VI. Kunstkritik.
An die Leser des Phöbus.
Es ist Dir, wenn Du so
bist, wie wir Dich wünschen, wenig daran gelegen, daß
Dir über Werke der Kunst, welche Du selbst betrachten
und empfinden kannst, von uns vorgeurtheilt werde. In
wiefern Du Dich eines eigenthümlichen Sinnes erfreust,
wirst Du den Geruch der Rose lieber selbst empfinden,
als eine Beschreibung desselben lesen wollen, wirst Du
Deine Liebschaften in der Literatur und Kunst lieber selbst
mit freier Neigung anknüpfen, als sie, durch fremdes Urtheil
und fremde Empfehlung gebunden, aus zweiter Hand empfangen.
Wenn Du alles hassest, was Dir Gefühle aufdringen und
Genüße einreden will, wenn Du nichts mehr liebst, als
Deine und aller Gerechten und Guten Freiheit des Dichtens
und Liebens, so bist Du deshalb im Bunde mit uns. Berufe
Dich, wo Du uns etwa anmaßend und lieblos fändest, auf
dieses Wort: und wir werden die ersten sein, welche Deinen
Tadel durch das Journal öffentlich bekannt machen. –
Aber
ausser dem Eindrucke, den ein Werk der Kunst auf Dich
macht, fühlst Du noch ohne Zweifel ein Verlangen zu wissen,
was die Zeitgenossen und vornehmlich die Nachwelt dabei
empfinden möchten, mit andern Worten, Du wünschtest den
augenblicklichen Eindruck des Werks, auf den ja Umstände
und Stimmung eingewirkt haben könnten, zu veredlen, zu
verallgemeinern, so, daß Du ihn in allen Umständen und
Stimmungen Dein ganzes Leben hindurch, festhalten und
vertheidigen könntest; daß die verschiedenartigsten Zeitgenossen,
ja die Nachkommen Dir beipflichteten, wenn Du ihn beschriebest.
Keine Hingebung ist so groß, kein Lebensgenuß so bezaubernd,
daß er die Seele zum Schweigen brächte mit ihrer Frage:
wird er auch dauern, und kann das dauern, was ihn erregt. –
Du kennst das häßliche Gefühl, wenn man sich des Freundes,
der uns einst durch vergängliche Züge gereizt, schämen
muß.
Dann
auch möchtest Du in Dein Genießen hineinziehn die Übrigen,
wenn es mit ihrer Freiheit bestehen könnte; nicht um Deinen
etwanigen Irrthum klüglich zu verassekuriren, damit die
mögliche künftige Scham sich unter recht vielen vertheilen
möchte; nicht aus weichlicher Scheu vor der Störung in
einem Genuße, dessen man nicht gewiß ist: sondern, aus
männlichem Streben nach der Gemeinschaft recht vieler
und recht verschiedenartiger vor dem Guten und Schönen. –
Kurz, Deine Empfindung bei dem Kunstwerke soll sich vor
Zeit und Nachwelt bewähren, ohne sich zu verhärten; sie
soll sich mittheilen, ohne die Freiheit der Übrigen zu
beleidigen. Du kannst Dir also nicht selbst genug sein
vor dem Schönen, wenn Du es ernst und lebhaft damit meinst,
wenn Du mehr verlangst als einzelne schöne Momente in
Dei- <43:> nem Leben, wenn Du nicht unmittelbar
nach der ersten Betrachtung des Werkes, seine Hand, wie
die eines Todten, fahren lassen willst: Du brauchst Genossen
der Liebe und der Bewundrung.
Aber
wie citiren wir denn diese Nachkommenden, denen unser
Kunsturtheil gefallen soll? Die Schatten der Vergangenen
bieten uns doch deutlich gewisse Züge des Lebens dar,
aber was ist uns von der Nachwelt geworden, als ein dunkles
Vorgefühl. Wie mögen wir uns der Harmonie mit jenen versichern,
deren ganze tausendfältige Entwicklung noch im Schooße
des Schicksals verborgen liegt? – Und wie mögen wir
auch nur die Lebenden aus ihren weitzerstreuten Wirkungskreisen,
jeden aus seinem Wohnsitz und seiner Nachbarschaft herbeiführen?
