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Zeitung für die elegante Welt, 24. 5. 1811, Nr. 103, Sp. 817-819

„Der zerbrochne Krug“

Dramatische Literatur.
Der zerbrochne Krug, ein Lustspiel von Heinrich von Kleist. Berlin, in der Realschulbuchhandlung, 1811.
Es gebricht diesem Lustspiele keinesweges an komischer Kraft, mehrere Szenen, besonders im Anfange, sind sehr ergötzlich, und was die Gründlichkeit der Arbeit, das Eindringen in den Gegenstand betrifft, und den Fleiß und Scharfsinn in der Ausführung, so erhebt es sich weit über die gewöhnlichen Erscheinungen des Tages, die von so losem Gewebe sind, daß sie sich füglich mit dem Flitterstaat der Mode vergleichen lassen, mit welchem sie denn auch die ephemere Existenz gemein haben. Bei diesen Vorzügen ist jedoch nicht zu läugnen, daß die Wirkung des Ganzen mit dem ungewöhnlichen Aufwande von Kraft nicht in Verhältniß steht; ja es scheint, daß gerade das an sich sehr rühmliche Bestreben, den Stoff nach allen seinen Bestandtheilen möglichst geltend zu machen, den Dichter über das wahre Ziel hinausgeführt habe.
Das Stück leidet an zwei Mängeln, die sich zu widersprechen scheinen. Ihm fehlt es nämlich zugleich an Beweglichkeit und an Concentration. Die Bearbeitung des Stoffes ist – ein seltner Fall! – zu gründlich; und so ein schweres, hie und da selbst starres Werk entstanden, das sich mit einem reichen, aber unbiegsamen und unbequemen Brokate oder Silberstoff vergleichen ließe. Und selbst in der Sprache ist diese etwas ungelenke Gewichtigkeit zu verspüren. Auf der andern Seite geht das Stück zu sehr in die Breite und Länge; es kann, wie man zu sagen pflegt, das Ende nicht finden, auf das man doch natürlich immer und gleich zu Anfang hingewiesen wird, und nicht einmal recht lebhaft gespannt ist, da man über den Ausgang nicht ungewiß seyn kann. Durch diese Ausdehnung verliert das Komische, indem es sich über eine zu breite Fläche verbreitet, nicht wenig an Kraft, die um so mehr müßte zusammengehalten seyn, da der Gegenstand so einfach ist, daß er durch zu genaues Auseinanderlegen leicht einförmig werden kann.
Übrigens zeichnet sich auch dieses Werk, wie die frühern dieses Dichters, durch wahrhaft poetischen Geist, durch eine sprechende Charakteristik, und durch eine Vollkräftigkeit aus, die sich nur zuweilen ins Abenteuerliche verirrt. Daß man über diese Verirrungen, die doch – auch ein seltener Fall! – aus Übermaß an Kraft entspringen, den großen Werth dieses Dichters häufig verkennt, ist ein nur zu deutlicher Beweis, wie einseitig noch immer die Ansichten mancher Kritiker sind, und wie sie, indem sie von der neuesten Poesie Übersichten geben wollen, gerade das Vorzüglichste übersehen. Wollte Jemand aus einzelnen, das rechte Maß verfehlenden Stellen in irgend einem Werke von Shakespear – und an solchen fehlt es in keinem seiner besten Produkte – den Beweis führen, daß das Drama nichts werth sey – wie würde man man ihn allgemein verspotten! Und doch erlaubt man sich ein solches geistloses Verfahren täglich gegen die ausgezeichnetsten Talente, sobald nur noch keine allgemeine Stimme ihre Treflichkeit über alle Zweifel hinausgesetzt hat! –
Als Probe setzen wir die Schilderung her, welche Frau Marthe von ihrem zerbrochnen Kruge macht; sie ist ein für sich verständliches Ganze:
Der Krüge schönster ist entzwei geschlagen.
Hier grade auf dem Loch, wo jetzo nichts,
Sind die gesammten niederländischen Provinzen
Dem span’schen Philipp übergeben worden.
Hier im Ornat stand Kaiser Karl der Fünfte:
Von dem seht ihr nur noch die Beine stehn.
Hier kniete Philipp, und empfing die Krone:
Der liegt im Topf, bis auf den Hintertheil,
Und auch noch der hat einen Stoß empfangen.
Dort wischten seine beiden Muhmen sich,
Der Franken und der Ungarn Königinnen,
Gerührt die Augen aus; wenn man die Eine
Die Hand noch mit dem Tuch empor sieht heben,
So ist’s, als weinete sie über sich.
Hier im Gefolge stützt sich Philibert,
Für den den Stoß der Kaiser aufgefangen,
Noch auf das Schwert; doch jetzo müßt’ er fallen,
So gut wie Maximilian: der Schlingel!
Die Schwerdter unten jetzt sind weggeschlagen.
Hier in der Mitte, mit der heil’gen Mütze,
Sah man den Erzbischof von Arras stehn;
Den hat der Teufel ganz und gar geholt,
Sein Schatten nur fällt lang noch über’s Pflaster.
Hier standen rings, im Grunde, Leibtrabanten,
Mit Hellebarden, dichtgedrängt, und Spießen,
Vier Häuser, seht vom großen Markt zu Brüssel,
Hier guckt noch ein Neugier’ger aus dem Fenster:
Doch was er jetzo sieht, das weiß ich nicht.


Der Krüge schönster …] Der zerbrochne Krug, 7. Auftritt (1811; 54f.)

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