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Zeitung für die elegante Welt, 4. 4. 1808, Nr. 54, Sp. 431f.: Korrespondenz- und Notizen-Blatt

„Der zerbrochne Krug“

Aus Weimar.
Der Mangel an guten, neuen Schauspielen, der jetzt die Theaterwelt drückt, (denn im Grunde will diese Theaterwelt so gut ihre neuen Feuerbrände haben, wie die politische) ist auch uns empfindlich geworden. Es ist daher gekommen, daß mancher Lückenbüßer mit hat unterlaufen müssen, den man denn – auch dafür gehalten hat. Von bedeutenderen Opern haben wir die Wegelagerer und Agnes Sorel gesehen, (wiewohl die letztere wohl kaum eine Oper zu nennen ist) aber auch den Tyroler Wastel. Dergleichen Figuren sind uns nun ganz fremd, und deshalb hat man sie lachend mit angesehen, besonders da Hr. Dirzka und Mslle. Jagemann die Tyroler so gut gaben, aber – dabei wird’s auch bleiben, zumal da unser einziger Wastel, Hr. Dirzka, nach Wien geht, wo er nicht der einzige seyn, und mit den dortigen Wasteln genug zu thun bekommen und an uns denken wird. – Das bei uns zum ersten Mal aufgeführte Schauspiel Wanda von Werner ist ein neuer Beweis von des Verfassers untergeordneter produktiver Kraft. Es strotzt zwar nicht (wie seine anderen Arbeiten) geradezu von Mystik, aber Erscheinungen gibt’s drinne genug, und Rosen, Narcissen, Tulpen und Hyacinthen (wie gewöhnlich) auf allen Ecken, mitunter auch gereimten Nonsens, z. B.:
In Sternthalen
reinigt ein Strahl,
Blüthen und Qualen!
Preiset die Qual!
Es wird in dieser romantischen Tragödie überhaupt viel gesungen, an Aufzügen fehlt es nicht, und viel Lärm wird gemacht. Die Böhmen Königin Libussa kommt als Geist nach Krakau, erscheint oft Solo und in Begleitung ihrer Jungfrauen. Sie singen:
Uns Jungfrau’n nebelgrau,
Uns netzt kein Regen nicht,
Uns wärmt kein Sonnenlicht,
Uns kühlt kein Thau;
Uns schmerzet keine Qual,
Uns labt kein Freudenmahl,
Noch bunter Farben Pracht:
Wir ruhn in Nacht! –
sie sitzen aber ganz hell. Man weiß eigentlich nicht recht wohl (vielleicht wissen sie es selbst nicht) was sie wollen.
Ob wir’s erhaschten auch,
Zerrinnt’s wie Morgenrauch.
Wer mag auch dergleichen Luftfantome halten? Einer Iphigenie, einem Tasso, einer Stella, einem Ion u. s. w. gegenüber bleiben es Schatten, bis auf Libussens goldenen Löwen. Übrigens aber triumphirt auch nicht der Löwe vom Stamme der Rügen, er muß vielmehr fallen, von Wanda’s liebender Hand (welche Schreckensscene aber Libussa mit dem Mantel der Liebe bedeckt) und die Mörderin springt in’s Wasser zu allgemeiner Satisfakzion. Mad. Wolf als Wanda und Hr. Wolf als Rüdiger erhielten verdienten Beifall. – Drolligt war’s aber auch, im 8ten Jahrhundert schon einen Meistersänger zu erblicken, der übrigens so diskret ist, kein Wort zu singen. Das Ganze hat Melpomene Gozzi’s Schatten dedicirt, mit den Worten des ersten Chors:
Trarah, trarah! Wir kehren daheim,
Wir bringen die Beute zur Jagd! –
Bald darauf wurde der zerbrochene Krug aufgetragen, ein Lustspiel in drei Aufzügen in gereimten Versen. Diesem Kruge ging’s übel. Das Publikum nahm in seinem großen Unwillen eine so laute Satisfakzion, dergleichen es hier noch keine genommen hat, und statuirte allen Krügen dieser Art zur Warnung ein auffallendes Exempel an demselben, weshalb er versteckt wurde, um nicht zum dritten Mal zerbrochen zu werden.
Hr. Haide, dem es in Wien nicht sonderlich wohl gegangen ist, hat sich dem hiesigen Publiko wieder in die Arme geworfen. Er trat auf als Wilhelm Tell, den er immer gut, dießmal aber ausgezeichnet gut spielte, und das Publikum rief dem reuevollen Deserteur freundlich Pardon zu. Gestärkt hat er sich nun wieder an die Arbeit begeben, und die Sache ist abgethan.

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Letzte Aktualisierung 23-Jan-2003
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