Sich entgegen kommen im Gespräch über die Kunst, einander
die Hände bieten zu gemeinschaftlicher Bewillkommung jeden
guten Bestrebens, wer möchte dies von den Menschen erwarten,
in einer Zeit, wo jeder daheim bei sich genug zu thun
findet; – und überdies durch Stimmensammeln, durch
kalte Abrechnung zwischen den Beifälligen und den Tadlern
werden die Könige der Schönheit nicht erwählt. Es bedarf
des Gesprächs, des unendlichen und liebevollen, wenn die
Ansicht und das Urtheil eines Kunstwerks sich veredeln
und allgemeiner werden soll. Wenn solch ein Kunstwerk
blos für sich lebte, und Dir, wohlwollender Leser, gefiele,
ohne Dich weiter zu beleben; wenn es blos für sich schön
wäre, ohne Dich und Dein eignes Leben zu verschönern,
so möchte auch ein Kunstjournal ohne alle ächte Kritik
bestehn. Niemand wüßte dann zu sagen, wie die Kunst in
die Welt gekommen, und warum sie nicht mit aller ihrer
Herrlichkeit in einem Augenblick wieder ausstürbe. Aber
so belebt sie ganz sichtlich ihre Freunde; einige berauscht
sie, andre befeuert sie zu eignem Wirken und Bilden, und
viele macht sie wenigstens gesprächig.
Wir,
die Herausgeber des Phöbus, haben diesen ersten Theil
unsers Werkes dazu gebraucht, den Freunden der Kunst in
Deutschland unsre Arbeit und das Eigenthümliche darin
vorzulegen, ihnen, wie Albrecht Dürer sagte, unsre
Hand zu weisen. Es kam darauf an, die Unbefangenheit,
den Muth, das Streben und den freien offnen Sinn darzuthun;
Mißfallen, ja eine leichte Verletzung des verzärtelten
Publikums nicht zu scheuen, dafern wir nur die Fähigkeit,
ihm künftig auch wieder wohlzuthun, uns zutrauen durften.
Nun
kann ein Gespräch über die Kunst allgemach anfangen, da
wir bewiesen haben, daß wir über uns selbst, über die
Zeit und das Würdigste in der Kunst zur Noth Red’ und
Antwort geben können. Die Strahlen, welche Werke, vornehmlich
deutscher Art, auf uns werfen, werden wir auf unsre eigne
Art verzehren und reflectiren. Ähnlichgesinnte, ja an
Beruf noch überlegene, werden wir mit ihrer Stimme und
ihrem Urtheile zu versammeln wissen, um recht deutlich
dem Leser zu zeigen, wie ein und dasselbe Werk auf recht
vielfältige Gemüther wirkt, um ihm die höchste Ehre und
den vollkommensten Gewinn zu geben, die wir zuzuwenden
<44:> im Stande sind: er soll nemlich der ruhige
Zeuge eines recht bunten und klugen Gesprächs sein, und
in dem Feuer, welches wir ihm bereiten, seine eigenthümliche
Ansicht der Kunst zu einer allgemeinen und geselligen
läutern können, zu einer solchen, aus derer es dem Urenkel
noch rechtfertigen kann, daß ihm Platon, Shakespear, Cervantes
und Göthe gefallen haben.
Denn
warum haben wir wohl mit unsern Vätern über ihren Gleim,
und Hagedorn, und Wieland nie einig werden können. Nicht
deshalb, weil diese Dichter die Herabsetzung verdienten,
die ihnen von uns Jungen, nicht minder befangenen, wiederfuhr;
sondern weil zwei steife Systeme der Kunstkritik einander
unbeweglich gegenüber standen, jedes das andere verdammend;
weil es wohl Katheder der Beredsamkeit und Poesie, aber
keine Gespräche darüber gab; weil zwar die Gewohnheit
und die Schule, aber nie das eigne, freie, sinnreiche
Leben, über die Kunst zum Worte gekommen.
Ironie,
Ernst, Polemik, Parodie, Kritik in allen Formen, viele
Urtheile über ein Werk, ja Urtheile über Urtheile sollen
erscheinen, und die zweite Hälfte eines jeden Heftes vom
Phöbus bilden. Die Realität, d. h. die Liebe und
den Haß, den Tadel und das Lob werden wir dennoch behaupten,
wo sie hingehören; diese Sicherheit der Hand und des
Herzens, so daß weder ein hyperkritischer Ekel, noch
ein buntes, belletristisches Scheinleben, sondern nur
unersättliche Liebe zum Besseren und Schöneren, dabei
herauskomme, wolle der gütige Leser uns zutrauen.
Und
so haben wir es dann zunächst für die zweite Hälfte dieses
Jahrgangs auf die Betrachtung der künstlerischen Laufbahn
Schillers angesehen, und ersuchen alle Freunde
des Dichters und der Kunst, den Kranz, welchen wir zu
seinem Andenken winden wollen, zu bereichern und zu verschönern.
Das unscheinbarste, ein leicht hingeworfener Gedanke über
das unbedeutendste Werk des Dichters, kann durch Geruch,
Farbe und sinnige Zusammenstellung im ganzen Gewinde einen
unschätzbaren Werth erhalten.