BKA-Brandenburger Kleist-Ausgabe Start Übersicht Suchen Kontakt Andere interessante Websites Institut für Textkritik e. V.

[ PHÖBUS(4) ]

[ ]

 

Adam Müller, V. Vorlesungen über das Schöne (Fortsetzung), 45-53; darin: 49-53

Warum aber blieb er nicht in dem Wirkungskreise, den die Natur für ihn bestimmt hatte, was drängte ihn denn auf die Bühne? sind denn dort allein nur Kränze zu gewinnen? zuförderst: er brauchte eine Tribüne, denn er konnte sprechen: die Kanzel und die moralischen Expositionen, der Leisten, und die Nüchternheit, welche ihm dort zugemuthet wurde, hätte ihm schwerlich genügt; ein Parliament gab es nicht; herz und geistloser Verkehr mit der Feder in allen Staaten um ihn her, und allenthalben; er bestieg die Bühne, weil es keinen Rednerstuhl für ihn gab – das mochte der Grund sein, den er sich etwa selbst als Jüngling anzugeben wußte. – Aber nun noch einen tieferen Grund, der uns für den Zweck dieser Stunde näher angeht. – In allen ausserordentlichen Naturen findet sich ein Streben, nicht nach Dingen, auf die ihr Wesen nicht eingerichtet ist, aber nach dem was ihrer Eigenthümlichkeit grade recht entgegengesetzt ist; so vermag den Mann nichts mehr zu ergreiffen und zu fesseln, als die ganz entgegengesetzte Natur der Frauen. Der Mann im vollen Gefühl seiner organischen Einseitigkeit strebt sich zu ergänzen, sein Wesen zu vervollständigen, Mensch, das heißt mehr als Mann zu werden; eben so der Redner, dessen durchaus männliche Natur in der vorigen Stunde entwickelt worden, strebt mehr zu werden als Redner, daher seine tiefempfundne Liebe, ja Zärtlichkeit für den Dichter, je gewaltiger er nun ist, um so mehr wird er streben die Poesie nicht blos mit Liebe zu umfassen, sondern selbst Dichter zu werden. Die Wissenschaft, die Philosophie, die Beredsamkeit, je reiner er ihre Eigenthümlichkeit faßt, um so mehr wird es ihn treiben, die hohen Wesen, Wissenschaft und Kunst, Philosophie und Poesie, Beredsamkeit und Dichtkunst, die einander wie Mann und Frau darum nur so unähnlich sind, damit sie sich um so tiefer reizen, um so inniger lieben können, diese untereinander zu vermählen, damit die Kinder aus dieser göttlichen Ehe die Züge beider Eltern harmonisch vereinigen, und, wiewohl auch sie wieder einen Geschlechtscharakter an sich tragen, dennoch die Menschheit selbst immer deutlicher und reiner in den Individuen ans Licht trete. – Das war Schillers Streben, und nun mag die Zeit mit falschem Hochmuth seinen Werken immerhin die rednerische Natur, den Überfluß an Ideen auf Kosten der Gestaltung, den Mangel an Objectivität vorwerfen – im Klange seiner vielleicht oft einförmigen Verse ist und bleibt etwas Bezauberndes. Wie er die Nation für die übrige Musik ihrer Dichter empfänglich gemacht hat, fühlt jeder von uns, der seine Jungend und seine eigne Bildungsgeschichte nicht verläugnen will. Aber es liegt etwas noch viel Höheres in diesem Klange, es ist die Gegenwart einer sehr liebenswürdigen Natur, welche jeden, der nur Gehör hat, bei der Lesung seiner Werke begleitet; ein nie verstummender Klagegesang über die zerrüttete Zeit, <50:> die einen solchen Menschen verhindern konnte seine Werke zu vollenden. – So viel ist hinreichend, um den Gegensatz von Beredsamkeit und Poesie in seinem ganzen Umfange zu erkennen. Jemehr ich verlangt habe, daß die beiden Gattungen strenge geschieden werden sollen, damit sie sich lieben, ja sich vermählen können – je weniger habe ich ihre ewige Geschlechtsverschiedenheit aufgegeben wissen wollen, oder einer gewissen Geschlechtsindifferenz, die in der neuern Philosophie sehr beliebt geworden, das Wort geredet. Es ist ein Unterschied zwischen einem Menschen und einem Hermaphroditen: und dadurch daß eine Natur weder männlich noch weiblich ist, kommt der Mensch nicht zu Stande: deshalb weil jemand weder bloß Dichter noch bloß Redner ist, wird er nicht zum Autor. Und so