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Oesterreichischer Beobachter, 24. 12. 1811, Nr. 351, 1435f.

Kleists Selbstmord

Vermischte Nachrichten.

Die traurige Begebenheit, welche sich vor ungefähr vier Wochen in der Nähe von Berlin ereignete, beschäftigt seit einiger Zeit die Aufmerksamkeit des Publikums. Dem Grundsatze treu, unseren Lesern mit der strengsten Gewissenhaftigkeit und Wahrheitsliebe, alle Thatsachen zur Geschichte der Zeit zu liefern, schwiegen wir bisher über diesen Vorfall, wartend, bis wir aus ächten Quellen eine durchaus wahre, unverfälschte Darstellung eines Ereignisses mitzutheilen im Stande wären, welches neuerdings beweist, auf welche Verirrungen und Abwege der Mensch durch Vergessenheit und Hintansetzung alles höheren Glaubens gerathen könne! – Nachstehendes ist ein Auszug eines der vertrautesten Freunde der Verstorbenen, der alle hier angeregten Verhältnisse auf das genaueste kannte: „Die Nachricht von dem tragischen Ereigniß, welches sich am 21. November in der Gegend von Potsdam zugetragen, ist, da bis jetzt nur einerseits mit unziemlichem Enthusiasmus, andererseits mit empörender Entstellung der Thatsachen, öffentlich davon gesprochen worden, so unvollkommen zur Kenntniß des auswärtigen Publikums gekommen, daß eine kurze und wahre Darstellung der Sache den Lesern Ihres Blattes gewiß nicht unwillkommen seyn wird. – Heinrich von Kleist, durch großartige und originelle Versuche im Felde der tragischen Dichtkunst in Teutschland bekannt, und durch eine wahre Schönheit der Seele, wie durch aufopferndes Hingeben an alles Gute, Große und Gerechte, seinen wenigen Freunden unvergeßlich, hatte längst eine Art von Unbehaglichkeit unter den Umständen seiner Zeit empfunden. Seine teutschen Zeitgenossen waren ihres eigenen Urtheils vielleicht nie weniger mächtig gewesen, als da seine Werke erschienen: man strebte nach Ruhe, nach gewissen bequemen Empfindungen, nach leichten schmeichelnden Berührungen des Herzens. Wie konnte ein Dichter gefallen, der selbst keines oberflächlichen Gefühls fähig, die Zukunft zu ergreifen, die Nation für den Schmerz zu erziehen, und für großmüthiges Hingeben an das Vaterland und an die Freunde zu begeistern, also alle Wunden noch tiefer aufzureissen, mit jugendlicher Überschwenglichkeit unternommen hatte. Sein Publikum ließ das gut seyn, der Dichter ward an die Seite gestellt, und, wie alles Unbequeme, leicht vergessen. Dieß hat ihm das Herz gebrochen, seine Kraft gelähmt, ihn getödtet lange vorher, ehe er den verbrecherischen Entschluß faßte, den er zuletzt, nicht ohne Widerstreben seiner besseren Natur ausführte. – Er hatte in den letzten Tagen seines Lebens eine Frau kennen gelernt, die, mit vielen glücklichen Gaben des Geistes und mit Anlagen zu jeder Tugend ausgeschmückt, zugleich musterhafte Hausfrau und ihrem rechtschaffenen Ehemanne auf Tod und Leben ergeben. Ihr einziger Fehler war ein tiefes Mißtrauen in sich selbst, eine Unbefriedigung mit ihrem eigenen Thun und Lassen, ein geheimer Widerstreit gegen die Verhältnisse dieser Erde, so wie sie selbige kennen gelernt. Alle ihre äußeren Verhältnisse waren die möglichst glücklichen, welches sie auch empfand, mit Dankbarkeit, obwohl nicht recht wissend, wem sie dafür verpflichtet sei. Eine absolut unheilbare kör- <1436:> perliche Krankheit kündigte sich bei ihr an, und, da ihr zerrissener Gemüthszustand es ihr schon längst zweifelhaft gemacht, ob sie eigentlich für diese Welt bestimmt sei, und ob sie je ihre Familie so beglücken könnte, wie sie es wünschte, so schien ihr nun das Räthsel gelöst. Sie hatte sich schon mit dem Leben abgefunden, als sie dem unglücklichen Freunde begegnete, der wie sie, über die Ansprüche des Lebens getäuscht, der wie sie, wenn ich mich so ausdrücken darf, lange Zeit her den Todesgedanken als eine