hat, wegwerfen will, und kurzweg umkehren
ins Mittelalter, sich niederlassen bei den Spaniern des
14, 15 und 16ten Jahrhunderts. Daß ich diese
beiden Extreme der unbedingten Erhebung und der unbedingten
Verwerfung in meiner Darstellung vermeiden werde, trauen
Sie wohl schon meinem Abscheu gegen beide von selbst zu.
Aber damit auch zwischen mir und meinen verehrungwürdigen
Zuhörern jedes Mißverständniß vermieden werde, so erlauben
Sie mir, daß ich mit besonderer Rücksicht auf die spanische
Poesie den Versuch mache, jene beiden ausschweifenden,
allzusehr im Extreme verweilenden: die grämlichen, ungläubigen,
tadelsüchtigen Gegner der christlich-spanischen Poesie
sowohl, als die sehnsüchtigen, anbetungssüchtigen Liebhaber
derselben, mit einander zu gegenseitiger Mäßigung und
Milderung zu vereinigen.
In
wahren und recht gutgesinnten Freunden der Poesie, zeigt
sich oft innerlich, daher nicht so erbittert, derselbe
Streit zwischen Dingen, deren Güte sie in spätern <4:>
Jahren erst erprüft und erkannt haben, und zwischen Erinnerungen
an die höhere Schönheit anderer Dinge, von denen sie in
früherer Jugend ergriffen worden sind.
Man
hört sehr häufig von bejahrten, oder wenigstens altklugen
Leuten, die Klage: je älter man werde, um so weniger werde
man ergriffen und befriedigt von den Schönheiten in Natur
und Kunst: der schöne Rausch, das Erfülltsein von einem
Kunstgenuß verschwinde mit den Jahren mehr und mehr. Ein
Schauspiel, das die jugendliche Seele ganz eingenommen
und befriedigt habe, wolle seine Wirkung nun nicht mehr
thun: die Seele sei gewachsen, ihr Umfang sei nun zu groß,
um ganz erfüllt zu werden von irgend einer Schönheit;
in dem größeren Gefäß bleibe ein leerer Raum zurück, während
das kleinere einst von dem Weine der Poesie erfüllt und
überfüllt worden wäre. Mit den Jahren werde man in allen
Genüßen ekler und tadelsüchtiger, auch das Leben selbst
könne nicht mehr befriedigen. – Man habe in seiner
Jugend bei einer Vorstellung des Otto von Wittelsbach
oder der Jäger, sich selbst vergessen können, lange Tage
habe noch nachgeklungen das Rheinweinlied am Schluße der
Jäger, und das derbe Wort des Wittelsbachers kurz vor
seinem Tode, jetzt sei alles anders; wie man ehemals nur
Otto von Wittelsbach, und den Oberförster und Riekchen
im Augen gehabt habe, so denke man jetzt nur an Babo und
Iffland, oder an die Individualitäten der Schauspieler;
ehemals habe man im Theater wie im Paradiese gelebt, jetzt
habe man (wie die ersten Eltern nach dem Sündenfall) die
traurige Entschädigung der Erkenntniß des Guten und Bösen;
man könne ein scharfsinniges, durch und durch kritisches
Urtheil fällen, aber Lust, Glanz und Leben sei dahin;
man sei poetisch gewesen und ästhetisch geworden. –
Es
haben viel ehrenwerthe Leute über diese betrübende Erscheinung,
über diese niederschlagende Veränderung nachgedacht: einige
haben die Schuld, dem bloßen Älterwerden und den damit
verknüpften Hinfälligkeiten und Beschwerden beigemessen,
darauf ist aber das Zeitalter fortgeschritten, und man
hat an Knaben, die kaum der Ruthe entwachsen waren, dasselbe
erfahren; auch sie haben sich nichts mehr gefallen lassen,
und über den Meister, Meister gespielt; durch bloßes Älterwerden
war also die Sache nicht erklärt. Drauf haben andre das
Wort genommen: die Zeiten werden schlechter, haben sie
gemeint, aber: im Gegentheil, es wird besser, wir schreiten
fort im Galopp, so hat das ganze Zeitalter sie überschrieen.
