Berlinische Nachrichten
von Staats- und gelehrten Sachen (Spenersche Zeitung), 20. 8. 1859, Nr. 193, Beilage,
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Das Ende Heinrich v. Kleists
Das Ende Heinrichs v. Kleist.
Bei G. Reimer in Berlin erscheint eine neue Ausgabe
der Schriften des unglücklichen H. v. Kleist, zu welcher Julian Schmidt eine
treffliche umfangreiche Einleitung geschrieben hat, in der er unter Anderm über das
traurige Ende des Dichters berichtet: Durch Adam Müller war Kleist mit Frau
Henriette Vogel bekannt geworden, die, geistig hoch begabt, an derselben Hypochondrie
litt. Unheilbare körperliche Krankheitszustände kündigten sich bei ihr an, da ihr
zerrissener Gemüthszustand sich schon längst mit dem Leben abgefunden hatte. Wie Kleist
über die Ansprüche des Lebens getäuscht, betrachtete sie schon seit langer Zeit den
Todesgedanken als eine Würze des geschmacklosen Lebens. Von Leidenschaft war in ihrem
Verhältniß zu einander keine Rede; manche vertraute Briefe Kleists aus früherer
Zeit sollen sogar den Beweis führen, daß er eher das Gegentheil, als Zärtlichkeit für
Henrietten gefühlt habe. Was sie zueinander führte und Kleist bald zu ihrem Hausfreunde
machte, war die Sympathie in ihren trüben Stimmungen und ihre gemeinschaftliche Liebe zur
Musik. Sie musicirten und sangen zusammen, vorzüglich alte Psalmen, und freuten sich
gegenseitig an ihrem Talent. Als es Kleist eines Tages sicher schien, seine Freundin habe
ganz besonders schön gesungen, sagte er zu ihr mit einem ihm wohl aus seiner Jugend
überbliebenen Ausdrucke uniformirter Begeisterung: Das ist zum Erschießen schön! Sie
sah ihn bedeutend an und erwiederte kein Wort: in einer einsamen Stunde kam sie aber auf
diese ihm entschlüpfte Äußerung zurück. Sie fragte ihn: ob er sich noch des ernsten
Wortes erinnere, welches sie ihm früher einmal abgenommen, ihr, wenn sie ihn darum bitte,
jeden, selbst den größten Freundschaftsdienst, zu leisten? Seine Antwort war: er sey
dazu zu jeder Zeit bereit. Wohlan! so tödten Sie mich! Meine Leiden haben
mich dahin geführt, daß ich das Leben nicht mehr zu ertragen vermag. Es ist freilich
nicht wahrscheinlich, daß Sie Dies thun, da es keine Männer mehr auf Erden
giebt; allein
Ich werde es thun,
fiel ihr Kleist in das Wort, ich bin ein Mann, der sein Wort hält! In dem
Motiv war es noch der Kleist von 1801. Ein kalter Lebensüberdruß hatte sich seiner
bemächtigt, und das Schicksal gab ihm die traurige Gelegenheit, eine That der
Verzweiflung als Lösung einer Ehrenschuld sich auszumalen. Am Nachmittag des
20. November 1811 kam Kleist mit Henriette aus Berlin in einem Wagen am Krug bei
Stimming an, am Ufer des Wansees, eine Meile vor Postdam. Sie waren anscheinend sehr
lustig, trieben allerlei Possen und machten am andern Nachmittag, nachdem sie einen Boten
nach Berlin abgeschickt, einen Spaziergang am See. Man hörte zwei Schüsse fallen und
fand, als man hinzulief, beide todt: die Dame in einer liegenden Stellung hinten über
gelehnt, den Oberrock von beiden Seiten aufgeschlagen und beide Hände auf der Brust
zusammengefaltet; die Kugel war in die linke Brust, durch das Herz und am linken
Schulterblatt wieder hinaus gegangen. Kleist in derselben Grube vor ihr knieend, hatte
