Miszellen
für die neueste Weltkunde, 13. 1. 1808, Nr. 4, 15
Amphitryon
Die Dramen der Fremden in
Deutschland.
Es geht in Deutschland den dramatischen
Dichtern des Auslandes nicht besser, als es den Dichtern deutscher Schauspiele im Auslande
geht. Man übersetzt, man liest, aber mag sie gar nicht lange auf der Bühne dulden.
Sensation eigentlich machen sie selten oder nie. Kotzebues Menschenhaß und
Reue konnte eine Zeit lang alleine als Ausnahme gelten. Das Theater des variétés
étrangères in Paris hat ein ungeheures Repertorium von Übersetzungen. Die Schauspieler
mußten fast alle Woche ein neues Stück einstudiren, und doch hielt sich keines lange
man sah eine Menge Neuigkeiten vorüberfliegen und verschwinden, und nur der Reitz
der Neuheit füllte immer das Haus.
Jede Nation hat, wenn ich so sagen darf, ihren eigenthümlichen Ton
des Gemüths, welchen der Dichter mit aller Fülle ansprechen muß, wenn er
verstanden, gefühlt und willkommen sein will. Jeder Verstoß dagegen, auch der leiseste,
raubt dem besten Werke die Wirkung und gibt ihm das Fremdartige,Unpassende.
Wir haben viele und gute Übersetzungen ausländischer Dramen; aber den meisten hängt
noch immer ein gewisses Etwas an, das ihr fremdes Vaterland verräth, und dem zarten Sinne
so unbehaglich ist, wie das Fremdartige in der deutschen Sprache des Ausländers, auch
wenn er sie noch so geläufig spräche. Sogar Hamlet, Lear, Makbeth und Othello
gehn nur äusserst selten über unsere Bühnen, ungeachtet doch selbst deutsche
Meister, Schröder und Bürger, Schiller u. s. w. sich daran
machten, diese Meisterstücke dem deutschen Gemüthe entsprechender darzustellen. Göthes
Mahomet von Voltaire wird noch seltener gesehen, und Racines
Phädra erfreuet sich eben so wenig eines bessern Schicksals. Diejenigen, welche nun,
verdrießlich über dies Mißgeschick, den Deutschen allen bessern Geschmack absprechen,
begehen eine Ungerechtigkeit, die sie gewiß vermieden haben würden, hätten sie über
die geheimen Gründe des Mißfallens an Werken fremder (dramatische) Kunst psychologisch-richtiger
gedacht.
Was den Italiener entzückt, läßt den Deutschen kalt. Was der
Franzose vergöttert, findet der Britte fade. Und doch können es alles
Meisterwerke sein, worüber sich der Geschmack, oder vielmehr der individuell
gestimmte Gemüthston der Nationen, entzweiet. Schiller fand das
französische médiocre et rompant der
Verdeutschung würdig, und doch so sehr Schiller der Liebling seiner Nation ist
mag man seinen Parasiten nicht.
Tscharner und Rehfues führten den italienischen
Trauerspieldichter Alfieri unter uns ein, dem sein Vaterland Bildsäulen errichtet
er ward mit schnöder Kälte empfangen. Kotzebue,
Zschokke und Heinrich von Kleist lieferten den Deutschen fast
gleichzeitig Molieres Lustspiele. Kotzebue, ein gewandter Ringer, fehlte dennoch des Zwecks; Kleist
idealisirte in Molieres Amphitryon etwas hinein, das ihn darum nicht deutscher
machte; Zschokkes Bearbeitung des
Moliere war nur darum glücklicher, weil er mehr freie Nachbildung als Übersetzung gab.
Dennoch erkennt man unter den deutschen Namen bald auf allen Bühnen den fremden Gast.
Eben so geht es den neuern Stücken des trefflichen Iffland,
die, bis jetzt, meistens Übersetzungen aus dem Französischen des Picard
sind, den man wohl den Iffland der Franzosen nennen kann. Sie machen aber
sogar auf dem Berliner Theater, wo der Übersetzer selbst, mit aller Gewalt seiner Kunst,
den Dichter unterstützt, nur höchst mäßige Wirkung, während die Pariser sich an den
niedlichen Kleinigkeiten Picards nicht satt sehen können.
Renouards Tempelherrn, die in Frankreich Aufsehen
machten, erregten, da Cramer sie in Deutschland einführte, so wie die
Gemälde der Leidenschaften seiner Miß Jane, kaum ein flüchtiges Hinsehen;
die harten, strohernen Jamben des Übersetzers waren wahrlich nicht allein daran Schuld.
Der Grund des Mißfallens lag tiefer; er wird eben so Kannegiessers
Bemühungen die Krone rauben, der nun angefangen hat, uns Beaumonts
und Fletchers Schauspiele deutsch zu geben.
In keiner andern Kunst werden die Gemüthseigenheiten dessen, für den
gedichtet wird, so sehr in Anspruch genommen, als in der Dichtkunst, besonders in
der dramatischen. Malerei, Bildhauerkunst und Musik lassen diese
Individualitäten fast ganz unberührt, weil ihnen die Macht des Wortes fehlt. Der
dramatische Dichter aber, wie der Redner, muß sich in die zarten, fast unnennbaren
Modifikationen des Gemüths seiner Nation einstimmen, wenn er Effekt erregen will
Modifikationen, welche selbst nur Wirkungen des Klimas, der Regierungsformen, Gesetze,
Religionen, Sitten und Schicksale sind, und den Nationalkarakter gründen. Nicht so sehr
durch mühsames Studium, als durch Zartgefühl, wird er mit ihnen vertraut. Er selbst, als
Theil der Nation, theilt schon mit ihr den Karakter, und wird eben dadurch Sänger im
Geist der Nation. Kein Fremder kann dies.
Daher wünschen wir, daß unsere guten Schauspieldichter, statt
Übersetzungen, uns Originalstücke liefern mögten. Gute Dichter leben selten; gute
Übersetzer immer.
médiocre et rompant]
Médiocre et rampant ou le moyen de parvenir, 1797 entstandenes Lustspiel von
Louis-Benoît Picard (1769-1828); Schillers freie Bearbeitung in Prosa, Der
Parasit, wurde im Oktober 1803 in Weimar erstaufgeführt.
Kotzebue] Die Schule der Frauen. Ein
Lustspiel in 5 Acten. Frey, doch getreu übersetzt v. August v. Kotzebue,
Leipzig 1805
Zschokkes Bearbeitung] Molieres
Lustspiele und Possen. Für die deutsche Bühne von Heinrich Zschokke (
). 6
Bde. Zürich 1805-1806.
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