Lassen
Sie uns jetzt versuchen, die wunderliche Erscheinung ruhig
zu entwickeln: geht im fortschreitenden Kunstgenuß jene
erste jugendliche Reinheit, Unschuld, Unbefangenheit und
Frömmigkeit wirklich und nothwendig verloren, so thäten
wir besser, wir ließen Calderon und Cervantes wo sie sind,
und ließen die Lieder, welche die Unschuld eines herrlichen
Volks sang, die nur die Unschuld begreifen kann, lieber
unberührt. Was haben jene große Schatten zu schaffen mit
den kritischen Männern, mit den kritischen Knaben, und
mit den kritischen Frauen unsrer allweisen Zeit. Aber
so ist es nicht! – Unterscheiden wir zwei Gattungen
des <5:> Kunstgenußes: begreifen wir die Empfindungen,
welche Musik, Drama und Welt in der eben sich entfaltenden
Jugend erwecken: unter einem gemeinschaftlichen Namen,
nemlich: des kindlichen Kunstgefühls, im Alter
erstirbt dieses Gefühl in einem reinen Herzen keinesweges,
nur es nimmt einen ganz entgegengesetzten Character an,
und verdient, daß wir es mütterliches Kunstgefühl
nennen. In der Jugend lebten wir mehr in dem Werk,
innerhalb des Werks; in dem Alter mehr außerhalb
des Werks, mit dem Meister. Was ich meine, wird nirgends
deutlicher als in der Musik: rufen wir den ersten Eindruck,
den die Musik auf unser jugendliches Herz machte, lebhaft
zurück, so sehen wir, daß nicht etwa blos das Ohr, sondern
unsre ganze Natur, alles was näher oder entfernter sich
uns zeigen mochte, von dem Zauber jener Kunst ergriffen
wurde; die alltäglichsten Gesichter um uns her wurden
bedeutend durch die Töne, vieles, was wir jetzt für gemein
erkennen, wurde durch die Berührung der harmonischen Klänge
geadelt. Es war ein gewisses Fortklingen in der Musik,
ein eignes, tausendfaches Echo; der trokneste, kälteste
Gegenstand gab einen harmonischen Ton zurück; die Musik
klang in den gewöhnlichen, stilleren Lauf unsers Lebens
noch lange nach: in gewissem Sinne unendlich, denn die
ganze Welt, ihr Treiben und ihr Wechsel ward zur Musik. –
In späteren Jahren zog sich der Genuß immer enger zusammen;
wie wir ehemals von der Gewalt der Musik getrieben wurden,
so fingen wir nun an selbst die Musik zu treiben; ehemals
offenbarte sie uns den Geist aller Kunst, nun ward sie
für uns eine einzelne Kunst, mit ihrem Gefolge von Regeln
und Handgriffen und gelehrten Notizen aller Art. Kurz,
in der Jugend hörten wir ohne weitere Ansprüche, ohne
sorgsame Kritik; aber es war Musik, was wir hörten:
jetzt viel unterrichteter, weiser, gebildeter, hören wir
mehr Musikstücke als Musik. Ein Kind kann nur eine
einzige Mutter haben, und so ist das kindliche Gefühl
zu ihr ein einfaches, die ganze Natur ist dem Kinde nur
immer wieder die Mutter; alles nimmt ihre Züge an; hingegen
die Mutter kann mehrere Kinder haben, sie muß ihre Liebe
theilen, sie muß erziehen, eines durch den Vorzug, den
sie dem andern giebt, klug zu heben wissen. So ist in
der Jugend Musik, Schauspiel, Welt, alles eins; in dem
schönen Ganzen, das die früheren Zeiten für uns erbaut,
leben wir wie in einem großen mütterlichen Hause, mit
ungetheiltem gegen alles gleich kindlichem Gefühle –
nun aber kommen die Zeiten, wo wir selbst erbauen, für
die Zukunft sorgen, weiter fördern, fortpflanzen sollen,
unser kindliches Gefühl wendet sich in ein mütterliches
um, die Liebe theilt sich; das mütterliche Gefühl unterscheidet
eine eigne Kunst der Musik, eine eigne Kunst des Drames,
eine eigne Kunst des Lebens, wie die verschiedenen Eigenthümlichkeiten
der Kinder; in diesen Künsten vergleicht und ordnet es
wieder die einzelnen Thaten, Werke und Meister. Bei diesem
Geschäft späterer Jahre, wird über das viele zu bedenkende
die Seele gar leicht von Sorge ergriffen, die Sorge erzeugt
Wehmuth über die verlorne, schöne, kindliche Einheit des
