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Julius Hartmann (Hrsg.), Uhlands Briefwechsel. 4 Bde. (Stuttgart, Berlin: Cotta 1911-16), Bd. 1: 1795-1815 (1911), 278-281

Karl August Varnhagen v. Ense an Ludwig Uhland, Prag, 23. 12. 1811

Prag den 23. Dezember 1811.

In der Voraussetzung daß Kerner aus den an ihn gerichteten Briefen mitgeteilt, was U. betraf, beantwortet er U.s erstes und einziges Schreiben, als habe er es gestern erhalten. U.s Eigentümlichkeit, bei aller Glut der Empfindung starr und fest zu bleiben gegenüber V.s großem Hang zu weichen Gefühlen, erklärt das gegenseitige Verhalten bei dem Wiedersehen. Trotz Verzögerung dieses Briefes durch sommerliche Hitze, im Winter durch Reisen, während nur das Frühjahr in Kommotau kurze Muße bot, ist U.s Andenken mit Innigkeit gepflegt worden. Vor allem hat seine Freundin Rahel Robert, die er von allen Menschen am höchsten schätzt und am innigsten liebt, U.s Lieder einzig schön genannt und in das Lob eingestimmt, daß sie an Wahrheit und Ursprünglichkeit denen des größten Dichters zur Seite zu stellen seien. Kännte U. die Freundin, kein Beifall würde ihm lieber sein. „Wenn bei dieser Mittheilung, so wie bei allen andern, die ich mit meinen Freunden in Lich, Wien, Dresden und Töplitz oftmals <279:> von deinen Gedichten machte, ich nur meiner eigenen Lust willfahrte, so bist du mir dagegen Dank schuldig, daß ich meine Freude der deinigen zuletzt zum Opfer brachte (und freilich auf diese Art wiederfinde). Ich habe alles, was ich von dir in Abschriften besaß, weggeschenkt, selbst die Blätter von deiner eigenen Hand, aber an jemand, bei dem sie nicht schlechter verwahrt sind, als bei mir, und in vieler Rücksicht besser. Die letzten Tage im Ausgang des Sommers lernt’ ich in Töplitz Beethoven kennen, und fand in dem als wild und ungesellig verrufenen Mann den herrlichsten Künstler von goldenem Gemüth, großartigem Geist und gutmüthiger Freundlichkeit. Was er Fürsten hartnäckig abgeschlagen hatte, gewährte er uns beim ersten Sehen, er spielte auf dem Fortepiano. Ich war bald mit ihm vertraut, und sein edler Charakter, das ununterbrochene Ausströmen eines göttlichen Hauchs, das ich in seiner übrigens sehr stillen Nähe immer mit heiliger Ehrfurcht zu empfinden glaubte, zogen mich so innig an ihn, daß ich tagelang der Unbequemlichkeit seines Umgangs, der durch sein schweres Gehör bald ermüdend wird, nicht achtete, und besonders die letzten Tage nur mit ihm und seinem Freunde Oliva, einem der besten Menschen, den Kerner auch gekannt hat, zubrachte. Wüßt’ ich es nicht durch unverwerfliche Zeugnisse, daß Beethoven der größte, tiefsinnigste und reichste der deutschen Tonkünstler ist, so hätte der Anblick seines Wesens es mir, sonst in der Musik ganz Unkundigen, dargethan. Er lebt nur für seine Kunst, und keine irdische Leidenschaft entstellt ihre Ausübung bei ihm, unglaublich fleißig und fruchtbar ist er. Er sucht das Weite auf seinen Spaziergängen, und auf einsamen Wegen zwischen Bergen und dem Wald, beruhigt in die großen Züge der Natur blickend, denkt er Töne, freut er sich seines eigenen Herzens. Ich erwähne solcherlei, damit du ja nicht versuchen mögest, ihn mit irgend einem andern Musiker zu vergleichen, sondern ihn bestimmt absondern mögest. Könnte ich dir sagen, wie schön, wie rührend fromm und ernst, als küsse ihn ein Gott, der Mann aussah, als er uns auf dem Fortepiano himmlische Variazionen vorspielte, die so reines Erzeugniß eines waltenden Gottes waren, daß der Künstler sie dem Verhallen überlassen mußte, und, wie gern er auch gewollt, sie nicht auf dem Papier festhalten konnte! Diesem nun, mein theurer Freund, habe ich alle deine Gedichte, die abzuschreiben leider nicht Zeit war, auf sein Begehren geschenkt, und du kannst hoffen, bald einen Theil davon komponirt zu sehn. Ich freue mich dabei, als wären sie von <280:> mir.