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Adam Müller, I. Vorlesungen über das Schöne (Fortsetzung), 3-31; darin: 22-31

IV.

In den Kunstmonumenten des griechischen Alterthums wollten einige Kunstrichter den Character vermissen: sie behaupteten, die Schönheit in der Form jener Denkmale sei so rein, daß aller bestimmte Character darin untergegangen sei. Andre minder für den Schönheitszauber empfängliche Betrachter, welchen dafür aber die historische Schärfe des Urtheils zu Theil geworden war, wollten wieder in denselben Antiken nichts bewundern, als den höchst bestimmten Ausdruck des Characters oder der Individualität. Da findet nun freilich eine Opposition statt, bei der man der einen Parthei der Kunstrichter völlig Augen und Urtheil absprechen muß, wenn die andre Recht behalten soll. – Indeß ist der ganze Streit leicht zu lösen: Göttliches ist keineswegs dasjenige, welches des Irrdischen entbehrt. Ihr haltet das göttliche Feuer, welches den Menschen bewohnt, die Seele nicht fest, dadurch, daß ihr den Körper davon losreißt, eben so wenig könnt ihr das Irrdische, die äußere Gestalt mit ihren bestimmten, individuellen Umrissen ergreifen, wenn ihr sie von der Gemeinschaft des Göttlichen trennt, – also ist auch das nicht wahrhaft Irrdisches zu nennen, welches des Göttlichen entbehrt. – So wie der Mensch aufrecht auf der Erde steht, über ihm der unendlich bewegte Aether, unter ihm die dauerhafte feste Erde, wie es ihn zieht nach oben und unten zugleich, wie er nicht in das freie Gebiet über sich hinauf verlangen kann, ohne daß es ihn unten mit tausend <23:> Armen der Begierde und des Genusses wieder festhielte – so dem Himmel und der Erde zugleich angehören muß auch seine Ansicht der Dinge. Was ist besser, oben oder unten? vor oder nach mir? wesenlose Fragen. Hier in der Mitte schlägt mein Herz und dort treffen alle Einflüsse von oben und unten, von disseits und jenseits zusammen, da ist der Sitz des höchsten Wohlgefallens, welches ich zu erschwingen vermag. – Alles was ich Mensch auf dieser Stelle zwischen Himmel und Erde erbaue, bilde und verfasse: seien es Statuen, Gemälde, Reden, Gedichte, philosophische Werke, Staaten – alles soll bestehen aus Geist und Fleisch, wie ich; an allen meinen Werken, oder an den Werken andrer, wenn sie mir gefallen sollen, will ich spüren, die Einflüsse von oben und von unten, die wechselsweise hinab- und heraufströmend allmählig sich gestalten, und immer dichter und kernigter sich gestalten um einen Mittelpunct, um ein Herz – das dem meinen gleiche. Nun fragt einmal, ob das, was ich so erzeuge, dem Himmel angehört oder der Erde, ob es blos menschlich oder blos göttlich sei, ob es blos allgemeine Schönheit oder blos individuellen Charakter an sich trage? – Die ganze Schönheit des Werks liegt ja blos in der harmonischen Vereinigung beider, oder im Herzen, wie wir es nannten. Daß also an den Römischen Antiken nach dem begeisterten Winkelmann, der sich mehr der characterfreien Idee der Schönheit hingab, auch wieder trocknere, prosaische Naturen wie Hirt in Berlin vorübergiengen, welche von den Antiken nichts zu sagen und zu entwickeln wußten, als den darin aufgefaßten Naturcharacter oder ihre Individualität – dies mögen sich jene herrlichen Wesen wohl gefallen lassen. Wenn uns der eine lehrt mehr, was der Geist der Künstler reines und göttliches erstrebt, der andre mehr, was die Hand derselben irrdisch tüchtiges erreicht, so ist zwischen diesen Extremen desto leichter von nachfolgenden sinnigen Betrachtern dasjenige zu erkennen, was jene Künstler und ihre Werke nun eigentlich waren, in ihrem Herzen. – Man wende mir nicht ein, daß der vortreffliche Winkelmann ja auch nicht nach körperlosen Idealen