schließt sich diese Betrachtung an den Grundgedanken dieser Vorlesungen an: die Schönheit und das Leben erscheint durch die Liebe; sie ist wahrzunehmen weder blos in dem Liebenden noch blos in dem geliebten Gegenstande, sondern indem wir beide in ihrer Verschiedenheit und ihrer Einheit wechselnd erblicken. Wenn nun die Wissenschaft und die Kunst in diesen Bund der Liebe treten, so vernichten sie deshalb nicht ihre Eigenthümlichkeit; denn wenn sie dies thäten, so fände ja alles weitere Aneignen nicht statt; sie müssen geschieden bleiben und ohne Ende immer geschieden werden, damit sie sich immerfort vereinigen und immer inniger vereinigen können. Darum die Natur, wenn sie eine irdische Liebe befestigen, vertiefen, verinnigen will, häuft sie anscheinend die Beschwerde, sie beträgt sich ungünstig, sie trennt häufig und länger und länger – damit der Geist der Liebe recht viel zu überwinden finde, und je heftiger der Kampf war, er ein um so größerer Sieger erscheine. Es giebt nur zwei Arten des Untergangs für die Liebe, da sich die Liebenden entweder ohnmächtig und verzweifelt von einander absolut trennen, oder da sie sich aus gleicher Gebrechlichkeit absolut vereinigen, welches nur im Tode geschieht. – Also, gleichviel, die Wissenschaft und die Kunst, die Beredsamkeit und die Poesie gehn entweder abgesondert jede ihren einsamen Weg, oder sie fließen ein für allemal in Ein einzelnes trübes Gemisch zusammen: in beiden Fällen gehn sie unter. Leben können sie nur in ewiger wechselseitiger Aneignung ihrer Naturen: da nemlich Wissenschaft und Beredsamkeit, ohne ihre Eigenheit zu verlassen, sich künstlerisch ausbilden, und die Poesie mit gleicher Unabhängigkeit (was bei manchen allzuweichlichen Freunden der Poesie noch unverstanden bleiben mag) sich im ächten Sinne des Worts wissenschaftlich gestaltet. –
So hätten wir nun gezeigt, wo das Leben und die Schönheit der Sprache und aller Redekunst zu finden sei: lassen Sie uns jetzt von der Rede übergehn zur Schrift. Wie viele glauben schön zu schreiben und wie selten sind die wahren Federn, die man als Monument aufbewahren möchte, wie Cervantes die seinige am Schluß des Don Quixote. Die meisten glauben, wenn die Sache erst in gewisser Klarheit gedacht und überlegt sei, so trete nun eine gewisse Kunstfertigkeit hinzu, womit jeder Entwurf polirt, geglättet, gekräuselt und verschönert werde. Jedermann ahndet, daß mit der bloßen Wissenschaft allein nicht auszureichen sei, daß <51:> auch die Kunst nicht entbehrt werden könne, wenn sie im Grunde auch nur den äusserlichen Schmuck besorge und über die Seele des Gedankens nichts vermöge. Aber daß der Stoff des Gedankens und seine Form, als ein lebendiges Eines an den Tag springen müssen, daß es gar keine Wahl der Formen gebe, daß man dem Kinde, nachdem es geboren, die feinere Haut, den schöneren Haarwuchs, die reineren Züge nicht mehr hinzufügen könne, dies ahnden wenige. Da studiren sie dann, wie sie es nennen den Stil, bilden sich nach s. g. guten Mustern, reden sich gewisse Phrasen ein – aber was dabei herauskommt lebt weder, noch ist es schön. Treiben sie die Sache ins Große, so wird ein Numerus, ein gewisser Periodenbau, eine Art von prosaischem Cothurn anempfunden, der wo er sich finden möge, beim Cicero oder beim Bossuet, allenthalben zu den höchst unkünstlerischen und langweiligen Angelegenheiten gehört – während die Herrlichkeit der wahren Prose grade in der Unendlichkeit der Rythmen und Periodenwechsel beruht, welche sich nach dem Gedanken, nach der Sache in ihrer Ursprünglichkeit, wie sie in unsrer Brust gebildet worden, richtet: ein Geschäft, das von keinem andern für uns vollzogen oder uns gelehrt werden kann. Woher kömmt der Reiz, der uns aus leichten hingeworfenen Zügen in dem kleinsten Briefe einer geistreichen Frau anlacht? Weil er nicht hineingelegt ist, sondern auf einem und demselben Wege grade daher kommt, wo