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Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode, 18. 12. 1821, Nr. 151, 1273-1276: Correspondenz-Nachrichten.

„Prinz Friedrich von Homburg


Über die Aufführung des Prinzen von Homburg (Schlacht bey Fehrbellin) von Kleist in Dresden\1\.  
Dresden, den 7. Dec. 1821.
<Fußnote S. 1273:>
\1\ Es ist bemerkenswerth, daß sich neuerdings ein geschätzter Kunstrichter hier zu Gunsten dieses deutschen Meisterwerks dramatischer Dichtung ausgesprochen hat. Kurz vorher unternahm es auch der zu Dresden lebende Dichter Tieck, das dortige Publikum vor der Darstellung des genannten Schauspiels auf einen richtigen Standpunkt der zur Beurtheilung desselben zu erheben, und den streitigen Hauptpunkt, der unter uns so vieles zur Verkennung beygetragen hat, ja Einigen, die sich gegen Gründe und Berichtigungen eigensinnig auflehnen, noch immer ein Anstoß ist, näher zu beleuchten. Wir hoffen, das Vergnügen unserer Leser zu erhöhen, indem wir dieser interessanten schriftlichen Mittheilung dem zweyten, aus der Abendzeitung entlehnten, Aufsatz beyfügen.D. Red.

Kleist’s Homburg – in Wien die Schlacht von Fehrbellin – ist gestern zum ersten Mahl über unsere Bühne gegangen. Alle, die für die seltene Tiefe und Vollendung  dieses Meisterwerks Sinn und die Überzeugung hatten, daß nur verfliehender Alltagssinn das Dämonische des Stücks zur Plattheit herabziehen und als Fehler belachen könne, was Lebensprinzip und Bedingung des Gelingens ist, war in voraus überzeugt, dieß Stück müsse, so einstudiert und dargestellt, wie wir es von unserm trefflichen Bühnenpersonal zu erwarten berechtigt waren, eine außerordentliche Wirkung hervorbringen. Darum hielt es der unter uns lebende Pflegevater dieses, durch einen tragischen Tod seines eigentlichen Vaters nur zu früh zur Waise gewordenen Drama, D. Tieck, für gerathen, zwey Tage vor der Aufführung einigen Wink über die wahre Tendenz und Dichterverherrlichung des Stücks in unserer vielgelesenen Abendzeitung mitzutheilen. Denn an allerley Geflister und Geschrey fehlte es doch auch hier nicht, obgleich unser Officierkorps, welches zu den wahrhaft gebildeten gehört, sich früher schon dahin erklärt hatte, man müsse erst sehen, bis zu Ende sehen, und dann das Urtheil abgeben. Unser neuer Theater-Direktor, geh. Rath von Könneritz, ließ sich durch keinen Zweifel irren, trug die ganze Gestaltung und Aufführung dem Schauspieler auf, der, da er selbst die Rolle des Prinzen Arthur freywillig übernahm, für das Gelingen desselben das lebendigste Interesse, zugleich aber auch die tiefste Empfänglichkeit für die dichterischen Schönheiten dieser mit der Prosa des Alltagslebens so hart kontrastirenden genialen Schöpfung unter allen seinen Mitschauspielern das volleste Zutrauen hatte, unserm wackern Julius. Er, der einst selbst mit Ehre Militär gewesen und aller Punkte, die hier die zartesten sind, kundig war, erklärte laut, das Stück müsse gelingen, wenn nur bey der Aufführung ein vorurtheilfreyes Publikum zu gewinnen und die tölpische Plumpheit gleich anfangs einzugreifen verhindert sey. Tieck, der erste Vorleser dramatischer Dichtungen, den jetzt Deutschland hat, las in einem Abendzirkel, den der Direktor in seinem Hause veranstaltete, den damit betheilten Schauspielern und Schauspielerinnen das Stück in seiner vollen Kraft und Herrlichkeit vor. Vier Proben, denen letztern Tieck selbst mit Aufmerksamkeit beywohnte, vollendeten die Einübung. Julius hatte mit seltener Beharrlichkeit alles, die aus jener Zeit wohlbekannten, schön kleidsamen Kostums, die Bühnen-Topographie, auf welche dabey so viel ankommt, die Stellung bey dem Tagsbefehl, in der Schlacht, im Garten von Fehrbellin u. s. w. meisterhaft geordnet. Manscheer, ein talentvoller junger Kompositeur, der einige Zeit in Pesth in Ungarn thätig gewesen ist, hatte die einfallende Kriegsmusik, so wie die Ouvertüre und Zwischenakte komponiert.