gestrebt habe, sondern daß er eben die allgemeine, gesellige, abstractere Gestaltung der Kunst gemeint habe, von der er nur das ausgeschlossen wissen wollte, was wir im gemeinen Leben scharfgeschnittene, markirte Individualität, Eingenthümlichkeit des Ausdrucks und Characters nennen. Ich weiß sehr wohl, wie edel und groß er es gemeint, und wie klein und nichtswürdig die Ansicht der Kunst ist, welcher er sich entgegenstellte: hier aber ist von dem Winkelmann die Rede, den sich nachfolgende Künstler und Kunstliebhaber bei der Nennung seines großen Namens dachten, nicht von ihm selbst. – Wir haben schon in einer früheren Unterhaltung den Irrthum beleuchtet, in den die gute Gesellschaft verfiel: auch sie meinte, daß ihre grazieusesten Mitglieder die wären, welche blos eine allgemeine characterlose Form der Schönheit aufstellten: und daß man schlechthin an Persönlichkeit und bestimmten Umrissen des individuellen Lebens verlieren müsse, was man an Allgemeingefälligkeit gewinne. Wie weit nun dieser Irrthum greife, daß der Mensch nur eines von beiden sein könne, entweder ein tüchtiges, characteristisches Individuum oder ein geselliges, allgemein ansprechendes Schönheitswesen, dies habe ich noch mit <24:> allen Kräften zu zeigen. Die Kunst muß beständig sagen: je individueller, natürlicher mein Werk ist, desto allgemeiner, göttlicher ist eben dasselbe, und umgekehrt, je göttlicher desto irrdisch tüchtiger. – Ermüden Sie nicht an der Fülle und Verschiedenartigkeit der Beispiele, die jetzt auftreten: der Geist der Kunst soll von jeder einzelnen menschlichen Natur ergriffen werden, und da bedarf es mancher Umstaltungen, wenn so verschiedenartige mit ihm in Berührung kommen sollen. – Zuerst ein gemeinverständliches Bild: Denken Sie Sich nach Art der Schattenrisse ein Bild in Papier ausgeschnitten, und vergleichen sie das ausgeschnittene Bild mit der leeren Stelle, die in dem Papiere, von wo herausgeschnitten worden, zurückbleibt. Ein Kind giebt mir zu, daß das herausgeschnittene Bild und die leere Stelle in dem Bogen Papier ein und denselben Umriß darstellen. Je bestimmter und richtiger sie die gegebene Gestalt herausschneiden, um so bestimmter und richtiger drückt auch die leere Stelle im Papier dieselbe Gestalt aus. – Sie schneiden mit einem Schnitt, wenn Sie es vorsichtig machen, zwei Silhouetten aus: eine positive und eine negative Silhouette. Vergleichen Sie mit diesem Kinderspiel das ernstere Geschäft, da ihr Auge, ihr Seelenauge möchte ich sagen, irgend einen Gegenstand aus dem unendlich zusammenhängenden Universum herausschneidet, da sie den Character irgend eines Dinges, eines Menschen auffassen – so ist es ganz gleichgültig, ob sie den Menschen für sich in allen seinen Umrissen herausschneiden, oder ob sie die Natur betrachten, wie sie sich von allen Seiten in eben so bestimmten Umrissen um die leere Stelle herlegt, da sie den Menschen herausgenommen haben. Die meisten Menschen machen es wie die Silhouetteurs, sie werfen wie jene das Papier weg, daraus sie ausgeschnitten haben, und so versäumen sie die ernste Betrachtung, daß das Ding, wie es als leere Stelle im großen Papiere erscheint, ja nichts anders bedeuten könne, als es wieder in der herausgenommenen Silhouette für sich bedeutet. Nennen wir das Bild, welches herausgeschnitten worden, die individuelle Silhouette und die leere Stelle im Universum des großen Papieres die universelle Silhouette. – Je künstlicher, bestimmter und characteristischer du die individuelle Silhouette zu Stande bringst, um so reiner und natürlicher wird die universelle Silhouette in dem Schnitt von selbst zu Stande kommen. Ob du den Gegenstand, den du portraitiren sollst, für sich abgesondert betrachtest, oder die