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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Urania. Taschenbuch für Damen auf das Jahr 1812. Mit zwölf Kupfern, darstellend Scenen aus Göthe’s Wahlverwandtschaften und pantomimischen Attitüden der Madame Hendel-Schütz (Amsterdam, Leipzig: Kunst und Industrie-Comptoir), XXIV-XL: II. Über die pantomimischen Darstellungen der Madame Hendel-Schütz. Von Johannes Falk; darin: XXXIf.

„Der zerbrochne Krug“, „Das Käthchen von Heilbronn“

So weit unser Göthe. Wenn er mit diesen Worten den Geist unsers Zeitalters nur zu richtig charakterisiert hat: so läßt sich auch jedes Mal voraussagen, welchen Empfang das Genie, bey seinem Auftritt, von demselben zu erwarten berechtigt ist. – Was Christus zu Petrus in der Legende sagte, als dieser ihm unter den Thoren von Rom begegnete, das: „Venio iterum crucifigi“ (Ich komme, nun mich wieder kreuzigen zu lassen) findet, wenn man in unsern allgemeinen Bibliotheken und andern sogenannten kritischen Journalen die Namen der berühmtesten Deutschen nachschlägt, noch immer seine unbedingteste Anwendung, nach jenem Ausspruch des Tasso (3ten Aufz. 2ten Auftr.)
– – – „Du mißgönnst
Dem Bild des Märtyrers den goldnen Schein
Ums kahle Haupt wohl schwerlich; und gewiß
Der Lorbeerkranz ist, wo er Dir erscheint,
Ein Zeichen mehr des Leidens, als des Glücks.“*)

<Fußnote S. XXXIIf.:>
*) Will man ein ganz neues Beyspiel dieser Verfahrungsart, so sehe man den Empfang, den kürzlich ein kühner, junger, feuriger Genius, Heinrich von Kleist, unter seinen Landsleuten gefunden hat. Hätte dieser reichbegabte, herrliche Kopf weiter nichts geschrieben, als seinen zerbrochnen Krug, odersein Kätchen von Heilbronn: so verdienten, besonders bey der Armuth der Deutschen im dramatischen Fach, seine Versuche Aufmerksamkeit, seine Talente Hochachtung. Wäre dem warmen, edeln, biederherzigen, geistvollen Gleim ein Genie, wie Kleist, in den Weg gelaufen: was meint man wohl, wie er es würde in seinen Arm herauf gejauchzt, herein gejubelt haben! Dagegen, wie verkehrt, wie kalt, wie wenig fördernd, wie lieblos ist fast Alles, was dieser junge Dichter, bis jetzt, über seine Produkte öffentlich erfahren hat! Und doch, wie viele Köpfe sind denn dermalen in Deutschland noch übrig, die auch nur eine Seite – was Seite? – die auch nur eine Periode, mit dieser Anmuth, mit dieser Originalität, mit dieser Neuheit, mit diesem Feuer im Ausdruck, mit dieser zugleich zarten und ungestümen Gluth eines echten Shakespearschen Pinsels, wie Kleist im Kätchen von Heilbronn zu schreiben im Stande sind? Mag es seyn, daß er in diesem Produkt, wie in allen seinen übrigen, die Grenzen der Motive überschreitend, zuweilen an das Barocke streift: soll uns denn ein einziger Fehler des trefflichen Mannes, gegen alle übrige Vorzüge, die er besitzt, blind, und der Mittelmäßigkeit, an der er heut zu Tage fast aller öffentliche Weihrauch wie in Pfennigsgaben, verräuchert wird, hold und geneigt machen? Denken wir dafür doch lieber an Schillers Zuruf:
„Daß ihr nicht früh in den Fehler der Mittelmäßigkeit fallet,
Neidet, ihr Künstler doch ja keinen der andern zu früh!“
Wahrlich ist es wohl eigen, daß eine Nation wie die Deutsche, die jetzt so gern politische Ohnmacht und Blöße mit dem literarischen Ruhm ihrer Klopstocke, Herder, Schiller u. s. w. zudecken möchte, demungeachtet jeden Augenblick vergißt, daß man große Männer am würdigsten in ihren Nachkommen ehrt; und wer sind diese sonst, als junge Männer von Genie, die sich mit Muth und Geschick auf die von ihren Vorfahren betretene Bahn wagen?

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Letzte Aktualisierung 11-Feb-2003
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