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Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen (Spenersche Zeitung), 1. 5. 1824, Nr. 103, unpag.

„Das Käthchen von Heilbronn“; Franz v. Holbeins Bearbeitung

Theater.

   Für ein liebend Herz ist die gemeine
   Natur zu eng, und tiefere Bedeutung
   Liegt in dem Mährchen meiner Kinderjahre
   Als in der Wahrheit die das Leben lehrt –
   Die heit’re Welt der Wunder ist’s allein
   Die dem entzückten Herzen Antwort giebt –
   Die Fabel ist der Liebe Heimath Welt –
   Gern glaubt sie an Götter, weil sie göttlich ist.
   Mit diesen goldenen Worten läßt unser unsterbliche Schiller den liebenden Max Piccolomini sein Herz gegen die Gräfin Terzky eröffnen und diese erwiedert ihm:
   es ist ein holder freundlicher Gedanke
   daß über uns, in unermeßnen Höh’n
   der Liebe Kranz aus funkelnden Gestirnen,
   da wir erst wurden, schon geflochten ward.
   Besseres glaub’ ich der kurzen Anzeige, (leider nöthigt mich der beschränkte Raum zur Kürze) über das endlich auf unsrer Bühne erschienene Drama „das Käthchen von Heilbronn“ von Heinr. v. Kleist, nicht voranschicken zu können; was Max ausspricht und was die Terzky erwiedert, spricht auch wesentlich den Hauptgedanken des herrlichen Dramas aus; das Geheimiß der Liebe, die dunkle Tiefe ihres Werdens und Wachsens, und ihre geheime wunderbare Macht, ist in dem Zauber der Dichtung erschlossen. Aber nicht im formlosen Reich karakterloser Luftgestalten, willkührlicher Spiele einer müßigen Einbildung oder boden- und herzloser Schwindeleien einer verödeten Aftermystik führt und foppt uns der Dichter herum; sein Werk ruht auf historischem Grund und Boden, in der Heimath des Menschen, die mit allen ihren zufälligen Zeit- und Raum-Wechseln immer dieselbe bleibt, ja es ruht auf dem Vaterlande des Deutschen, zwar des Deutschen der Vorzeit, aber nur unsern gegenwärtigen Sitten und Bräuchen, nicht der Ewigkeit unsrer Gefühle ist es fremd; doch ist es eben darum ein romantisches, kein sogenanntes bürgerliches Drama; es hat die freie Ferne, nicht die hemmende und meistens peinliche Nähe; denn das eigentliche Romantische liegt unsern gegenwärtigen Sitten und Bräuchen nicht näher als die Griechische und Römische. Aber eben darum erklärt sich so natürlich der Zwiespalt in den Meinungen der Gebildeten über die Gattungen des romantischen und des antiken Dramas; von Jugend an haben sie ihre Bildung den Griechen und Römern zu verdanken, nicht alle kann das Leben zur Vielseitigkeit ausbilden, und ungerecht wäre für Viele der Vorwurf, daß der keinen Geschmack habe, der nur einen einseitigen hätte. Indeß auch diese werden einem romantischen Schauspiel, das in seiner wesentlichsten Bedeutung sich auf zwei Träume stützt, nicht alle Empfänglichkeit ihrer Phantasie vielleicht auch nicht ihres Gefühls versagen, wenn sie auch mit ihrem Verstand darüber völlig im Reinen seyn sollten, daß an Träume glauben, Aberglaube sei. Genug, Friedrich v. Strahl und Käthchen von Heilbronn glauben an ihre Träume, und ihre Träume beglaubigen sich gegenseitig; dieser Glaube verkehrt und verdirbt ihnen weder Geist noch Herz, sie bleiben natürliche, wahre, lebensthätige Menschen, und der Ausgang verherrlicht ihren Glauben. Denn, wie oben Schiller sagt, der Kranz ihrer Liebe war schon geflochten, ehe sie </> wurden. Danke dem Dichter, der so herrlich den höhern Sinn des Lebens deutet, wer auch in dessen alltäglichen Gewohnheiten, Zerstreuungen und Sorgen ihn nicht immer lebendig vor Augen haben kann. Denn das ist allerdings nicht zu vergessen, daß nicht blos diese Träume, sondern das gesammte Gerüste, innerhalb dessen die bewegt werden, auf ein gemeines Abentheuerliches hinauslaufen, und ein blos für die Schaulust dienendes, Opernmäßiges Gaukelspiel abgeben würden, wenn nicht alles Vorhergehende außerordentlicher Art wäre und zu dem Höheren die Erwartung spannte. – Ich darf wohl nicht erst bemerken, daß ich in dem bisher Gesagten nur das unveränderte Original des Dichters vor Augen gehabt habe, nicht die Holbeinsche Bearbeitung, die blos eine Verstümmelung, ein Präparat zu Musik und Tanz ist, und nur das Gute hat, daß dadurch doch wohl oder übel, das Stück auf die Bühne gekommen und vielleicht einen oder den andern reizt, das Original nun zu lesen. Freilich war eine Bearbeitung durchaus nöthig, denn wie wäre bei der Mannigfaltigkeit und dem raschen Wechsel der Dinge und Vorgänge, ja bei der Beschaffenheit einiger Sachen selbst die theatralische Darstellung des unveränderten Originals thunlich, wenn man nicht eines Publikums sich versichern kann, das zum Schauen der Dichterwelt Phantasie genug mitbringt, um durch diese allein sich alles ergänzen und erzeugen zu lassen; ein Publikum, wie es Shakespear im Prolog zu Heinrich den 5ten aufruft:
   Füllt unsre Mängel in Gedanken aus,
   In Tausende zertheilet Einen Mann –
   Denkt euch, wenn wir von Dingen reden, daß ihr sie vor euch seht u. s. w.

   Der Dichter Heinrich von Kleist freilich mochte kein Wort aus seinem Werke missen, ihm, der es aus tiefer Begeisterung in Einem Guß hervorgebracht, mußte allerdings jegliche Abkürzung und Veränderung nur – Verletzung scheinen: aber darum konnte auch sein Wunsch, noch bei seinen Lebzeiten sein geliebtes Käthchen auf unserer Bühne zu schauen, nicht erfüllt werden. Mit lebhafter Bewegung erinnere ich mich der darüber mit ihm gepflogenen Gespräche, so wie seiner Aeußerungen wie er insbesondere die Darstellung des Käthchens selbst, sich dachte. Und so glaub ich nicht blos meine Ansicht auszusprechen, sondern auch der Dollmetscher des verewigten Dichters zu sein, wenn ich der Frau v. Holtei dafür danke, daß sie das Käthchen so jungfräulich zart, so kindlich in ihrer ganzen Erscheinung, einfach im Ausdruck des Worts und der Geberden, wie es der Dichter wollte, und der Geist seiner Dichtung es allerdings fordert, dargestellt hat. Die Scene vor dem heimliche Gericht, die, wo sie den Brief bringt und die, wo sie im Schlafe spricht; alle gelungen, und alle, wie die Dichtung aus Einem Guß. Nicht minder hoch steht Hr. Rebenstein als Graf Strahl; er hat nicht blos seine bekannte Kraft und sein Feuer, er hat ein tiefes Eindringen in den Geist seiner Aufgabe bewährt. Außer diesen beiden erwähne ich für heute nur noch des Hrn. Lemm und Hrn. Wauer als vorzüglich. Gelegentlich mehr von der Darstellung die auch in ihren Scenischen Einrichtungen sich auszeichnete.

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