Natur betrachtest, wie sie sich nach allen Seiten an deinen Gegenstand anschließt und ihn begrenzt, scheint gleichgültig: dir kommt es hauptsächlich an auf die Grenzen zwischen beiden: je deutlicher und bestimmter die Eigenthümlichkeit des Gegenstandes, um so mehr ist er auch in seiner Beziehung auf das Universum auf die Natur aufgefaßt. – Wozu nun dieses kindische Beispiel? – Dazu! der Blick des Kunstbetrachters muß vor allen Dingen so gestellt werden, daß er es einsieht, wie er überhaupt das individuelle Kunstwerk nie betrachten, und weder durch die Betrachtung noch mit den wirklichen Händen hervorbringen kann, als mit Wechselblicken, welche auf das individuelle Werk und dann wieder auf die universelle Kunstwelt geworfen werden, aus deren Schooß sich die besondre Kunsterscheinung entwindet: das Kind neben und in der Mutter, die Mutter neben und in <25:> dem Kinde. Vertiefe dich in dein Kunstwerk, ausschließend in das Fleisch, in die irrdische Gestaltung desselben noch so tief, deshalb wird es um nichts schöner: schwärme du andrerseits noch so ausschließend in dem Liebesgedanken der Mutter, oder in dem Ideal in der himmlischen Bedeutung des Werks, so wirst du vielleicht einen geheimnißvollen Gesang vernehmen, der deinem Ohre unbestimmt schmeichelt, aber nie ein Werk hervorbringen und aussprechen können. – Denken Sie Sich jene Grenzlinie der Kunst weder zu hart noch zu weich: vor allen Dingen übertragen sie nicht den Nebenbegriff der Schärfe, aus jenem Beispiele von einer kunstreichen Scheere, auf die Kunstbildung überhaupt: betrachten sie lieber der Silhouette zum Gegengewicht die weiche Begränzung der Töne in der Musik. Allerdings vernimmt das Ohr auch hier bestimmte Umrisse und Gestaltung, aber eben weil der bewegte Hörer nicht zu sagen weiß, ob die Harmonie des Universums in den Menschen hinein oder ob die Harmonie des Menschen in das Universum hinausklingt, deshalb ist die Bezauberung so groß und innig. – Jeder Künstler nun hat solche Begränzungen aufzufassen: mit leiser, milder Hand trennt er die Gestalt von der Gestalt, damit der Betrachter eben in der bestimmteren Trennung der Töne die tiefere Harmonie empfinde. Das Resultat aller dieser Anschauungen demnach ist: je individueller, desto universeller. – Aber noch mehr! ich muß Sie zur Erkenntniß meines Gegenstandes in eine ganz andre Welt hinüberreißen. – In diesem Augenblick hält der Professor Fichte Vorlesungen in Berlin über die gegenwärtige Zeit und ihren Character. Er will zeigen, wie die Unglücksfälle des Nordens von Deutschland, des aufgeklärtesten Theiles der Welt deshalb von der Natur verhängt sind, damit die Menschen ihre Selbstsucht vollständig vernichten, und rein und allein im Allgemeinen von nun an leben sollen; wie sie alles Einflusses des irrdischen Elements, irrdischen Verlangens und Antheils sich entschlagen sollen, um allein und ausschließend in der göttlichen Idee zu leben. – Längst ist es geahndet und von dem vortrefflichen Verfasser des Woldemar, Friedrich Heinrich Jacobi, ausgesprochen worden, daß die Moral nichts anders sein könne, denn eine wirkliche und ächte schöne Kunst, daß jede Handlung des Menschen, falls sie schön sein solle, Fleisch und Geist, bestimmte Kraft und unendliche Bedeutung in sich vereinigen müsse, eben so gut als ein schönes Gedicht oder ein Werk bildender Kunst, daß menschlicher Antheil an irrdischen, und göttlicher Sinn für die ewigen Dinge zu einem schönen Werke werden müssen, und daß Gott und der Welt mit derselben Handlung gedient werden soll; daß der Mensch sich selbst eine schöne Grenze zeichnen, oder mit andern Worten himmlischen Glauben und irrdischen Genuß in sich harmonisch vereinigen könne. Dies ist die wahre und ewige Moral!