Das Resultat entsprach der Erwartung vollkommen. Nur im ersten Akt, bey der Ertheilung des Tagsbefehls, ließ sich einige Mahl eine Neigung zum Lachen verspüren, die ungünstig war. Aber schon mit dem Monolog, womit der erste Akt schließt, hatte Julius den Prozeß gewonnen. Man begriff, wartete und erwärmte sich an der innern Gluth. Bald wurde die Begeisterung allgemein. Als die meisterhaft motivirte Zurückkehr zur nüchternen Besonnenheit und durch das herrliche Zuspielen unserer gefühlvollen Natalie Schirmer, die in der schwierigen Scene im vierten Akt den Kampf zwischen Befangenheit in weiblicher, weicher Hinneigung und heroischem Frauen- und Fürsten-Sinn mit ergreifender Wahrheit und Schönheit spielte, die in sinnlichem Irrwahne herabgestürzte Heldenseele des Prinzen zu ihrem vollen Flügelschlag sich wieder emporhob, da stieg die Begeisterung des Publikums mit jeder neuen Rede; losgefesselter Beyfall, wie er bey unserm sonst so kalten Publikum eine wahre Seltenheit, schallte oft dazwischen; die herrliche Scene zu Anfang des fünften Akts, wo der große Churfürst, von unserm Helwig mit Kraft und Gemüthlichkeit gestaltet, erst den Kotteritz – den der für dieß Rollenfach einzige Werdy so vortrefflich gab, daß rauschender Beyfall einige Mahl ihn fortzusprechen hinderte – dann den Hohenzoller so herrlich abweist und die unvergleichliche Stelle über Gehorsam gegen Gesetz und Vaterland ausspricht, um welcher willen allein schon das Stück auf keiner deutschen Bühne fehlen dürfte, entzündeten die Flämmchen in der Brust der Anwesenden zu Flammen, und als unter Kriegsjubel und Feldmusik der Vorhang niederrauschte, da wurde Julius, der in mehrfachem Sinn siegreiche Held des Tags, in Unisono heraus gerufen. Der bis nun fälschlich angefochtene Holbohn macht am Schluß, wo der überwältigende Freudentaumel nach solchen Kämpfen bey solcher Überreizung durchaus nur diese Wirkung hervorbringen kann, ein vollendetes Seelengemählde vor unsern Augen. Der hohe Meisterschaft gestaltende Künstler trat mit unerkünstelter Bescheidenheit hervor und dankte bloß als Organ seiner Mitschauspieler, die für ihre Anstrengung wohl eine freudige Anerkennung verdient hätten. Neuer Jubel, neues Bravorufen. So feyerte hier in Dresden ein sächsisches Publikum, der Genialität des Dichters und der Kunst der Schauspieler gleich willig huldigend, und sich über alle engherzigen Rücksichten erhebend, ja den Schlußvers: „in Staub mit allen Feinden des Vaterlandes,“ stürmisch beklatschend, die gewissenhafteste Belebung eines Drama, das recht verstanden und zur sinnlichen Beschauung gebracht, trotz einiger befremdenden Wagnisse und Schroffheiten im Ausdruck, als barer Gewinn für unsere jetzt so verarmten deutschen Bühnen sehr hochgehalten werden muß, und so errang auch hier begeisternde Dichterkraft einen vollen Sieg über die platte Gemeinheit und krönte einen Dichter, dessen Scheitel im Leben nur Dornenkronen geritzt hatten.
