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Morgenblatt für gebildete Stände 223 (16. 9. 1824), 891f.

Ifflands Theaterleitung

Korrespondenz-Nachrichten.

Berlin, 18. August.
Das Königsstädtische Theater fährt fort, sich in der Gunst des Publikums zu erhalten; es ist immer voll, oft überfüllt, während die Einnahmen des großen Theaters kränkeln. – Woran mag das liegen; ist es etwa der Reiz der Neuheit, der so anzieht? – Zum Theil. – Also gibt es noch andere Ursachen; ist die Wahl der Stücke dort eine bessere? – Keinesweges! hinsichtlich des Lustspiels, Mittelgut dort wie hier, Seichtes und Abgedroschenes sogar, wie es auch nicht anders möglich ist, denn man wird doch wohl von der neuen Direktion nicht mehr verlangen als vom Kaiser, der ja, wie bekannt, da wo nichts ist, sein Recht verloren hat. Ein Columbus selbst würde auf dem Ocean der deutschen Poesie keinen neuen Lustspieldichter entdecken, die jungen Trauerspieldichter ausgenommen, deren Farcen aber das Königsstädtische Theater nicht darstellen darf. – So ist die Oper dort wohl besser? – Nichts weniger! Die aus Haydnschen Musikstücken zusammengesezte Ochsenmenuett ist wohl schwerlich eine Oper zu nennen, und von Bedeutung haben wir außerdem nur noch die heimliche Ehe von Cimarosa gesehen; und obgleich sie dreymal bey überfülltem Hause gegeben wurde, so mußten doch mehrere Gesangsstücke, des schwachen Personals wegen, ausgelassen werden, und tadellos war nicht das Orchester, vortrefflich nur Hr. Spitzeder, ein Bassist und zugleich Schauspieler, wie ihn das große Theater nicht aufzuweisen hat, dessen sonstiges Opernpersonal wohl eines der besten und größten in Deutschland ist. Nichts verderblicher könnte das Königsstädtische Theater thun, und es würde seine Kräfte gänzlich aufreiben, wenn es sich in Darstellungen der Oper mit der königlichen Bühne messen wollte. – Nun ist das Personal des Lustspiels dort wohl besser? – Da steht die Wage so ziemlich ein. Hr. Devrient, der allein ein Dutzend guter Komiker aufwiegen könnte, ist leider nicht mehr Er selbst. Ein Wolff und eine Stich sind freylich nicht auf dem Alexanderplatz zu finden; doch soll ja nicht die feine Komödie – die überhaupt kein deutsches Nationalprodukt seyn dürfte – auf diesem entstehenden Volkstheater gegeben werden. Daß Hr. Schmelka allein die HH. Blum, Gern, Wauer und Rüthling aufwiege, wollen wir nicht sagen; allein wenn wir als Nebengewichte das frische und lebendige, das anmuthige und launige, das natürliche und beflissene Spiel von vier oder fünf sehr lieblichen jungen Damen auf die Wage legen, so möchte diese so ziemlich inne stehen; denn die weiblichen Nebenrollen des Lustspiels werden auf der großen Bühne mit so herkömmlich-apathischer Negativität gespielt, daß sie auf die fröhliche Stimmung des Zuschauers wie Minus wirken. Ein Lustspiel aber, das nicht in allen seinen Theilen ineinander greift und rasch und lebendig dargestellt wird, würde eine Tragödie seyn, wenn alles Traurige tragisch wäre. – So ist es also das Gesammtspiel, was das Publikum nach dem Alexanderplatz lockt? – Auch das nicht! Denn wie sollte wohl eine neue Truppe, die sich eben erst aus den verschiedenen Gegenden Deutschlands zusammengefunden hat, in so kurzer Zeit, selbst bey dem größten Fleiße, so eingeübt seyn, als es die Mitglieder einer so alten reichen Bühne sind, gesezt diese hielten auch nicht so viel auf Memoriren und Proben, wie sie wohl sollten? Nein! von einem Sich-Messen, oder auch nur von einem Vergleiche der künstlerischen Kräfte beyder Bühnen kann gar nicht die Rede seyn. – Nun, und wenn es der Reiz der Neuheit nicht allein ist, aus welcher Ursache sonst drängt das Publikum nach dem Königsstädter Theater? – Aus einem dunkeln Gefühl, dessen es sich immer deutlicher bewußt werden wird. Es ist ihm nämlich nach und nach, unmerklicherweise (und Ifflands Lust, dem Minister auch außerhalb der Bühne zu spielen, gab hiezu den ersten Impuls), sein Theater abhanden gekommen; des Publikums Theater, von dem es zwar zu höherer Kunstansicht gebildet wurde, auf das es aber auch einen heilsam-pädagogischen Einfluß ausübte. Diese Wechselwirkung, die der einzige und wahre Lebensquell aller mimischen Kunst ist, wurde durch immer größere Beschränkung, fast vernichtet. Ein Verein der freyen Künste wurde zu einer obersten Staatsbehörde, und nicht