In einer so wohlklingenden Klage, wie in dem berühmten Schillerschen Gedichte: Resignation, läßt man sich mitseufzend die Worte gefallen: Zwei Blumen blühen für den weisen Finder, sie heißen Hoffnung und Genuß, wer dieser Blumen eine brach, begehre der andern nicht, die Lehre ist ewig wie die Welt, genieße, wer nicht glauben kann, wer glauben kann, entbehre. <26:>
Wer möchte es verleugnen, daß es Stimmungen der Wehmuth in der Einsamkeit giebt, in denen uns diese Lehre ewig wie die Welt erscheint: wer dankt alsdann dem Dichter nicht, daß er die herbe Lehre in sanften Klängen ausspricht, und den Schmerz der Seele durch die Bezauberung des Ohres gewissermaßen ausgleicht. Aber die Philosophie soll diese Lehre nicht predigen, denn in ihrem Munde wird sie barbarisch. Eine gute und schöne Handlung wird nicht erzeugt, dadurch, daß ihr euch des irrdischen entäußert: nehmt ihr mir mein irrdisches Instrument, aus diesem Holze geschnitten, mit diesen irrdischen Saiten bezogen, so verlangt auch nicht weiter Töne und Harmonien von mir. Was meint Herr Fichte mit dieser Selbstsucht: etwa den eben so göttlichen als irrdischen Instinct der Menschen ihre Eigenheit, ihre Persönlichkeit, ihren Character, ihren Besitz, und alle Anhänglichkeit an geliebtes, einmal ergriffenes, wie eine Festung zu vertheidigen? – Überhaupt noch immer lebt in der deutschen Wissenschaft und Philosophie der unglückliche Wahn, daß eine bessere Welt, besseres Glauben und Wissen erlangt werden könne, durch ein Vernichten des eignen Selbst, durch ein absolutes Erheben zu Ideen, kurz daß die Lebenskunst und alle Künste beständen in ein pures Wegwerfen des Häßlichen, Störenden und s. g. Schlechten; daß die schönen Handlungen und Werke im Grunde schon in dem allgemeinen Magazine der Natur zubereitet da lägen, daß es wie im Dictionnaire de l’Academie nur auf ein gewisses Säubern, Läutern, Schleifen, Wegwerfen der Schlacken, Potenziiren, Sublimiren und Sichten ankäme, um die Schönheit und das Gute, wie es leibt und lebt zu Tage zu fördern. Fragt doch nur einfach, was ein Herz will? Nicht wahr: behalten, was es besitzt, bleiben in der alten Behausung unter den bestimmten, lieben, alten Gegenständen. Aber was noch mehr? was noch andres will das Herz? Es will, da sich all das Geliebte bewegt und verändert, mitgehn und sanft ohne Vernichtung, ohne Zerstörung in die Umstaltungen eingreifen, die das Schicksal einmal unerbittlich verhängt. – Wenn ich euch Philosophen folge, und alles, was mich zwar genirt aber doch auch wieder unendlich erfreut, kurzweg fortwerfe, so daß am Ende von meiner ganzen, reichen, schönen Erscheinung nichts weiter übrig bleibt, als ein leerer abstracter Begriff der Tugend oder ein Seufzer der Sehnsucht nach oben, so mache ich in dieser letzten, traurigsten Gestalt wahrlich kein bedeutendes Kunststück, wenn ich als Begriff, auf alle einzelnen Fälle ohne weitern Erfolg, mich wirklich anwenden lasse, oder wenn ich als Seufzer der Sehnsucht leer und kalt mich auch wirklich dahinauf begebe, weil ich nun einmal nichts weiter bin als ein Streben dahinauf. Alle leere Begriffe und im Grunde auch alle hohle Gefühle haben die wächsernen Nasen, die man ehemals der Justiz beilegte. – Also wollen wir, damit die Kunst des Lebens und überhaupt alle Kunst nicht getödtet werde, um Gotteswillen diese Selbstsucht nicht vernichten, diese Anhänglichkeit an irrdische Gestalten und Character: jeder halte das Instrument des Wohllauts fest, das ihm der Gott in die Hände gegeben, und der Philosoph spiele uns viel lieber auf seinem Instrumente vor, damit in einem Vorbilde von Geist und Fleisch der Geist der Harmonie sich unserm Fleische und Geiste mittheilen könne. Setze dein Dasein, sagte Herr Fichte, <27:> an das Allgemeine; laß es im Allgemeinen aufgehn, wirf deine Farbe, dein Kleid, deine Parthei, dein Vaterland, ja deinen Leib, deinen Namen sogar weg und lebe im göttlichen Begriff. Ich weiß sehr wohl, daß dieser Philosoph seine höchstspitzfindigen Anstalten trifft, um denn doch auch wieder manches von diesen