der Gedanke, die Nachricht, die Erzählung herrührt, welche uns mitgetheilt werden. In allen andern Stücken mag die weibliche Koquetterie der unsrigen überlegen sein; hier aber erscheint die Frau wirklich viel schöner als wir, weil sie, wenn sie nicht Schriftstellerin von Profession ist, hier minder koquett ist als wir. – Wie hat eine männliche Feder zu kämpfen, die nach einer Erziehung, welche hauptsächlich auf die Ausbildung eines gemeinen Gedächtnisses ausgeht, nun alle die angeeigneten Phrasen, die mit den Sachen zugleich angewöhnten Formen wieder abschütteln will, damit sie nur endlich dazu komme, sich selbst in ihrer Ursprünglichkeit, in ihrer Eigenthümlichkeit auszudrücken. Die Frauen klagen meistentheils über schlechtes Gedächtniß: es kommt daher, weil sie ein dem unsrigen ganz entgegengesetztes Gedächtniß haben; wenn sie recht weiblich sind, so haben sie irgend eine Sache kaum ergriffen, als sich dieselbe auch schon wie Salz im Wasser in ihrem Wesen auflößt; die einzelnen Körner des Salzes kann ich euch nicht mehr zeigen, aber kostet das Wasser, ihr werdet es in jedem Tropfen schmecken: und so nimmt der Gedanke, den sie festhalten wollen, sogleich durch und durch, indem er gleichsam schmilzt in dem feuchten Wesen, auch seine Natur an. Wir hingegen sammeln die Gedanken und Sachen vielmehr in einer großen und künstlichen Ordnung ohne sie aufzulösen, und so ist es kein großes Kunststück, wenn wir sie nachher zu aller Zeit wirklich in derselben Gestalt, in welcher wir sie empfingen, aufzuzeigen wissen. Eine bestimmte Redensart, den Hergang einer verwickelten Geschichte, eine Stelle aus einem Gedicht – werden wir zwar leichter bei der Hand haben, aber dagegen entbehrt unser Wesen jene Eigenschaft der Flüßigkeit, welche macht, daß die Seele einer Frau sich so leicht in ihrer Ursprünglichkeit darstellt und daß alle Bildung, welche die Welt hin- <52:> zugethan, nur erscheint wie eine Würze, die auch entbehrt werden könnte, ohne daß aufhörte schön zu sein, was von Anfang an schön war. Deshalb ist nichts natürlicher, als daß wir grade von den Müttern reden lernen, deshalb heißt die Sprache unsers Landes billig die Muttersprache: an den Sprachen, die uns späterhin die Sprachmeister lehren, sehn wir es wohl, wie schwer auf dem bloßen Wege des männlichen Gedächtnisses uns der Geist einer Sprache in die Seele will. Deshalb würde ich, wenn die Frauen nicht auf die Unart verfallen wären, sich männliches Gedächtniß und männliche Redensarten anzugewöhnen, und solche zu gebrauchen, wenigstens wenn sie vor dem Schreibtische sitzen, auch vorziehn, wenn die Kinder von den Müttern schreiben lernten. – Wenn man doch nicht glauben möchte, daß der Stil, oder der bestimmte feste Charakter einer Schrift, nur gewonnen werden könnte dadurch, daß man der Beweglichkeit entsage: je bewegter das Meer ist, um so fester und ruhiger muß die Hand des Steuermanns sein, der seinen Lauf dadurch verfolgen will. Wie will sich denn der Charakter zeigen, wenn nichts geschieht, wenn alles einförmig bleibt, wie es ist. Und so auch hier befestigt sich die Festigkeit, oder das männliche Wesen erst recht dadurch, daß es jene flüßige Eigenschaft, jenes sanfte Anschmiegen der Seele, wie der Wellen, welches der Vorzug der weiblichen Natur ist, erlernt. Diese weibliche Milde und diese männliche Strenge bilden, nicht vermischt aber vereinigt den ächten Meister des Stils, wie ihn der Don Quixote und Wilhelm Meister zeigen. – Jedermann fühlt den Unterschied, wenn die trocknen Bestandtheile einer Geschichte ohne Geist und Leben hergezählt, und wenn sie andrerseits in eigenthümlicher Farbe und Bewegung, in voller Gegenwart aller Kräfte, vor allen der poetischen, dargestellt wird. Hat der Darsteller nichts weiter gethan, als unwesentlichen Schmuck zu dem Product des Herzählers hinzugefügt, oder hat er nicht vielmehr der Geschichte Blut, und Fleisch