Neue Leipziger
Literaturzeitung (Leipzig), 23. 12. 1803, Nr. 76, Sp. 1233-1237
(Antiqua)
Die Familie Schroffenstein
DRAMATISCHE DICHTKUNST.
Die Familie Schroffenstein. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen.
Bern und Zürch, bey H. Gessner. 1803. 265 S. 8. (1 Thlr.)
Dieses Stück, dessen Manier auf keinen schon bekannten Schriftsteller schliessen lässt,
verdient eine genauere Betrachtung, je mehr es von der grössern Reife seines Verfs. zu
erwarten berechtigt.
Der Stoff selbst ist nicht neu. Zwey verwandte Familien leben mit
einander im Hass. Beyde glauben wechselseitig schwer beleidigt zu seyn. Zufall, und
scheinbar absichtliche Kränkungen führen zu immer schwerern Beleidigungen. Sie treiben
ihre Rache bis zum Wechselmorde ihrer Kinder, welche die Liebe vereinigt, aber indem jeder
Vater des andern Kind zu tödten glaubt, stösst er den Dolch in seines eignen Kindes
Brust.
Der Verf. hat aus diesem Stoffe keine Tragödie machen wollen, worin
das Schicksal Alles auf sich nimmt. Vielmehr hat er die Motiven aus den Leidenschaften zu
ziehen gesucht. Es fragt sich also, ob diese der menschlichen Natur gemäss, ob die
Einwirkungen von aussen wahrscheinlich sind, und sie, vereint mit der Individualität der
Personen, diese dahin bringen müssen, wo wir sie am Schlusse erblicken. Die
Anwartschaft auf die Erbfolge, welche beyden regierenden Grafen gegenseitig zusteht, giebt
einen hinlänglichen Grund zum Mistrauen. Nur bleibt der Zweifel übrig, wodurch dasselbe
angefacht wurde? Warum argwohnt Gertrude, das Haus Rossitz habe ihrem Gemahle Sylvester
nach dem Leben gestanden? ein Verdacht, den dieser selbst S. 108. bündig widerlegt. Warum
beharrt sie gleichwohl darauf, und schreibt sogar jenem Hause den Tod ihres Sohnes zu?
Familien Eifersucht allein ist dazu um so weniger ein hinreichender Grund, da die andere
Gräfin ihre Schwester, und sanften Sinnes ist. Eindringender ist der Vorfall, dass
Johann, Ruperts natürlicher Sohn, Agnes, Sylvesters Tochter, bis zur Raserey liebend, in
sie dringt, ihn zu tödten; daß ihre Familie den Dolch, den er ihr darbietet, seine
verschmähte Liebe und sein Leben zu endigen, gegen Agnes gerichtet glaubt. Diess ist zwar
ein Irrthum, allein da dieses Ereigniss die Familie täuschen musste, so würde gegen
dessen Gebrauch nichts einzuwenden seyn, wenn es nicht aus einem Fehler, nämlich der
Überspannung in Johanns Charakter entspränge, den der Dichter vielleicht mit überspannt
hat, um diesen Vorfall durch ihn zu bereiten. Nicht besser ist der Verdacht
erklärt, den Rupert auf das Haus Warwand geworfen hat. Musste nicht Sylvesters Sanftmuth,
ihn bey Rupert, so herrisch, starr und hart dieser auch ist, längst verlöscht haben? Was
bereitete seine Empfänglichkeit vor, die Warwander für die Mörder seines Sohnes, Peter
zu halten? Zwar hat er bey dessen Leichnam zwey Männer aus Warwand gefunden, und diese
nannten auf der Folter Sylvesters Namen. Aber eben über diesen Zusammenhang wird kein
Aufschluss gegeben, und die endliche Auflösung, wonach Peter ertrunken, und jene Männer
aus Aberglauben ihm den Finger haben ablösen wollen und deshalb als Mörder angesehen
worden, ist kleinlich und abentheuerlich. Wir unterdrücken manche Frage, welche die
Wahrscheinlichkeit dieser Parthie sehr zweifelhaft machen könnte, würden uns aber durch
die Antwort, welche man darauf geben könnte, sie liege vor dem Anfange des Stücks, nicht