Dingen zurückzubehalten, oder wenigstens, um nach der Entäußerung manches zurück zu bekommen, als Belohnung für den Entschluß. Aber es ist hier nicht um so kleine Dinge als um einen deutschen Philosophen, und um seine Erklärung und Rechtfertigung zu thun: es geht um den großen Gedanken der Kunst, der da erkannt wird, wo sich das Göttliche an das Menschliche anschließt, mit ihm vereinigt, wo sich beide gegenseitig begränzen und die universelle Bedeutung, der Gedanke der Kunst nicht anders geschaut werden kann, als neben und in der recht individuellen, irrdisch reichen Gestaltung. Je deutlicher, bestimmter, inniger, absichtsvoller dein Werk, deine Handlung – um so naturgemäßiger, allgemeiner und schöner ist sie. Nicht im Göttlichen allein ist die Schönheit, nach der ich als Mensch strebe, nicht im Menschlichen allein, sondern in der liebevollen Umarmung zwischen dem Gott und dem Menschen. – Darum hat der mönchische ausschließend orientalische und mystische Geist, womit im ganzen Mittelalter bei aller Frömmigkeit und Poesie dieser schönen Zeit das Christentum verstanden worden, für jedes reine und harmonische Gemüth etwas zerschneidendes und zurückschreckendes. Es war die Lehre des Mittelalters: Genieße, wer nicht glauben kann (wie die Griechen und Römer, überhaupt die Heiden in der Vorstellung des Mittelalters) wer glauben kann, entbehre (wie die Märtyrer, Einsiedler dieser Zeit.) So lange die Liebe und die Innigkeit des frommen Herzens alle diese Entsagungen und Entäußerungen begleitete, ungefähr wie der schöne Klang im Schillerschen Gedicht neben der grausamen Lehre vernommen wird – so lange waren diese Märtyrerhandlungen schön zu nennen; der herrlichste Geist des irrdisch schönen Lebens, und dieses ist eben die Liebe, war mit dem göttlichen Gedanken vermählt. Aber die Verse schweigen, die Liebe erkaltet, das Herz, welches die Liebesleere nicht dulden kann, baut sich näher an der Erde wieder an, und nun soll der Zwang, der leere Begriff, ein Entschluß sich und die Hörer und die Zuschauer zu zwingen – diese Tyrannen sollen nun die öde, ausgestorbene Lehre ausführen: Wer glauben kann, entbehre. Es ist entschieden, wir wollen weder die Religion, noch die Moral, noch die Philosophie, noch das Schöne – wenn sie Vernichtung, Zerstörung unsrer und unsrer Neigungen, und alles Irrdischen, und schnödes Wegwerfen irgend einer Blume des Genusses von uns fordern – kurz wenn sie etwas anders von uns begehren als Opfer, d. h. als eine stille, sanfte Umstaltung aller dieser Dinge, damit keines das andre zerstöre und alle einzelnen Neigungen zusammentreten können in ein Band der Liebe, in eine gemeinschaftliche Neigung, in ein gemeinsames Streben des entgegengesetztesten Verlangens nicht nach dem Höheren, nicht nach dem Entfernteren, weder nach der Vergangenheit zurück, noch in die Zukunft hinaus – sondern nach dem besseren und schöneren, nach dem eigenthümlicheren und allgemeineren zugleich. – Wir sind wie das Kind, wenn es ge- <28:> fragt wird: willst du mit dem Vater gehn oder bei der Mutter bleiben? – Sicher wird es antworten: mit dem Vater gehn und bei der Mutter bleiben. In einer kindlichen, liebevollen Seele vertragt sich ganz still das entgegengesetzteste, während der Philosoph sich schlechthin mit absolutem Entschluß auf die eine Seite herüberwerfen und entweder den Vater oder die Mutter, wenn er am Scheidewege steht, fahren lassen oder vielmehr vernichten muß. – Jeder wahre Kunstfreund wird mich für einen Thoren halten, wenn ich ihm die Frage vorlege, kann eine reiche Composition, z. B. eines Gemäldes, eines Gedichts, zugleich auch wieder eine einfache Composition sein, oder ist ein Kunstwerk entweder blos reich oder blos einfach? Eben so wird mich der Weltmann verachten, wenn ich ihn frage, kann ein reicher Mann, der seinen Reichthum in recht vielfachen Anwendungen genießt, in demselben Verstande auch wieder erkannt werden, als ein einfach und ordentlich lebender? – Daß ihr Gelehrten, würde er mir antworten, doch niemals Luxus von Reichthum, und Mangel von Einfalt