Gefühls, und gar leicht geht diese Wehmuth über in die
allgemeine Klage über den abgestorbenen Reiz des Lebens,
die ich eben beschrieben habe. – <6:>
Glücklich
sind diejenigen, und wahre Künstler und ächte Menschen,
die das kindliche Kunstgefühl ihrer Jugend sanft hinüber
zu tragen wissen in die Zeit, wo sie selbst erzeugen und
bilden sollen, wo denn alles Urtheil, alle Wahl zwischen
dem Schönen und minder Schönen, mit andern Worten, wo
die nothwendige Kritik der Meister und ihrer Werke, die
einst der kindliche Sinn nicht bedurfte, nun noch in spätern
Jahren gemäßigt und gemildert wird, durch Unbefangenheit,
Frömmigkeit und Unschuld. An dieser Stelle thun es die
recht weiblichen Frauen uns Männern oft weit zuvor: sie
unterscheiden, wählen und richten, und wenden sich wie
die Blume nach der Sonne, leise und sicher nach dem Schönen
hin; sie trauen dem Künstler zuförderst zu, daß er das
Schöne gewollt habe, sie glauben an ihn, und nun dichten
sie ihm in der Stille nach auf ihre Weise und in ihrer
Sprache; weil sie seinen Gedanken, seinen Geist, die Musik
in seinem Werke festzuhalten wissen, haben sie ein Recht
sich hier und da im Urtheile von ihm zu trennen. Wir dagegen
treten meistentheils schon mit vorher präparirtem Unglauben
an das Werk, mit der Präsumtion, daß alles mehr oder minder
schlecht sei; wir haben kaum eine leichte Notiz vom Süjet
des Künstlers erhalten, so ist der Leisten für die Behandlung
desselben auch schon in unserm Magazin gefunden; das Werk
hat kaum Zeit sich vor unsern Augen zu entwickeln, so
hebt das Zerschneiden an; alle Kunstbetrachtung nimmt
die Form eine Civilprocesses, oder eines Todtengerichts
an; und man könnte z. B. bei den in unserer Zeit
üblichen Kunstausstellungen den Zweifel äußern, ob sie
von den ausgestellten Gemälden, oder von den unendlichen
Ausstellungen oder Einwürfen der kritischen Betrachter
ihren Namen hätten.
Der
wahre Kenner der Kunst und des Lebens, bewahrt also jene
kindliche mehr dialogische Freude, an allem was
lebt; und die Idee der Schönheit, die mehr monologische
Begeistrung für das Gute, die ich durch das Muttergefühl
bezeichnete – eben jener Sinn, der unter vielem Schönen
das Schönere auswählt und besonders festhält – entwickelt
sich, ohne daß jene kindliche, dialogische Behaglichkeit
und Lust an allen Formen des Lebens überhaupt verloren
geht, die, wenn sie sich schon etwas abkühlt, auch in
der ernsteren Gestalt, als Milde, Schonung und Toleranz,
noch das herrlichste ihres ursprünglichen Wesens ausdrückt.
So
erzeugt sich nun jedes wahre Kunsturtheil, wie alles Gute
und Tüchtige, allein auf dem dramatischen Wege dadurch,
daß das dialogische, aber einfache kindliche Kunstgefühl,
und das monologische aber unterscheidende, wählende, richtende –
mütterliche Kunstgefühl, beide in eine dramatische Vereinigung
treten. Die Natur des spanischen Theaters nun verträgt
durchaus nicht einen solchen blos kritischen Leser, der
die Poesie behandelt wie einen Braten, d. h. der
sie erst tranchirt, und dann genießet, oder vielleicht
über dem Tranchiren gar nicht zum Genuße kommt. Die spanische
Poesie, nimmt vor allen Dingen jenes kindliche Kunstgefühl
in Anspruch, welches einer fremdartigen, abentheuerlichen,
wunderbaren Kunsterscheinung nicht sowohl dreist, als
mit dem frommen Glauben entgegen geht, auch sie müsse
schön <7:> sein; welches ferner alles neue, abweichende,
ungewöhnliche darin sich gefallen läßt, und vorläufig
mit der reinen Ergötzung zufrieden ist, bis endlich alles
fremdartige Aussehn allmählig verschwindet, und nun Cervantes
und Calderon erscheinen als Bürger desselben großen Kunstreichs,
in dem Shakespear, Äschylus, Aristophanes und Göthe bei
einander wohnen.