befriedigt finden, da ohne das Vorhergegangene das Gegenwärtige nicht so erfolgen konnte,
und das Resultat wichtig und selten genug ist, um auch in den entferntern Motiven Klarheit
und Wahrheit zu fordern. Vortrefflich ist aber ein andrer Umstand benutzt. Rupert
lässt Sylvestern durch einen Herold Fehde ansagen. Der Herold giebt S. ins Gesicht Mord
schuld, und dieser sinkt über die Beschuldigung in Ohnmacht. Davon benachrichtigt fällt
das aufgebrachte Hofgesinde über den Herold her, und steinigt ihn. In dieser Mishandlung
(so wie in Johanns vermeintlicher Ermordung) erblickt Rupert nothwendig eine neue
Beleidigung, und rächt sie an dem Jeronimus, der zur Aussöhnung mit S. zu ihm kommt, auf
ähnliche Weise. Dies ist sehr richtig an Sylvesters Charakter geknüpft, giebt eine sehr
pathetische Scene, und verbindet mit dem folgenden; denn dieser Vorfall würkt nun endlich
auf Sylvester, und auf die Katastrophe. So wahr diese auch aus den Charakteren abgeleitet
ist, so hat doch der Verf. in der Ausführung derselben durch Unwahrscheinlichkeiten
verstossen, indem z. B. Agnes ihren Geliebten durch ein ihr unbekanntes Mädchen an die
Höhle rufen lässt, da sie rings umher Feinde weiss, S. 210. indem man den
vermeynten Ottokar S. 246. aus der Höhle gehen lässt, und S. 249. weder seine,
noch Agnes Stimme erkennt. Am meisten und vorzüglich sind die Hauptpersonen, die beyden
Grafen, gelungen; der gutmüthige Sylvester, in dessen reiner Seele kein Argwohn
aufsteigt, der jede Anschuldigung Ruperts in sich und andern bekämpft, bis das Maas der
Beleidigungen überschwillt, und sein wilder, jähzorniger, rachsüchtiger Gegner. Agnes
und Ottokar, deren Liebe einen angenehmen und beruhigenden Contrast mit dem Hasse giebt,
und die ihre Familien mit ihrem reinen Leben versöhnen, sprechen sich mehr durch Gefühle
als durch Handlungen aus. Die beyden Frauen sind Nebenpersonen; dem Jeronimo mangelt
Individualität. Johann, der unächte Sohn Ruperts, wird durch unglückliche Liebe
wahnsinnig. Man hat sich in der Tragödie des Wahnsinns wohl darum so häufig bedient, um
auf kurzem Wege eine grosse Würkung zu erreichen, unbekümmert ob ihr eingeschränkter
Umfang eine richtig psychologische Darstellung verstattet. Dies möchte auch hier die
Frage seyn. Einen sehr tragischen Moment giebt es allerdings, wenn, indem die Andern von
dem Leiden auf das tiefste ergriffen sind, in Johann dieses Leiden bis zur Ertödtung
aller Empfindung angewachsen ist, u. er das allgemeine Elend als ein ganz fremdes Object,
als ein Spiel seiner Laune und seines Spottes behandelt. Von tiefer Würkung ist, als
aller Irrthum, zu spät, gelöset ist, sein Ausruf: S. 264.
Bringt Wein her! lustig! Wein! Das ist ein Spass zum
Todtlachen! Wein! Der Teufel hatt im Schlaf den beyden
Mit Kohlen die Gesichter angeschmiert,
Nun kennen sie sich wieder.
so manches auch am Ausdrucke tadelhaft ist. Überhaupt scheint der Verf., dessen
Stoff an tragischen Momenten reich genug ist, zu viele und zum Theil fremdartige
Hülfsmittel in Anspruch genommen zu haben, um die Würkung zu verstärken. Dahin
gehören, ausser Johanns Wahnsinn, die Eröfnungsscene, wo das ganze Haus Rossitz in der
Capelle vor Peter Sarge dem Mörder desselben den Tod auf die Hostie schwört; die dritte
Scene des vierten Acts, wo die Todtengräbers Tochter unter Gesängen den Kessel rührt,
und den Kindesfinger kocht, und selbst die Einmischung des alten blinden Grafen Sylvius.
