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Percy Matenko, Tieck and Solger. The Complete Correspondence (New York, Berlin: Westermann 1933), 370-373

Ludwig Tieck an Karl Wilhelm Ferdinand Solger, Paris, 26. 7. 1817

Paris, den 26tn July. 1817.
Mein theuerster Freund: Daß ich Ihnen noch nicht geschrieben habe, vergeben Sie mir gewiß, da Sie es selber kennen, wie wenige Ruhe man genießt, besonders wenn man so eilig reiset wie wir, wie müde man ist, wie man fast gar nicht zur Besinnung kommt. Ich schreibe Ihnen heut vorzüglich in einer Angelegenheit, worüber ich schon von London aus mit Ihnen hätte sprechen sollen, wenn die lezten Tage meines dortigen Aufenthaltes nicht in der größten Verwirrung, und zeitlos und ruhelos verschwunden wären. Die Sache ist diese: ich lernte in London einen jungen Mann kennen, einen Mr. Green, der mich aufsuchte, und sich gleich mit einem schönen Vertrauen an mich schloß; er ist von einer edlen Wißbegier durchdrungen, hat die deutsche Philosophie, so viel man es in der Entfernung, und in seiner Jugend kann, studirt, und steht nun eben auf jenem Punkte der Entwickelung, die die interessanteste und entscheidendste im Leben ist: er wünschte nach Deutschland zu gehen, um sich besonders von Schelling, den er am meisten kennt und ehrt, aufklären und vorzügl. über die Geschichte der neuern Philosophie   näher unterrichten zu lassen, er mußte aber die Erfüllung dieser Hofnung noch auf mehrere Jahre hinausschieben, da er in London als Lehrer der Anatomie angestellt ist; ich glaube nicht, daß Schelling der Mann ist, der den jüngeren in diesen Rücksichten aufklären kann, da er im Gespräch gantz ungeschickt ist, und nach <371:> meiner Ansicht selber nicht frei und sicher, vorzüglich im Punkte der Religion ist: so kam denn das Gespräch gantz natürlich auf Sie, und alles was ich von Ihnen sagte, das Buch, was ich meinem jungen Freunde zeigte, alles erfüllte ihn mit der brennendsten Begier, Sie näher kennen zu lernen. Plötzlich faßte er den Entschluß, nach Berlin zu gehn, weil es näher lag, Sie zu sehn, und im October wieder zurück zu seyn, ich reiste aber ab, um eine kleine Tour durch das Land zu machen, und als ich nach 14 Tagen zurück kommen, ist er gegen meine Erwartung schon fort, so heftig hatte ihn sein Verlangen nach Deutschland, und zu Ihnen getrieben. Es war die Abrede, ihm einen Brief an Sie und für ihn mitzugeben, worin ich sein Anliegen vortragen, und Sie besonders ersuchen wollte, ob Sie ihm nicht vielleicht ein Privatissimum über die Geschichte der Philosophie lesen könnten, alles dies ist jezt zu spät geworden, und wenn ich auch gleich von London aus schrieb, so kam der Brief doch schwerlicn früher als dieser an, auch fand ich durchaus keine Zeit, meinem Freunde Green einen Brief nachzusenden. Jezt haben Sie nun gewiß diesen liebenswürdigen jungen Mann schon kennen gelernt, und ich wünsche hertzlich, daß Sie auf irgend eine Weise seiner brennenden Wißbegierde haben genug thun können, denn es ist wohl wenigen Menschen so Ernst, als diesem, und er zeichnet sich um so mehr unter den Engländern aus, die es fast alle nicht begreifen können, daß ein Mensch um der Sache selbst wegen, ohne Rücksicht auf Nebendinge, etwas thun könne. Ich bitte Sie, thun Sie was Sie können, um seine Wünsche einigermaßen zu erfüllen, denn ich bin zu sehr überzeugt, daß von allen Menschen Sie es allein vermögen, durch Ihre Umsicht, Sicherheit und Klarheit, Green kann wenigstens so viel gewinnen, daß er nachher mit mehr Ruhe und Erfolg für sich weiter studiren kann, und ich bin überzeugt, daß er es werth ist, daß ein guter und weisen Mensch sich um ihn bemühe. Dies war meine Bitte und mein Anliegen; vergeben Sie, wenn ich verführt werde, Jünger zu Ihnen zu senden, die Gelegenheit bietet <372:> sich zu oft dar, sie liegt mir immer so nahe, von meiner Verehrung Ihres Geistes, von meiner Freundschaft und Liebe zu Ihnen zu sprechen. Wie hat mich Ihr Buch erfreut; ich komme immer in die Versuchung, alle Welt zu bekehren, und finde, daß so wenige Menschen Sinn für Philosophie, oder Poesie, oder Schönheit und Natur, oder irgendetwas Ernstes und Wahres haben; der Schein ist allen mehr als die Sache: und so alt ich nun auch schon bin, so verliehre ich doch nicht mein Erstaunen darüber.
England hat mir in manchen Hinsichten gefallen, in London andren nicht, und London hat mir gantz mißfallen. Wie glücklich sind wir, mein Freund, daß wir als Deutsche geboren sind, und in Deutschland leben; der wahre Geist, Freiheit und Gemüth ist doch nur bei uns zu finden, und ist das Höchste bei uns auch selten, so ist doch die Möglichkeit dafür da, und hierin sind wir einzig glücklich, was die Meisten völlig verkennen. Von den Antiken in England kann ich Ihnen kein Verzeichnis bringen, wie Sie es wünschen, denn so viel Unnützes man auch druckt, so fehlt es doch gerade meist am Nöthigsten, der Catalog, der zu haben ist, kommt für Sie mit. Gestern spät bin ich erst hier angekommen, darum kann ich Ihnen auch nicht so schreiben, wie ich wünschte. Das Meiste muß ich für das mündliche Gespräch und das Wiedersehn aufsparen, auf welches ich mich unendlich freue; ich werde aber bei meiner Rückkehr nur 8 Tage in Berlin bleiben können, und wünsche wohl, daß Sie in dieser zeit recht frei von Arbeiten seyn möchten; [auch w]ünsche ich, die beiden Stücke von Kleist dann noch mit Ihnen zu [lesen]. ich bin in London im Lesen sehr fleißig gewesen, und glaube überhaupt auf der Reise die Zeit genuzt zu haben. Auch über die alte deutsche Kunst wünsche ich mit Ihnen zu reden, und ich hätte sehr gern Ihre Bemerkungen darüber mit den meinigen vereinigt. Ueber Shaksp. sind meine  Vermuthungen und <373:> Ueberzeugungen bestätigt, aber freilich geht die Sache nun auch weiter als vorher; auch über andere Autoren jener Zeit habe ich Ansicht gewonnen. Die Theater habe ich fleißig und aufmerksam besucht, Kemble besonders ist merkwürdig, die Manier hat allenthalben die Kunst und Natur verdrängt, doch ist die Manier zu loben. – Ich hoffe, alles ist bei Ihnen wohl, grüßen Sie hertzlichst Ihre liebe Frau, so wie Ihre Schwiegermutter; vergeb[en] Sie meine Eil, nächstens noch von Paris ein mehreres; entschuldigen Sie mich beim [H]errn Green; Gott erhalte Sie, und bleiben Sie mein Freund.
Ihr L. Tieck.

H: PSB, folio 71, 3 pp.

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