Es
giebt wohl solche kritische Leser in unsern Tagen, die
nach der Lectüre des ersten spanischen Drames, das ihnen
vorgekommen, sich auch ein Urtheil darüber zutrauen; auf
ein solches Urtheil ist denn freilich nicht sehr zu reflectiren,
indem der Sinn davon ungefähr sagt: das ist bei uns zu
Lande nicht der Brauch; bei uns muß alles wahrscheinlich
sein, was wir glauben sollen; bei uns glauben wir nicht
mehr an die Wunder des Kreuzes; bei uns lieben wir nicht
diese Ungeheuer auf der Bühne u. s. f., indeß
wird durch diese Vorschnelligkeit des Urtheils mancher
edle und gutgesinnte Freund des Schönen abgeschreckt,
und dann fehlt nichts, als daß noch einige junge Gecken
in der Literatur, welche Profession von der Kindlichkeit
machen, hinzukommen, ausrufend und predigend in allen
Gassen: die spanische Poesie ist die erste und einzige,
ohne Assonanzen, Abentheuer, Wunder und katholische Mythologie,
ohne Blumen und Sterne, ohne Meer und Vulkane giebt es
keine Poesie – nur diese ekelhaften Schwärmer fehlen
noch, um alle Früchte dieses schönen spanischen Zweiges
europäischer Kunst, gutgesinnten aber gemäßigten Freunden
des Schönen zu verleiden. Lassen wir nun jenen Mißbrauch
des kindlichen Kunstgefühls, jene Modeschwärmerei und
Abgötterei links liegen, lassen wir jenen andern Mißbrauch
des von mir s. g. mütterlichen Kunstgefühls, jene
Tadelsucht, jenen anmaßungsvollen Unglauben ebenfalls
unberücksichtigt, und versuchen wir die Verknüpfung der
spanischen Poesie mit allen den dramatischen Kunsterscheinungen,
die durch unsre bisherige gemeinschaftliche Darstellung,
wie ich glaube, in unserm Herzen einheimisch geworden
sind.
Eben
bei diesem Geschäft ist das einzige Mißverständniß zwischen
mir und meinen hochzuverehrenden Zuhörern nur noch zu
vermeiden, als käme es mir bei dieser Verbindung der entlegensten
Kunsterscheinungen, darauf an, etwa nach dem Spruche:
daß man alles prüfen, und das Beste behalten müsse, so
jeder einzelnen fremdartigen Kunstform ihre hervorstechenden
Schönheiten zu entwenden, um diese nachher zusammen zu
reihen. Ein Beispiel mag die Sache verdeutlichen. Es giebt
in Deutschland einen fleißigen und redlichen Dichter,
Namens Werner, der, ich will nicht sagen, in der Absicht,
es allen recht zu machen, sondern in der edleren Absicht,
alles Schöne der alten und neuen Kunstwelt in eine Art
von Mosaik zusammen zu setzen, in demselbigen Drama Kunstabsichten
und Kunstformen der entlegensten Dichter an einander schiebt;
Göthen, Schillern, Shakespear, den Griechen, dann wieder
Tiek und August Wilhelm Schlegeln einzelne Gesichter nachschneidet,
und am Ende, unglücklich genug, es keinem recht macht.