bloße Würze des geschmacklosen Lebens betrachtete; der so vieles um sich her und alle Arbeiten seines thätigen Lebens, fruchtlos hatte untergehen sehen, und, in der Gegenwart zu sehr befangen, obwohl ohne unheilbare, körperliche Krankheit, gleichfalls das Ende seines Daseyns und der Dinge, die ihn gereitzt hatten, deutlich herankommen sah. Über die Tröstungen einer kurzen Leidenschaft, waren beide so weit erhaben, daß ich sie, um mich der Welt verständlich zu machen, kalt gegen einander nennen muß. Es gab keine Gemeinschaft zwischen ihnen, als die der herrlichsten Anlagen, der Unwissenheit über ihre höhere, göttliche Bestimmung, also der Verzweiflung und – in den letzten Stunden ihres Lebens – eines gewissen tragischen Interesses aneinander.“
„In dieser und keiner geringeren, aber auch keiner besseren Disposition der Gemüther, begaben sie sich am 20. November nach dem, an der Straße von Berlin nach Potsdam (drei Meilen von Berlin), gelegenen neuen Krug. Die flache Gegend der Mark erhebt sich dort sanft; die Havel bildet an beiden Seiten der Straße beträchtliche Seen; die hohen Ufer sind mit Nadelholz bedeckt; der Eindruck des Ortes, wenn man sich von der Straße entfernt, ist trübe; man geht wenige Schritte, und ist sehr einsam. Den Nachmittag des 20., und die darauf folgende Nacht brachten sie, ohne sich schlafen zu legen, unter den Wirthsleuten, in anscheinender Heiterkeit über die gleichgültigsten Dinge mit dem Wirthe sprechend, und Briefe schreibend, zu. Sie verlangten einen Fußboten, der das Paket mit der Nachricht von ihrem Tode, mit Abschiedsbriefen, mancherlei letzten Aufträgen und Begrüßungen nach Berlin an den zurückgelassenen Ehemann der Frau tragen sollte, und als am 21. der Wirth ihre Frage, ob der Bote wohl schon in Berlin angekommen seyn möchte, bejahte, so bestellten sie für den, zu einer schrecklichen Zusammenkunft durch jene Briefe eingeladenen Gatten, und einen seiner Freunde Nachtquartier, ließen sich den Kaffeh in eine stille Bucht, welche der See bildete, hintragen, setzten sich dort beide in die, durch Ausrotten eines Baumes entstandene Vertiefung einander gegenüber, und begehrten von der begleitenden Magd, daß sie noch eine Tasse bringen sollte. Als sich die letztere etwa fünfzig Schritte entfernt hatte, hörte sie zwei Schüsse fallen. – Man fand die Frau, die Hände faltend, ohne Zeichen des Lebens, eine Kugel durchs Herz geschossen; den unglücklichen Dichter ebenfalls entseelt, die Kugel durch den Kopf. Beide sind ihrem Verlangen gemäß, nebeneinander, an derselben Stelle, beerdigt worden.“
„Wie zwei der ausgezeichnetsten Naturen, auf diese Weise alle göttlichen und menschlichen Gesetze verachtend bei Seite setzen, und in frevelhafter Gemeinschaft die Thüre erbrechen konnten, welche zu öffnen der Himmel sich selbst vorbehält, bedarf keiner weiteren Erklärung. Wenn sie auch die größte Charakterstärke bewiesen hätten, so ist das neben dem Gesetze, welches sie verletzt, eine Kleinigkeit. Weit davon entfernt, sie zu rechtfertigen, oder auch nur zu entschuldigen, klagen die hinterbliebenen Freunde zuförderst sie aufs stärkste an. Dann aber ist es ihnen auch erlaubt zu sagen, daß das Leben beider übrigens so rein und fleckenlos war, als es ohne den höheren Glauben, den sie durch ihr Ende verläugneten, überhaupt seyn konnte; ferner, daß Kleist wahr, ohne Falsch und ohne Ziererei irgend einer Art gewesen, und daß also seine That wenigstens durchaus frei von dem theatralischen Lichte war, welches falsche Emphase einerseits und Unverstand andererseits darauf hat werfen wollen. Wie er es als tragischer Dichter gemeint hat, und was er geleistet, und was also Teutschland an ihm verloren hat, wird, wie in solchen Fällen gewöhnlich, erst die Zukunft zu würdigen wissen.“

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