Wulf
Segebrecht, Ludwig Tieck an Eduard von Bülow, in: Jb. des Freien Deutschen
Hochstifts 1966 (Tübingen: Niemeyer 1966), 384-456; darin: 409-411
Ludwig Tieck an Eduard v. Bülow, Berlin, 23. 3. 1846
Geliebter Freund,
Mit grosser Freude habe ich
gestern wieder Ihren neusten grossen Brief aus Venedig empfangen, und Ihr
beiderseitiges Wohlsein macht mich glücklich. Aber Ihrer Rechtfertigung hätte es
durchaus nicht bedurft, denn schon früher hatte Ihre wackre Frau mir die Sache aus
einander gesetzt, und es hat mir gleich sehr leid gethan, diesen Punkt auch nur im
leisesten berührt zu haben, denn man kann in dieser weiten Entfernung Freunde nie
beurtheilen, man kennt die bestimmenden Umstände nicht, und thäte am besten und
klügsten sich auf solch unnütz Geplauder gar nicht einzulassen, oder nur hinzuhören. Zu
meiner Entschuldigung dient einigermassen, daß ich glaubte, es sei jener andre Frege, von
dem und dessen hübscher Frau Sie mir öfter erzählten, und den ich auch einigermassen
kenne. Ich beklage, daß meine unnützen Worte Ihnen so wichtig schienen, daß Sie eine
Vertheidigung nöthig fanden. Der junge Mensch ist ja so überflüssig versorgt und mit
Hülfe aller Art umgeben gewesen, daß Sie allerdings ganz überflüssig und vielleicht
lästig waren, dazu die grosse Reise, Ihre Kränklichkeit, Luisens ernsthafte Krankheit,
die Einsamkeit der Armen, ihre Rathlosigkeit u.s.w. Sie sind, theurer Freund,
im allervollkommensten Recht.
Ihre Briefe sind richtig alle
angekommen. Später als den Venetiansichen erhielt ich den Ersten aus Stuttgard,
weil Sie mir nicht sagten, Sie hätten <410:> ihn Grüneis[en] gegeben, und
dieser liebenswürde Schwabe ihn mir erst nach 4. Wochen gab, als er wieder abreisen
wollte. Also den ersten aus Venedig habe ich auch, wobei ein kleiner von Gräfinn Luise
war. Diese liebenswürdige Fee sollte mir nur öfter dergleichen aphoristische Sätze
schicken, denn man kann Sie oft lesen, und immer wieder etwas Neues dabei denken; so wie
ihr Gespräch oft lakonische Oraktel sind, oder Räthsel, die unser Sinn aufknauzeln muß,
was ihnen in der Regel einen grossen Reitz giebt. Aber solche Gottheiten sind oft nicht so
gütig und freigebig; und bin ich, (doch ohne Vergleich) ich armer Sterblicher auch in dem
Fall, daß sich alle meine Freunde immer über mein weniges und seltnes Schreiben beklagt
haben.
Dann habe ich den Brief
erhalten, in dem Sie mir Ihr freundlich gütiges Wein-Präsent ankündigen. Ich habe auch
schon von Kempten den Avis-Brief erhalten. Ihre Freundschaft hat mich sehr
gerührt, nur bin ich jezt in der Verfassung, daß ich nur wenigen Wein trinken darf, denn
meine Krankheit und Schwäche ist noch so bedenklich, daß ich mir nichts bieten darf,
auch nicht mit Lesen, Denken, am wenigsten mit Arbeiten, was mich denn, wie Sie denken
können, sehr verstimmt, da ich im ganzen Leben niemals so träge gewesen bin, wie ich es
jezt seit einigen Jahren habe sein müssen.
Dann der Brief mit der Einlage
an Humbold, und nun Ihre allerneusten. Ich bin H.[umboldt] wieder angegangen, daß
er den König um die Erlaubniß der Dedication noch einmal befragen soll.