zu unterscheiden wißt: je vielfacher meine Bedürfnisse sind, um so mehr kann ich ja meinen Geist der Einfalt, der Gerechtigkeit und der Ordnung in ihrem Genusse beweisen, desto größer ist, desto mehr bewährt sich ja meine Kunst in ihrer Befriedigung: den größten Theil des Reichthums wegwerfen, und dann wenige Bedürfnisse mit wenigen Mitteln befriedigen, kann jeder. Nicht Reichthum oder Einfalt, sondern wie das Kind, Reichthum und Einfalt. – So auch in der Kunst: nicht die Individualität oder Allgemeingültigkeit, nicht Character oder Ideal, sondern durchaus (denn darin liegt das ganze Problem der Kunst, welches mit kindlichem, reinem, natürlichem Herzen am besten gelöst wird) Individualität und Allgemeingültigkeit, Character und Ideal in demselben Werke. – Wollen Sie nun sehn, was aus dem Philosophen wird, der nicht das kindliche und, sondern nur das männliche oder kennt, wenn er im Großen operirt. Er hat nur eines von beiden, die Welt oder den Gott, den Vater oder die Mutter ins Auge gefasset; das andre liegt abwärts zum Tode bestimmt hinter ihm auf der Schlachtbank. Er hat es im Grunde schon abgethan; wie leicht also der Wahn, daß die gesammten Zeitgenossen durch einen tüchtigen Stoß, durch eine Schlacht von Jena etwa zur Besinnung gebracht, seinen Entschluß ergreifen, und die Armeen den zerbrechlichen Staat mit allem Zubehör vernichten, und auch nach seinem Plan der puren, butten, göttlichen Idee zufolge einen total neuen Zustand errichten werden, bei dem die Selbstsucht nun nicht weiter statt finden könne. So geht es den Moralisten, die bei ihrem Handeln und Wirken immer am Scheidewege stehn: ist das Recht oder das Recht, während (trotz diesen armen Casuisten, die nie ohne den Zwang einer Wahl, nie ohne den Anlauf eines Entschlusses handeln können), während die Natur ihnen still mit ihrem ewigen Und, mit dem ewigen Bande aller ihrer Kinder, andeutet, alles kann mit einander bestehn, wenn es sich fügt, und alles ist recht, wenn es in dem rechten Geiste gethan wird. – Solche Philosophen legen sich denn auch die Frage vor, was zu erwählen sei, die Alte oder die Neue Zeit? Sobald für die Neue Zeit entschieden ist: Ruck! bricht die Alte Zeit ab und die Neue Zeit ist da, während die Natur ganz <29:> allmählig die Greise der alten Generation unter die Kinder der neuen mischt, beide Zeiten unaufhörlich nicht leise genug in einander weben kann, und immerfort ruft: alte Zeit und neue Zeit. – Nicht blos für den Staat gilt es, was Schiller in den Briefen über die ästhetische Erziehung so vortrefflich sagte, daß in dieser großen Uhr, das schadhafte Rad, indem es umrollte, ohne Stillstand der Uhr ausgetauscht werden müsse: der Mensch selbst ist eine solche Uhr, die sich leise mitten im Fortlaufen reinigen und veredlen soll. Fichte und viele Zeitgenossen meinen das anders: in irgend einem Lebensmoment wird ein großer Entschluß gefaßt: die ganze Maschine muß still stehn, und wird nach einem kalten Entwurf, den sie Lebensplan nennen, wieder aufgebaut. Kaum aber ist sie im Gange, so treten allmählig alle die alten Sünden wieder ein und die Uhr geht um nichts richtiger als vorher. – Habe ich mich, und mit dieser Frage richte ich mich an das Gefühl meiner hochzuverehrenden Zuhörer, von meinem Gegenstande, den Untersuchungen über das Schöne, entfernt. Ergreifen wir die Zügel wieder. Körper und Geist, davon giengen wir aus, Individualität und Allgemeingültigkeit, Character und Schönheit, individuelle Schönheit und gesellige Schönheit. – Das Unendliche, was sich hier anschließt, geben sie mir gewiß zu, z. B. schöne Theile, schöne Stellen im Gedicht und schönes Ganze des Gedichts; reiche Composition und einfacher Eindruck des Gedichts und nun noch einzigen aber wichtigen Schritt weiter: Lebenskunst und Dichtkunst, Weltmann und Dichter. Da meinen sie in der Welt umher, der Dichter bilde nach Innen herein eine eigne abgesonderte Welt, in der es zwar besser und wohlfeiler, aber auch luftiger hergienge als in der wirklichen Welt – der Weltmann habe wieder sein abgesondertes