und Athem gegeben, ohne welche sie nichts ist? In keiner Wissenschaft lasse man sich doch mit Skeleten des Lebens abspeisen, entbehrt sie der Kunst in ihrer Bildung und der Darstellung, will sie bloß und ausschließend Wissenschaft sein, und nichts als Wissenschaft, so ist sie eben darum, weil sie aus dem Verein der Liebe, in dem sie mit der Kunst steht, und ohne sie nichts ist, heraus tritt, auch nicht Wissenschaft. An dem also, was sie sowohl in der wissenschaftlichen als in der Kunstdarstellung, in der Beredsamkeit und Poesie schön und lebendig nennen sollen, von dem verlangen sie unerbittlich, daß es klar und kunstreich zugleich sei, daß es, welchen Geschlechts es auch sei, die Züge und den Einfluß von beiden Stammeltern wahrnehmen lasse. Und wie ich neulich zeigte, wie der Rythmus, in dem sich das junge Volk der Hellenen, ihre Ilias und Odyssee bewegte, sich endlich im Laufe der Zeit, im Raume, in körperlichen Gestalten, im Jupiter des Phidias, in der Scenerei des Sophokles und im schönen Leben der griechischen Republiken ausgedrückt habe; so fordern sie nun von allen bleibenden Werken der Dichtkunst und der Redekunst, ehe Sie das Urtheil der Schönheit aussprechen, daß darin wahrzunehmen sei ein langes harmonisches Leben, welches Wissenschaft und Kunst liebend mit einander geführt, und von dem nun ein schönes Kind <53:> für die Bewundrung später Zeiten zurückgeblieben. – In allen Werken der Redekunst, wie abhängig solche Werke auch sein mögen von der Einwirkung der Aussenwelt, von Rücksichten, welche Zeit und Umstände uns auflegen, demnach von der ewigen Gesprächsform, muß die weibliche Einheit, welche das heiligste Wesen der Poesie ist, beständig sichtbar bleiben, und wenn auch die feste Form und das männliche, vielseitige, schrankenlose Wirken die Oberhand behält, beständig dieses Streben begleiten, ja beseelen. Ebenso die Poesie, wenn auch das Erzeugen des unabhängigen Lebens, das innre, süßbeschränkte Bilden die Oberhand behält, muß ihr dennoch die männliche Kunst der Beredsamkeit, und des heiligen Überredens der Gemüther immer zur Seite gehn. So empfehlen die Griechen, die unter der Wissenschaft etwas Höheres meinten, als wir gewönlich pflegen, grade dem Dichter die Wissenschaft.
Wenn es sich schickt nach dem Gespräch über so erhabene Gegenstände, auch zuletzt noch der eignen Persönlichkeit zu gedenken, so lassen Sie es mich zur Entschuldigung vielfältiger Mängel in diesen Vorlesungen hinzufügen, daß ich selbst nach dem strebe, was ich im Anfange der Unterhaltung, da ich die einzelnen Künste herzählte, Wissenschaftskunst nannte. Auf das, was ich behaupten, was ich in kalter Trockenheit als abgemachte Wahrheit vor Ihnen aufstellen könnte; würden sie mir natürlich innerlich vieles gerechte erwiedern können: deshalb strebe ich die Wahrheit und Schönheit, die ich meine, so viel an mir ist, im Streite der Partheien darzustellen. Ich rede dem Redner und dem Dichter, dem Virtuosen und dem Strebenden wechselsweise das Wort, damit recht viel entgegengesetzte Ansichten erscheinen, und so, wie allenthalben, aus dem liebreichen Gespräch entgegengesetzter Naturen die Wahrheit hervorgehe, und männlicher Ernst und Streitlust neben weiblicher Nachgiebigkeit und Friedensliebe bestehen könne. Ich strebe mich frei dem Nothwendigen zu unterwerfen, und da alle wissenschaftliche Darstellung aus dem Gespräche hervorgeht, so strebe ich sie auch in diese Gesprächsform wieder auszubilden, um auf fremden Wegen mich dem Philosophen zu nähern, der einzig zum Vorbilde dienen kann, dem Platon. – Weil sie unkünstlerisch, und also, weil sie unwissenschaftlich sind, müssen alle philosophischen Systeme verworfen werden, welche geschlossen und vollendet zu sein affectiren, wie ein Gedicht. –

[ PHÖBUS(4) ]

[ ]

Copyright © 2000 by Institut für Textkritik e. V., Heidelberg
Letzte Aktualisierung 30-Mär-2003
[ Webdesign: RR 2000 ]