Ihr Fleiß ergötzt mich. Ja,
so konnte ich auch vor mehreren jahren arbeiten. Beim Kleist haben Sie hoffentlich
fast alles brauchen können, was ich Ihnen mitgetheilt habe, sonst hätte ich in meiner
Sammlung diese Briefe gar gerne aufgenommen: sollten Sie manche zurück gelegt haben, so
könnten Sie mir diese wohl noch übersenden. Ich habe so gut wie Nichts gethan. Die
Correspondenz, die Brockhaus drucken will, kostet mich weit mehr Zeit und Mühe,
als ich gedacht habe, und der Druck hat noch gar nicht anfangen können. Von Novalis
habe ich die ersten Bogen korrigirt. Mir fehlt ein junger, thätiger und mit der Literatur
bekannter Famulus. Was haben Sie alles in so kurzer Zeit ausgerichtet!
Das ist ein sehr besondres
Glück, daß Sie die Gruppe nach Vogel in Venedig gefunden haben. Wo ist denn dies
Bild lithographirt worden? Die Gräfinn ist besonders glücklich, daß Sie es Ihr bringen
wollen, sie hat sich gerade dies Bild immer gewünscht, und hätte es damals gern dem
Freund Vogel abgekauft, besonders dasw Erste, wenn es nicht zu theuer gewesen
wäre. Sie lässt Sie und Luise herzlichst begrüssen, und ist sehr erfreut, daß Sie ihr
diesen Kupferstich zugedacht haben, und ihn selber ihr bringen wollen. Ueberhaupt, was
haben wir Ihnen alles schon zu verdanken ge- <411:> habt. Habe ich denn schon für
den schönen Cancionero so umständlich gedankt wie es sich gehört? Ich sehe ihn
immer mit neuer Freude an.
Aber in Ihrer Gesellschaft, mit
Ihrer Hülfe könnte ich gewiß noch manches ausrichten: das hat sich bewiesen, als Sie
die kurze Zeit in Berlin waren. Ich freue mich, Sie hier wieder zu sehen, wenn auch
nicht auf lange; ob ich reise, ob ich dann abwesend bin, weiß ich noch nicht. Gerne
möchte ich eine kleine Reise machen, und meine A[e]rzte finden es fast nothwendig. Auch
habe ich eine krankhafte Sehnsucht, das südliche Deutschland wieder zu sehn. Man kann
nach bekannten Gegenden gerade so, wie nach alten Freunden verlangen. In dem Fall könnten
wir uns vielleicht unterwegs treffen. Wäre man nicht so alt! Alles Planmachen erscheint
mir seit einiger Zeit so thöricht.
Daß Sie Alle insgesammt bei
Ihrer jetzigen Uebereinkunft sehr glücklich sein können, davon bin ich innigst
überzeugt, wenn sich nicht jezt oder künftig indiskrete Freunde in dieses zarte,
poetische und wunderbaare Verhältniß grob und dringend einmischen. Dazu gehört, daß
Sie alle gegen einander das unbedingteste Vertrauen haben und gegenseitig erhalten: und
mißtrauisch gegen jeden Fremden sind und bleiben, mit den bessern umgehn, aber sie nicht
ins Vertrauen ziehen. Denn man glaubt kaum, wie gern müssige Menschen schwatzen,
klatschen, verhetzen und den Glücklichen ihren Lebenslauf verderben, weil sie selber
keinen ächten Beruf gefunden haben. Darum hüthe man sich auch vor anscheinend
guten Menschen.
Nicht wahr? Mit dieser
kleineren Schrift enthält mein Brief doch eben so viel Worte, als Ihr grösserer, aber
weitläufiger geschriebener?
Gruß und herzliche Umarmung
Ihnen und Ihrer geliebten Freundinn und von Gräfinn Henriette, die eine wahre
Freundinn von Ihnen beiden ist, und wohl Ihr unbedingtes Vertrauen verdienen könnte.
L. Tieck
B. den 23ten März. 46.
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