<8:>
Meine
hochzuverehrenden Zuhörer erinnern sich gewiß noch ganz
lebhaft eines gewissen Karfunkels und einer gewissen Hyacinthe,
mit denen er in einem neuerlich erschienenen protestantisch-catholischen
Spektakelstück, die allegorisirende Manier der Spanier
seinen Arbeiten einverleiben wollte. Dem Karfunkel wurde
eine Art von Genius unter dem Namen Theobald, der Hyacinthe
eine Art von nordischer Mignon, unter dem Namen Therese
beigegeben, und endlich, da die Allegorie noch immer nicht
klar genug an den Tag heraustreten wollte, also nicht
eben zum Überfluß, noch dabei geschrieben, daß der Theobald,
mit Einschluß des Karfunkels den Kunstsinn, und Therese –
mit Einschluß der Hyacinthe, den kindlichen Sinn bedeuten
sollte, welche beide durch die Reformation überhaupt zu
existiren aufgehört hätten, wie es die Catholiken verstehen
mochten, wenn es ihnen gefiel, oder auch von denen
der eine, in den Luther, die andere, in die Catharina
übergegangen sei, und so der kindliche Sinn und der Kunstsinn,
(worunter jener Dichter vielleicht dunkel die Wesen meinte,
die ich eben unter den Namen des kindlichen und mütterlichen
Kunstgefühls dargestellt habe,) mit einander in der Gestalt
Luthers und der Catharine eine höhere Ehe geschlossen
hätten, wie es sich die Protestanten zu ihrem Vortheil
auslegen mochten, wenn sie Lust dazu hatten. –
Diese ganze Art, Blüthen, die man dem Auslande nach eingeschränkten
Kunstabsichten geraubt hat, in einen bunten Kranz zusammen
zu zwingen, hat durchaus nichts mit dem Verfahren Göthes,
oder auch Schillers gemein, die unter treuem und eigenthümlichem
Nachbilden fremdartiger Kunstformen vor allen Dingen erst
ganz einzugehen strebten, in den Geist und die Kunst der
alten Meister, und es dann dem innern Gefühl, dem innern
Streben nach Einheit überließen, allmählich einen geistigen
oder organischen Verein zwischen allen diesen Kunstformen,
und so eine höhere, alle jene besondere Gattungen umfassende
eigenthümliche Gattung zu erzeugen; dahingegen der Verfasser
des Spektakelstücks Weihe der Kraft, mit dem Verknüpfen
gewisser in die Augen fallender Äußerlichkeiten
anfängt, und es genügsam der Zeit überläßt, ihn allmählich
von dem innern Geist jener einzelnen von ihm bereits geplünderten,
ausländischen Kunstformen zu unterrichten. – Alles
Kunsturtheil muß selbst wieder ein Kunstwerk sein, demnach
müssen wir die Spanier unsrer Kunstansicht gerade
auf demselben Wege aneignen, als sie Göthe oder ein fortlebender
Schiller seiner Kunstbildung aneignen würde. Daß
der erwähnte Werner, auch nur in der Art des Bildens,
die Ähnlichkeit mit Schiller habe, die ein frommer Schüler
mit seinem Meister habe, wie einige oberflächliche Kunstrichter
bei seiner Erscheinung voreilig behaupteten, bedarf jetzt
hoffentlich keiner Widerlegung mehr.
Die
hervorstechendste Eigenthümlichkeit der Dramen des Calderon,
ist eben die allegorische Bedeutung, die der Verfasser
des Luther sich wie einen spanischen Huth zugeeignet,
und seinem deutschen, oder französischen, oder charlemagnischen,
oder orientalischen Kostüm so unpassend beigefügt hat.
Fast alle Dramen der Spanier, bis auf die neuere Zeit,
wo sie wieder in die französische Schule gegangen sind,
werden <9:> erst verstanden, dadurch, daß die Beziehung
der äußerlich dargestellten Handlung auf einen innern
bestimmten Gedanken anerkannt wird. Die einzelnen Personen
eines spanischen Dramas sind vielmehr allegorische Zeichen,
Chiffern, die auf eine wunderbare, und dem unerfahrenen
Beschauer geheimnißvolle Weise verknüpft sind, um einen
bestimmten, aber verborgenen Sinn kunstreich auszudrücken, –
als daß man sie eigentliche vollendete Charactere nennen
könnte. In der griechischen Tragödie ist der Character,
oder die Persönlichkeit das Hervorstechende; eine Handlung
verknüpft sie. Das was wir im französischen und deutschen
mehr dem Alterthume nachgebildeten Drama, einen Abschnitt,
Aufzug, einen Act, eine Handlung des Drama nennen,
ist im spanischen Drama jornada, eine Tagreise.