“ – Wie vieles mag U. inzwischen geschaffen haben! V. selber bewegt mancherlei in sich, ohne zur Ausführung zu kommen, doch hat er eine Uebersetzung von Racines Britannicus für die Bühne hergestellt. Trachtet, seine Laufbahn zu ändern, da ihm der Ort verhaßt und nur der Verkehr mit seinem Obersten lieb ist. „Seit einigen Monaten lebt Brentano hier; ich sehe ihn aber jetzt wenig. Er hatte mich in Töplitz durch seine Keckheit genöthigt, ihn zu züchtigen; dies kann leicht einmal wiederholt werden müssen, und diese Scheu hält mich ab, ganz mit ihm Freund zu sein. Sonst haben wir uns recht lieb, und stimmen in vielen wichtigen Punkten einverstanden überein. Seine Lebhaftigkeit hat einen großen Reiz, aber sie erlaubt sich alles, und wird auf der einen Seite leicht beleidigend, auf der andern fade. Von Herzen gutmüthig, gescheuten Sinnes, scharfen Verstandes, und tiefen Gefühls, das dann mit Lebensgewalt als Einsicht hervorspringt, scheint er oft von allem diesen das Gegentheil; wunderlich springen die Geister in ihm bald Lust- bald Trauerspiel, aber eben oft nur als Seiltänzer. So scharf, wie Brentano, sieht niemand Schwächen ein, und meisterhaft zieht er die verborgenste Verderbniß mit der Zange des Witzes zum offenbaren Tagesschein hervor. An trefflichen Dichterwerken ist er reich; und besonders ein großes Gedicht in Romanzen, die Erfindung des Rosenkranzes, ein Gedicht voll wirklichen Lebens und Thuns, eine schöne geschichtliche Zeit mit allen Reizen der irdischen Welt und des Zauberreichs darstellend, wird einst, wenn es nach Jahren vollendet ist, die Dichterkrone nicht vergebens für ihn fordern.“ Verkehr mit Professor Meinert, der neuerlich einen Weihnachtsgesang geschrieben hat. Sobald das poetische Taschenbuch angekommen ist, schreibt V. an Kerner, von dem er wünscht, daß er U.s Voraussage erfüllen und ununterbrochen fruchtbar im Schreiben sein möge. Lob der Reiseschatten, die voller Kraft und Anmut und stellenweise der größten Dichter nicht unwert sind.  Kerner ist offenbar ein Naturhistoriker in der Poesie. „Wie sehr werdet auch ihr erschrocken sein über Heinrich von Kleists Tod! Noch weiß ich die nähern Umstände eben nicht; die Frau aber, der er durch’s Herz schoß (Mad. Vogel) hab’ ich wohl gekannt, sie war früher mit Adam Müller, dann mit Theremin in Verhältnissen, bis jeder dieser beiden ihr zu Mad. Sander desertirte, und Adam Müller hat gewiß die Bekanntschaft seinem Freunde Kleist zugewiesen. Das beste was er geschrieben hat, <281:> lyrische Gedichte, meist politischen Inhalts, ist noch gar nicht bekannt geworden.“ Beziehungen V.s zu Baron Heer, Sohn des verstorbenen Hechingischen Hofmarschalls. Friedrich Schlegel gibt in Wien ein Museum heraus, zu dem U. vielleicht besteuern könnte. „Vor einiger Zeit schrieb ich an Goethe in einer literarischen Angelegenheit und hatte die Freude von ihm einen sehr schönen Brief zu erhalten. Sein Leben leset ihr dort wohl früher, als wir hier in Prag, aber gewiß nicht mit mehr Entzücken! Ich habe es rezensirt für ein Wiener Blatt, und hoffe, euren Sinn dabei mit ausgesprochen zu haben. In Berlin sollen sich viele sonst ganz gute Leute nicht recht in das Buch hineinfinden können, natürlich die gradstraßige Königsstadt, und die winkelichte, alte ehrenfeste Reichsstadt, Rhein und Elbe, Main und Spree, das versteht sich einander nicht sogleich.“ Erkundigung nach der Ausgabe von U.s Gedichten sowie nach den altspanischen und altfranzösischen Arbeiten. Grüße an Pregitzer, Conz, Autenrieth und an die kleinen Frorieplein, vorläufig auch an Kerner.

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