BKA-Brandenburger Kleist-Ausgabe Start Übersicht Suchen Kontakt Andere interessante Websites Institut für Textkritik e. V.

[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

[ ]

Z

Zeitung für die elegante Welt, 29. 10. 1810, Nr. 216, Sp. 1713-1717

„Das Käthchen von Heilbronn“

Dramatische Literatur.
Das Käthchen von Heilbronn oder die Feuerprobe, ein großes historisches Ritterschauspiel, von Heinrich von Kleist.
Berlin in der Realschulbuchhandlung 1810.
Alle Dramatiker, welche nach Schiller unter uns aufgetreten sind, haben entweder ihren Vorgänger unglücklich nachgeahmt, oder in mystische Abenteuerlichkeiten sich verirrt oder den fruchtlosen Versuch gemacht, durch rhetorische Behandlung frappanter Stoffe das hervorzubringen, was nur dem dichterischen Geiste allein vorbehalten ist. Diejenigen unter ihnen, welchen dieser nicht abzusprechen ist, haben im Einzelnen und Theilweise manches Schöne aufgestellt, aber ein schönes Ganze zu schaffen, ist ihnen nicht gelungen, und zwar, weil sie theils das Maß ihrer Kräfte verkannten, theils über die Gränzen des Darstellbaren hinausgehend, das Unmögliche möglich machen wollten.
Wir glauben nicht zu viel zu sagen, wenn wir behaupten, daß der Verfasser dieses großen Ritterschauspiels der Erste und Einzige ist, welcher wahren Beruf zeigt, und daß er weiß, was er will und soll, und der auch wirklich kann, was er will. Am unzweideutigsten erhellt dieses, nach unserer Meinung, vornämlich daraus, daß das ganze Werk durchweg, aus Einem Gusse ist; daß alles sich leicht und natürlich auf seinen Mittelpunkt bezieht; daß nirgends eine Spur sich findet von gekünstelter Zusammensetzung, von fremdartigen Zusätzen, von spielenden Ausschmückungen. Wie die erste Szene, so die letzte – alles ist in Einem Geist; im ersten Akte ist das Ganze schon im Kleinen, gleichsam im Keime, enthalten, aus dem es allmälig zu einer herrlichen Größe heranwächst. Dieß alles beweist, daß das Drama ein wahrhaftes, aus tiefer Begeisterung entsprungenes Werk ist. Und, wie sich eigentlich von selbst versteht, der Gegenstand spricht durch sich selbst, stellt sich selber unmittelbar dar; in lebendiger Gegenwart wird er vor die Phantasie hingezaubert, daß sie ihn gleichsam umfassen, sich in ihm verlieren  m u ß . Alles ist voll Leben und Bewegung, alles hat Leib und Seele, und charakterlosen Luftgestalten, solchen Schwindeleien, wie die Aftermystik erzeugt hat, begegnet man nirgends. Und doch sind die beiden Hauptmomente, worauf das Drama sich stützt, mystischer Art – zwei Träume nämlich, die sich wechselseitig beglaubigen, und auf diese mystische Beglaubigung begründet sich eine Behauptung mit einer Zuversicht, als sey von einer unmittelbar gewissen Erfahrung die Rede – und diese entscheidende Behauptung endlich bewährt sich durchaus als wahr und gegründet. Schon aus dieser allgemeinen Andeutung läßt sich auf die Kühnheit dieser Dichtung schließen, die auch, wenn nicht alles Vorhergehende außerordentlicher Art wäre, und auf etwas noch Höheres die Erwartung spannte, in das gemein Abentheuerliche fallen und sich keinen Glauben erwerben würde. Was dem Dichter den Glauben verbürgt, ist theils äußerer Art, wie wunderähnliche Begebenheiten, theils innerer Art, und diese inneren Motiven sind es eigentlich allein, die die Phantasie gleichsam gefangen nehmen, und indem sie dem geheimen Wunsche in jeder menschlichen Brust entsprechen, durch das Gefühl mit fortreißen.
Ob nun aber in der wirklichen Darstellung auf der Bühne diese märchenhafte Dichtung glaubhaft erscheinen wird? – Diese Frage getrauen wir uns kaum zu bejahen –wenigstens nicht bei dem gegenwärtigen Zustande unserer Bühnen, die nur für das gewöhnliche Schauspiel tauglich und für alle die Dramen nicht gemacht sind, wo die Dichtkunst sich in die höheren Sphären der Phantasie mit kühnerm Fluge aufschwingt. Es wäre zu wünschen, jene Traumgesichte hätten sich mehr veräußern lassen, etwa durch eine bildliche Erscheinung, wie z. B. die schöne des Cherubs ist, des Beschützers in den Flammen. Denn die bloße Erzählung, und sey sie auch noch so meisterhaft, ist nicht im Stande, tief genug zu wirken, um einen so wichtigen Traum der Phantasie von der Bühne herab fest einzuprägen – und wenn der Dichter den Traum zum zweitenmal einer Schlummernden, die im Schlaf zu reden gewohnt ist, gesprächsweise abfragen läßt, und zwar sieben Seiten durch, so möchte diese Erfindung, so schön sie auch zum Ganzen stimmt und so bedeutsam sie ist, für das Theater nicht gemacht seyn.
