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Percy Matenko, Tieck and Solger. The Complete Correspondence (New York, Berlin: Westermann 1933), 356-358

Karl Wilhelm Ferdinand Solger an Ludwig Tieck, Berlin, 15. 2. 1817

Berlin, den 15ten Febr. 1817.
Mit großer Beschämung, theuerster Freund, trete ich diesmal vor Ihr Angesicht. Der Himmel weiß auch, wie mir dies Versehen entstanden ist. Was mir am meisten leid thut, ist, daß Sie gewiß ein schweres Postgeld dafür haben geben müssen, welches ich Ihnen eigentlich ersetzen sollte. Ich gelobe an, daß ich künftig bedächtiger verfahren will. Sie erhalten nun die Lohensteinischen Tragödien. Die dickbäuchige Thusnelda mögen Sie wieder schicken, wenn etwa einmal ein Packwagen hieher geht. Auf der Bibliothek fanden sich 2 Bände oder Ausgaben, worin außer wen den wenigen Tragödien noch lyrische Gedichte. Die Tragödien sind in beiden dieselben, nur daß in dem einen eine mehr ist, daher ich Ihnen diesen schicke.
In meinem Hause geht alles, Gott sei Dank, so glücklich fort, wie es angefangen hatte, und selbst ungeachtet mancher Störungen, die wohl etwas besorgen ließen. So kam am letzten Mittwoch uns gegenüber Feuer aus. Ich war mit Schütz in Gesellschaft, bei Frau von Kleist, in der Kochstraße. Beim Auseinandergehn, um 11 Uhr, hörten wir den Feuerlärm, und sahen auf der Straße auch den Himmel schon fürchterlich geröthet. Mein Schreck war nicht klein, als ich erfuhr, daß es in der Behrenstraße sei, und mir, je näher ich im raschen Laufe kam, immer deutlicher wurde, daß es grade in der Richtung meiner Wohnung war. Doch beruhigte mich unterwegs schon die Ueberzeugung, daß meine Frau gefaßt sein würde. Ich kann mich in solchen Fällen auf sie verlassen. Und so traf ich sie denn auch vollkommen wohl und ruhig, obwohl sie die erste im Hause das Feuer bemerkt hatte. Viele Freunde waren auch schon da, um auch im Nothfalle beizustehn. Doch war natürlich durchaus nichts zu fürchten, da die Straße dazwischen war; und nur ein Hintergebäude brannte ab. Es ist <357:> aber doch viel, daß die unruhige Nacht meiner Frau gar nicht geschadet hat; und ein großes Glück, daß dieser Vorfall nicht einige Wochen früher gekommen ist.
Von dieser Frau von Kleist, bei der mich Schütz eingeführt, soll er Ihnen auch Nachrichten über Heinrich Kleist verschaffen, und vom Obristen Pfuel. Ich treibe ihn dazu an, und er wird Ihnen gewiß etwas mitbringen. Rechnen Sie mir es nicht zu, daß meine eignen Versuche deshalb nicht geglückt sind. Ich bin böse auf Rühle, und sage ihm aus Verdruß nichts mehr darüber. Ich würde sein Benehmen noch weniger entschuldigen, wenn ich nicht hörte, er sei so unordentlich, daß man auch in Geschäftssachen nicht mit von ihm von der Stelle komme. Was Schützens Liebe zu Müller, seinen Rausch für ihn, betrifft, so habe ich darüber einigemal etwas stark herausgesprochen. Mich rührt dann immer seine Gutmüthigkeit, die aber wirklich zum Theil auch arge Schwäche ist; denn wenn ich auf Müller schelte, so weiß sich Schütz so zu accommodiren, und sein Lob so zu modificiren, daß er zuletzt mit mir Eines Sinnes scheint. Er zeigt dabei dieselbe wunderbar tausendseitige Wankelhaftigkeit, mit welcher er auch alle Meinungen und Systeme für sich gleichsam zu neutralisiren versteht.
Wie schön schwärmen Sie von der Reise, die wir mit einander machen müßten, und sollten? Meine Frau dürfte ich aber da wohl nicht mitnehmen? Sie würden dadurch gewiß doch etwas gestört werden; und ich bin einmal immer noch Liebhaber. Indessen würde es mit ihr doch auf einer so großen Reise nicht gehn, zumal der Kinder wegen. Doch alles dieses ist noch Scherz; denn für die ersten Jahre sehe ich für mich die Möglichkeit nicht ab. Ueberdies würden gewisse wissenschaftliche Arbeiten und Grundlagen erst ganz fest gelegt sein müssen, ehe ich auch meiner philosophischen Plane wegen eine so lange Reise wagen könnte.
Wären Sie  doch hier, daß Sie endlich einmal ordentich mein Gevatter würden! Im Frühjahr müssen Sie hieher kommen, <358:> da Sie sich doch einmal so in Bewegung setzen, nicht ich nach Ziebingen. Im Herbst werden Sie wohl spät wiederkommen. Ist es nicht eigen, daß sich unsere Briefe so oft kreuzen. Meinen sehr langen haben Sie nun schon.
Mein ganzes Haus läßt Sie grüßen; thun Sie ein Gleiches in unsrem Namen den Ihrigen und allen Ziebinger Freunden; und behalten Sie lieb
Ihren
Solger.
Mit den Gesprächen zögert mir der Vetter sehr. Dies Wesen ist mir unerträglich geworden; man möchte gar nichts mehr drucken lassen. Das Beste, was man hat, muß man der Welt aufquälen. Ich werde einmal modernes Gewäsch über Staatsverfassungen schreiben, das wird besser abgehn.

H: PSB, folio 68, 2 pp

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