Über das Einzelne des Spiels wird in den hiesigen Blättern zur Genüge gesagt werden. Hier nur so viel. Julius mahlte den Moment, wo er durch die Unterredung mit Hohenzollern im Gefängniß auf einmahl von der keckesten Sicherheit in die erschütterndste Überzeugung des tödtenden Ernstes herabgeworfen wird, so ergreifend wahr, daß jeder Zuschauer eben darum, weil die Endpunkte sich überall berühren, seinen Sturz in den Abgrund der Muthlosigkeit zu begreifen anfing; er sprach ferner, als er vor dem Churfürsten kniet, die schmählige Entwürdigung seines Innern durch den rein animalischen Lebenstrieb, in so gewaltiger Hast, in so feurig beschwingter Angst aus, daß man durchaus nur das Mitleid, welches seine, von der Schirmer hier so ergreifend dargestellte Geliebte ihm zollt, theilen, nicht aber Verachtung empfinden konnte und schon hier dachte, was Natale später zum Churfürsten ausspricht: „Ach welch ein Heldenherz wird hier zerknickt! Auch griff die Churfürstinn, von Madame Werdy würdig vorgestellt, sehr brav ein. Denn, und das half allerdings auch den Sieg über jeden hier und da lauschenden Tadel gewinnen, allen Rollen, auch der geringsten, geschah ihr volles Recht. Es war alles bedacht, alles im harmonischen Einklang. So sprach unser wackerer Pauli als Graf von Sparr die so kräftig aufregende Erzählung von Froben’s Heldentod mit einer hinreißenden Wahrheit und erhielt, wie billig, rauschenden Beyfall. So wurde Dörfling von unserm durch Körperkraft trefflich unterstützten Baumeister auch untadelhaft gestaltet. Und alles hatte sich in schöner Eintracht bey der Probe das Wort gegeben, gemeinschaftlich das Höchste zu erstreben. Auch ist es wohl zu rühmen, daß bey unserm Bühnenverein, wo ein glücklicher Zufall vier Künstler zusammenführt, die alle auf verschiedenen Bühnen schon Regisseurs gewesen sind, keine kleinliche Kabale je aufkommen kann, daß jeder den andern sich willig unterordnet, daß jeder das Ganze, nicht sich selbst, im Auge hat. Es waren vom Stück, wie es gedruckt zu lesen ist, nur drey Verse weggeblieben und alles ungeändert und ungestrichen beybehalten worden und dennoch spielte es nur 2¼ Stunde, wovon zehn Minuten auf die Ouvertüre kamen. Allein es sind auch im Ganzen nicht 50 Verse bloß deklamirt worden. Diesem in falsche Schmink- und Toilettenkünste ausartenden, alle Wahrheit tödtenden Deklamations-Unheil, welches durch unsere Tragöden jetzt als Tollwurzel erwachsen, als Pilsenkraut aufgeschossen ist, muß der Hals gebrochen werden, oder wir haben bald gar keine tragischen Bühnen mehr.
Böttiger.

Über die bevorstehende Aufführung des Prinzen von Homburg, von Heinrich v. Kleist, auf der Dresdner Bühne.

Dieses Schauspiel Heinrichs v. Kleist ist schon in Wien, Breslau und Frankfurt am Main gegeben worden. Da es das hiesige Theater in diesen Tagen ebenfalls darstellen wird, so ist es vielleicht nicht überflüssig, die Leser dieses Blattes auf Einiges aufmerksam zu machen, damit ihr Vergnügen und ihre Theilnahme ungestört seyn möge, und sich nicht voreilig von dem trefflichen Werke abwende.
Die kunstreiche Form des Schauspiels, indem es eine Handlung unmittelbar vor unseren Augen entwickelt und durchführt, uns die Motive zeigt, die Charaktere und Gesinnungen malt, zwingt den Dichter, manches nur anzudeuten oder völlig zu verschweigen, und die Enträthselung dem Scharfsinn oder erweckten Gefühl des Zuschauers zu überlassen. Ja dieses Verschweigen ist zugleich ein Vorrecht des Dichters, welches er nicht aufgeben wird, wenn ihn auch die Form des Schauspieles nicht dazu zwänge, denn er kann hierin seine Weisheit nicht minder, als in dem, was er ausspricht, zeigen, und der gebildete Zuschauer wird auch nur das Werk anziehend finden, in welchem, wenn einmal seine Theilnahme gewonnen ist, der Dichter ihn gleichsam auffodert, thätig mit einzugehen und durch Witz und Poesie die Theile zu ergänzen, die sich dem Auge entziehen müssen. Nicht anders glauben wir vor Gemälden Verkürzungen, oder verdeckte Figuren ganz zu sehen, wenn anders der Maler sein Handwerk versteht, und unser Auge geübt ist, Bilder anzuschauen. Wir würden im Gegentheil dem Künstler keinen Dank wissen, der uns statt der Gruppirung, alle seine Gestalten in einer geraden Linie vorführte, um nur klar zu bleiben und die Verwickelung zu vermeiden.
Wie sich die zeichnende Kunst schon früh von dieser zu treuherzigen Anordnung entfernte, so mußten die Theaterdichter auch schon seit lange den chronikartigen Styl und die zu steife Symmetrie vermeiden, und Vor-, Mittel- und Hintergrund anlegen, um ein vieldeutiges, mannigfaltiges Kunstgebilde zu erzeugen. Jedes Zeitalter, jede Schule und jeder einzelne Meister wird wieder durch das charakterisirt, was ihm Neben- und Hauptsache ist, was er mit Vorliebe ausmalt, oder andeutet und verschweigt, ja es giebt treffliche Künstler genug, die geradezu die Hauptsache zur Nebensache machen, weil sie der Zier mehr, als dem Ausdruck gewachsen sind, weil die Nachahmung der Natur ihnen wohl, aber nicht die Erhebung derselben zu Gebote steht.