Da es vornämlich unsere Absicht ist, auf den hohen Werth dieses Schauspiels aufmerksam zu machen, so enthalten wir uns, in das Einzelne zu gehen, und von der Idee und dem Gange des Stücks etwas zu sagen, das überhaupt durch keine Zergliederung sich erschöpfen läßt, sondern selbst genossen seyn will – eine Eigenthümlichkeit, die es mit jedem echten Dichterwerke gemein hat. Um jedoch von dem Geiste, der darin weht, und von der Gewalt der Darstellung einigermaßen eine Vorstellung zu geben, setzen wir aus der ersten Szene den Haupttheil der Erzählung her, die Theobald der Waffenschmidt von der wunderseltsamen Geschichte seines Käthchens macht.
„Es mochte etwa eilf Uhr Morgens seyn, als der Graf, mit einem Troß Reisigen, vor mein Haus sprengte, rasselnd, der Erzgepanzerte, vom Pferde stieg, und in meine Werkstatt trat; das Haupt tief herab neigt’ er, um mit den Reiherbüschen, die ihm vom Helm niederwankten, durch die Thür zu kommen. Meister, schau her, spricht er: dem Pfalzgrafen, der eure Wälle niederreißen will, zieh ich entgegen; die Lust, ihn zu treffen, sprengt mir die Schienen; nimm Eisen und Draht, ohne daß ich mich zu entkleiden brauche, und hefte sie mir wieder zusammen. Herr! sag’ ich: wenn euch die Brust so die Rüstung zerschmeißt, so läßt der Pfalzgraf unsere Wälle ganz; nöthig’ ihn auf einen Sessel in des Zimmers Mitte nieder, und: Wein! ruf ich in die Thüre, und vom frisch geräucherten Schinken zum Imbiß! und setz’ einen Schemel, mit Werkzeuge versehen, vor ihn, um ihm die Schiene wieder herzustellen. Und während draußen noch der Streithengst wiehert, und, mit den Pferden der Knechte den Grund zerstampft, daß der Staub, als wär’ ein Cherub vom Himmel niedergefahren, emporquoll; öfnet langsam, ein großes flaches Silbergeschirr auf dem Kopf tragend, auf welchem Flaschen, Gläser und der Imbiß gestellt waren, das Mädchen die Thüre und tritt ein. Nun seht, wenn mir Gott der Herr aus Wolken erschiene, so würd’ ich mich ungefähr so fassen, wie sie. Geschirr und Becher und Imbiß, da sie den Ritter erblickt, läßt sie fallen; und leichenbleich, mit Händen, wie zur Anbetung verschränkt, den Boden mit Brust und Scheitel küssend, stürzt sie vor ihm nieder, als ob sie ein Blitz niedergeschmettert hätte! Und da ich sage: Herr meines Lebens! Was fehlt dem Kind? und sie aufhebe: schlingt sie, wie ein Taschenmesser zusammenfallend, den Arm um mich, das Antlitz flammend auf ihn gerichtet, als ob sie eine Erscheinung hätte. Der Graf, indem er ihre Hand nimmt, fragt: weß ist das Kind? Gesellen und Mägde strömen herbei und jammern: Hilf Himmel! Was ist dem Jungferlein wiederfahren? Doch da sie sich, mit einigen schüchternen Blicken auf sein Antlitz, erholt, so denk’ ich, der Anfall ist wohl auch vorüber und gehe, mit Pfriemen und Nadeln an mein Geschäft. Darauf sag’ ich: Wohlauf Herr Ritter! Nun mögt ihr den Pfalzgrafen treffen; die Schiene ist eingerenkt, das Herz wird sie euch nicht mehr zersprengen. Der Graf steht auf, er schaut das Mädchen, das ihm bis an die Brusthöle ragt, vom Wirbel zur Sohle gedankenvoll an, und beugt sich und küßt ihr die Stirn und spricht: Der Herr segne dich und behüte dich und schenke dir seinen Frieden, Amen! Und da wir an das Fenster treten: schmeißt sich das Mädchen, in dem Augenblick, da er den Streithengst besteigt, dreißig Fuß hoch, mit aufgehobenen Händen, auf das Pflaster der Straße nieder; gleich einer Verlornen, die ihrer fünf Sinne beraubt ist! Und bricht sich beide Lenden, beide zarte Lendchen, dicht über des Knierunds elfenbeinernem Bau: und ich alter, bejammernswürdiger Narr, der mein versinkendes Leben auf sie stützen wollte, muß sie, auf meinen Schultern, wie zu Grabe tragen; indessen er dort, den Gott verdamme! zu Pferde unter dem Volk, das herbeiströmt, herüberruft von hinten, was vorgefallen sey! – Hier liegt sie nun, auf dem Todbett, in der Glut des hitzigen Fiebers, sechs endlose Wochen, ohne sich zu regen. Keinen Laut bringt sie hervor; auch nicht der Wahnsinn, dieser Dieterich aller Herzen, eröfnet das ihrige; kein Mensch vermag das Geheimniß, das in ihr waltet, ihr zu entlocken. Und prüft, da sie sich ein wenig erholt hat, den Schritt, und schnürt ihr Bündel, und tritt, beim Strahl der Morgensonne, in die Thür: wohin? fragt sie die Magd, zum großen Wetter vom Strahl antwortet sie, und verschwindet.“ –

[ Z ]

[ ]

Copyright © 2000 by Institut für Textkritik e. V., Heidelberg
Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
[ Webdesign: RR 2000 ]