Denn offenbar ist es auf die Verstärkung der Schlussscene, wo die Ältern über den durch
sie ermordeten Kindern liegen, abgesehen, wenn der Wahnsinnige den kindischen Greis zum
Leichnam seiner Enkelin leitet. Indessen würde diese Scene schwerlich bey einer
Vorstellung die bezielte Würkung erreichen, da es ihr an Klarheit mangelt, wie denn der
Verf. das Theater sich nicht immer genug vergegenwärtigt hat; denn solche Scenen, wie die
zweyte des ersten Aufzugs, worin eine Situation Zug für Zug hat entwickelt werden sollen,
laufen auf dem Theater zu sehr ins Breite, wo nur die bedeutenden Momente hervorgehoben
werden können. Die Gesinnungen sind meistens wahr und schön, nur ist der Verf.
noch nicht über den Ausdruck und den Versbau Meister. Nur einige Beyspiele:
S. 13. Du meinest, weil ein seltner Fisch sich zeigt,
Der doch zum Unglück blos vom Aas sich nährt,
so schlüg ich meine Ritterehre todt,
und hing die Leich an meiner Lüste Angel
als Köder auf.
S. 14. O du Falschmünzer der Gefühle!
Nicht einen wird ihr blanker Schein betrügen;
Am Klange werden sie es hören, an
die Thür zur Warnung deine Worte nageln.
Manches mag auch vielleicht auf Rechnung des höchst fehlerhaften Drucks kommen.
Vortrefflich dagegen unter mehrern, ist der Ausdruck der Liebe, nachdem Agnes geglaubt,
Ottokar habe sie vergiften wollen, und nun ihren Irrthum einsieht:
S. 127. O wär es Gift, und könnt ich mit dir sterben!
Denn ist es keins, mit dir zu leben, darf
ich dann nicht hoffen, da ich so unwürdig
an deiner Seele mich vergangen habe.
Voll ächten Pathos und wahrer Charakteristik ist die oben gedachte Scene, worin Jeronimus
als Vermittler zu Rupert kommt, und dieser über die Ermordung seines Herolds, und den
Angriff auf Johann, geheime Rache brütet. S. 167.
Jeron. Nur noch zur
Berichtigung etwas von zwey Gerüchten
die bös verfälscht, wie ich fast fürchte, Dir
zu Ohren kommen möchten. Rup. Nun? Jeron. Johann
liegt krank in Warwand. Rup. Auf den Tod, ich weiss.
Jeron. Er wird nicht sterben. Rup. Wie es euch beliebt.
S. 170. Rup. Nun sprich weiter, noch
ein anderes Gerücht wolltst Du berichtgen.
Jeron. Gieb mir erst Kraft und Muth, gieb mir Vertraun.
Rup. Sieh zu, wies geht sag an. Jeron. Der Herold ist
Rup. Erschlagen weiss ich doch Sylvester ist
unschuldig an dem Blute. Jeron. Wahrlich, ja;
er lag in Ohnmacht, während es geschah.
Es hat ihn tief empört, er bietet jede
Genugthuung dir an, die Du nur forderst.
Rup. Hat nichts zu sagen. Jeron. Wie? Rup. Was ist ein Herold?
Jeron. Du bist entsetzlich. Rup. Bist du denn ein Herold?
Jeron. Dein Gast bin ich, ich wiederhohls. Und wenn
der Herold dir nicht heilig ist, so wirds
der Gast dir seyn. Rup. Mir heilig? Ja. Doch fall
ich leicht in Ohnmacht. Jeron. Lebe wohl.(schnell ab.)
Auch die darauf folgende Scene, worin Ruperts Gemahlin mit der
Nachricht einstürzt, das Volk sey über Jeronimus hergefallen, dann ans Fenster tritt,
die Mishandlungen ansieht und berichtet, bittet, fleht, und Rupert schweigend und
unbeweglich da steht, bis Jeronimus erschlagen ist, diese Scene ist ein
nothwendiger Theil des Ganzen, und schon beym Lesen von ergreifender Würkung.
Wir wünschen, dass dieser Dichter auf seiner Laufbahn nicht still
stehen möge.
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