Lessing’s Scharfsinn spielt in seinen Dramen mit dem Zuschauer, und was dieser errathen muß, ist zuweilen das Beßte, ja Nothwendigste. Große Dichter, wie Göthe, bedürften keiner Erklärung, wenn alles zu sagen erlaubt und möglich wäre; es gäbe dann nicht die oft komischen Mißverständnisse, die sich jetzt, nach mehr als vierzig Jahren, wieder zu erneuern scheinen. Woher der Streit bei Shakespears Meisterwerken, vorzüglich bei seinem wundersamsten, dem Hamlet, wenn dieser witzigste, wie tiefsinnigste aller Dichter, nicht so oft eben so gutmüthig als großmüthig vorausgesetzt hätte, daß seine Leser und Zuschauer neben ihm ständen, und also den richtigen Augenpunkt seiner Gemälde gefaßt hätten? Wenn Calderon und die Spanier weniger verschweigen, so üben sie dagegen im Auffassen von allegorischen Beziehungen, im Festhalten reicher Verwickelungen, im Aufmerken auf Kleinigkeiten, die bedeutsam werden und wichtig oder erklärend wiederkehren; und die deutsche neuere Schule (wenn man sie so nennen darf) hat das Publikum gewöhnt, Dinge zu verbinden und zu beachten, die demselben wohl früher als eine zu große Anstrengung erschienen wären.
Diese Versuche haben wenigstens wieder die Aufmerksamkeit und Combinationsgabe in Anspruch genommen, die bei den sogenannten Familiengemälden, in denen oft kaum etwas vorfiel, fast schlummern durften. Wären diese Bildwerke nur dem Styl der niederländischen Kunst treu geblieben, so dürften sie, trotz ihres geringen Inhalts, immer noch auf Meisterschaft Anspruch machen, hätten nicht die meisten die Anmaßung, in diesem engen Raume das Größte in das Kleinste herabzuziehen und darüber die Beiwerke, das Natürliche, zu vernachlässigen, welches diesen Werken nur durch Wahrheit einen gewissen Zauber verleihen kann.
Durch die letztgenannten Versuche ist es aber hauptsächlich dahingekommen (obgleich die Gewohnheit oder Verwöhnung selbst schon ziemlich alt ist), daß gewisse Tugenden und Gesinnungen von Aufopferung, Großmuth, Freigebigkeit, Mutter- und Kindeslieb u. s. w. an und für sich, ohne weitere Veranlassung, als nothwenig und unerlaßlich bei den sogenannten Helden eines theatralischen Werkes angesehen werden. Diese höchsten Empfindungen, ja man möchte sagen, die heiligsten der Natur, werden bei den geringsten und unbedeutendsten Veranlassungen willkührlich angeschlagen und die Mehrzahl der Zuschauer, daran gewöhnt, folgt dann, ohne weiter darüber zu denken, der Rührung, ja verschmäht in einer gewissen Erhebung alle Kritik, die ihm diese Thränen verdächtig machen möchte. – Vor allen aber ist es die Liebe und Verachtung der Gefahr und des Lebens, welche die jungen Helden charakterisirt, für die wir uns interessiren sollen. Ob es immer der Natur gemäß sey, so zu empfinden, ob ein aufrichtiges Bewußtseyn, ob die Erfahrung diesen einmal angenommenen Rausch der Großmuth in allen Lagen des Lebens bestätige, darnach fragt man nicht mehr, denn er scheint eben so unerlaßlich, wie die Jugend des Liebenden und die Schönheit der Geliebten, und mit Romeo’s früherer Leidenschaft, bevor er Julien kennt, so wie mit Hamlets Zaghaftigkeit und Härte gegen Ophelien, will sich die Menge noch immer nicht versöhnen, wenn auch diese Seltsamkeiten nothwendig zum Kunstwerk gehören.