Wie auf einer Reise nemlich verschiedene Gegenden und
Menschen im bunten regellosen Wechsel vor uns vorüber
ziehn, ohne daß wir Zeit hätten, tiefer in ihre Persönlichkeit
einzugehn, und ihre Gesichtszüge, der Wechsel der verschiedenen
Naturgegenstände, ohngefähr den Eindruck der Chiffern
und Buchstaben auf uns machen, mehr als Zeichen, denn
als bestimmte wirkliche Dinge, mehr wie ein an
uns vorübergehendes Gemälde, oder wie eine an uns vorüberklingende
Musik, als wie eine in allen ihren Umrissen bestimmte,
für sich selbst geltende, von allen Seiten eigenthümliche
und wirkliche Bildsäule sich uns einprägen: wie ferner
die auf der Reise an uns vorübereilenden Gegenstände nicht
Zeit haben, sich vollständig und allseitig vor unsern
Augen zu entwickeln, wie ihr persönlicher und wirklicher
Zusammenhang unter einander uns fremd bleiben muß, und
wir also einen idealischen Zusammenhang unter jenen Gegenständen
bilden, wie wir sie auf den Lieblingsgedanken beziehn,
der uns auf der Reise beschäftiget, wie die Gesichtszüge
der Menschen, die Physiognomie der Gebäude, der Berge,
der Vegetation an denen unser Weg vorüber geht, mit jenem
Gedanken in Verbindung treten, und wenn wir die Geschichte
jener Tagereise beschreiben sollten, diese nothwendig
einen allegorischen Character haben müßte, in dem durch
diese Geschichte hindurch unsichtbar walten müßte der
Hauptgedanke, der uns an jenem Tage beschäftigte, mit
Beziehung auf welchen alle jene wunderbar zusammen treffenden
Natur- und Kunstgegenstände betrachtet worden sind –
eben so reihen sich in den Dramen des Calderon die wunderbarsten
Erscheinungen (wie auf einer Reies, auf einem Fluge vielmehr
aufgegriffen) aneinander, alle mehr oder minder mit Beziehung
auf einen heiligen christlichen Gedanken, der den Dichter
auf diesem Fluge begleitet, und so gelten denn alle Personen
und Ereignisse des spanischen Dramas mehr durch die allegorische
Verknüpfung, durch den idealischen, malerischen, musikalischen
Zusammenhang, als durch ihren bestimmten plastischen und
persönlichen Character. Es ist schon öfter bemerkt worden,
das antike Leben und die antike Kunst verweile besonders
im Hause, im Tempel, auf dem Markt und im bürgerlichen
Gemeinwesen, dagegen das moderne Leben und die germanische
Kunst lebe vielmehr in der freien Natur, im unendlichen
Weltgemälde, im Walde, und frei umherschweifend. Es bedarf
keiner weiteren Auseinandersetzung, daß mit dieser wahren
Bemerkung der antike plastische Character und der moderne
malerisch-musikalische Charac- <10:> ter der Kunst,
eben so aber auch das Wesen der bestimmten Handlung im
antiken Drama, und das allegorische Wesen der modernen
jornada im spanischen Drama auf das genaueste zusammen
hängt.
Darum
nun hat im Anfange unsrer Unterhaltungen Shakespear vor
allen Poeten der modernen Zeit herausgehoben werden müssen,
weil er die plastische Fülle der antiken Kunst, die bestimmte
Persönlichkeit der griechischen Werke, in der allezeit
ein gewisses monologisches Wesen vorwaltet, mit
dem allegorischen, mit dem Reisecharacter der modernen
besonders spanischen und italienischen Kunstbildungen,
die für sich betrachtet, immer mehr dialogischer
Natur sind, in einem allgemeinen, wieder dramatischen
Geiste vereinigt.