Departement draußen in der Außenwelt, treibe ein reelleres, solideres aber etwas nüchternes Geschäft. Jener verkehre im Geist, im Ideal; dieser im Fleisch und im Realen. Dem Jüngling nun, der seiner selbst bewußt wird, dem wird dann diese grausame Alternative vorgelegt, während er so gern nach beiden griffe und nur in beiden finden kann, was sein Herz begehrt. – Wer in meiner heutigen Darstellung den Künstler und den Menschen, oder den Dichter und den practischen Weltmann, nicht beide als Abdrücke derselbigen Menschheit erkannt hat, wer nicht die bildende Kunst und die Moral, als Kinder einer gemeinschaftlichen Mutter, der allgemeinen ewigen Lebenskunst anerkennt, dem kann ich nichts weiter sagen. Mir lag ob, das heilige unsichtbare Band zwischen der Mutter und den Kindern, zwischen der Kunst und den Künsten, nemlich die Schönheit darzustellen, und dies ist geschehn. – Aber es besteht doch, höre ich mit Recht einwenden, ein ewiger generischer Unterschied zwischen dem Weltmann und dem Dichter, und überhaupt zwischen den einzelnen Künsten; wie eng auch die Schönheit sie verknüpfen möge, es sind doch zwei verschiedene Naturen, und wie die Kinder einer und derselben Mutter freilich alle der Mutter nachstammen, so hat sich doch dieser Grundstoff in jedem einzelnen wieder auf eigenthümliche Weise gestaltet! Recht! Jetzt, nachdem das falsche oder beseitigt, und das wahre und ergriffen worden, kann uns auch die Erkenntniß des wahren oder, der wahren Geschlechtsverschiedenheit nicht schwer fallen. Wogegen ha- <30:> ben wir uns denn gesperrt? waren es nicht die falschen, traurigen Philosophen, die uns eine Wahl zwischen dem Geist und dem Fleische zumuthen wollen, zwischen Wesen, die sind, und überhaupt nur sind, in wiefern sie, zwar nicht im ewigen Stillstande vereinigt, aber in ewiger bewegter Vereinigung begriffen sind. Das Fleisch ist die unendliche, characteristische Verschiedeartigkeit der einzelnen Glieder dieser schönen Welt, wo jedes andre Geschäft besorgt und sich wieder in anderen Formen ausprägt: diese unendliche Verschiedenheit, behaupteten wir, müsse der Welt gelassen werden, damit der eine einfache Geist, das Band, das ewige und, welches die Dinge vereinigend beseelt, ein recht großes, allgemeines Geschäft habe: damit der Gott in seiner Einheit sich recht siegreich zeigen könne, behaupteten wir, müßten die Dinge, welche er beseelt, und mit Einheit durchdringt, recht verschiedenartig sein; indem es ein schlechtes Kunststück sei, Dinge, welche ohnedies schon alle einander auf ein Haar ähnlich sähen, in eine gemeinschaftliche Einheit und Ordnung zu bringen. So der Künstler könne nicht genug entgegengesetzte Elemente in ein Ganzes vereinigen, sein Werk könne nicht reich, nicht groß, nicht eigenthümlich genug sein, wenn es recht allgemein verständlich, recht einfach, recht bedeutend, recht universell sein soll. Kurz wie die Silhouette deutlicher, klarer und bestimmter heraustrete, in wiefern das sie begränzende Papieruniversum bestimmter dieselbigen Umrisse zeigte, eben so nehme der Künstler an wahrer Allgemeingültigkeit zu, in wiefern sich seine wahre Individualität schärfer bestimmte, der Mensch an Gemüthsschönheit und Geselligkeit in dem Maaße als sich sein Character, der Schriftsteller an Popularität und Deutlichkeit in dem Maaße als sich in der Schrift seine Persönlichkeit klarer ausspräche. Wenn der Schauspieler einzelne characteristische Züge seiner Rolle zu laut heraustreten läßt, so versäumt er darüber andre eben so wesentliche; giebt er sie indeß durchaus characteristisch, so giebt er sie gewiß in dem Maaße schön und schöner als diese Characteristik deutlicher heraustritt, der Dichter müßte sie denn so einseitig gebildet haben, daß die ganze Rolle von Hause aus nur ein Characterzug und nicht ein Character zu nennen ist, wie es denn freilich oft vorkömmt. – So der Künstler mit seinem Werk! Betrachten wir nun einmal eine ganze Kunst, z. B. die Malerei: war sie nicht allgemein anerkannte schöne Malerkunst in jenen Zeiten des Raphael und Leonardo da