sich eine Kugel durch den Mund in den Kopf geschossen. Beide waren gar nicht entstellt,
sondern hatten eine heitre, zufriedene Miene. Gleich darauf kam Kleists Freund, der
Kriegsrath Peguilhen und Vogel, Henriettens Gemal, durch den Boten gerufen, dort an;
man erbrach das Zimmer, in dem Kleist geschlafen, und fand ein versiegeltes Packet und
darin folgenden Brief an Adam Müllers Frau: Der Himmel weiß, meine liebe,
treffliche Freundin, was für sonderbare Gefühle, halb wehmüthig, halb ausgelassen uns
bewegen, in dieser Stunde, da unsre Seelen sich, wie zwei fröhliche Luftschiffer, über
die Welt erheben, noch einmal an Sie zu schreiben. Wir waren doch sonst, müssen Sie
wissen, wohl entschlossen, bei unseren Bekannten und Freunden keine Karten
p. p. c. abzugeben. Der Grund ist wohl, weil wir in tausend glücklichen
Augenblicken an Sie gedacht, weil wir uns tausend Mal vorgestellt haben, wie Sie in Ihrer
Gutmüthigkeit aufgelacht (aufgejauchzt) haben würden, wenn Sie uns in der grünen oder
rothen Stube beisammen gesehen hätten. Ja, die Welt ist eine wunderliche Einrichtung! Es
hat seine Richtigkeit, daß wir uns, Jettchen und ich, wie zwei trübsinnige, trübselige
Menschen, die sich immer ihrer Kälte wegen angeklagt haben, von ganzem Herzen lieb
gewonnen haben, und der beste Beweis davon ist wohl, daß wir jetzt mit einander sterben.
Leben Sie wohl, unsere liebe, liebe Freundin, und seyen Sie auf Erden, wie es gar wohl
möglich ist, recht glücklich! Wir unsererseits wollen nichts von den Freuden dieser Welt
wissen und träumen lauter himmlische Fluren und Sonnen, in deren Schimmer wir mit langen
Flügeln an den Schultern umherwandeln werden. Adieu! Einen Kuß von mir, dem Schreiber,
an Müller; er soll zuweilen meiner gedenken und ein rüstiger Streiter Gottes gegen den
Teufel Aberwitz bleiben, der die Welt in Banden hält.
(Nachschrift von
Henriettens Hand.)
Doch wie Dies
Alles zugegangen,
Erzähl ich euch zur
andern Zeit,
Dazu bin ich zu eilig
heut.
Lebt wohl denn! Ihr, meine lieben Freunde, und erinnert euch in Freud und Leid der
zwei wunderlichen Menschen, die bald ihre große Entdeckungsreise antreten werden.
Henriette. (Abermals von Kleists Hand:) Gegeben in
der grünen Stube, den 21. November 1811. H. v. K. Der Schauder, den
man über diesen Brief empfindet, wird nicht kleiner, wenn man den Bericht des Wirths
Stimming und darin die Rechnung über den Rum liest, den der Unglückliche zu sich
genommen. Es war ein bittres Lächeln, das über diesen Brief schwebt. Das unglückliche
Paar wurde, seinem Verlangen gemäß, an derselben Stelle neben einander beerdigt. Die
Section soll ergeben haben, daß Henriettens Idee, an einer unheilbaren Krankheit zu
leiden, eine bloße Einbildung war; gleichzeitig soll sich die Aussicht auf Unterstützung
Kleists von Seiten des Staats verwirklicht haben. So spielte das
Schicksal bis zum Ende mit ihm, weil er mit ihm spielte.
\1\ Nach Varnhagens Tod
(10. 10. 1858) in die Sammlung aufgenommen.
neue Ausgabe] Heinrich von Kleists
gesammelte Schriften. Herausgegeben von Ludwig Tieck, revidiert, ergänzt und mit
einer biographischen Einleitung versehen von Julian Schmidt, 3 Bde. (Berlin 1859).
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