In
der Fluth von armseligen dramatischen Zwittern, die im
letzten Jahrhundert Deutsche, Franzosen und Engländer
um die Wette auf die Bühne ausgeschüttet haben, haben
die ephemeren Kritiker jener Zeit um den unermeßlichen
Vorrath nur einigermaßen zu sortiren, sich eine Art von
Fachwerk angeschafft, welches zu gleicher Zeit den Schauspieldirectoren
und ihrer Fassungskraft das angemessenste war. Sie theilten
nemlich den ganzen Haufen in Characterstücke und Intriguenstücke.
Ein französischer Kunstrichter aus dem Jahre 1770. richtete
dieses Fachwerk noch nützlicher ein, indem er von jeder
dieser Gattungen eine Menge Unterabtheilungen festsetzte,
nach Maßgabe derer dann die s. g. dramatische Literatur
nach bestimmten zeitersparenden Rubriken, wie in einer
Art von theatralischer Registratur aufgestellt, und so
der Routine der Regisseurs und Directoren auf eine höchst
bequeme Weise unter die Arme gegriffen wurde. So theilte
er z. B. die pièces d’intrigue in pièces d’intr.
par un valet, p. d. par une soubrette, p. d.
par les maitres, p. d. par plusieurs personnages,
p. d. par une ressemblance, p. d. par un événement
ignoré des acteurs, p. d. par une chose inanimée,
p. d. par des noms, p. d. par un deguisement,
p. d. par le hazard. – Lassen Sie uns jetzt
jener auf diese Weise zu dem elendesten Hausgebrauch herabgewürdigten
Eintheilung, einen alten ehrwürdigen Sinn unterlegen.
Die antiken Dramen sind Characterstücke im weitesten Sinne
des Worts,
die modernen, besonders spanischen, sind Intriguenstücke
in eben so ausgedehnter Bedeutung.
Es
wird sich sogleich zeigen, wie aus dem allegorischen Character
der modernen Bühne, der eben auseinander gesetzt worden,
nothwendig hervorgehe, daß eben im modernen Drama, die
Intrigue mehr hervortreten müsse, als der Character. Personen
eines Dramas sind aus zwei Rücksichten zu betrachten:
es fragt sich, 1. was gelten sie für sich, jeder in seinem
besondern Character, jeder in seiner besondern Persönlichkeit.
2. was bedeuten sie zusammen genommen, was bedeuten sie
durch ihre Verknüpfung. Intrigue, im allergewöhnlichsten
Sinne, bedeutet die künstliche Verknüpfung oder Verwicklung
von Personen und Handlungen zu einem bestimmten Zweck,
und da ist es wirklich gleichgültig, ob diese Verwicklung,
wie jener Franzose in seiner Art sich ausdrückte: par
les personnages, oder ob sie par le hazard bewerkstelligt
wird, und so wird in jedem möglichen Drama eine Intrigue
vorkommen <11:> müssen. Wenn aber in einem Drama
die Personen mehr wie Zeichen, wie Zahlen, wie Buchstaben
gelten, d. h. wenn sie mehr durch ihre Stellung,
durch ihr Verhälniß zu der allgemeinen Verwicklung als
durch ihre wirkliche, runde, persönliche Eigenthümlichkeit
gelten, so sind wir doppelt befugt, ein solches Drama
Intriguenstück zu nennen. Vergleichen Sie nun eine Statue
als Symbol der alten Welt, mit einem Gemälde als
Symbol der neuen Welt so finden Sie, daß in der Statue
das Hervorstechende, der runde, consequente, nach aller
Seite frei heraustretende Character ist, hingegen in dem
Gemälde die Zusammenstellung, die Composition, kurz die
Intrigue im weitesten Sinne des Worts vorwaltet. Daß aus
der wahren Statue auch eine innere Composition, eine verborgene
Intrigue hervorblicken, eben so, daß aus dem wahren Gemälde
auch der Character heraussprechen, wenn auch nicht gerade
heraushandeln müsse, versteht sich von selbst, denn es
kömmt hier nicht darauf an, die beiden Künste der Bildhauerei
und der Malerei, oder die beiden Zeitalter, das antike
und das moderne hoffnungslos und für immer auseinander
zu reißen, sondern eben durch die wahre Bestimmung ihres