Vinci, wo sie auch recht characteristisch malerisch war. Je eigenthümlicher und naturgemäßer, je angemessener dem Stoff gemalt wurde, desto schöner wurde auch gemalt: je bestimmter die Schranken einer Kunst sind (wohlverstanden, ich sage nicht je enger), je characteristischer die Schranken einer Kunst sind, desto mehr und größeren Eindruck vermag sie auch. Das wahre oder, die ächte und deutliche und characteristische Unterscheidung der Dinge liegt enthalten in dem wahren und, in der wahren Vereinigung der Dinge: wer das Gemeinschaftliche unter ihnen recht kennt, der und niemand besser kennt auch das Verschiedenartige. Also es bleibt dabei, je universeller, desto individueller, und je individueller, desto universeller das Bilden und Leben. – Nun lassen Sie uns zurückkehren zur Betrachtung des bestimmten Stoffes, der Sprache. Die Sprache <31:> soll auf ihre eigenthümliche Weise das Leben, und was heißt Leben anders, als Schönheit darstellen dem Ohr. So erzeugt sie, die Sprache, als Mutter zwei von einander characteristisch verschiedene Kinder, indem sie von dem wahren Weltmann und von dem ächten Dichter gesprochen wird. Diese beiden Kinder in denen beiden, nur auf entgegengesetzte Weise der Lebensgeist der Mutter erkannt wird, heißen: Beredtsamkeit und Poesie. –
Von der Beredtsamkeit möchte ich nur sagen, daß sie vielmehr männlicher, von der Poesie, daß sie mehr weiblicher Natur sei. Worin besteht das eigentliche Leben der Frauen: offenbar in dem ruhigen, stillen Bereiten des neuen Lebens. In sich selbst verschlossen bilden sie den Stoff, den sie von der Natur empfangen, ohne weitere Beihülfe einer unmittelbar eingreifenden Außenwelt, aus, stellen das Wort ans Licht und ziehen es groß; lebendig und geschlossen lebt es nun für sich in eigner Eigenthümlichkeit fort. Die männliche Natur hingegen wird ewig unmittelbar von der Außenwelt ergriffen, und muß ohne Rast wieder zurückwirken; sie vollendet ihr Werk nie wie die Frauen es vollenden; und so ist das Geschäft der Frauen die Erzeugung des recht Endlichen, während die Männer die unendliche Flamme des Lebens in allen ihren Geschäften anschüren, und wach erhalten. Eben so weiblich bildet der Dichter eine eigenthümliche Welt nach dem Gesetz des Ganzen, aber dennoch wieder mit eigenthümlichem Ausdruck dieses Gesetzes, welcher sich in der Versform, in dem Rhythmus vom Ohre wahrnehmen läßt. Der Redner hingegen nicht so unabhängig braucht immerfort eine Außenwelt, einen andern ihm gegenüber, und so in beständiger Wechselrede mit der Welt begriffen, ist er der Bewahrer und Erhalter des ewigen Gesprächs, und da sein Gespräch mit beständiger Rücksicht auf den Gegner gesprochen wird, der nach anderem Gesetz auf ihn einwirkt, so kann die Rede kein eigenthümliches Gesetz oder Versmaaß hören lassen; sie ist Prosa. Daher ist die Poesie, wie hoch ihr Begriff auch gestellt werde, zuletzt doch immer wieder l’art de faire des ouvrages en vers. Die Beredtsamkeit hingegen ist ihrer Natur nach ungeschlossen, wie die ganze Wirksamkeit des Mannes, und vornehmlich des practischen Weltmannes, und ganz vornehmlich des Mannes insonderheit, nemlich des wahren Philosophen. In keinem Werke der Beredtsamkeit, in keinem der Philosophie ist die Natur der männlichen Rede characteristischer zu erkennen als im Platon; und dort, gerade aus meinen oben angeführten Gründen, erscheinen Männliches Wirken, Beredtsamkeit und Philosophie in der Gesprächsform. Die männliche Natur hängt mehr herüber nach dem Streite und dem oder, die weibliche mehr nach der Liebe und dem und, und dennoch vereinigt diese beiden entgegengesetzten Naturen: Mann und Weib, Redner und Dichter eine tiefe unergründliche Liebe; wer die vortrefflichere Natur sei, läßt sich nicht sagen; nur so viel kann behauptet werden, daß in der Vereinigung beider sich das wahre Ideal der Menschheit und die wahre Idee der Sprache erzeuge und offenbare. –

 

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Letzte Aktualisierung 28-Mär-2003
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