Wulf
Segebrecht, Ludwig Tieck an Eduard von Bülow, in: Jb. des Freien Deutschen
Hochstifts 1966 (Tübingen: Niemeyer 1966), 384-456; darin: 4112-414
Ludwig Tieck an Eduard v. Bülow, Potsdam, 29. 10. 1846
Mein geliebter Freund,
Wie oft habe ich an Sie
schreiben wollen! Wie gerührt bin ich von den vielen Zeichen Ihrer Liebe gewesen! Sie
sind ein treuer, wahrhafter Freund. Dank Ihnen für den Conde Lucanor, innig
gerührt bin ich, daß Sie selbst mir mit so vielem Eifer die bedeutenden Lücken
ausgefüllt <413:> haben, und das Buch ist mir nun um so lieber, da es zugleich so
vielfach Ihre theure Handschrift enthält. Nun ist auch noch der alte D.[on] Quixote
angekommen, für den ich wieder nur danken kann; sehr selten mag er wohl nicht sein, aber
doch merkwürdig die Englische Uebersetzung (Shaks.[pears]) von mir,
habe ich noch nicht erhalten und vermiße sie schmerzlich.
Warum ich nicht früher
geschrieben habe? Weil ich den ganzen Sommer über aus einer schweren Krankheit in die
andre gefallen bin, am schlimmsten vor kurzem, wo sich in einigen Tagen Leben oder Tod
entscheiden mußte, und ich bin erst seit etwa 8 Tagen wieder mit Sicherheit unter den
Lebendigen.
Nun zu ihren Aufmunterungen und
Fragen. Schon vor 6. Wochen wollte ich Ihnen die Kopie des Contraktes schicken, als mich
die böse Krankheit an allem hinderte. Ueberlegen Sie es mit Cotta, dem ich mich
sehr empfehle, was, und ob etwas zu thun sei. Bestimmt weigert sich der junge Reimer
unter den Bedingungen dieses Contraktes die Sammlung fortzusetzen, er scheint eine sehr
geringe Summe für alles noch Rückständige (wenig[st]ens 12 starke Bände) im Sinne zu
haben. Ist es nun möglich und erlaubt eine Ausg.[abe] in einem andern Format, mit
Verbesserungen, Zusätzen und Weglassungen, indem einzelne unbedeutende Werke der
frühesten Zeit wegblieben, einiges ganz Neue hinzukäme, ein solches Werk zu unternehmen?
Mit Max glaube ich, würde man sich bald einigen können, denn er ist ein sehr
billiger Mann. Sie als Geschäftsführender und ein verständiger Cotta werden dies
Alles vieleicht bald reguliren können! nur wünsche ich in keinen lebhaften
Streit und Widerstreit zu gerathen, denn ich bin von Alter und Krankheit sehr mürbe
geworden.
Ihre Novellen habe ich
erhalten, (danke) habe aber noch wenig lesen können, weil ich zu schwach bin. Sie haben
gewiß dem Könige ein schön gebundenes Exempl.[ar] zukommen lassen.
Ist den Cotta noch
Willens, die besprochenen kritischen Schriften (2 Bände) zu drucken? Dann würde ich mich
an die Arbeit machen, so wie ich nach Berlin komme, in 14 Tagen etwa. Ich würde
dann früheres auch aufnehmen, und die Vorreden würden dann vorzüglich den 2ten
Bd. füllen.
Die Gräfinn ist diesen Sommer
ziemlich gesund gewesen. Jezt ist Marie Solger zum Besuch bei uns. Ich hoffe, Sie
sind alle recht wohl, Franzisca, Ihre Kinder, Gräfinn Louise.
Von Kleist hat die Serre
gar nichts, einen ganz unbedeutenden Brief. Von Novalis haben Sie ja durch
Brachmans noch etwas erhalten sollen, es ist aber wohl nichts daraus geworden.
Ich kann Ihnen, theuerster
Frund, für Ihre Liebe und Sorgfalt für mein Wohl nur innigst dankbar sein: ich sehe auf
meine Art Alles ein, <414:> habe es immer für mein schlimmes Schicksal gehalten,
daß ich mit Reimer so verstrickt wurde, und daß ich die Fähigkeit nicht hatte,
mich loszuwickeln . Ich habe etlichemal den Anlauf dazu genommen, ermüdete aber bald,
weil ich keine Hülfe hatte.
Nun für heute Adieu! Ich bin
erschöpft, nächstens mehr und weitläuftiger. Ich hoffe bald auf Ihre Antwort, denn Sie
sind ja ein großmüthiger Correspondent.
Die Gräfinn empfiehlt sich
herzlichst Ihnen und den Ihrigen. Von mir wissen Sie es schon.
Ganz meines treuen leibenden
Freundes
Treuer u liebender Freund,
L. Tieck
Potsdam
den 29ten Octbr. 46.
|