nur die Angestellten, vom Rendanten bis zum Thürschließer hinab, sondern auch die Künstler wurden zu Staatsbeamten erhoben. Jezt waren eine Unzahl von Rücksichten zu fordern. Die Zeichen des Mißfalls, den ein Schauspieler erregte, wurden verboten; nur nach dreymaliger Aufführung durfte eine Vorstellung in den öffentlichen Blättern rezensirt werden, und selbst dann nur mit jener umsichtigen Zurückhaltung, die eine Staatsanstalt mit allem Rechte zu fordern befugt ist. Ganze Tafeln von Verordnungen wurden in den Gängen der beyden Häuser angeschlagen und hatten die Kraft und die Folgen der Staatsgesetze. Es wäre eben so vermessen als unnütz gewesen, irgend ein dem Publikum lästige Einrichtung zu rügen; denn es war ja eine hohe Behörde, die diese Einrichtung traf, und der Einzelne wie das Publikum mußten sich als Unterthanen dieser Behörde ansehen, an deren Weisheit öffentlich zu zweifeln, ein Eingriff in ihre Ehrenrechte gewesen wäre. Kurz die Pulsader alles Kunstlebens ward von Iffland durchschnitten, und an eine wohlthätige Wechselwirkung zwischen Publikum und Bühne war nicht mehr zu denken. Wer sich aus jener Zeit des Auspfeifens einer gewissen Dlle. Herbst und dessen Folgen noch entsinnt, <892:> wird uns beypflichten und daraus abnehmen können, wie weit der ministerielle Theaterdirektor, bey längerm Leben, auf diesem Pfade noch fortgeschritten wäre. Zur Steuer der Wahrheit sey es gesagt, und zu Ehren des Hrn. Grafen von Brühl, daß dieser mit kunstliebender Umsicht so manche der frühern Beschränkungen theils aus dem Wege räumte, theils in Vergessenheit kommen ließ. Mit großem Geschick suchte er, während seiner zehnjährigen Amtsführung, alles nur Erdenkliche zu thun, um in dem Konflikt einer hohen Hof- und Prachtbühne mit dem Nationaltheater keines von Beyden leiden zu lassen. Daß die Aufgabe bey den einmal so gestalteten Dingen eine nicht zu lösende war, ist ihm, dem auch nicht Einer im Publikum weder Kunstverständigkeit noch Milde abspricht, nicht beyzumessen. Hatte sich doch in allen Residenzstädten Deutschlands das Theater auf gleiche Weise gestaltet; fühlte man doch überall das Bedürfniß, neben der Hofbühne ein Volkstheater zu besitzen, und ging der milde König von Baiern hier nicht unserm gerechten Monarchen voran, indem er seinem München das Theater am Isarthor bewilligte? Dieses Bedürfniß, in seinem Theater unbeschränkt und behaglich, gewissermaßen häuslich zu seyn, das ist der Magnet, der das Publikum unbewußt nach dem Alexanderplatz zieht. – Wird dieser Magnet aber seine Kraft behalten? – Ja, so lange die Direktion des Königsstädtischen Theaters ihren Standpunkt nicht verläßt und ihres Verhältnisses zu dem Publikum eingedenk bleibt. Daß sie dieses, wenigstens jezt noch, kennt, beweiset ihre öffentliche Erklärung, einige gerügte Unbequemlichkeiten hinsichtlich der Sitze im Amphitheater und in den Logen nächst der Bühne abändern, auch längs den Wänden des Parterres Bänke anbringen zu wollen, damit die Stehenden nicht mehr die Zuschauer in den Parterrlogen belästigen. Möge die Direktion bey diesem löblichen Grundsatze, Rücksicht auf die ächte Stimmung des Publikums zu nehmen, beharren. Möge sie aber auch nie ihren Standpunkt vergessen, nicht in kostspieligen Melodramen, nicht in größern komischen Opern, nicht im höheren Lustspiel mit der großen Bühne wetteifern, sondern sich auf die Burleske und auf das Singspiel beschränken, mit den Wiener komischen Produktionen, wie sie es bereits thut, beginnen, und von diesen aufsteigen zur Parodie, zur Humoristik, zum Grotesk-Phantastischen bis zum Maskenspiele vielleicht, das die neuere Komödie zu ihrem großen Nachtheile leider jezt entbehren muß, und zu welchem die HH. Schmelka und Spitzeder und die Damen Sutorius ein so eminentes Talent an den Tag legen. Wenn es dann einmal möglich seyn wird, nicht nur, wie die Direktion es bereits öffentlich sagte, einen Schwank von Hans Sachs, sondern auch eines der Tieck’schen Lustspiele, oder das Jahrmarktsfest von Goethe zu geben, so werden solche Darstellungen junge Dichtertalente erwecken, und dieses Theater dürfte dann zu einem eignen guten und ursprünglich deutschen Repertorium gelangen. – Und das große Theater wird untergehen? – Dieß kann nur die Kurzsichtigkeit befürchten. Ganz im Gegentheil, der Antheil, den man an der Kunst nimmt, wird durch die