gegenseitigen Geschlechtscharacters, die wahre Vermählung
zwischen ihnen möglich zu machen. Genug, die Bildhauerei
drückt den Character aus, und deutet die Intrigue blos
an, die Malerei drückt die Intrigue aus, und deutet den
Character an. Eben so und aus demselben Grunde, weil die
Malerei die moderne Welt repräsentirt, tritt die Intrigue
in dem spanischen Drama so besonders hervor; an den tiefsinnigsten,
unergründlichsten Verwicklungen ist kein Theater so reich
als das spanische, weshalb, sowohl die französischen als
italienischen Dichter der letzteren Jahrhunderte es von
dieser Seite als ihr unerschöpfliches Magazin benutzt,
und besonders den spanischen Intriguen die Ehre erwiesen
haben, sie durch ihre Verse und klingenden Sentenzen zu
verschönern, zu beleben und zu erhöhen. Bei den ältern
dramatischen Dichtern der Spanier, und vornehmlich bei
Calderon, hat die Intrigue, oder wie wir sie früher genannt
haben, die allegorische Chiffer, die aus den einzelnen
Personen und Begebenheiten, wie aus einzelnen Zeichen
zusammengesetzt ist, diese hat, wie das einzelne Wort
in der Sprache, nicht blos eine allegorische Bedeutung,
sondern eben wie das Wort auch noch einen besonderen Rythmus,
einen besondern Klang. Die bedeutendsten dramatischen
Werke der Spanier enthalten die Intrigue in so kunstreicher
Ausbildung, daß man bei näherer Zergliederung derselben,
durch eine gewisse rythmische Symmetrie überrascht wird,
die ich oben bereits in der Betrachtung des Sommernachtstraums
nicht besser als durch die Vergleichung mit den einfachen
Tanzfiguren darzustellen wußte. Durch das harmonische
und rythmische Gewebe dieser Chiffer hindurch schimmern,
zeigen bald und bald verbergen sich die herrlichsten Blüthen
und Früchte des Leben. In die Hauptgruppe greifen von
allen Seiten kleinere Reigen lebendiger Schönheit musikalisch
ein, und durch eine leichte Deutung, die im bedeutendsten
Momente unerwartet hervortritt, wird das ganze plötzlich
erhoben; es eröffnet sich eine Aussicht in das Allerheiligste
der Religion, und was erst irdisches Spielwerk zu sein
schien, verklärt sich unerwartet und verwandelt sich in
heiligen Dienst. <12:>
Die
deutsche Sprache genießt vor allen andern europäischen
Sprachen des unschätzbaren Vorzugs, drei Übersetzungen
von Dramen des Calderon zu besitzen, von einer Vollendung,
so daß weder in Deutschland, noch um wie viel weniger
irgend wo sonst, neben ihnen von andern Übersetzungen
irgend eines Dichters die Rede sein kann. Es sind dieses
die Schlegelschen Übersetzungen der Andacht zum Kreuz,
des Dramas, über allen Zauber Liebe, und vornehmlich der
Blume und der Schärpe, von denen ich besonders das Letztre
zur Bestätigung meiner Urtheile über die spanische Poesie,
und zur Einführung in die spanische Bühne, meinen hochzuverehrenden
Zuhörern empfehlen würde. Es heißt wirklich nicht die
Verdienste und das große Talent des Übersetzers herabwürdigen;
es heißt vielmehr nur die ungewöhnliche Vortrefflichkeit
dieser Übersetzungen erklären, wenn man bemerkt, daß die
innern Genien der deutschen und spanischen Nation, und
der beiden Sprachen, einander wo möglich eben so nahe
verwandt und ähnlich sind, als ihre gegenwärtigen beiderseitigen
Schicksale. Deshalb ist es uns Deutschen wohl anständig,
alle Partheirücksicht auf die gegenwärtige Form der Religion,
der Verfassung und der Sitten in Spanien zu beseitigen,
und vorzügliche Aufmerksamkeit, besonderes Studium auf
die Vorzeit und die herrlichen Monumente einer Nation
zu wenden, die wahrlich nicht durch die Niederlande und
Carl den 5ten allein, und einmal für immer
mit uns in einer unmittelbaren Verbindung gewesen ist.
Emendation:
Worts]
Wors D