Schlimmer noch und besorglicher steht es um den Prinzen Kleist’s, denn der junge Dichter hat es gewagt, die Sache noch auffallender zu machen. Als den Helden des Stücks ein Kriegsgericht nach einem Siege, wegen Mangel an Subordination, zum Tode verdammt hat, bittet er, zerstört und vernichtet, um sein Leben, giebt, von den Schauern des Todes schon umfangen, Ruhm und Thaten, ja selbst seine Liebe auf, die noch vor kurzem als das Licht seines Lebens erschien. Diese auffallende Scene ist der Mittelpunkt des Schauspiels, der Prinz sammelt sich wieder, er kehrt zum Bewußtseyn seiner Würde zurück, und wird nun, nach überstandener Erschütterung, eben so in entschlossener Festigkeit Held, wie er es vorher nur im Taumel, Traum und der Leidenschaft war. Möchte diese hier dargestellte Seelenstimmung auch nicht unnatürlich zu nennen seyn, so wäre sie doch weder dem Schauspiel angemessen, noch an sich interessant, wenn nicht durch die leidenschaftliche Aufregung, durch das traumähnliche Leben des Prinzen diese Sonderbarkeit, diese Todesfurcht, begründet und gerechtfertiget würde. Er ist ein Nachtwandler, in seine verschlossenen Sinne dringt ein Theil der Wirklichkeit, wie eine Vision, diese erhöht seine stürmende Liebe, und durch diese begeistert, stürzt er, halb rasend, die Warnung der Freunde nicht achtend, in das Getümmel der Schlacht, und hilft einen glänzenden Sieg erfechten. Nur wenig wird sein Rausch durch die Nachricht abgekühlt, daß sein verehrter Freund und Fürst gefallen sey. Er erhebt sich im Gegentheil noch mehr und will Land, Witwe und Geliebte beschützen. In dieser höchsten Sicherheit seines Herzens sieht er sich plötzlich gefangen genommen, vor ein Gericht gestellt, er muß endlich glauben, der angedrohte Tod sey Ernst: – und Leben, Sicherheit, Freund, Ruhm, Vaterland und Geliebte verschwinden, die Erde bricht unter ihm, dieser bittern Erfahrung ist sein junges und verwöhntes Herz nicht gewachsen, und er stürzt nun eben so tief, als er sich zu hoch im Schwindel erhob. Auf irgend einem Lebenspunkt muß jeder Held und Weiser die Todesfurcht besiegen, um das Leben zu finden, und dieser junge, übermüthige Krieger wird hier durch Selbstvernichtung und Verachtung seiner selbst seinem bessern Geiste zugeführt. Er fühlt nun erst, daß er vorher Tod und Leben noch nicht kannte; nach dieser furchtbaren Schule sieht er sein früheres Leben wie Traum und Nebel vor sich liegen, und alles, was ihn in diesem verwirrten Zustande begeisterte, kann nun erst ächte Kraft und Wahrheit gewinnen; nach seinem auf kurze Zeit gebrochenen Herzen wird ihm Liebe und Glück, Ruhm und Muth erst Wirklichkeit und Leben.
So vorbereitet wird den Zuschauer die grelle Scene des dritten Aktes zwar immer noch überraschen, und erschrecken, aber sie wird kein störendes Mißfallen hervorbringen, um ihm den Genuß eines der vorzüglichsten Werke zu verkümmern, welche die neuere Zeit hervorgebracht hat. Den Freunden des verstorbenen Dichters und den Liebhabern des Schauspiels muß es erfreulich seyn, daß ein Theater, wie das hiesige, das so vieles Treffliche und Schwierige befriedigend darstellt, sich auch diese nicht leichte Aufgabe vorgesetzt hat. Auch hier, von gebildeten Künstlern dargestellt und von Zuschauern beurtheilt, die des Guten gewohnt sind, wird dieses Gedicht erfreuen, und nach seinem Tode wird ein ausgezeichneter Schriftsteller immer mehr gewürdigt werden, der, so lange er lebte, verkannt und selbst in seinem Vaterlande nicht so beachtet wurde, wie er es verdiente.
Dresden, am 28. Nov. 1821.Tieck.

Textwiedergabe des Tieckschen Aufsatzes nach dem Erstdruck in: Abend-Zeitung, Dresden, 1. 12. 1821, Nr. 288, unpag.
Von Tiecks Aufsatz ist ein eigenhändiges Manuskript überliefert im Tieck-Nachlaß der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Haus 2 (verkleinert wiedergegeben in: Heinrich-von-Kleist-Gesellschaft, Faksimiledrucke Nr. 2, Wieland Schmidt zum 29. März 1974); lt. Klaus Kanzog (Einleitung zum Faksimiledruck) kann das Manuskript „mit einiger Wahrscheinlichkeit […] als erste Niederschrift angesehen werden.“
ManscheerMarschner
Kotteritz] Kottwitz
Natale] Natalie
Sparr] Sparren
das so] daß so J

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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