zwiefache Kunstanstalt verdoppelt werden, wie die Zahl der Reisenden bey guten Wegen und schnellen Posten sich mehrt. Es wird keinem der beyden Theater an Zuschauern fehlen, und das kleinere wird dem großen heilbringend werden; denn dieses leztere wird genöthigt seyn, mit dem frischeren Spiele einer neuen Truppe, die sich erst die Gunst der Menge erwerben will, zu wetteifern, es wird von seinem ungehörigen Ballast über Bord werden müssen, um leichter zu segeln, es wird die unedeln Bestandtheile seines Repertoriums ausmerzen, sich höheren Anforderungen fügen, etwas mehr deutsch werden und überhaupt aus der Freyheit des Publikums, die anständigerweise sich nun auch dort wird äußern dürfen, jenen Nutzen ziehen, von dem man bis jezt als höchst überflüssig gar keine Notiz nahm. Einige der Darstellenden dürften aber auch wohl auf den Gedanken kommen, daß es für sie, außer ihrem Titel und ihrem lebenslänglichen Gehalte, noch eine Kunst und sogar ein Publikum gibt, dem man doch wenigstens so viel Rücksicht schuldig ist, daß man auswendig lerne. Bey dieser Gelegenheit können wir nicht umhin, dem weiblichen Personale im Allgemeinen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Es ist uns selten vorgekommen, daß eine Schauspielerin ihre Rolle nicht auf ein Und gewußt hätte; da hingegen die Männer, die immer und gehörig ihre Rolle wissen, zu den Ausnahmen gehören. Sollte es vielleicht daher kommen, daß die galanten Franzosen das Auswendiglernen „apprendre par cœur“ nennen? Aber nein! das ist nicht wohl möglich; denn daß ein französischer Schauspieler nicht von dem Soufleur-Kasten wiche, oder nach jeden zehn Worten eine Verlegenheits-Pause von fünf Takten eintreten ließe, das ist eben so beyspiellos, als es gefährlich für ihn wäre. Eine strenge Kritik der bis jezt auf dem Königstädtischen Theater gegebenen Stücke wäre ungerecht und störend; ungerecht, weil ein gutes und neues Repertorium eine unzugenügende Forderung ist; störend, weil sich diese Bühne ja aus dem Bedürfnisse und den Wünschen des Publikums, wenn wir uns so ausdrücken dürfen, herausgestalten will, und also ein allzustrenges Kunsturtheil, wenn darauf Rücksicht genommen werden sollte, leicht die früher erwähnte heilsame Wechselwirkung stören und die Direktion zu voreiligen Sprüngen, hinsichtlich der Wahl ihrer Stücke, verleiten könnte. Aus dieser Ursache lassen wir uns die Abenteuer in der pohlnischen Schenke gefallen, obgleich wir dem russischen Originaldichter so viel Bescheidenheit zutrauen, daß er an die Verdeutschung seines Stückes nicht gedacht, dessen Aufführung in Berlin sich wohl nicht beykommen ließ. Auch das Lustspiel in einem Aufzuge: „Alle sind verliebt, von Korntheuer ist mit abgenuzten Fäden so locker und lose geschürzt, daß es bey der leisesten kritischen Berührung auseinander fallen würde. Doch gewährte der freyere Ton der Wiener Bürgermädchen, durch das Fremdartige und im Gegensatz des hergebrachten, unlustigen und platten Edelmuths bey bewußtvoller und daher oft liederlicher Naivität, einen eigenen Reiz. Die beyden Schwestern Sartorius gaben ihre Rollen mit munterer Lebendigkeit und einnehmender Anmuth. Hr. Spitzeder unterstüzte sie mit aller Kraft und Gewandtheit seines Spiels, und was dieses liebenswürdige Trio auch sagte oder that, es wurde selbst das Derbe durch Grazie gemildert. Wäre der alte Vater mit gleicher und dem Lustspiel unentbehrlicher Leichtigkeit dargestellt worden, so würde das Bildchen ohne alle Störung den angenehmsten Eindruck gemacht haben. – Der Schauspiel-Direktor, komische Oper in einem Aufzuge, von Mozart und Cimarosa. Große Namen! Die Musikstücke sind in den hiesigen zahlreichen musikalischen Cirkeln genugsam bekannt und beliebt. Die Aufführung auf dem Königstädter Theater dürfte sie nicht berühmter machen. Von neuen Mitgliedern der Oper sahen wir bey dieser Gelegenheit: Mad. Spitzeder und Dem. K. Eunike. Erstere hat Höhe und Geläufigkeit, und was ihr an Kraft der Stimme abgeht, ersezt ihr Gatte, so daß wir das nicht scheiden wollen, was der Himmel zusammengefügt hat. Dem. Eunike tritt in die Fußstapfen ihrer rühmlich bekannten Schwester. Wir wünschen ihr, daß sie auf der Chaussée (Kunststraße) bleiben möge. Von Anderem ein anderesmal.

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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